Sarah M. Broom: "Das Gelbe Haus"
© Hanser Verlag
Hurrikans und Heimat
05:39 Minuten
Sarah M. Broom
Übersetzt von Tanja Handels
Das Gelbe Haus. Leben und Überleben in einer Familie in New OrleansHanser Berlin, Berlin 2022432 Seiten
26,00 Euro
Das Klischee von New Orleans ist: Jazz, Party und Mardi Gras. Eine weniger pittoreske Seite der Stadt beschreibt die schwarze Autorin Sarah Bloom. Für ihre berührend politische Familiengeschichte bekam sie 2019 den National Book Award für Non-Fiction.
Sarah Bloom wuchs im gelben Haus auf – ihre Mutter hatte es 1961 mit dem Geld aus der Lebensversicherung ihres ersten verstorbenen Mannes erworben. Es war ein enges, hinten absackendes Shotgun-Haus in East New Orleans, einem Stadtteil, dem man in den späten 1950er-Jahren eine glänzende Zukunft zusprach und in dem Baufirmen Sumpfgebiete trockenlegten und Kanäle erbauten, um Siedlungsgebiete zu erschließen.
Hurrikans zerstören die Stadt
Diese Zukunft war 1965 vorbei: Der Hurrikan Betsy verwüstete damals weite Teile von East New Orleans, weil Wassermassen erst in die Kanäle strömten, dann nicht mehr gebändigt werden konnten und schließlich 160.000 Häuser überfluteten.
Danach wurde das Hochwasserschutzsystem verstärkt, aber im August 2005 fegte es der Hurrikan Katrina einfach weg. East New Orleans wurde erneut komplett überschwemmt, und knapp 2000 Menschen starben durch die Flut.
Ein Bruder der Autorin musste tagelang auf dem Dach seines Hauses ausharren. Sarah Bloom lebte damals in New York. Sie hatte durch Bildung geschafft, was nicht allen ihren elf Geschwistern und Halbgeschwistern gelungen war: der Armut zu entkommen.
Aufwachsen in Armut und Scham
Sehr detailliert, an manchen Stellen ausschweifend, mit vielen persönlichen Erlebnissen erzählt Sarah Bloom die Geschichte ihrer Familie, ihrer Großeltern, ihres Vaters und ihrer Mutter, die 24-jährig als Witwe mit drei Kindern das gelbe Haus kaufte.
Sie erzählt von Armut und der Scham darüber (sie lud nie Freunde zu sich nach Hause ein), vom Versuch der Mutter, mit wenig Mitteln ein ordentliches Heim zu schaffen, von Arbeitslosigkeit und Gewaltausbrüchen, von einer unwirtlichen Lebensumgebung, durchzogen von Highways, an denen als einziger Wirtschaftszweig die Prostitution boomte. Sie schreibt mal distanziert, mal gefühlsbetont und nie voyeuristisch.
Nicht alle Viertel wiederaufgebaut
Obwohl Sarah Bloom zwischenzeitlich weit entfernt von New Orleans lebte – sie arbeitete in New York und in Burundi –, lässt die Stadt sie bis heute nicht los. Sie ringt mit ihr, sie kämpft darum, hinter der allgegenwärtigen inszenierten Fassade ihr New Orleans zu finden. So entsteht eine spannende literarische, persönliche und politische Familiengeschichte und Heimatkunde.
Wer bestimmt das Bild New Orleans? Die, die die Stadt als Touristenziel vermarkten? Oder die, die unter der von der Autorin gut belegten anhaltenden Korruption, unter der Armut und dem strukturellen Rassismus leiden?
Ein Viertel der gesamten Bevölkerung – darunter auch große Teile von Brooms Familie – ist nach Katrina nicht mehr nach New Orleans zurückgekehrt. Auch weil die Menschen dort keinen Platz mehr fanden. Denn während die weißen Viertel und die Innenstadt schnell restauriert wurden, passierte in den schwärzeren Stadtteilen nichts. Die Häuser verschimmelten, ganze Straßenzüge wurden als unbewohnbar erklärt und von der Stadt abgerissen. Auch das Gelbe Haus verschwand.