Sarrazin: Deutsch-deutsche Währungsunion war alternativlos
Das Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, Thilo Sarrazin, sieht auch im Rückblick keine Alternative zur Wirtschafts- und Währungsunion vor 20 Jahren. Ihm sei Ende 1989 klar geworden, "dass das System DDR auf natürliche Weise in sich zerfallen würde, weil jeder DDR-Bürger ja die vollen Rechte als Bundesbürger in Westdeutschland hatte", sagte Sarrazin.
Jürgen König: 20 Jahre Wirtschaftswährungs- und Sozialunion – dazu hat die Stiftung Aufarbeitung in Zusammenarbeit mit Deutschlandradio Kultur eine Podiumsdiskussion veranstaltet. Am Rande dieses Treffens hatte meine Kollegin Marie Sagenschneider Gelegenheit, mit Thilo Sarrazin zu sprechen. Er gehört heute dem Vorstand der Deutschen Bundesbank an, bis 2009 war er Berliner Finanzsenator.
Als im November 1989 die Mauer fiel, da saß Thilo Sarrazin im Bundesfinanzministerium in Bonn, war Leiter der Arbeitsgruppe "Innerdeutsche Beziehungen", mit einem Abteilungsleiter namens Horst Köhler, der später bekanntlich Bundespräsident wurde, und der damals sofort sagte: Wir müssen etwas tun. Wie Thilo Sarrazin diese Zeit erlebt habe und warum so schnell klar gewesen sei, dass etwas getan werden müsse im November, Dezember 1989 - das war die erste Frage von Marie Sagenschneider an Thilo Sarrazin.
Thilo Sarrazin: Es war eine offene Situation, von dem wir nur eins wussten: dass sie sich jetzt bewegt, und zwar ganz schnell. Und dann wurde mir deutlich, das war Ende November, Anfang Dezember, ...
Marie Sagenschneider: 1989.
Sarrazin: ... ja, 1989, dass das System DDR auf natürliche Weise in sich zerfallen würde, weil jeder DDR-Bürger ja die vollen Rechte als Bundesbürger in Westdeutschland hatte. Wer also meinetwegen in Magdeburg wohnte, machte einen Tagesausflug nach, also, nach Braunschweig, meldete sich dort mit seiner Familie an, mietete ein Zimmerchen, bekam 800 oder 1000 Euro Sozialhilfe ausgezahlt, fuhr zurück nach Magdeburg, tausche das um für 1:7, das war der Kurs, und konnte in Magdeburg, in seiner Plattenbauwohnung für 80 Ostmark, mit 7000 Ostmark herrlich und in Freuden leben.
Damit war klar: Wir würden in Westdeutschland über kurz oder lang für die ganze DDR zahlen, entweder, indem sie zu uns kamen, bei uns arbeiteten oder bei uns dann Sozialhilfe hätten, oder auf irgendwelche andere Weise. Und letztlich: Die Kraft, durch eine lange, entbehrungsreiche Phase der Umstellung zu gehen, war in der DDR nicht vorhanden, jetzt als, also, eigener Staat. Das war uns klar.
Und darum musste man etwas tun, was auch dann Richtung, also, dauerhafte Lösung ging, und dann war die Überlegung: Wir schaffen ein einheitliches Wirtschaftsgebiet, wir stellen unsere Währung zur Verfügung, und die DDR macht ordnungspolitische Reformen, sie führt zu einem Stichtag, zu dem wir die Währung geben, da führt sie die Marktwirtschaft ein.
Das war die Überlegung, die mir so kam, Mitte Dezember, die damals abenteuerlich schien, die ich dann also diskutierte mit Horst Köhler, und letztlich wurde ich dann von ihm, Ende Januar, beauftragt, doch mal das Konzept aufzuschreiben bis dahin. Dann durfte ich das also kaum aufschreiben, so schrecklich war das alles, und dann habe ich das getan, und dieser Vermerk wurde dann die Basis dafür, dass sich letztlich die Bundesregierung Anfang Februar dann politisch entschied, der DDR eine Wirtschafts- und Währungsunion anzubieten.
Sagenschneider: Was war denn daran so schrecklich, dass Sie das mehr oder weniger geheimhalten mussten?
Sarrazin: Letztlich war ja die Überlegung: Wir stellen umstandslos, in kurzer Frist schon mal die wirtschaftliche Einheit her, im Vorgriff auf eine, auf eine politische Einheit. Die passte im November, Dezember innen- und außenpolitisch einfach noch nicht in die Zeit.
Sagenschneider: Sie haben dann die Arbeitsgruppe "Innerdeutsche Beziehungen" geleitet, die das Projekt Währungsunion dann offiziell auch entwickeln sollte, und damit standen Sie plötzlich dann doch irgendwie im Mittelpunkt des Geschehens. Haben Sie jemals gedacht, oh Mann, da wird einem schon schwummrig - wenn das mal schiefgeht hier?
Sarrazin: Ich war ja ein Beamter der, also, mittleren Führungsebene, so ein, also, großes Ministerium hat 100 Referate, ich war nur Referatsleiter, wenn auch ein wichtiger. Ich hatte ein Papier geschrieben, Beamte schreiben viele Papiere. Dann hatte ich das abgegeben beim Staatssekretär, hatte ihm das kurz erläutert, das war an einem Montagmorgen, und am Dienstagabend, also, ruft mich Horst Köhler und sagt mir, wir waren da beim Bundeskanzler, der Minister und ich, und der Bundeskanzler wird in der übernächsten Woche der DDR eine Währungsunion anbieten, und wir schaffen im Haus eine neue Arbeitsgruppe, die das alles vorbereitet, und Sie bekommen die Federführung.
Da hatte ich ja, nachdem ich ein schon aus meiner Sicht relativ kühnes Gedankengebäude entwickelt hatte, auf einmal nicht nur die Zustimmung, dass das so kommt, sondern auch gleich noch die operative Verantwortung für die Umsetzung. Dann hatte ich schon, als ich an dem Abend dann nach Hause fuhr, hatte ich schon einigermaßen weiche Knie, das gebe ich zu.
Sagenschneider: Gab es denn auch in diesem ganzen Prozess einen Punkt, bei dem Sie dann gedacht haben, nein, das kann nicht funktionieren, wir haben eigentlich nichts Belastbares in der Hand, keine belastbaren Zahlen, was die wirtschaftliche Grundlage der DDR anbelangt?
Sarrazin: Doch, ich hatte ... Also, ich war insoweit ... Ich war in diesen Monaten sehr, sehr fleißig gewesen und was es in Westdeutschland an belastbaren Unterlagen gab, das hatte ich, und das hatte ich auch gelesen. Und ich fühlte mich mit den von mir getroffenen Unternahmen sicher und ich wusste, es würde auch, wenn man es denn tut, funktionieren. Dessen war ich mir sicher.
Mich hat damals beschäftigt: Wie bekommen wir so was in vernünftigen Stufen umgesetzt und wie bekommen wir es so umgesetzt, dass wir eine unwiderrufliche Dynamik schaffen? Denn gleichzeitig habe ich natürlich immer gedacht an den politischen Prozess.
Und letztlich, wenn mal die Bundesbürger wissen würden, was das alles kostet, würden die vielleicht auch die gute Laune verlieren, denn in der Bundesrepublik, darf man sich keine Illusionen machen, da war bei den meisten die DDR vergessen. Ich hatte nun also ostdeutsche Verwandte, ich war ein bisschen näher dran, aber für 80 Prozent der Bundesbürger war das ganz nett, aber ein allenfalls theoretisches Thema.
Und wenn man merkte, das wird richtig teuer und die kommen alle rüber, könnte es auch sein, dass vielleicht auch Stimmungen kippen, und man muss auch sehen: Es gab ja auch in meiner eigenen Partei da bedeutende Menschen, die ganz offenbar dagegen waren. Dazu zählte Oskar Lafontaine, also, der das nicht wollte.
Und dann gab es all die Gutmenschen in den Zeitungen, die nichts überstürzen wollten, und dann gab es die Ökonomen, die gar nichts verstanden von dem, was hier eigentlich abging – so, und da musste man einfach durch. Und dann, als das einmal entschieden war, war meine Aufgabe: Jetzt machen wir das so und jetzt setzen wir das um.
Sagenschneider: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit Thilo Sarrazin, Mitglied im Vorstand der Deutschen Bundesbank, und er hat vor 20 Jahren ganz entscheidend die Wirtschaftswährungs- und Sozialunion mit auf den Weg gebracht. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Sarrazin, dann sagen Sie: Eigentlich ging es darum, erst mal die Währungsunion einzutüten, um dann auch den Weg zu bereiten für die politische Einheit oder den Prozess unumkehrbar zu machen?
Sarrazin: Damit, dass die Währung kam, übernahm die DDR unseren Wirtschaftsrahmen. Außerdem war klar, dass sie ohne, also, finanzielle Transfers aus der Bundesrepublik gar nicht würde leben können. Letztlich war ihre Eigenstaatlichkeit in, ich sage mal, wirtschaftlicher, also finanzieller Hinsicht damit beendet, und dann ...
Die staatliche Einheit war für mich eine Sache, die dann irgendwann automatisch folgen konnte. Diesen engen Zeitplan hatte ich mir damals auch nicht vorgestellt. Meine Überlegungen für eine Währungsunion gingen so auf den 1. Januar 1991, und das Wort "Einheit" in den Mund zu nehmen, haben wir uns damals gar nicht getraut. Da habe ich gesagt, das kommt dann drei, vier Jahre später. Das war mir jetzt auch nicht so wichtig.
Sagenschneider: Wie hat man sich denn diesen konkreten Prozess vorzustellen? Denn man muss ja dann mit der Politik verhandeln, mit der Bundesbank, die auch nicht ganz glücklich war, weil sie das Gefühl hatte, sie wird nicht beizeiten informiert, auch mit den Regierungsvertretern, damals war es noch die Regierung Modrow erst. Wie hat man sich dieses Prozedere vorzustellen?
Sarrazin: Die Arbeit an der Vorbereitung der Währungsunion, die ist bei mir erfolgt, streng geheim, nur ich ganz alleine, und mein Abteilungsleiter Haller und, also, Staatssekretär Köhler, sonst keiner, auch kein Mitarbeiter und nichts, und schon gar nicht die Bundesbank.
Die wäre sowieso dagegen gewesen, die hätte uns also nur gestört. Und dann, als die politische Entscheidung fiel, wurde dann also ein Gespräch festgelegt zwischen Pöhl und unserem Minister Waigel, Präsident Pöhl, ...
Sagenschneider: Bundesbankpräsident.
Sarrazin: ... wo Waigel dann, wo dann die Bundesbank informiert werden sollte. Ich machte dazu den Vermerk. Jedenfalls wurde die Bundesbank auf, also, kaltem Wege erwischt. Und nachdem dann die Ankündigung auch war – das war am 6. Februar, am 7. das Bundeskabinett, was dann das Angebot dann politisch beschloss –, besuchten am Donnerstagmorgen, dem 8., der Schlesinger, Vizepräsident der Bundesbank und Tietmeyer, Köhlers Amtsvorgänger, jetzt seit wenigen Wochen im Direktorium, besuchten Horst Köhler.
Gerd Haller als Abteilungsleiter und ich waren dabei, und der Schlesinger hatte meinen Vermerk in der Hand und sagte wutbebend, also, da, Herr Sarrazin, alles völlig unakzeptabel und 1:1-Wechselkurs, auch völlig unsinnig. Und ich wollte immer widersprechen und Köhler trat mich unterm Tisch, beim dritten Mal habe ich es kapiert, und dann sage ich, ... Hinterher wurde ich da also runtergemacht, also, Tietmeyer hat immer finster geschwiegen, der wusste genau, dass die Sache entschieden war, der hat einfach nichts gesagt, und Schlesinger hat sich an mir abgearbeitet.
Und dann hat Köhler dann besänftigt und begütigt. Danach sage ich zu ihm, aber Herr Köhler, sage ich, das war doch alles Unsinn, was der Schlesinger gesagt hat. Ja, sagt er, Herr Sarrazin, Sie müssen jetzt mal Folgendes verstehen: Wir haben entschieden, dass die Währungsunion kommt, ab sofort brauchen wir die Bundesbank, und ab sofort läuft alles so, wie die Bundesbank das will, damit die auch mit eingebunden sind.
Sagenschneider: Aber sie wollte es eigentlich nicht?
Sarrazin: Ja, nein, natürlich wollte sie das nicht.
Sagenschneider: Und wie war das mit den Verhandlungspartnern auf Ostseite?
Sarrazin: Dann wurde eine deutsch-deutsche Expertenkommission eingerichtet. Und bei unserem ersten Treffen forderte dann ... Köhler, ich saß neben Köhler immer bei den Verhandlungen, sagte, also, wir müssen erst mal einen Finanzstatus haben, und dann übergab die Frau Dr. König zwei Bögen Papier.
Auf dem einen waren die Auslandsschulden der DDR säuberlich aufgelistet, und auf dem anderen waren die internen Verschuldungsstrukturen dargestellt, also, was den Wohnungsbau viel belastet hat und die Sparguthaben und die Kombinate, das war so ein Schuldenkreislauf von 350 Milliarden.
Und dann guckten die alle so, auf DDR-Seite, guckten so erwartungsvoll. Ich habe gesagt, oder Köhler, ich weiß nicht, gut, das müssen wir jetzt prüfen. Dann haben wir das eingesteckt.
Aber dann habe ich gemerkt: Diese Offenbarung des Finanzstatus war wie die Übergabe der Festungsschlüssel bei so einer mittelalterlichen Übergabe, und die machten hier die Übergabe.
Als im November 1989 die Mauer fiel, da saß Thilo Sarrazin im Bundesfinanzministerium in Bonn, war Leiter der Arbeitsgruppe "Innerdeutsche Beziehungen", mit einem Abteilungsleiter namens Horst Köhler, der später bekanntlich Bundespräsident wurde, und der damals sofort sagte: Wir müssen etwas tun. Wie Thilo Sarrazin diese Zeit erlebt habe und warum so schnell klar gewesen sei, dass etwas getan werden müsse im November, Dezember 1989 - das war die erste Frage von Marie Sagenschneider an Thilo Sarrazin.
Thilo Sarrazin: Es war eine offene Situation, von dem wir nur eins wussten: dass sie sich jetzt bewegt, und zwar ganz schnell. Und dann wurde mir deutlich, das war Ende November, Anfang Dezember, ...
Marie Sagenschneider: 1989.
Sarrazin: ... ja, 1989, dass das System DDR auf natürliche Weise in sich zerfallen würde, weil jeder DDR-Bürger ja die vollen Rechte als Bundesbürger in Westdeutschland hatte. Wer also meinetwegen in Magdeburg wohnte, machte einen Tagesausflug nach, also, nach Braunschweig, meldete sich dort mit seiner Familie an, mietete ein Zimmerchen, bekam 800 oder 1000 Euro Sozialhilfe ausgezahlt, fuhr zurück nach Magdeburg, tausche das um für 1:7, das war der Kurs, und konnte in Magdeburg, in seiner Plattenbauwohnung für 80 Ostmark, mit 7000 Ostmark herrlich und in Freuden leben.
Damit war klar: Wir würden in Westdeutschland über kurz oder lang für die ganze DDR zahlen, entweder, indem sie zu uns kamen, bei uns arbeiteten oder bei uns dann Sozialhilfe hätten, oder auf irgendwelche andere Weise. Und letztlich: Die Kraft, durch eine lange, entbehrungsreiche Phase der Umstellung zu gehen, war in der DDR nicht vorhanden, jetzt als, also, eigener Staat. Das war uns klar.
Und darum musste man etwas tun, was auch dann Richtung, also, dauerhafte Lösung ging, und dann war die Überlegung: Wir schaffen ein einheitliches Wirtschaftsgebiet, wir stellen unsere Währung zur Verfügung, und die DDR macht ordnungspolitische Reformen, sie führt zu einem Stichtag, zu dem wir die Währung geben, da führt sie die Marktwirtschaft ein.
Das war die Überlegung, die mir so kam, Mitte Dezember, die damals abenteuerlich schien, die ich dann also diskutierte mit Horst Köhler, und letztlich wurde ich dann von ihm, Ende Januar, beauftragt, doch mal das Konzept aufzuschreiben bis dahin. Dann durfte ich das also kaum aufschreiben, so schrecklich war das alles, und dann habe ich das getan, und dieser Vermerk wurde dann die Basis dafür, dass sich letztlich die Bundesregierung Anfang Februar dann politisch entschied, der DDR eine Wirtschafts- und Währungsunion anzubieten.
Sagenschneider: Was war denn daran so schrecklich, dass Sie das mehr oder weniger geheimhalten mussten?
Sarrazin: Letztlich war ja die Überlegung: Wir stellen umstandslos, in kurzer Frist schon mal die wirtschaftliche Einheit her, im Vorgriff auf eine, auf eine politische Einheit. Die passte im November, Dezember innen- und außenpolitisch einfach noch nicht in die Zeit.
Sagenschneider: Sie haben dann die Arbeitsgruppe "Innerdeutsche Beziehungen" geleitet, die das Projekt Währungsunion dann offiziell auch entwickeln sollte, und damit standen Sie plötzlich dann doch irgendwie im Mittelpunkt des Geschehens. Haben Sie jemals gedacht, oh Mann, da wird einem schon schwummrig - wenn das mal schiefgeht hier?
Sarrazin: Ich war ja ein Beamter der, also, mittleren Führungsebene, so ein, also, großes Ministerium hat 100 Referate, ich war nur Referatsleiter, wenn auch ein wichtiger. Ich hatte ein Papier geschrieben, Beamte schreiben viele Papiere. Dann hatte ich das abgegeben beim Staatssekretär, hatte ihm das kurz erläutert, das war an einem Montagmorgen, und am Dienstagabend, also, ruft mich Horst Köhler und sagt mir, wir waren da beim Bundeskanzler, der Minister und ich, und der Bundeskanzler wird in der übernächsten Woche der DDR eine Währungsunion anbieten, und wir schaffen im Haus eine neue Arbeitsgruppe, die das alles vorbereitet, und Sie bekommen die Federführung.
Da hatte ich ja, nachdem ich ein schon aus meiner Sicht relativ kühnes Gedankengebäude entwickelt hatte, auf einmal nicht nur die Zustimmung, dass das so kommt, sondern auch gleich noch die operative Verantwortung für die Umsetzung. Dann hatte ich schon, als ich an dem Abend dann nach Hause fuhr, hatte ich schon einigermaßen weiche Knie, das gebe ich zu.
Sagenschneider: Gab es denn auch in diesem ganzen Prozess einen Punkt, bei dem Sie dann gedacht haben, nein, das kann nicht funktionieren, wir haben eigentlich nichts Belastbares in der Hand, keine belastbaren Zahlen, was die wirtschaftliche Grundlage der DDR anbelangt?
Sarrazin: Doch, ich hatte ... Also, ich war insoweit ... Ich war in diesen Monaten sehr, sehr fleißig gewesen und was es in Westdeutschland an belastbaren Unterlagen gab, das hatte ich, und das hatte ich auch gelesen. Und ich fühlte mich mit den von mir getroffenen Unternahmen sicher und ich wusste, es würde auch, wenn man es denn tut, funktionieren. Dessen war ich mir sicher.
Mich hat damals beschäftigt: Wie bekommen wir so was in vernünftigen Stufen umgesetzt und wie bekommen wir es so umgesetzt, dass wir eine unwiderrufliche Dynamik schaffen? Denn gleichzeitig habe ich natürlich immer gedacht an den politischen Prozess.
Und letztlich, wenn mal die Bundesbürger wissen würden, was das alles kostet, würden die vielleicht auch die gute Laune verlieren, denn in der Bundesrepublik, darf man sich keine Illusionen machen, da war bei den meisten die DDR vergessen. Ich hatte nun also ostdeutsche Verwandte, ich war ein bisschen näher dran, aber für 80 Prozent der Bundesbürger war das ganz nett, aber ein allenfalls theoretisches Thema.
Und wenn man merkte, das wird richtig teuer und die kommen alle rüber, könnte es auch sein, dass vielleicht auch Stimmungen kippen, und man muss auch sehen: Es gab ja auch in meiner eigenen Partei da bedeutende Menschen, die ganz offenbar dagegen waren. Dazu zählte Oskar Lafontaine, also, der das nicht wollte.
Und dann gab es all die Gutmenschen in den Zeitungen, die nichts überstürzen wollten, und dann gab es die Ökonomen, die gar nichts verstanden von dem, was hier eigentlich abging – so, und da musste man einfach durch. Und dann, als das einmal entschieden war, war meine Aufgabe: Jetzt machen wir das so und jetzt setzen wir das um.
Sagenschneider: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit Thilo Sarrazin, Mitglied im Vorstand der Deutschen Bundesbank, und er hat vor 20 Jahren ganz entscheidend die Wirtschaftswährungs- und Sozialunion mit auf den Weg gebracht. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Sarrazin, dann sagen Sie: Eigentlich ging es darum, erst mal die Währungsunion einzutüten, um dann auch den Weg zu bereiten für die politische Einheit oder den Prozess unumkehrbar zu machen?
Sarrazin: Damit, dass die Währung kam, übernahm die DDR unseren Wirtschaftsrahmen. Außerdem war klar, dass sie ohne, also, finanzielle Transfers aus der Bundesrepublik gar nicht würde leben können. Letztlich war ihre Eigenstaatlichkeit in, ich sage mal, wirtschaftlicher, also finanzieller Hinsicht damit beendet, und dann ...
Die staatliche Einheit war für mich eine Sache, die dann irgendwann automatisch folgen konnte. Diesen engen Zeitplan hatte ich mir damals auch nicht vorgestellt. Meine Überlegungen für eine Währungsunion gingen so auf den 1. Januar 1991, und das Wort "Einheit" in den Mund zu nehmen, haben wir uns damals gar nicht getraut. Da habe ich gesagt, das kommt dann drei, vier Jahre später. Das war mir jetzt auch nicht so wichtig.
Sagenschneider: Wie hat man sich denn diesen konkreten Prozess vorzustellen? Denn man muss ja dann mit der Politik verhandeln, mit der Bundesbank, die auch nicht ganz glücklich war, weil sie das Gefühl hatte, sie wird nicht beizeiten informiert, auch mit den Regierungsvertretern, damals war es noch die Regierung Modrow erst. Wie hat man sich dieses Prozedere vorzustellen?
Sarrazin: Die Arbeit an der Vorbereitung der Währungsunion, die ist bei mir erfolgt, streng geheim, nur ich ganz alleine, und mein Abteilungsleiter Haller und, also, Staatssekretär Köhler, sonst keiner, auch kein Mitarbeiter und nichts, und schon gar nicht die Bundesbank.
Die wäre sowieso dagegen gewesen, die hätte uns also nur gestört. Und dann, als die politische Entscheidung fiel, wurde dann also ein Gespräch festgelegt zwischen Pöhl und unserem Minister Waigel, Präsident Pöhl, ...
Sagenschneider: Bundesbankpräsident.
Sarrazin: ... wo Waigel dann, wo dann die Bundesbank informiert werden sollte. Ich machte dazu den Vermerk. Jedenfalls wurde die Bundesbank auf, also, kaltem Wege erwischt. Und nachdem dann die Ankündigung auch war – das war am 6. Februar, am 7. das Bundeskabinett, was dann das Angebot dann politisch beschloss –, besuchten am Donnerstagmorgen, dem 8., der Schlesinger, Vizepräsident der Bundesbank und Tietmeyer, Köhlers Amtsvorgänger, jetzt seit wenigen Wochen im Direktorium, besuchten Horst Köhler.
Gerd Haller als Abteilungsleiter und ich waren dabei, und der Schlesinger hatte meinen Vermerk in der Hand und sagte wutbebend, also, da, Herr Sarrazin, alles völlig unakzeptabel und 1:1-Wechselkurs, auch völlig unsinnig. Und ich wollte immer widersprechen und Köhler trat mich unterm Tisch, beim dritten Mal habe ich es kapiert, und dann sage ich, ... Hinterher wurde ich da also runtergemacht, also, Tietmeyer hat immer finster geschwiegen, der wusste genau, dass die Sache entschieden war, der hat einfach nichts gesagt, und Schlesinger hat sich an mir abgearbeitet.
Und dann hat Köhler dann besänftigt und begütigt. Danach sage ich zu ihm, aber Herr Köhler, sage ich, das war doch alles Unsinn, was der Schlesinger gesagt hat. Ja, sagt er, Herr Sarrazin, Sie müssen jetzt mal Folgendes verstehen: Wir haben entschieden, dass die Währungsunion kommt, ab sofort brauchen wir die Bundesbank, und ab sofort läuft alles so, wie die Bundesbank das will, damit die auch mit eingebunden sind.
Sagenschneider: Aber sie wollte es eigentlich nicht?
Sarrazin: Ja, nein, natürlich wollte sie das nicht.
Sagenschneider: Und wie war das mit den Verhandlungspartnern auf Ostseite?
Sarrazin: Dann wurde eine deutsch-deutsche Expertenkommission eingerichtet. Und bei unserem ersten Treffen forderte dann ... Köhler, ich saß neben Köhler immer bei den Verhandlungen, sagte, also, wir müssen erst mal einen Finanzstatus haben, und dann übergab die Frau Dr. König zwei Bögen Papier.
Auf dem einen waren die Auslandsschulden der DDR säuberlich aufgelistet, und auf dem anderen waren die internen Verschuldungsstrukturen dargestellt, also, was den Wohnungsbau viel belastet hat und die Sparguthaben und die Kombinate, das war so ein Schuldenkreislauf von 350 Milliarden.
Und dann guckten die alle so, auf DDR-Seite, guckten so erwartungsvoll. Ich habe gesagt, oder Köhler, ich weiß nicht, gut, das müssen wir jetzt prüfen. Dann haben wir das eingesteckt.
Aber dann habe ich gemerkt: Diese Offenbarung des Finanzstatus war wie die Übergabe der Festungsschlüssel bei so einer mittelalterlichen Übergabe, und die machten hier die Übergabe.