Szenen einer zerrütteten Ehe
Thilo Sarrazin und der Verlag Random House trafen sich wegen eines Rechtsstreits vor Gericht. Der frühere Bundesbanker und Berliner Finanzsenator wirft dem Verlag Rufschädigung vor, weil dieser sein neues Werk plötzlich nicht mehr habe veröffentlichen wollen.
"Ich bin kein Prozess-Hansel", ruft Thilo Sarrazin vor dem Münchner Landgericht. "Aber womit handelt ein Autor? Mit seinem guten Ruf!" Und den, so Sarrazin, habe der Verlag Random House beschädigt. Weil er die Zusammenarbeit unter Behauptung falscher Tatsachen beendet habe.
Sarrazins Anwalt Andreas Köhler wird noch grundsätzlicher: "Ich glaube, dass die Gegenseite 'Random House' noch gar nicht erkannt hat, um was es eigentlich geht, nämlich: Da gibt es einen Autor, der es auch einmal wagt, etwas gegen einen Verlag zu sagen. Normalerweise kuschen Autoren immer wieder vor der Allmacht des Verlages und meinen, es wird schon alles gut gehen."
Richter macht Sarrazin wenig Hoffnung auf Entschädigung
Nicht so Sarrazin, beteuert Anwalt Köhler. Der stehe zu seinen Überzeugungen. "Es geht nicht um Geld, es geht nicht um das Pekuniäre, sondern darum, dass einem Autor Recht geschieht an dieser Stelle." Aber was ist Recht? Der Richter macht Sarrazin eher wenig Hoffnung auf Entschädigung oder gar Schmerzensgeld. Er zeichnet den Streit zwischen dem Autor und seinem Verlag als Szenen einer zerrütteten Ehe nach.
Zehn Jahre lang hatten beide Seiten gut und vor allem einträglich zusammengearbeitet. Vier Bestseller hatte Sarrazin geliefert, an denen er und Random House Millionen verdienten. Sarrazin lieferte die Manuskripte und sein Image als umstrittener Autor – Random House steuerte perfekte Verlagsstrukturen und seinen ausgezeichneten Ruf bei. So hätte das auch weitergehen können, sagt Rainer Dresen, der Leiter der Rechtsabteilung bei Random House:
"Wir hatten uns geeinigt auf eine Veröffentlichung Ende Oktober. Entweder am 29. oder am 22.Oktober. Und dann fuhr dem Rechtsanwalt Köhler sein Mandant in die Parade und sagte, er möchte sein Buch früher im Markt wissen. Warum wohl? Zum einen der romantisierende Aspekt: Er möchte gern zehn Jahre nach seinem ersten Buch das fünfte Buch veröffentlicht sehen. Und er sagt: Es sind zwei Landtagswahlen im Oktober: Hessen und Bayern. Und er will punktgenau zu diesem Zeitpunkt veröffentlichen. Will er jetzt die Gelegenheit nutzen, um möglichst viele Bücher zu verkaufen? Oder hat er ein politisches Interesse und will vielleicht die Wahlen irgendwie ... kann ja auch sein."
Zusammenarbeit scheiterte an Terminvorstellungen
Letztlich zerbrach die Zusammenarbeit an den unterschiedlichen Terminvorstellungen. Sarrazin hatte sein Manuskript früh abgeliefert, sogar schon vor dem vereinbarten Termin. Doch bei Random House ging es nicht so recht vorwärts. Auch, weil sich lange kein passender Lektor fand, so Dresen. Und dann habe man auch inhaltliche Fragen und Änderungswünsche gehabt.
"Es ist kein Geheimnis, dass Herr Sarrazin den Einstieg aus dramaturgischen Gründen so gewählt hat, dass er sich wohl monatelang mit dem Koran beschäftigt hat. Herr Sarrazin hat den Koran gelesen. Das steht ihm frei. Das hat er uns auch vorher so mitgeteilt. Er hat ihn relativ wörtlich ausgelegt. Jetzt kann man sich trefflich streiten: Ist es zulässig, ihn wörtlich auszulegen? Viele Moslems legen ihn wörtlich aus. Es gibt aber auch Koran-Experten, die sagen: Nein, auf keinen Fall darf man ihn wörtlich auslegen. Und wir als Verlag haben nicht jede Expertise. Wir sind nicht die Koran-Experten. Wir haben gedacht: Ist es nicht vielleicht sinnvoll, einen Experten hinzuzuziehen? Herr Sarrazin hat das abgelehnt, der Text muss so bleiben. Selbst damit konnten wir uns anfreunden. Stattdessen war uns wichtig, das letzte Kapitel umzuschreiben, mit ihm zusammen, nämlich dass er viel stärker den Schwerpunkt auf Integration legt, im Sinne von: 'Was ist aus Sicht von Herrn Sarrazin nötig, um die Integration zu verbessern?'"
Sarrazins Anwalt vermutet Grundsatzentscheidung
Thilo Sarrazin sagt, er sei damit einverstanden gewesen. Er hatte aber das Gefühl, der Verlag habe schon im Sommer 2017 damit angefangen, "das Buch nicht mehr zu wollen. Aber man hat es mir nicht offen gesagt". Sein Anwalt Andreas Köhler behauptet, der Verlag habe das Buch nicht aus inhaltlichen Gründen abgelehnt, sondern wegen einer "verlagspolitischen Grundsatzentscheidung".
"Es wurde eine langfristige Zusammenarbeit, die 2008 begann, aus einer Nichtigkeit, aus einem Grund, den wir bis heute nicht kennen, einfach aufgekündigt. An dieser Stelle sagt der Verlag einfach nach Gutsherrenart: 'Ach nein, das interessiert mich nicht mehr. Wir geben dem Autor die Rechte zurück.' Das ist ein Rechtsverständnis, ein Rechtsdenken, das nicht mit meinem demokratischen Grundverständnis in Verbindung zu bringen ist. Aber es hat auch keine Grundlage im BGB oder anderswo."
Thilo Sarrazin hat bereits einen neuen Verlag gefunden: den "Finanzbuch-Verlag" aus der Münchner Verlagsgruppe. Die ist zwar nicht so groß und bekannt wie Random House, aber nicht schlecht beleumundet. Auf ihrer Homepage bewirbt sie Bücher von Richard Branson bis Donald Trump. Und seit neuestem auch Thilo Sarrazin. "Feindliche Übernahme" für 24,99 Euro. Die Übernahme des Autoren Sarrazin sei eher freundlich gewesen, scherzt ein Mitarbeiter des Verlags.
Das Buch erscheint, wie von Sarrazin gewünscht, Ende August. In der Amazon-Bestsellerliste steht es schon jetzt auf Platz 3. Die zusätzliche Publicity im Gerichtstreit mit Random House dürfte dabei nicht geschadet haben.