Sarrazin: "Unqualifizierte Migration" kann so nicht weitergehen

Thilo Sarrazin im Gespräch mit Nana Brink |
Der frühere Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin sieht Integration als "Bringschuld" von Migranten. Man müsse Zuwanderern zwar "alle Chancen geben, sich zu integrieren, wir müssen diese Chancen aber auch mit einem kräftigen Aufforderungscharakter verbinden", sagt Sarrazin.
Nana Brink: Um deutliche Worte war er nie verlegen, nicht als SPD-Finanzsenator von Berlin zwischen 2002 und 2009 und auch nicht als Vorstandsmitglied der Bundesbank – Thilo Sarrazin mit Äußerungen wie "Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt und ständig kleine Kopftuchmädchen produziert". Viel gescholten bleibt Sarrazin auch in seinem demnächst erscheinenden Buch "Deutschland schafft sich ab", seinem Lieblingsthema Integration und Bildungspolitik.

Seine provozierenden Thesen sind im Magazin "Der Spiegel" seit Anfang der Woche in Auszügen zu lesen und die beginnen gleich mit einem Ausrufezeichen: "Ich will nicht, dass das Land meiner Enkel und Urenkel zu großen Teilen muslimisch ist! Wenn ich das erleben will, kann ich eine Urlaubsreise ins Morgenland buchen!" Ich habe mit Thilo Sarrazin, Vorstandsmitglied der Bundesbank, gesprochen und ihn gefragt: Wieso schaffen wir Deutsche uns eigentlich ab?

Thilo Sarrazin: Ja wir schaffen uns dadurch ab, dass jede Generation etwa ein Drittel kleiner ist als die vorhergehende. Und das gibt eine ganz einfache arithmetische Reihenfolge, nach vier Generationen noch etwa 20 Prozent des Ausgangsbestandes. Und dann ist Deutschland, irgendwann jedenfalls ist … Da sind die Menschen, die bei uns leben, und deren Nachfahren sind dann verschwunden. Das heißt, wir haben …

Brink: Was wäre denn daran so schlimm? Wie definieren Sie denn Deutschsein?

Sarrazin: Daran ist überhaupt nichts schlimm. Wenn Sie jetzt sich als Person sehen und sagen, ich bin irgendwann dann und dann geboren und dann und dann werde ich sterben, und mit meinem Begräbnis ist die Welt für mich zu Ende, und in diesem Bereich optimiere ich, dann ist das überhaupt nicht schlimm. Wenn Sie aber sagen, Deutschland ist ein Land, was eine tausendjährige Geschichte hat, es hat auch einen gewissen Eigenwert, so ähnlich wie Dänen, Schweden, Franzosen und Holländer ihrem Land und ihrer Gesellschaft, ihrer Geschichte einen Eigenwert zusprechen, dann ist es für uns schon wichtig, wie Deutschland in 50 oder also 100 Jahren aussieht und was dort passiert. Denn dort leben unsere Enkel oder Urenkel.

Brink: Dann deklinieren wir doch mal Ihr Lieblingsthema Integration durch, zum Beispiel mit Ihrer Aussage "Zuwanderer aus der Türkei, dem Nahen und Mittleren Osten und Afrika weisen weniger Bildung auf und bekommen mehr Kinder". Wir sprechen hier laut statistischem Bundesamt von nicht einmal vier Prozent der Bevölkerung. Warum dann diese Aufregung?

Sarrazin: Wir haben den Umstand, dass die muslimischen Migranten, die aus den von Ihnen genannten Gegenden kommen, im Durchschnitt doppelt so viel Kinder bekommen wie die übrige Bevölkerung. Und man kann ganz einfach eine Modellrechnung anstellen, wie eine maßvolle weitere Zuwanderung von 100.000 im Jahr plus die Fortsetzung dieses Trends dazu führt, dass die Mehrheit in einzelnen deutschen Städten oder Regionen, möglicherweise irgendwann aber auch in Deutschland insgesamt kippt. Das ist ja auch keine Erfindung von mir, deswegen muss …

Brink: … jetzt muss ich Sie aber doch noch mal zitieren, wie auch "Der Spiegel" Sie zitiert hat aus Ihrem Buch, nämlich mit der Schlussfolgerung, es gibt eine unterschiedliche Vermehrung von Intelligenz. Wir wären auf natürlichem Wege immer dümmer. Aber Sie sind doch eigentlich intelligent genug, zu wissen, dass Bildung auch mit Genetik – 50 bis 70 Prozent –, aber natürlich sehr viel mit Ausbildung zu tun hat.

Sarrazin: Ja, richtig.

Brink: Warum also verschweigen Sie diesen Hintergrund, dieses sozialen?

Sarrazin: Das wird nicht verschwiegen, sondern mein Buch ist ja deshalb 460 Seiten lang und hat einen 80-seitigen Bildungsteil. Wenn wir also Chancengleichheit geben – da bin ich absolut dafür –, bedeutet dies, dass sich jeder nach seinen Möglichkeiten entwickelt, und das bedeutet, die Menschen entwickeln sich unterschiedlich. Und da, wie Sie bereits sagten, Bildung zu also 50 bis 70 Prozent erblich ist, bedeutet dies, dass gerade in einem System völliger Chancengleichheit – das ist unbarmherzig und paradox –, wo wirklich alle die gleichen Bildungschancen haben und das Fortkommen nach Verdienst zugemessen wird, in einer derartigen Gesellschaft sammeln sich die weniger Intelligenten unten und die Intelligenteren oben. Und wenn wir dann in einer derartigen Gesellschaft eine höhere Geburtenrate von weniger gebildeten Schichten haben, dann bedeutet das letztlich, dass sich das intellektuelle Potenzial der Gesellschaft relativ vermindert.

Brink: Dann bleiben wir bei dem Thema Integration noch mal. Apropos Realitätssinn, den Sie ja auch in Ihrem Buch anmahnen, in wenigen Jahren wird in Berlins Innenbezirken jedes zweite Kind einen Migrationshintergrund haben, aber auch einen deutschen Pass. Das ist die Realität, die Menschen leben hier, es sind Deutsche. Was also ist zu tun?

Sarrazin: 78 Prozent der türkischen Mitbürger fühlen sich nicht von Angela Merkel als Bundeskanzlerin vertreten. Ein Großteil der muslimischen Migranten, die bei uns leben, mag einen deutschen Pass haben, er fühlt sich aber nicht als Deutscher, sondern man müsste eigentlich sagen: Inhaber eines deutschen Passes, das ist richtig. Wir müssen die Menschen, die bei uns leben, denen müssen wir alle Chancen geben, sich zu integrieren. Wir müssen diese Chancen aber auch mit einem kräftigen Aufforderungscharakter verbinden. Das heißt, es muss auch ein gewisser Integrationsdruck herrschen und hier …

Brink: … das heißt also, Integration ist eine Bringschuld von Migranten?

Sarrazin: Integration ist eine Bringschuld von Migranten. Wir können ja das Mutterland aller Einwanderer uns anschauen, das sind die USA: Dort bestand die Hilfe für Einwanderer darin, dass sie einwandern durften, und bis 1880 bekamen sie auch noch weit im fernen Westen ein Stück Land. Das war alles, sonst gab es keine Integrationshilfen für Einwanderer in den USA und es gibt sie bis heute nicht. Es gibt Probleme übrigens nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa ausschließlich mit den Migranten aus also muslimischen Ländern. Wir sehen …

Brink: … was aber muss man dann tun?

Sarrazin: Es geht nicht an, dass wir es zulassen, dass etwa 40 Prozent der muslimischen Migranten bei uns von Transferleistungen leben mit Einkommen, die viel höher sind als das Arbeitseinkommen da bei sich zu Hause wäre, und denen von daher jede Integration erspart wird. Und bei den Migranten, die künftig noch kommen, da schließe ich den Familienzuzug ausdrücklich ein, müssen wir wesentlich schärfere Maßstäbe anlegen. Natürlich kann überhaupt kein vernünftiger Mensch etwas dagegen haben, dass ein marokkanischer Ingenieur oder Arzt bei uns arbeiten kann, und der soll auch mit seiner Familie kommen dürfen. Aber die unqualifizierte Migration, die wir gegenwärtig haben, und die Migration des ungebildeten, unqualifizierten Familiennachzugs, das kann in dieser Form nicht weitergehen.

Brink: Was macht bei Ihnen die Lust an der Provokation aus? Denn viele Thesen sind ja sehr scharf und sehr provozierend formuliert, zum Beispiel schon der Titel "Deutschland schafft sich ab".

Sarrazin: Ja, der, der …

Brink: … schafft man damit die Diskussion, die Sie wollen? …

Sarrazin: … der Titel "Deutschland schafft sich ab" … Ich hatte einen anderen Titel, "Deutschland im Abendlicht", weil es die Sache also besser spiegelt. Das Buch hat auch übrigens eine ich sag mal seine ich sag mal da poetischen Seiten, wenn man es liest, merkt man das. Die Faktenteile meines Buches und die sachliche Argumentation mag von mir aus hart sein, sie ist aber absolut präzise, und nirgendwo verlässt eine einzige Formulierung die durch den guten Geschmack gezogene Grenze.

Brink: Aber viele haben ja Probleme zum Beispiel, wenn von Leuten die Rede ist, die einen wirtschaftlichen Mehrwert bringen oder nicht bringen. Sprache formt ja auch Bewusstsein.

Sarrazin: Ja nein, es ist, aber wenn Sie als Staat, als also politischer Körper, als Bundesregierung überlegen, wie gestalten wir Deutschlands Zukunft, dann müssen Sie auch darüber reden, welche Einwanderungsgruppen ökonomischen Nutzen bringen und welche Einwanderungsgruppen ökonomische Belastungen bringen. Und für die Gesamtheit der muslimischen Einwanderung in Deutschland gilt die statistische Wahrheit: In der Summe haben sie uns da sozial und auch finanziell wesentlich mehr gekostet, als sie uns wirtschaftlich gebracht haben. Das ist einfach ein nüchterner Saldo, was den einzelnen Menschen nicht auf seinen wirtschaftlichen Wert reduziert.

Brink: Thilo Sarrazin, Vorstandsmitglied der Bundesbank und Autor des Buches "Deutschland schafft sich ab: Wie wir unser Land aufs Spiel setzen". Und das Buch erscheint nächsten Montag.
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