Sartres Werke als Herausforderung?
Der Münchner Professor für Politische Philosophie, Hans-Martin Schönherr-Mann, widmet sich in seinem Buch der Frage, ob Sartres Werke 25 Jahre nach seinem Tod noch eine Herausforderung darstellen? Für Schönherr-Mann liegt Sartres Leistung vor allem darin, als einer der Ersten individuelle Lebensprobleme für philosophiewürdig erachtet zu haben.
Normalerweise gibt es zum 100. Geburtstag eines Philosophen und Schriftstellers ein paar würdigende Artikel und fertig. Bei Jean-Paul Sartre ist das anders. Denn kein Intellektueller des 20. Jahrhunderts hat die Lager so gespalten wie er. Anlässlich der großen Sartre-Ausstellung in der Pariser Nationalbibliothek, die noch bis August geöffnet ist, geisterten bereits zahllose Abrechnungen durch die französischen und deutschen Feuilletons. Darin hielt man dem kleinen, schielenden Denker sein Engagement für die Kommunisten vor, seine Kritik an der real existierenden parlamentarischen Demokratie, seinen Besuch beim RAF-Terroristen Andreas Baader in Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses Stuttgart-Stammheim und, und, und. Die Mühe, seine philosophischen Werke, seine Romane, Dramen und Essays wieder zu lesen, machte sich kaum einer. Der Münchner Professor für Politische Philosophie, Hans-Martin Schönherr-Mann, gehört da zu den Ausnahmen. Er widmet sich in seinem Buch "Sartre-Philosophie als Lebensform" der einzigen wirklich interessanten Frage. Der nämlich, ob Sartres Werke 25 Jahre nach seinem Tod noch eine Herausforderung darstellen?
"Ich selber habe auch bis etwa Mitte der 90er Jahre gedacht: "Ne, also Sartre, das war's nun" - bis ich dann mehr oder weniger etwa über die Risikogesellschaftsthesen und die soziologischen Theorien über Individualisierung im Grunde drauf kam, also hoppla, was ich da lese, das hat doch alles Sartre schon gesagt. Wenn Sie sich beispielsweise den radikalen Konstruktivismus anschauen, dann finden Sie die Thesen Sartres 30 Jahre später: über Verantwortung, über – in gewisser Hinsicht -Freiheit, Autonomie und so weiter, und so weiter. Und wenn Sie sich an gewisse Aspekte der Postmoderne-Debatte erinnern, dass das mit dem Ich nicht so hundertprozentig klappt, dass das kein so Stabiles ist, dass das Ich ständig unterwandert wird und so weiter, dass es ein Problem mit dem anderen gibt und so: Das hat alles auch schon Sartre gesagt."
Für Hans-Martin Schönherr-Mann liegt Sartres Leistung vor allem darin, als einer der Ersten individuelle Lebensprobleme für philosophiewürdig erachtet zu haben. Dabei sah er viele der existentiellen Herausforderungen voraus, denen wir heute in einer Welt ohne feste moralische Instanzen begegnen. Für besonders wichtig und aktuell hält Schönherr-Mann die oft unterschätzte Komplexität von Sartres Freiheitsbegriff:
"Sartre sieht die Verantwortung plötzlich für jeden Menschen. Und genau das ist die andere Seite der Freiheit. Freiheit und Verantwortung gehören da unabdingbar zusammen: Wenn wir frei sind, sind wir für unser Tun auch verantwortlich."
Hans-Martin Schönherr-Mann zeigt in seinem gut lesbaren, wenn auch passagenweise etwas akademisch-bemühten Buch "Sartre-Philosophie als Lebensform", wo die Herausforderungen liegen, die Sartres Texte immer noch bergen. So zum Beispiel wenn er über das "verdrehte Bewusstsein" philosophiert, mit dem der Mensch seine eigene Freiheit und damit auch seine Verantwortung zu ignorieren versucht, um sich aus der Konfrontation mit der Wirklichkeit davon zu stehlen. In jedem Fall: Schönherr-Mann zeigt, warum Sartres Denken in unserer ideenarmen, konsensorientierten Welt längst nicht zum alten Eisen gehört. Allem voran sein intellektuelles Streitpotential, ohne dass die Studentenrevolte von 1968 kaum denkbar gewesen wäre, fehlt heute. Seit Sartres Tod 1980 hat der engagierte Intellektuelle als provokantes Gewissen der französischen Nation ausgespielt.
"Deswegen denke ich, es wird auch weiter immer wieder so kontrovers zugehen bei Sartre. Aber, mein Gott, das ist ja auch nun nicht schlecht, das ist philosophischer Diskurs und manchmal ist er halt auch ein bißchen populistisch. Aber ich finde, das macht auch nichts. Bevor es nur akademisch und verquert unter drei Professoren, die sich auf einer Tagung langweilen, zugeht, dann doch lieber ein bißchen laut und dafür versteht man auch was."
Hans-Martin Schönherr-Mann:
Sartre - Philosophie als Lebensform.
C. H. Beck Verlag, München 2005.
174 Seiten, 16,90 Euro.
"Ich selber habe auch bis etwa Mitte der 90er Jahre gedacht: "Ne, also Sartre, das war's nun" - bis ich dann mehr oder weniger etwa über die Risikogesellschaftsthesen und die soziologischen Theorien über Individualisierung im Grunde drauf kam, also hoppla, was ich da lese, das hat doch alles Sartre schon gesagt. Wenn Sie sich beispielsweise den radikalen Konstruktivismus anschauen, dann finden Sie die Thesen Sartres 30 Jahre später: über Verantwortung, über – in gewisser Hinsicht -Freiheit, Autonomie und so weiter, und so weiter. Und wenn Sie sich an gewisse Aspekte der Postmoderne-Debatte erinnern, dass das mit dem Ich nicht so hundertprozentig klappt, dass das kein so Stabiles ist, dass das Ich ständig unterwandert wird und so weiter, dass es ein Problem mit dem anderen gibt und so: Das hat alles auch schon Sartre gesagt."
Für Hans-Martin Schönherr-Mann liegt Sartres Leistung vor allem darin, als einer der Ersten individuelle Lebensprobleme für philosophiewürdig erachtet zu haben. Dabei sah er viele der existentiellen Herausforderungen voraus, denen wir heute in einer Welt ohne feste moralische Instanzen begegnen. Für besonders wichtig und aktuell hält Schönherr-Mann die oft unterschätzte Komplexität von Sartres Freiheitsbegriff:
"Sartre sieht die Verantwortung plötzlich für jeden Menschen. Und genau das ist die andere Seite der Freiheit. Freiheit und Verantwortung gehören da unabdingbar zusammen: Wenn wir frei sind, sind wir für unser Tun auch verantwortlich."
Hans-Martin Schönherr-Mann zeigt in seinem gut lesbaren, wenn auch passagenweise etwas akademisch-bemühten Buch "Sartre-Philosophie als Lebensform", wo die Herausforderungen liegen, die Sartres Texte immer noch bergen. So zum Beispiel wenn er über das "verdrehte Bewusstsein" philosophiert, mit dem der Mensch seine eigene Freiheit und damit auch seine Verantwortung zu ignorieren versucht, um sich aus der Konfrontation mit der Wirklichkeit davon zu stehlen. In jedem Fall: Schönherr-Mann zeigt, warum Sartres Denken in unserer ideenarmen, konsensorientierten Welt längst nicht zum alten Eisen gehört. Allem voran sein intellektuelles Streitpotential, ohne dass die Studentenrevolte von 1968 kaum denkbar gewesen wäre, fehlt heute. Seit Sartres Tod 1980 hat der engagierte Intellektuelle als provokantes Gewissen der französischen Nation ausgespielt.
"Deswegen denke ich, es wird auch weiter immer wieder so kontrovers zugehen bei Sartre. Aber, mein Gott, das ist ja auch nun nicht schlecht, das ist philosophischer Diskurs und manchmal ist er halt auch ein bißchen populistisch. Aber ich finde, das macht auch nichts. Bevor es nur akademisch und verquert unter drei Professoren, die sich auf einer Tagung langweilen, zugeht, dann doch lieber ein bißchen laut und dafür versteht man auch was."
Hans-Martin Schönherr-Mann:
Sartre - Philosophie als Lebensform.
C. H. Beck Verlag, München 2005.
174 Seiten, 16,90 Euro.