Saša Stanišić: Fallensteller. Erzählungen
Luchterhand Verlag, München 2016
288 Seiten, 19,99 Euro
Ein literarischer Ethnologe
Das Treiben eines Schamanen in der Uckermark oder die Sprachkrise eines Justiziars: In seinem Erzählband "Fallensteller" schildert Saša Stanišić liebevoll-ironisch - einem Ethnologen gleich - fremde Lebenswelten.
"Fallensteller" ist die die fast hundertseitige Titelerzählung des neuen Erzählbandes von Saša Stanišić, eine Fortsetzung seines mit dem Leipziger Buchpreis ausgezeichneten Romans "Vor dem Fest". In jenem schelmischen Kollektiverzählungston von hohem Wiedererkennungswert wird nun von der Ankunft eines merkwürdigen Mannes im uckermärkischen Fürstenfelde erzählt, das inzwischen zum Wallfahrtsort für Literaturtouristen geworden ist.
Der Unbekannte entpuppt sich als eine Art mythischer Wiedergänger des Rattenfängers von Hameln, der die Bürger des Ortes von manchen Plagen zu befreien verspricht und dem von der Fliege bis zum Wildschwein die Tiere hörig zu sein scheinen.
Allerdings erweist sich der Fallensteller nicht als Schadenstifter, sondern als ein in Reimen redender "Schamane", der allerhand Gutes anrichtet. Dieser Text ist ein bezwingendes Provinzmärchen mit vielen realistischen Einsprengseln, die schon durch den Kontext in ein humoristisches Licht gerückt werden.
Ein Brauerei-Justiziar in der Sprachkrise
Drei Geschichten widmen sich der inneren Bedrängnis des Brauerei-Justiziars Georg Horvath. Sie schildern Stationen seiner Geschäftsreise nach Brasilien, einer Fahrt in die Irre. Horvath steckt tief in der Sprachkrise, gebräuchliche Redewendungen zerfallen ihm, in Wörtern wie "Sandalen" oder "verhärmt" tun sich Abgründe auf, Beobachtungen widersetzen sich der Versprachlichung. Und seine Versuche, unangenehmen Begegnungen auszuweichen, führen meist nur zu größeren Komplikationen.
In Brasilien unterwegs, kommen ihm Erinnerungen an die Tage in einem labyrinthischen Bukarester Kongresshotel, wo er sich schließlich in eine literaturwissenschaftliche Tagung verirrte, Worte wie "groteskul" oder "kafkaeskul" deuten jedenfalls darauf hin. Hier entwickelt Stanišić einen komplexen komischen Charakter, über den man gern einen ganzen Roman lesen würde.
Leider stehen am Anfang des Buches schwächere Stücke, die sich in halbherzigen realistischen Erzählweisen versuchen. Die erste Geschichte handelt von einem alten Mann, der 50 Jahre in einer Holzfabrik gearbeitet hat und bei einer Feier des Familienbetriebs als Zauberer debütiert. Viel ist in der Geschichte von Magie die Rede, aber sie entwickelt selbst keine.
Vordringen ins Fremde statt Selbstbespiegelung
Noch unbefriedigender sind die drei Erzählungen, in denen der Ich-Erzähler mit seinem Freund Mo in verschiedenen Milieus unterwegs ist, etwa auf einer Party christlicher Menschenrechtsaktivisten oder unter emigrierten syrischen Künstlern in Stockholm. Hier gibt es mittelmäßige satirische Pointen. Die Winkelzüge der Handlung können ebenso wenig interessieren wie die blassen Figuren.
Ein Höhepunkt ist dagegen die kürzeste Geschichte "Die Fabrik", in der Stanišic zaubert: Ein Mann bleibt im Schnee stecken, irgendwo im bosnischen Gebirge. Männer in Trainingszügen nehmen sich seiner an, Hirten, wie sich herausstellt. Ihr Lebensmittelpunkt ist die Ruine einer mit EU-Geldern gebauten Sprudelfabrik.
Sich liebevoll-ironisch in fremde oder befremdliche Lebensformen zu versenken und ihnen ein Sprachgewand zu schneidern, seien es Dörfler in der Uckermark, Hirten an der Abbruchkante der europäischen Zivilisation oder ein ins Kafkaeske vordringender Justiziar - das ist die Sache dieses Schriftstellers. Er ist kein Profi der Selbstbespiegelung wie so viele, sondern ein literarischer Ethnologe, und das ist etwas Besonderes.