Saša Stanišić über "Herkunft"

Vorsicht vor dem "Zugehörigkeitskitsch"

16:46 Minuten
Saša Stanišić, deutscher Schriftsteller aus Bosnien Herzegowina, bei einer Lesung im Jahr 2016 in Berlin
"Es geht bei meinen Büchern auch um das Festhalten von etwas, das verschwindet", sagt Sasa Stanišić. © imago/Gerhard Leber
Moderation: Jörg Plath |
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Woher komme ich? Dieser komplexen Frage geht der im ehemaligen Jugoslawien geborene Schriftsteller Saša Stanišić in seinem Buch "Herkunft" nach. Und er gibt Acht, bei dem Gedanken an Heimat nicht dem Kitsch oder der Ausgrenzung anderer zu erliegen.
"Die Suche, die ich hier betreibe mit diesem Buch, geht über den Geburtsort und den ersten Anlauf in dieses Leben weit hinaus. Es ist eine Art von Versuch, all die neuralgischen Punkte eines Lebens, alle Zugehörigkeitsorte, all die Neubeginne unter einen Mantel aus Geschichten zu packen." So beschreibt der Schriftsteller Saša Stanišić die Komplexität der eigenen Biografie, die er zum Thema seines neuen Buches "Herkunft" gemacht hat.
Stanišić ist 1978 geboren in der kleinen Stadt Višegrad an der Drina in Bosnien, damals noch Jugoslawien. "Und da beginnen schon die ersten Schwierigkeiten. Ich bin als Jugoslawe geboren - und dieses Land gibt es so gar nicht mehr. Es gibt so viele Verwicklungen, die dieses reine 'Wo ist man hergekommen?' unterlaufen." Herkunft sei für ihn "etwas Unbegreifliches".

Trinken aus Großvaters Brunnen

In seinem Buch erzählt er in anekdotischen Szenen aus seinem Leben, und wendet sich mithilfe von Begriffen wie "Zugehörigkeitskitsch" oder "Herkunftsfetischismus" auch den Fallstricken bei der Bewertung der eigenen Biografie zu. "Herkunft und Heimat sind extrem aufgeladene Begriffe und kommen sehr oft mit einem riesigen Wust an Vorstellungen daher, wo man hingehört, wer man ist und was einen prägt." Es gebe eine Art von Verstehen von Herkunft, die andere ausgrenze, nach dem Motto "das gehört mir, das gehört zu mir", sagt Stanišić. "Und das sind oft sehr banale Dinge, Gerüche, Musik, geografische, landschaftliche Momente, die so ein bisschen verkitscht sind."
Und auch er sei nicht gewappnet gegen diese Dinge. "Auch mir also ist es wichtig gewesen aus einem Brunnen zu trinken, den mein Urgroßvater ausgegraben hatte." Man müsse sich mit diesen Begriffen auseinandersetzen, "um zu erkennen, was darunter andere ausgrenzt, andere kleiner macht, und was tatsächlich zu einem gehört, was einem wirklich, wirklich wichtig ist, in dem, was man heute ist."

Festhalten, was verschwindet

Die Vergangenheit spielt für ihn auch in anderer Hinsicht eine Rolle. "Es geht bei meinen Büchern bisher immer eigentlich auch um das Festhalten von etwas, das verschwindet", sagt Stanišić. Der Ort, aus dem seine Großeltern stammen, habe heute nur noch 13 Einwohner – und es sei absehbar, dass es ihn bald nicht mehr geben werde. So sei einer der Anlässe des Buches gewesen, Geschichten von dort aufzuschreiben. "Mal dahin zu fahren und zu sehen, was gibt es da, was mir wichtig sein könnte, was über Blut, Boden und Gene hinausgeht." Die Bewohner hätten ihm voller Stolz, ohne jemanden auszugrenzen, ihre untergehende Welt gezeigt.
(cwu)
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