Satellitenbilder im Krieg
Eine Luftaufnahme aus Butscha: Die Analyse der Satellitenbilder passiert im Abgleich mit anderen Fotos von Ukrainern vor Ort. © Getty Images / Anadolu Agency / Metin Aktas
Nach Menschenrechtsverstößen fahnden
06:35 Minuten
Egal, wo heute auf der Welt etwas passiert, Satelliten liefern hochauflösende Fotos vom Geschehen. Das verändert auch den Blick auf Kriegsgebiete, wie nicht zuletzt die Aufklärung des Massakers von Butscha zeigt. Worin liegen Chancen, wo Gefahren?
Die mutmaßliche Lüge des russischen Verteidigungsministeriums wäre ohne den Boom der privaten Satellitenindustrie wohl nie aufgeflogen. Vor 20 Jahren waren hochauflösende Bilder aus dem Orbit exklusives Terrain der Militärs.
2001 startete der erste private Satellit, der vom All aus Objekte ablichten konnte, die kleiner als einen Meter sind. Heute umkreisen uns mindestens 23 davon. Egal, wo auf der Welt etwas passiert, innerhalb einer Woche wird ein privater Satellit drüber fliegen und hochauflösende Fotos schießen.
Jeden Tag die komplette Welt ablichten
Die US-Firma „Planet“ betreibt zudem 175 Mikro-Satelliten, die zwar nicht ganz so genaue Fotos machen, aber: „Sie können seit einiger Zeit jeden Tag einmal die komplette Welt ablichten“, erklärt Ritwik Gupta. Er spezialisiert sich am kalifornischen Berkeley AI Research Lab darauf, humanitäre Hilfe mit Satellitendaten zu unterstützen.
„Es ist ein richtiger Game-Changer, dass heute gewöhnliche Menschen die Satellitenbilder kaufen können.“
Die „New York Times“ hat die Bilder für ihre Analyse von Maxar, einem solchen US-Unternehmen, gekauft. Auch Menschenrechtsorganisationen beziehen solche Bilder und dokumentieren damit etwa von Minenarbeiten zerstörte Dörfer in Mosambik, gezielt bombardierte Wohnhäuser in Aleppo und abgefackelte Siedlungen in Kamerun.
Zurückblicken in der Zeit
„Für jeden Pixel auf diesen Bildern kennt man also den genauen Längen- und Breitengrad. Bei Maxar entspricht die Entfernung zwischen den Pixeln dann etwa 30 Zentimetern auf der Erde. Damit kann man einzelne Leichen auf den Straßen erkennen.“
Butscha in der Ukraine hat einen Anwendungsfall dieser Bilder verdeutlicht: das Zurückblicken in der Zeit. Die Satellitenfirmen wissen, wie jeder Punkt der Erde vor einer Woche, einem Monat oder einem Jahr aussah. Die Analyse in Butscha funktionierte nur in Kombination mit den Videos, die die Ukrainer am Boden gemacht haben. So etwas sei bei ihrer Arbeit oft entscheidend, sagt Micah Farfour, die für Amnesty International auf Satellitendaten nach Menschenrechtverstößen fahndet.
„Wenn möglich, sammeln wir zusätzlich örtliche Fotos, Zeugenaussagen – alles, was wir bekommen können. Aber es gibt Fälle, wo das nicht möglich ist. Etwa in Nordkorea, China oder der Darfur-Region – da kommen kaum Informationen raus!“, sagt Micah Farfour.
Blicke in unerreichbare Regionen
Das ist der andere Anwendungsfall der Satelliten: Sie erlauben einen Blick in Regionen, die sonst unterreichbar sind. Micah Farfour erklärt, dass sie beispielsweise von einem Dorf in Myanmar wusste, das niedergebrannt wurde. Auf Satellitenbildern konnten sie erkennen, welche Spuren das hinterlässt.
„Wir schauen dann auf die Region und erkennen auf dieser Grundlage sechs weitere Dörfer, die ebenfalls niedergebrannt worden waren. Mit sowas kann man auf Menschenrechtsverstöße schließen.“
Mittlerweile unterstützen auch Computersysteme solche Analysen. Derzeit wertet Micah Farfour Satellitenbilder aus Mariupol aus.
„Leichen sind extrem schwer zu erkennen, gerade jetzt wo der Schnee schmilzt. Das traue ich mir ohne Fotos von vor Ort nicht zu. Wir suchen vor allem nach Zerstörungen, die auf bestimmte Waffenarten hindeuten.“
Die Macht privater Satellitenfirmen
Etwa geächtete Streumunition. Bei ihrer Arbeit sind die Fahnder auf die privaten Satellitenfirmen angewiesen. Das verdeutlicht deren Macht. Sie entscheiden, wer was sieht – und scheinen verantwortungsvoll damit umzugehen. Nach einer Flut in Brasilien veröffentlichte Maxar seine Bilder jüngst gratis, um Hilfskräfte zu unterstützen. Wäre der Krieg nicht auch so ein Fall? Mit öffentlich zugänglichen, aktuellen Bilder aus der Ukraine könnte jeder sehen, was dort passiert.
Ritwik Gupta ist anderer Meinung. Die „New York Times“ sei als Medium vorbildlich mit den Bildern umgegangen – indem sie die relevanten gezeigt habe. Würden die Satellitenfirmen anfangen, alles zu veröffentlichen, wäre das eher eine Gefahr.
„Durch die Verbreitung der Bilder an die breite Öffentlichkeit können auch die feindlichen Streitkräfte sehen, was wir sehen, was für größere Operationen schädlich ist.“
Bilder, die Fluchtwege verraten
Auch für Zivilisten wäre das ein Problem, denn die Bilder verraten Fluchtwege, sagt Micah Farfour. Aus diesen Gründen halten die Satellitenfirmen manche Bilder sogar bewusst zurück.
„Maxar hat ein Team, dass – vor allem in Situationen wie in der Ukraine – darauf achtet, dass nichts veröffentlicht wird, das Menschen in Gefahr bringt. Wir bei Amnesty International dürfen die Bilder, die wir von denen erhalten nur mit einer speziellen Erlaubnis veröffentlichen.“
Fragen zu dieser Auswahl ließ Maxar bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Unklar also, wie dieses Unternehmen genau mit seiner Verantwortung umgeht. Letztendlich liegt es im Ermessen von privaten Firmen, welche Bilder sie mit wem teilen. Manche Forscher fordern daher globale Gesetze, wie und an wen die Bilder verkauft werden dürfen. Doch so etwas fehlt bislang.
Kein Mittel gegen Verbrechen
Bleibt die Frage, ob der neue Blick auf Kriege, die Kriege selbst verändern wird. Wenn Soldaten wissen, dass sie vom All aus beobachtet werden, dann sollte man meinen, dass sie keine Verbrechen begehen – zumindest nicht unter freiem Himmel. Doch an ein derartiges Umdenken glaubt Ritwik Gupta nicht:
„Das Neue heutzutage ist, dass man kommerzielle Satellitenbilder kaufen kann. Es ist aber nicht so, dass Satelliten etwas Neues sind. Regierungen haben sie seit Jahrzehnten. Kriegsverbrecher wissen seit langem, dass irgendwer sie sehen kann. Das hat sie aber nicht von ihren Verbrechen abgehalten.“