Satire auf das Swingin' London der 60er
Bohemiens, ein biederer Verlagslektor, die sexuelle Revolution und ein Medienmogul, der Experimente wie Dr. Frankenstein durchführt: Aus diesen Zutaten rührt Mordecai Richler eine rasante Satire auf die Swingin Sixties in London. Obwohl bereits 1968 erschienen, hat der Roman nichts an Frische verloren, ein Einfall jagt den nächsten. Im Jubiläumsjahr der 68er ist diese witzige Abrechnung mit der Revolution doppelt amüsant.
Mordecai Richler war immer für einen Scherz zu haben. Zumal wenn es darum ging, sich über die eigene Spezies lustig zu machen. Kein Wunder, dass ihm da die sexuelle Revolution und die linken Londoner Bohemiens ganz gelegen kamen.
Schon 1968 veröffentlichte der kanadische Schriftsteller, der in den sechziger Jahren in London zu Hause war, eine spitzzüngige Satire über die vorgeblich so befreiten Zeiten. "Cocksure" heißt der Roman, der jetzt zum ersten Mal auf Deutsch erscheint. Im Mittelpunkt steht der brave Mortimer Griffin, ein kanadischer Intellektueller, Lektor bei einem alteingesessenen englischen Verlagshaus, verheiratet mit der zauberhaften Joyce und Vater eines achtjährigen Sohnes.
Die Familie führt eine klassische Londoner Vorortexistenz: Die hygienebesessene Joyce debattiert mit ihrem Obsthändler über die politische Korrektheit israelischer Ananas und verlangt kubanische Früchte, Doug wird im Stil der Zeit erzogen und weiß sowohl über Orgasmen, Selbstbefriedigung und Geschlechterkampf Bescheid wie auch über den Völkermord an den Juden, und Mortimer gerät in Schwierigkeiten, weil ihm die jüdischen Zuhörer seiner Vortragsreihe "Die Lust am Lesen" unterschwelligen Antisemitismus vorwerfen. Zu allem Überfluss laboriert er noch an Potenzschwierigkeiten. Aber das ist nur das Anfangsszenario, es kommt viel schlimmer.
Das Verlagshaus wird nämlich von einem amerikanischen Medienmogul namens Star Maker übernommen, der natürlich nichts als Effizienz und Kommerz im Kopf hat. Der uralte und schwerkranke Konzernchef, immer in Begleitung eines mobilen Ärzte-Teams unterwegs, ist mehr als nur ein Produzent amerikanischer Mythen: Er entpuppt sich als eine Art Doktor Frankenstein, der die Stars seiner großen Filme im Labor züchtete. Mortimer Griffin, mit einem klassischen amerikanischen Gesicht und einem phantastischen Lymphsystem ausgestattet und auch sonst der Traum eines "all american boy", scheint zum Werkzeug eines teuflischen Plans zu mutieren.
Mittendrin treibt sein ehemals bester Freund Ziggy Spicehandler sein Unwesen. Der erfolgreiche avantgardistische Filmemacher und notorischer Frauenvernichter kann Joyce nicht ihrem eintönigen Ehefrauen-Dasein überlassen und macht außerdem den armen Mortimer zum Objekt seiner filmischen Experimente. Verzweifelt versucht der brave Verlagslektor, dessen Markenzeichen bisher ein zusammengerollter Regenschirm war, irgendwie seine Haut zur retten. Dabei kommen ihm verführerische Sekretärinnen und sehr viel Alkohol in die Quere.
Mordecai Richler, als Sohn eines jüdischen Schrotthändlers 1931 in Montreal/ Kanada geboren, war einer der bedeutendsten kanadischen Schriftsteller und wirkte immer eher wie ein Lebemann und nicht wie jemand, der mit dem Schreiben sein Geld verdiente. Rauchen, Trinken und Literatur, das waren seine großen Leidenschaften. Nach einigen Jahren in Paris und London kehrte er Anfang der siebziger Jahre nach Montreal zurück, wo er 2001 verstarb.
Neben einem Dutzend Romanen schrieb Richler Essays und Drehbücher und veröffentlichte sein Leben lang spöttische Kolumnen, in denen er sich über alles und jeden lustig machte. Sein Markenzeichen war immer seine politisch völlig unkorrekte Respektlosigkeit, die bis heute etwas Erfrischendes hat. In seinen großartigen Werken "Wie Barney es sah", "Die Lehrjahre des Duddy Kravitz" und "Solomon Gursky war hier" setzte er dem jüdischen Viertel von Montreal ein Denkmal und prägte ein Genre zwischen Schelmenroman, Familienchronik und schriller Entwicklungsgeschichte.
In seinem rasanten Swinging-Sixties-Roman "Cocksure" jagt ein Einfall den nächsten. Richler versteht sich auf das Genre der Satire, rechnet mit der Verlagsbranche ab und packt außerdem alle heißen Eisen der 68er-Generation an. Mit einem großen Gespür für unausgegorene Überzeugungen bringt er die Widersprüche auf den Punkt: Mit militärischer Militanz wurden die Kinder zu einem entkrampften Verhältnis zur Sexualität erzogen, die Befreiungsaktionen führten häufig zu großer Unfreiheit und unterdrückerische Strukturen verkehrten sich lediglich in ihr Gegenteil. Ein witziger, zeitloser Roman über die reaktionäre Schlagseite revolutionärer Entfesselung.
Rezensiert von Maike Albath
Mordecai Richler: Cocksure
Aus dem Englischen von Silvia Morawetz
Liebeskind Verlag München 2008
256 Seiten. 19,80 Euro
Schon 1968 veröffentlichte der kanadische Schriftsteller, der in den sechziger Jahren in London zu Hause war, eine spitzzüngige Satire über die vorgeblich so befreiten Zeiten. "Cocksure" heißt der Roman, der jetzt zum ersten Mal auf Deutsch erscheint. Im Mittelpunkt steht der brave Mortimer Griffin, ein kanadischer Intellektueller, Lektor bei einem alteingesessenen englischen Verlagshaus, verheiratet mit der zauberhaften Joyce und Vater eines achtjährigen Sohnes.
Die Familie führt eine klassische Londoner Vorortexistenz: Die hygienebesessene Joyce debattiert mit ihrem Obsthändler über die politische Korrektheit israelischer Ananas und verlangt kubanische Früchte, Doug wird im Stil der Zeit erzogen und weiß sowohl über Orgasmen, Selbstbefriedigung und Geschlechterkampf Bescheid wie auch über den Völkermord an den Juden, und Mortimer gerät in Schwierigkeiten, weil ihm die jüdischen Zuhörer seiner Vortragsreihe "Die Lust am Lesen" unterschwelligen Antisemitismus vorwerfen. Zu allem Überfluss laboriert er noch an Potenzschwierigkeiten. Aber das ist nur das Anfangsszenario, es kommt viel schlimmer.
Das Verlagshaus wird nämlich von einem amerikanischen Medienmogul namens Star Maker übernommen, der natürlich nichts als Effizienz und Kommerz im Kopf hat. Der uralte und schwerkranke Konzernchef, immer in Begleitung eines mobilen Ärzte-Teams unterwegs, ist mehr als nur ein Produzent amerikanischer Mythen: Er entpuppt sich als eine Art Doktor Frankenstein, der die Stars seiner großen Filme im Labor züchtete. Mortimer Griffin, mit einem klassischen amerikanischen Gesicht und einem phantastischen Lymphsystem ausgestattet und auch sonst der Traum eines "all american boy", scheint zum Werkzeug eines teuflischen Plans zu mutieren.
Mittendrin treibt sein ehemals bester Freund Ziggy Spicehandler sein Unwesen. Der erfolgreiche avantgardistische Filmemacher und notorischer Frauenvernichter kann Joyce nicht ihrem eintönigen Ehefrauen-Dasein überlassen und macht außerdem den armen Mortimer zum Objekt seiner filmischen Experimente. Verzweifelt versucht der brave Verlagslektor, dessen Markenzeichen bisher ein zusammengerollter Regenschirm war, irgendwie seine Haut zur retten. Dabei kommen ihm verführerische Sekretärinnen und sehr viel Alkohol in die Quere.
Mordecai Richler, als Sohn eines jüdischen Schrotthändlers 1931 in Montreal/ Kanada geboren, war einer der bedeutendsten kanadischen Schriftsteller und wirkte immer eher wie ein Lebemann und nicht wie jemand, der mit dem Schreiben sein Geld verdiente. Rauchen, Trinken und Literatur, das waren seine großen Leidenschaften. Nach einigen Jahren in Paris und London kehrte er Anfang der siebziger Jahre nach Montreal zurück, wo er 2001 verstarb.
Neben einem Dutzend Romanen schrieb Richler Essays und Drehbücher und veröffentlichte sein Leben lang spöttische Kolumnen, in denen er sich über alles und jeden lustig machte. Sein Markenzeichen war immer seine politisch völlig unkorrekte Respektlosigkeit, die bis heute etwas Erfrischendes hat. In seinen großartigen Werken "Wie Barney es sah", "Die Lehrjahre des Duddy Kravitz" und "Solomon Gursky war hier" setzte er dem jüdischen Viertel von Montreal ein Denkmal und prägte ein Genre zwischen Schelmenroman, Familienchronik und schriller Entwicklungsgeschichte.
In seinem rasanten Swinging-Sixties-Roman "Cocksure" jagt ein Einfall den nächsten. Richler versteht sich auf das Genre der Satire, rechnet mit der Verlagsbranche ab und packt außerdem alle heißen Eisen der 68er-Generation an. Mit einem großen Gespür für unausgegorene Überzeugungen bringt er die Widersprüche auf den Punkt: Mit militärischer Militanz wurden die Kinder zu einem entkrampften Verhältnis zur Sexualität erzogen, die Befreiungsaktionen führten häufig zu großer Unfreiheit und unterdrückerische Strukturen verkehrten sich lediglich in ihr Gegenteil. Ein witziger, zeitloser Roman über die reaktionäre Schlagseite revolutionärer Entfesselung.
Rezensiert von Maike Albath
Mordecai Richler: Cocksure
Aus dem Englischen von Silvia Morawetz
Liebeskind Verlag München 2008
256 Seiten. 19,80 Euro