Arlette-Louise Ndakoze, 1983 in Burundi geboren, studierte Frankreichwissenschaften in Berlin und Ruanda und arbeitet derzeit als freie Journalistin für Deutschlandradio und den Berliner Radiosender 88,4.
Die Grenzen mehrmals überschritten
Mittlerweile mischen sich in die publizistische Debatte um die Anschläge von Paris auch kritische Töne. So hätten die Macher von "Charlie Hebdo" zwar Antisemitismus im Blatt verurteilt, Islamophobie aber nicht, meint die Journalistin Arlette-Louise Ndakoze.
"Es regnet". Ein beschreibender Satz, wie er harmloser nicht sein könnte. Lange sahen das Philosophen, Literaturwissenschaftler und Linguisten auch so. Sprache sei ein neutrales Vehikel, mit dem sich die Wirklichkeit beschreiben und mitteilen lasse.
Spätestens mit der linguistischen Wende – dem sogenannten "linguistic turn" Anfang des 20. Jahrhunderts – zogen Analyse und Kritik der Sprache in die Forschung ein, als man erkannte, dass sie die Struktur unseres Denkens verkörpert, dadurch die Wirklichkeit eher gestaltet, denn beschreibt.
Der Satz "Es regnet" ist so harmlos nicht mehr. Er kann eine Stimmung ausdrücken und erzeugen, eine Katastrophe oder eine Rettung ankündigen. Und wie er verstanden wird, bestimmt nicht allein der, der ihn ausspricht, sondern auch der, der ihn hört. In beiden Fällen ist der Kontext entscheidend.
Das Potential von Sprache, das positive wie das negative, ist bedeutend. Wenn wir etwas versprechen oder deklarieren, wenn wir uns empören und jemanden beleidigen, tun wir etwas mit Sprache, wir sind Akteure. Und unsere Aktionen können verheerende Folgen haben, sie können sogar Gewalt auslösen und Existenzen zerstören.
"Charlie Hebdo" hat die Grenzen mehrmals überschritten
Eine Äußerung kann und darf deshalb nicht beliebig ausfallen. Ihre Grenzen liegen dort, wo sie selbst durch Beleidigung, Ächtung und Hohn andere ausgrenzt und den Dialog mit ihnen abbricht. "Charlie Hebdo" hat diese Grenzen mehrmals überschritten: In Zeichnungen und Kommentaren hat sie Personen verunglimpft und Werte angegriffen.
Bei allem Verständnis für die trauernde Solidarität mit der Redaktion, es war unreflektiert, nach dem Pariser Anschlag die Freiheit des Wortes über alles zu stellen. Nicht ohne Grund hat sich dieser Konsens immer wieder als brüchig erwiesen, gerade unter jenen, die ihre demokratischen Werte so lautstark verteidigen, und gerade im Fall von "Charlie Hebdo".
Deren Vorgängerin beispielsweise, die Zeitschrift "Hara-Kiri" wurde mehrmals von der französischen Regierung verboten, zuletzt 1970, als sie ihr Spiel mit dem Tod von Charles de Gaulles trieb.
Die Redaktion selbst sah Grenzen der freien Meinungsäußerung erreicht, als sie 2008 den Zeichner Siné entließ. Es sei antisemitisch gewesen, wie er in seiner Kolumne die anstehende Hochzeit des Sohnes von Nicolas Sarkozy mit einer Jüdin kommentiert habe.
Verbalen Attacken des Zeichners Siné
Einerseits erkennen die Karikaturisten, wenn es um antisemitische Kommentare geht, die Grenzen der freien Meinungsäußerung an. Andererseits, und hierin liegt die Problematik, schrecken sie in aggressiver Manier vor Islamophobie nicht zurück. Auch verbal nicht. Warum erwähnte man kein Mal die expliziten verbalen Attacken, die der Zeichner Siné gegen Muslime richtete?
In vielen Bildern sucht man zudem vergebens nach dem tieferen Sinn der Satire. Es werden Schlagzeilen aufgegriffen und vermischt, es wird polemisiert und stigmatisiert. Es geht um die Provokation, nicht um eine Positionierung.
So wurde die schwarze Politikerin Christiane Taubira als Affe dargestellt, nachdem sie zuvor aus Kreisen des rechten Front National als solcher beleidigt worden war.
Eine andere Zeichnung zeigte nigerianische Mädchen, die von der Terrorgruppe "Boko Haram" entführt worden waren, als hochschwanger, versehen mit dem Ausruf: "Finger weg von unseren Zuschüssen", was auf eine innerfranzösische Sozialdebatte gemünzt war.
Auf freie Meinungsäußerung ohne weiteres zu setzen, verharmlost die Gefahren, die sie birgt, verharmlost, dass sie als Errungenschaft der Demokratie dahin zurückfallen kann, woraus sie sich erhoben hat: in die Unterdrückung. Um das zu vermeiden, ist der Dialog mit Andersdenkenden und Andersglaubenden unabdingbar. Denn Demokratie lebt vom Dialog. Der Weg dahin führt nicht an Sprachkritik vorbei.