Kerstin Hensel, Jahrgang 1961, geboren in Karl-Marx-Stadt, Autorin von Romanen, Gedichten, Theaterstücken, Essays. Sie arbeitet als Poetik-Professorin an der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" in Berlin.
Falsche Rollen auf der falschen Bühne
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Wenn Oliver Welke von der "heute-Show" Kanzler werden wollte: Er würde möglicherweise sogar gewählt. "Die Partei" von Martin Sonneborn im Europaparlament, der Schauspieler in der Ukraine auf dem Präsidentensessel: Ist das witzig? Nein, meint Kerstin Hensel.
Warum er bei der Europawahl seine Stimme Martin Sonneborns "Die Partei" gegeben hat, will ich von meinem Sohn wissen. "Ach, ich habe sie doch nicht gewählt", gesteht er. "Wie kommt‘s?" frage ich erstaunt, da er die landesweit plakatierten Eulenspiegeleien mit unverhohlener Sympathie begrüßt hatte. Die Antwort des Mittdreißigers: "Sie sind mir zu politisch geworden, zu erfolgreich."
Der Stimmenrückzug meines Sohnes hat auch nicht verhindert, dass so viele andere Wähler die Satire-Partei auf dem Stimmzettel angekreuzt haben. Wohlbemerkt, ich bin eine Freundin subversiven Spotts, intelligenten Witzes und komischer Konterrede. Satire als Kunstform ist mir hoch und heilig! Doch was oder wer ist in der Realpolitik los? Der Politclown? Der nicht mit dem Säbel, sondern mit den Narrenschellen rasselt?
Spaßmacher besiegt Oligarchen
So auch dies: In der Ukraine wird ein Schauspieler, der in einer TV-Serie einen Präsidenten mimt, von den Bürgern – oder sag ich lieber: Zuschauern? – zum realen Präsidenten erhoben. Spaßmacher besiegt Oligarchen! Was für eine Posse! Und doch erinnert sie mich an eine Shakespeare- oder Moliere-Komödie. Der Plot so faszinierend wie schrecklich, so banal wie gefährlich.
Fordern die Gaukler nur eine neue Art von naivem Wählerprotest heraus? Oder wollen sie tatsächlich im Landes- und Weltgeschehen Verantwortung tragen? Ist der Sieg des Unernstes gegen humorlose Herrschaftsgewalt die Lösung?
Wer spiegelt die Fehler des herrschenden Narren?
Was ist eigentlich der Witz daran? Nicht-Politiker etablieren sich in der echten Politik. Nun sitzt der Narr auf dem Thron. Was wird aus ihm in dieser neuen Position?
Legt er seine gute alte Rolle ab, das Geschehen bei Hofe in seinen Fehlern, Intrigen und sonstigen Widrigkeiten zu erkennen und zu benennen, um – bitte was zu tun? Zu regieren?
Mit welcher Befähigung? Mit welchen Mitteln? Wer korrigiert ihn? Wer zeigt seine Fehler, seine Fratzen, sein Versagen?
Auf dem Thron, so ist zu befürchten, werden Narren und andere Quereinsteiger ihre Freiheit, Anarchie und Protestkraft verlieren. Weil sie auf falscher Bühne falsche Rollen spielen und daher vielleicht beklatscht, aber nicht verstanden werden.
Schminke aus dem Gesicht wischen
Der Politclown, einmal im politischen Amt, muss sich – ob er will oder nicht –, die Schminke vom Gesicht wischen. Kein Kobolzschlagen, kein Furzkissen im Parlament! Schluss mit lustig!
Satire-Parteien öffnen sich vor allem der politikverdrossenen Jugend, zumindest ihrem intelligenteren Teil. Sie geben sich modern, cool, unkonventionell. Werden die Obernarren jedoch ihrer Aufgabe als Un-Gewöhnliche enthoben, geraten sie zu Systemprofis. Das ist fatal.
Ich hätte nichts dagegen, wenn ein Mensch mit Sinn für Humor positive soziale und demokratische Veränderungen bewirken würde. Doch das Herunterbrechen von Politik ins ironisch-satirische Spiel ist nur Teil eines um sich greifenden Nicht-mehr-Ernstnehmens fast aller Lebens- und Gesellschaftsbereiche. Die Anziehungskraft gaghaft propagierter Inhaltslosigkeit wird nach der ersten Feierrunde unsexy.
Der Ernst im Spott verschwindet
Ironie, die ich liebe, verliert zunehmend ihre Distanz zu dem, wogegen sie sich richtet. Es wird immer schwerer zu erkennen, ob etwas Ironie ist oder ungebrochene Behauptung. Die Grenzen verschwimmen, weil der dem Spott immanente Ernst nicht gewahrt bleibt, sondern in zynischer Leere verpufft.
Das hat zur Folge, dass die klugen Narren im Lande nicht mehr gehört werden. Es ist die Zeit der Witzbolde: Alles scheint schräg, alles ist lächerlich. Das Gelächter wird lauter und lauter, doch froh kann keiner darüber sein.