Sauber im Stau

Von Ulrich Woelk · 26.05.2011
Das kleine Schweizer Alpendorf Wengen hat eine Menge zu bieten. Zum Beispiel kann man dort den Blick auf die berühmte Eiger-Nordwand besonders ungestört genießen, denn Wengen ist autofrei – oder nahezu autofrei. Die wenigen Fahrten, die sich in einem Skiort nun mal nicht vermeiden lassen wie der Transport des Gepäcks der Hotelgäste, werden von kleinen Elektrofahrzeugen erledigt, die fast lautlos durch das Dorf säuseln, das ansonsten flanierenden Fußgängern gehört.
Ja, Wengen ist eine kleine Perle – Betonung auf klein, denn das Bergdorf dürfte kaum mehr als einen Kilometer Durchmesser haben – dahinter geht es entweder steil bergauf oder steil bergab. Übertrüge man das elektromobile Modell Wengens auf eine mittlere oder große Stadt bei uns oder gar auf den ländlichen Raum, in dem Pendler Arbeitswege von 20, 30 oder gar 50 Kilometern in Kauf nehmen, wäre mit der geräuschlosen Mobilität bald Schluss.

Schon seit Längerem sind Elektroautos als Lösung für die mit der Massenmobilität unserer Zivilisation verbundenen Umweltprobleme im Gespräch. Doch bei Reichweiten von rund 150 Kilometern für die aktuelle Generation von Elektroautos stünden diese länger an der Steckdose, als dass sie unterwegs wären. Und im Sommerstau bei laufender Klimaanlage liefen sie Gefahr, nicht einmal die nächste Autobahnausfahrt zu erreichen. Denn das ist das größte Problem der Elektromobilität: Im Gegensatz zu fossilen Brennstoffen lässt sich Strom nur höchst ineffizient speichern.

Nun – vielleicht lässt sich dieses Problem ja irgendwie lösen. Dennoch muss die grundsätzliche Frage erlaubt sein, was wir eigentlich gewinnen, wenn wir, um unsere Mobilität beizubehalten, den einen Kraftstoff – Benzin – durch den anderen – Strom – ersetzen? Der Spritverbrauch würde sinken, der Stromverbrauch steigen – ein Nullsummenspiel. Und wo soll der Strom für all die Elektrofahrzeuge eigentlich herkommen? Aus Kernkraftwerken doch wohl nicht.

Doch zugegeben: Da Elektroautos die Energie effizienter nutzen als herkömmlich Benzinfahrzeuge, käme es beim Verkehr zu einem energetischen Einspareffekt. Dieser würde aber dadurch stark gemindert, dass die Leitungsverluste beim Stromtransport vom Produktionsort zum Verbraucher – einer Elektrotankstelle oder der heimischen Steckdose – sehr hoch sind. Und ob sich die benötigte Strommenge überhaupt regenerativ – zum Beispiel durch abertausende von weiteren Windrädern – in einem breiten gesellschaftlichen Konsens herstellen lässt, ist höchst fraglich.

Vor allem aber – und das wird bei der ganzen Diskussion oft übersehen – entspricht ein kleines umweltschonendes Auto offenbar gar nicht dem, was eine deutliche Mehrheit der Deutschen in der Garage stehen haben möchte. Man muss sich nur umschauen: Trotz steigender Spritpreise und grüner Wahltriumphe nimmt die Zahl der SUVs, Großraumlimousinen, Familientransporter, Landrover und Cityvans beständig zu.

Machen wir uns nichts vor: Es könnte das Dreiliterauto, das ähnlich effizient und sauber wäre wie ein Elektromobil, längst geben, wenn der Markt dafür da wäre – doch er ist es nicht. Vergleichsweise umweltschonende Fahrzeuge sind höchstens als Zweitwagen für die Fahrten zum Bäcker oder zum Briefkasten gefragt. Und solche Fahrten sollte man – wenn man etwas für die Umwelt tun will – besser ganz unterlassen, anstatt sie zu elektrifizieren.

Wenn also die Bundesregierung jetzt beschlossen hat, den Marktdurchbruch von Elektroautos mit Milliardenmitteln zu fördern, dann wird mit diesen Geldern konkret für die, die es sich leisten können, eine neues Statussymbol subventioniert: der vermeintlich ökologisch korrekte Zweit- oder Drittwagen.

Muss man denn die Autoindustrie, die zurzeit satte Gewinne schreibt, nach der Abwrackprämie schon wieder mit einer Milliardensubvention beglücken? Sollte man dieses Geld nicht lieber in den öffentlichen Nahverkehr der Ballungsräume oder in die von Pannen und Streiks gebeutelte Bahn stecken? Die fährt nämlich jetzt schon elektrisch.

Wenn wir effektiv etwas für die Umwelt tun wollen, dann gibt es dafür nur einen Weg: den der Verkehrsvermeidung. Nur jeder nicht gefahrene Kilometer entlastet die Umwelt wirklich. Dagegen bringt der Umstieg von einem Energieträger auf den anderen kaum etwas. Im Zweifelsfall wird er sogar zu noch mehr Verkehr führen, weil man ja jetzt "sauber" zum Briefkasten oder zum Bäcker fahren kann.

Ulrich Woelk, geboren 1960 in Köln, studierte Physik in Tübingen und Berlin. Sein erster Roman, "Freigang", erschien 1990 im S. Fischer Verlag und wurde mit dem Aspekte-Literaturpreis ausgezeichnet. Seit 1995 lebt Ulrich Woelk als freier Schriftsteller in Berlin. Seine Romane und Essays sind unter anderem ins Chinesische, Französische, Englische und Polnische übersetzt. Zuletzt erschien "Joana Mandelbrot und ich".
Ulrich Woelk
Ulrich Woelk© Bettina Keller
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