Großkoalitionäre für Antidoping-Gesetz
Sportler sollten für den Besitz von Dopingmitteln bestraft werden können, fordert die SPD-Abgeordnete Dagmar Freitag - das will Eberhard Gienger von der CDU zunächst juristisch prüfen lassen. Beide wollen eine Stärkung der Nationalen Antidoping-Agentur NADA. Ein Streitgespräch.
Deutschlandradio Kultur: Das Streitgespräch heute mit der SPD-Bundestagsabgeordneten Dagmar Freitag und dem CDU-Bundestagsabgeordneten Eberhard Gienger, beides ehemalige und eventuell auch künftige Mitglieder im Sportausschuss des Deutschen Bundestags. Und unser Thema heute ist das Antidoping-Gesetz in der neuen Legislaturperiode.
Staatsdoping damals in der DDR, aber auch systemisches Doping in Westdeutschland über Jahrzehnte hinweg. Die vor wenigen Monaten veröffentlichte Studie von Forschern der Universität Berlin und Münster hat die Diskussion um Doping und vor allem um ein wirkungsvolles Antidopinggesetz neu entfacht. Der Fall das unlängst vom Landgericht Stuttgart freigesprochenen Radprofis Stefan Schumacher, einem überführten Dopingsünder, hat den Ruf nach einem umfassenden Gesetz verstärkt. Und die mutmaßlichen Großkoalitionäre haben den Ruf offensichtlich wahrgenommen. Der Koalitionsvertrag widmet dem Thema Doping zwölf Zeilen und den entscheidenden Satz: "Wir werden weitergehende strafrechtliche Regelungen beim Kampf gegen Doping und Spielmanipulation schaffen."
Dagmar Freitag, ist das ein Meilenstein, der Durchbruch beim Kampf gegen Doping?
Dagmar Freitag: Das hoffe ich sehr. Sie wissen, dass ich sehr lange für ein wirksames Antidopinggesetz kämpfe. Und ich denke, wir sind noch nie so nah daran gewesen wie wir es jetzt sind. Möglicherweise werden wir das Gesetz ja auch gar nicht "Antidoping-Gesetz" nennen, sondern – wie Sie gerade schon selber gesagt haben – auch den Bereich der Spielmanipulation mit einbeziehen. Dann würde es sicherlich einen anderen Namen bekommen. Aber wichtig ist doch erstmal, dass wir vorurteilsfrei endlich darüber diskutieren und auch die uneingeschränkte Besitzstrafbarkeit nicht von vornherein wieder ausgeschlossen haben.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben schon gerade ein wichtiges Stichwort genannt. Das werden wir gleich aufgreifen. Aber: Eberhard Gienger, einer Ihrer CDU-Kollegen, hat einfach nur von Absichtserklärungen gesprochen. Ist das jetzt nur eine Absichtserklärung oder werden Sie mit Nachdruck für ein wirkliches Antidopinggesetz kämpfen, das diesen Namen verdient?
Eberhard Gienger: Was diese Absichtserklärung anbetrifft, so liegt man da momentan noch gar nicht so ganz falsch. Wir wollen gerne ein Antidopinggesetz schaffen, das auch den Sportler in dem Bereich der Straffälligkeit bringen kann. Allerdings muss das ja mit den anderen bestehenden Gesetzen, die wir derzeit haben, auch in Einklang zu bringen sein. Und vor diesem Hintergrund ist es nicht so ganz einfach, weil ja die Sportgerichtsbarkeit und die Strafgerichtsbarkeit sich ja nicht unbedingt bedingen – wenn ich das so sagen darf.
Soll heißen, dass wir auf der einen Seite die Sportgerichtsbarkeit haben, die der Sport dann verantwortet, und auf der anderen Seite die Strafgerichtsbarkeit. Das sind also, wenn Sie so wollen, zwei unterschiedliche Bereiche. Und das ist ein Auftrag an unsere Juristen, herauszufinden, ist das eine Möglichkeit, ein solches Antidopinggesetz zu schaffen, und das im Einklang mit unseren bisher bestehenden Gesetzen.
Deutschlandradio Kultur: Dieses Tacheles ist ein Streitgespräch. Dagmar Freitag, Sie haben eben die Stirn gerunzelt. Das können die Hörer nicht sehen, aber ich hab das gesehen. Sie haben da offenbar nicht ganz die Meinung von Herrn Gienger, was Strafgerichtsbarkeit und Sportgerichtsbarkeit, die mögliche Kluft, den Gegensatz anbetrifft.
Konflikte zwischen Straf- und Sportgerichtsbarkeit?
Dagmar Freitag: Ich sehe die Problematik einfach nicht. Der Vorwurf ist alt, aber wird nicht dadurch besser, dass man ihn im Jahr 2013 auch noch wieder erhebt.
Aus meiner Sicht gibt es da keine Friktionen. Die Strict Liability, ein unverzichtbares Instrument, das sehe ich genauso wie Eberhard Gienger…
Deutschlandradio Kultur: Können wir noch mal definieren?
Dagmar Freitag: "Strict Liability heißt im Prinzip, es ist die Beweislastumkehr. Der Sportler muss im Fall einer positiven Dopingprobe beweisen, dass die Substanz ohne sein Verschulden, ohne sein aktives Zutun in seinen Körper gekommen ist. Vor normalen Gerichten ist das ja anders. Da muss Ihnen der Staatsanwalt beweisen, dass Sie schuldig sind.
Aber: Wir tun immer so, als ob staatliche Gesetze diese Strict Liability außer Gefecht setzen würden. Das ist natürlich nicht richtig. Und man muss auch eins sagen, das gilt ausschließlich für den Fall einer positiven Probe. Alles andere wird von der Strict Liability nicht erfasst im Sportrecht. Da muss der Sportler genauso wie vor einem staatlichen Gericht tatsächlich deutlich machen, dass er unschuldig ist, aber der Staatsanwalt muss eben auch beweisen, dass es anders ist. – Also: Strict Liability ausschließlich für den Fall einer positiven Probe.
Und dass man jetzt immer wieder sagt, das eine kann das andere beeinträchtigen, das ist eben nicht so. Wir haben ganz viele Fälle in anderen Bereichen, wo natürlich unterschiedliche Maßnahmen laufen, ohne einander zu stören. Im Fußball, nur als Beispiel.
Deutschlandradio Kultur: Sie meinen da den Fall, wo zum Beispiel ein Fußballer einen anderen foult und das kann sportgerichtlich, aber auch strafgerichtlich…
Dagmar Freitag: Der fliegt sofort vom Platz, aber hinterher kann durchaus noch ein Prozess vor einem ordentlichen Gericht wegen Körperverletzung stattfinden.
Deutschlandradio Kultur: Also, Herr Gienger, dann geht’s doch – Strafgerichtsbarkeit neben Sportgerichtsbarkeit. Warum kann das auf Doping nicht angewendet werden?
Eberhard Gienger: Na ja, das ist ja genau der Punkt. Ich habe ja gesagt, dass wir prüfen müssen, inwieweit es mit anderen Gesetzen in Einklang zu bringen geht. Und ich sage ja, ich bin ja nicht gegen ein Antidoping-Gesetz oder wie es auch immer später heißen mag, aber es darf natürlich auf der anderen Seite die Strict Liability, also die Sportgerichtsbarkeit nicht aushebeln. Und ich habe ein bisschen die Bedenken, dass die Verbände nicht bereit sind, Sportler zu sperren für zwei Jahre oder möglicherweise, wenn das jetzt verschärft werden sollte, drei oder vier Jahre.
Längere Sperren für Sportler im Gespräch
Deutschlandradio Kultur: Sie haben es angesprochen, die Weltantidopingagentur hat sich ja dafür ausgesprochen oder die Weltantidopingversammlung, dass wir jetzt von zwei auf vier Jahre sperren gehen.
Eberhard Gienger: Das soll ja möglicherweise in Kraft treten. Aber, wie gesagt, ein Verband wird ja seinen Sportler dann nicht sperren, bevor nicht die staatliche Gerichtsbarkeit abgeschlossen ist. Denn es könnte ja durchaus passieren aufgrund von irgendwelchen Vorkommnissen – falsche Laborwerte werden bekannt gegeben oder es gibt einen Verfahrensfehler oder was auch immer –, dass dann der Sportler freigesprochen wird von einem ordentlichen Gericht und dann der Sportler sofort Repressionen gegen den Verband in Kraft setzen wird und Reparationszahlungen haben möchte.
Dagmar Freitag: Aber das tut er doch heute auch schon, wenn er sich ungerecht beurteilt fühlt. Ich erinnere nur an den Fall Pechstein.
Eberhard Gienger: Das mag ja sein, aber es ist zum anderen von dem Verband nicht zu erwarten, dass er einen Sportler dann sperrt, wenn die Gefahr besteht, dass er eben zu großen Zahlungen verurteilt werden könnte.
Dagmar Freitag: Das würde ja auch bedeuten, dass keiner mehr einen Spieler bei einem groben Foul vom Platz stellt, weil er hinterher Angst hat, dass ein staatliches Gericht anders urteilen könnte. Und die Leute fliegen doch nach wie vor vom Platz.
Eberhard Gienger: Aber das ist doch genau der Punkt. Momentan haben wir das Thema ja noch nicht in dem Maße. Und ich habe auch schon von einigen Leuten gehört, dass ein Gericht sich dann mit so einem Thema überhaupt nicht befasst, weil es nicht wichtig genug sein könnte.
Deutschlandradio Kultur: Nun, das soll ja gerade der Gesetzgeber in dieser Legislaturperiode nach den Vereinbarungen in dem Koalitionspapier bewerkstelligen.
Lassen Sie uns doch einfach noch mal klarstellen: Doping – welchen Tatbestand will man eigentlich jetzt unter Strafe oder anders unter Strafe stellen? Denn momentan sind ja Dopingvergehen zunächst nur über das Arzneimittelgesetz geregelt. Können Sie denn sicherstellen, Frau Freitag, dass wir nicht nur ein Arzneimittelgesetz, die Paragraphen rüber geschoben in ein Antidoping-Gesetz, bekommen?
Dagmar Freitag: Das mag sich der eine oder andere so wünschen, der jetzt zu meiner großen Überraschung auch ein Antidoping-Gesetz fordert. Aber der Name alleine ist natürlich nicht das Entscheidende. Es kommt auf die Inhalte an. Und ich werbe sehr dafür, dass wir nicht nur einfach aus bestehenden Gesetzen einzelne Passagen, einzelne Paragraphen rausnehmen und überführen, sondern dass wir zum Beispiel auch darüber intensiv reden, ob wir nicht doch das Instrument der uneingeschränkten Besitzstrafbarkeit ins Auge fassen. Das würde den Staatsanwaltschaften natürlich entsprechende Befugnisse geben, auch gegen den dopenden Sportler vorzugehen.
Strafen für Besitz von Dopingmitteln
Deutschlandradio Kultur: Das sollten wir noch mal kurz erklären. Uneingeschränkte Besitzstrafbarkeit, das bedeutet, momentan ist die Situation, dass ein Sportler, der mit geringen Mengen an Doping gefunden wird, dafür nicht bestraft wird. Bestraft wird lediglich das in großen Mengen Verabreichen und Handeln mit Dopingmitteln.
Es gibt aber viele Länder, Herr Gienger, wo nicht nur der Konsum von Dopingmitteln, sondern – wie etwa in Frankreich, in der Schweiz, in Belgien, in Schweden und Großbritannien – eben diese uneingeschränkte Besitzstrafbarkeit schon Realität ist. Sind Sie dafür?
Eberhard Gienger: Ich habe diesbezüglich ein bisschen Bedenken, weil wir ja in Deutschland – ich habe das vorher schon einmal angeführt – Gesetze haben, die zum Beispiel die Selbstschädigung erlauben auf der einen Seite, auf der anderen Seite aber auch jeder drei Gramm Haschisch bei sich haben darf. Und es muss natürlich dann auch im Einklang mit diesen Gesetzen vollzogen werden.
Deutschlandradio Kultur: Sie sehen also einen Widerspruch zum Grundgesetz?
Eberhard Gienger: Ich habe hier noch ein bisschen meine Probleme. Deswegen, sage ich, ist das eigentlich ein Prüfauftrag an unsere Juristen, herauszufinden, wie können wir ein Antidopinggesetz implementieren, ohne die anderen Gesetze dabei auch auszuhebeln.
Deutschlandradio Kultur: Aber es ist doch eigentlich verwirrend, dass der Athlet, der im Mittelpunkt dieses Dopingskandals steht, nicht belangt werden kann, sondern dass momentan irgendwo, wenn, dann die Händler von Dopingmitteln belangt werden können.
"Vergleich zum Betäubungsmittelgesetz hinkt"
Dagmar Freitag: Natürlich, das ist der eine Punkt. Aber ich muss noch mal auf das zurückkommen, was Eberhard Gienger gerade gesagt hat. Der Vergleich zum Betäubungsmittelgesetz hinkt natürlich ein wenig. Auch dort ist der Besitz jeglicher Mengen an Betäubungsmitteln grundsätzlich strafbar. Es kann aber beim Besitz geringer Mengen lediglich von der Strafverfolgung abgesehen werden. Und genauso könnte man das natürlich in diesem Fall auch regeln.
Also, der Bezug zum Betäubungsmittelgesetz zieht an dieser Stelle aus meiner Sicht nicht. Man könnte das ganz genauso regeln, wie es da auch geregelt ist.
Eberhard Gienger: Aber das ist ja auch gar nicht der Punkt. Ich sage auch nicht, dass es nicht möglich ist, sondern unsere Juristen sollen klären, wie das überhaupt zu implementieren geht. Wenn es da Probleme gibt, dann sollen sie gelöst werden. Wenn es keine Probleme gibt, dann haben wir das ja auch schon gelöst.
Dagmar Freitag: Aber wir dürfen uns nicht, wenn ich das noch sagen darf, vor der politischen Verantwortung drücken. Wir wissen beide, dass Juristen zu teilweise völlig identischen Vorkommnissen zu unterschiedlichen Aussagen kommen. Das heißt also: Unterm Strich werden wir als Gesetzgeber entscheiden müssen, für welche Auslegung wir uns entscheiden.
Deutschlandradio Kultur: Können Sie sich einen Konsens vorstellen, Herr Gienger? Wären Sie auch für die uneingeschränkte Besitzstrafbarkeit?
Eberhard Gienger: Momentan hab ich damit durchaus noch meine Mühe. Aber wenn andere Fachleute dafür sprechen, insbesondere die Juristen, dann könnte ich mir das vorstellen. Nur momentan haben wir einen Bericht vorliegen von dem Expertengespräch zur Dopinggesetzgebung, was am 26. September in Köln stattfand, vom Innenminister einberufen wurde. Wenn Sie das durchlesen und die ganzen Fachleute zu Wort kommen, können Sie ja alles rauslesen, was Sie so brauchen. Der eine sagte, das ist überhaupt kein Problem. Der andere sagt, das wird sofort Auswirkungen auf die Sportgerichtsbarkeit haben. – Und da hab ich dann schon irgendwo meine Probleme.
Wir haben momentan ein gut funktionierendes System der Sportgerichtsbarkeit. Wenn wir jetzt die Strafgerichtsbarkeit einführen sollten, also die Beweislastumkehr in diesem Falle, dass der Staat dem Athleten nachweisen muss, dass er gedopt hat, dann könnte es passieren, dass diese Sportgerichtsbarkeit – zumindest auch partiell – ausgehebelt wird. Und da bin ich momentan eben noch sehr, sehr vorsichtig.
Deutschlandradio Kultur: Sagt Eberhard Gienger, der CDU-Bundestagsabgeordnete und frühere Bronzemedaillengewinner von 1976 am Reck in unserem Tacheles-Streitgespräch zum Thema Antidoping-Gesetz mit Dagmar Freitag, der SPD-Bundestagsabgeordneten und in der letzten Legislaturperiode Vorsitzenden des Sportausschusses. Frau Freitag, Sie haben eben nochmal den Kopf geschüttelt. Sie waren da nicht einer Meinung.
Sport verfügt nicht über ausreichend Ermittlungswege
Dagmar Freitag: Ja, weil es nicht darum geht, dass die Strict Liability ausgehebelt werden soll. Der Vorwurf passt einfach nicht. Wir wollen lediglich, dass die Staatsanwaltschaften weitergehende Befugnisse haben, dass die Ermittlungsmethoden, die der Sport einfach nicht hat, um Betrüger zu erwischen, dass die zukünftig auch in Betracht gezogen werden. Denn der Sportler ist natürlich Teil des betrügerischen Systems.
Deutschlandradio Kultur: Das heißt, Hausdurchsuchungen, das heißt, dass man mehr Schwerpunktstaatsanwaltschaften einführt. Wir haben ja bereits eine in München, eine in Freiburg, aber das ist ja unzureichend offenbar nach den ganzen Berichten auch. Und ich glaube, der Dopingbericht über das systemische Doping in Westdeutschland auch, hat doch gezeigt, dass wir handeln müssen, Herr Gienger.
Eberhard Gienger: Ja, ich sage ja, es liegt ja auch nicht an uns, dass wir so etwas nicht machen wollen, sondern es muss klar sein, wie es implementiert werden kann. Und momentan sieht es für mich eben nicht unbedingt danach aus, dass wir das so ohne Probleme implementieren können. Deswegen sage ich immer wieder: Unsere Juristen müssen hier einen Weg aufzeigen, wie wir es machen können.
Deutschlandradio Kultur: Kronzeugenregelung, wäre das ein Weg, Frau Freitag?
Dagmar Freitag: Wird von vielen Fachleuten gefordert, halte ich für sinnvoll – ja.
Deutschlandradio Kultur: Sie, Herr Gienger?
Eberhard Gienger: Das könnte ich mir auch durchaus vorstellen. Wir haben es ja auch schon mal versucht. Also, gerade was nun dieses Thema Kronzeugenregelung anbetrifft, im Radsport war das ja auch, so viel ich weiß, schon einmal der Fall. Nur man hatte ja auch keine große Freude daran. Man hat es aus diesem Grunde – sagen wir mal – wieder etwas zurückgenommen. Aber als Möglichkeit, den Hintermännern dann über diese Schiene auch auf die Schliche zu kommen, wäre das durchaus eine Möglichkeit, das einzuführen.
Umfassendes Gesetz auch gegen Sportbetrug
Deutschlandradio Kultur: Ich stelle schon mal einen Konsens fest.
Wir haben vorhin über die Tatbestände, die man dann bestrafen müsste mit einem Antidoping-Gesetz, gesprochen. Wie steht es da mit dem Betrug, Sportbetrug, Manipulation von Wettkämpfen? Das ist ja momentan gesetzlich nicht geregelt. Frau Freitag?
Dagmar Freitag: Haben wir ja im Koalitionsvertrag explizit mit erwähnt. Ich halte das durchaus für erwägenswert. Deshalb habe ich auch eingangs gesagt, es kann sein, dass so ein Gesetz hinterher völlig anders heißt. Wenn es nämlich über den Bereich der reinen Bekämpfung von Doping hinausgeht, muss es einen anderen Namen bekommen. Da gibt es unterschiedliche Ideen, wie das heißen könnte.
Aber nochmal: Entscheidend ist, was im Gesetz drin steht. Und ich glaube, es tut dem Sport mit all seinen Werten, die wir ja auch verteidigen wollen und die wir gemeinsam würdigen, gut, wenn wir all denen, die diese Werte des Sports mit Füßen treten, wenn wir versuchen, denen bestmöglich auf die Schliche zu kommen.
Aber nochmal: Entscheidend ist, was im Gesetz drin steht. Und ich glaube, es tut dem Sport mit all seinen Werten, die wir ja auch verteidigen wollen und die wir gemeinsam würdigen, gut, wenn wir all denen, die diese Werte des Sports mit Füßen treten, wenn wir versuchen, denen bestmöglich auf die Schliche zu kommen.
Deutschlandradio Kultur: Herr Gienger, sehen Sie einen Weg, eben Sportbetrug als Straftatbestand einzuführen? Und wie würden Sie das dann näher definieren wollen?
Eberhard Gienger: Das ist genau der Punkt. Also, es gibt ja auch diese berühmte Schwalbe. Ist das nun Sportbetrug oder ist das kein Sportbetrug? Einem Sportler nachweisen können, ob er sich jetzt nun betrügerisch verhalten hat…
Deutschlandradio Kultur: Aber Jan Ulrich hat sich betrügerisch verhalten, weil er gedopt hat und illegitim die Tour de France so bestritten hat, wie er sie bestritten hat.
Eberhard Gienger: Wir müssen nicht bei Jan Ulrich aufhören, wir können bei Lance Armstrong, der ja die Tour de France siebenmal gewonnen hat, hier eigentlich noch ein wesentlich leuchtenderes Beispiel anführen.
Ja, ich sage ja, ich bin nicht dagegen, Sportbetrug – sei es nun im Sinne des Dopings, sei es im Sinne der Spielmanipulationen oder allgemein der Manipulation – zu machen, aber es muss halt klar definiert werden können, in den Gesetzestext eingebracht werden können. Und da gibt es momentan meines Erachtens noch erheblichen Diskussionsbedarf.
Deutschlandradio Kultur: Dagmar Freitag, sehen Sie auch da diesen rechtsdogmatischen Komplex, dass man sagt: Was ist hier eigentlich der zu schützende Tatbestand, der sportliche Wettkampf oder auch dann die Gesundheit der Athleten andererseits?
Dagmar Freitag: Das muss definiert werden. Es muss ja immer das Schutzgut definiert werden, wenn man über neue Gesetzesvorhaben spricht. Aber selbst Innenminister Friedrich hat ja den Begriff des Sportbetrugs kürzlich in den Raum geworfen. Also, auch im Bundesinnenministerium wird darüber nachgedacht. Und deshalb bin ich ganz zuversichtlich, dass da an der Stelle wie auch von Parlamentsseite intensiv darüber nachgedacht ist, was das schützenswerte Rechtsgut dann sein sollte. Also, da mache ich mir die wenigsten Sorgen, dass wir da keine vernünftige Definition finden sollten.
Abgrenzung zur Sportgerichtsbarkeit schwierig
Eberhard Gienger: Gut, es gibt hier durchaus Schwierigkeiten, dieses zu definierende Rechtsgut auch tatsächlich in Worte zu fassen. Denn man muss ja auch ein bisschen auf der einen Seite darauf achten: Wie ist das bei einem Athleten, der jetzt den 100-Meter-Lauf gedopt gewonnen hat? Ist dann der zweite dann der rechte oder rechtmäßige Sieger oder hätte er unter Umständen, wenn der Erste jetzt nicht dabei gewesen wäre, gewonnen oder hätte er nicht gewonnen. Das sind alles so Fragen, wo man noch nicht so richtig klar sagen kann, so geht das zu regeln.
Und dann kommt noch eines dazu, wo ich auch momentan meine Schwierigkeiten noch sehe. Wo grenzen wir denn ab in Zukunft, wenn wir ein Gesetz machen gegen Sportbetrug? Gilt das dann für jeden oder gilt das nur für Kaderathleten? Für wen gilt es und wer kann denn überhaupt zu einem Gerichtsverfahren herangezogen werden, wenn er dessen bezichtigt werden kann beziehungsweise überführt wird?
Deutschlandradio Kultur: Sie haben, glaube ich, Herr Gienger, den Gesetzentwurf von Baden-Württemberg im Kopf, der ja auch da unterscheidet, der einen Vorschlag unterbreitet hat und eben diesen Betrugsfall nur auf Berufssportler bezogen hat. Frau Freitag, das geht doch eigentlich nicht.
Dagmar Freitag: Ja, der baden-württembergische Entwurf ist aus meiner Sicht aus unterschiedlichen Gründen – einen haben Sie gerade genannt – unzureichend. Er zielt auch zum Beispiel nur auf Sportler im Wettkampf ab. Das ist natürlich insofern nicht sehr zielführend, weil Doping überwiegend in der wettkampffreien Zeit stattfindet. Also, von daher ist er – jedenfalls aus meiner Sicht – als Grundlage für unsere Überlegungen hier ungeeignet.
Deutschlandradio Kultur: Was wäre geeignet als Grundlage? Wo sollte man konkret ansetzen? Zum Beispiel nennen wir das für die Hörer auch plastisch: Momentan gibt es Zwei-, womöglich Vierjahressperren für Athleten, die des Doping überführt werden. Wie sollte ein Strafbarkeitsgesetz dann aussehen? Sollten die mit Gefängnis oder mit hohen Geldstrafen wie in anderen europäischen Ländern belegt werden, die Athleten, Frau Freitag?
Dagmar Freitag: Soweit sind wir nicht. Wir definieren jetzt erstmal, welche Straftatbestände infrage kommen könnten. Dann werden Strafmaße, Strafrahmen festgelegt. Aber Sie werden mir heute keine konkrete Zielmarke entlocken. Ganz einfach: Da drüber ist noch nicht gesprochen worden. Und, das kann ich für mich jedenfalls sagen, da brauche ich auch den Rat juristischer Fachleute.
NADA in der Pflicht, dopende Sportler aufzuspüren
Deutschlandradio Kultur: Aber man macht sich doch Gedanken da darüber, Eberhard Gienger.
Eberhard Gienger: Man kann sich schon darüber Gedanken machen. Nur, bevor wir diese Information von den Fachleuten nicht haben, solange können wir auch keine klaren Gesetzesentwürfe in Angriff nehmen. Momentan sehe ich eher noch den Sport in der Pflicht oder auch bei uns die NADA, die Nationale Antidoping Agentur, die Kontrollen so gut und so sauber durchzuführen, dass jeder Sportler, der sich gedopt hat, die Furcht haben muss, überführt werden zu können.
Und so etwas müsste meines Erachtens dann auch beispielsweise in die Verträge eines jeden Athleten mit einem Sponsoren aufgenommen werden, so dass also gewissermaßen die wirtschaftliche Lebensgrundlage eines Athleten dann gefährdet sein kann, wenn er des Dopings überführt wird. Und das muss das Damoklesschwert sein, das über jedem dopenden Athleten hängt.
Und so etwas müsste meines Erachtens dann auch beispielsweise in die Verträge eines jeden Athleten mit einem Sponsoren aufgenommen werden, so dass also gewissermaßen die wirtschaftliche Lebensgrundlage eines Athleten dann gefährdet sein kann, wenn er des Dopings überführt wird. Und das muss das Damoklesschwert sein, das über jedem dopenden Athleten hängt.
Dagmar Freitag: Das gibt es heute aber schon. Das steht in den Verträgen drin.
Eberhard Gienger: Aber nicht in allen.
Deutschlandradio Kultur: Frau Freitag, Stichwort NADA, also die Nationale Antidoping Agentur. Zwei ganz konkrete Frage dazu: ist die NADA überhaupt unabhängig genug, um Dopingsünder und ganze Dopingnetzwerke wirklich zu entlarven und zu überführen, wie das vielleicht in den USA auch schon – mit anderen Strafbarkeits-Möglichkeiten – der Fall ist? Und zweitens: Werden Sie der NADA auch genügend Geld zur Verfügung stellen letztendlich, um ihre Aufgabe vernünftig lösen zu können? Denn Sie haben es zwar in die Koalitionsvereinbarungen reingeschrieben, aber werden diesen Worten Taten folgen?
Dagmar Freitag: Ich fange mal mit dem letzten Punkt an: Auch wenn ich jetzt keine alten Schlachten schlagen will, möchte ich mir schon den Hinweis gestatten, dass der Bund als Einziger der Stakeholder, also der drei Gründungsväter oder -mütter, je nach dem, als Einziger seinen finanziellen Verpflichtungen entsprechend nachgekommen ist. Versagt hat aus meiner Sicht die Wirtschaft, die auch zu den so genannten Stakeholdern gehört, die sich aber bis auf ein oder zwei Unternehmen komplett zurückgezogen haben. Auch die Bundesländer bekleckern sich alles andere als mit Ruhm. Sie ziehen sich auf die Grundhaltung zurück: Wir sind nur für die Prävention zuständig. Und das machen wir in unseren eigenen Länderhaushalten.
Nur, so kann ein Stiftungsmodell eben nicht funktionieren. Und wir haben jetzt gesagt: Wer für einen sauberen Sport ist, wer die sauberen Sportler bestmöglich schützen will, muss dafür sorgen, dass die NADA entsprechend finanziell ausgerüstet wird. Und deshalb werden wir wahrscheinlich in den sauren Apfel beißen und uns nochmal auf Bundesebene, so wie wir es verabredet haben, über die Finanzierung der NADA Gedanken machen.
Aber es ist schon aus meiner Sicht ein echtes Ärgernis, dass es letztlich an uns hängen bleibt.
Deutschlandradio Kultur: Eine Million Euro fehlen mindestens, glaube ich, Herr Gienger. Ziehen Sie da mit Frau Freitag und den anderen eventuellen Mitgliedern des Sportausschusses und des Bundestages dann an einem Strang, um die Mittel auch bereitzustellen?
Eberhard Gienger: Wir werden mit Sicherheit nach den Geldern, die notwendig sind, suchen. Insgesamt stehen ja zehn Millionen oder wenigstens acht Millionen im Raum. Diese allerdings dann aus dem bestehenden Haushalt des Sports zu nehmen, ist die eine Möglichkeit. Oder das Innenministerium müsste an anderer Stelle nochmal Geld abzweigen. Diesen Spielraum, möchte ich mal sagen, sehe ich momentan noch nicht. Aber vielleicht gelingt es uns ja, die Damen und Herren davon zu überzeugen, die dann auf den Geldtöpfen sitzen, dass sie hier und dort vielleicht die eine oder andere Charge freigeben.
In jedem Falle ist unser Bestreben, eine gut funktionierende NADA zu haben. Das ist nicht nur in unserem Bestreben, sondern das ist auch im Bestreben des Sports so. Denn die NADA ist eigentlich die Institution, die gewissermaßen dann auch den Sportler unterstützt, der eben seinen Sport sauber und anständig darbieten möchte, und sagen kann, jawohl, ich habe einen sauberen und dopingfreien Sport betrieben und ich bin gerechtfertigter Weise Meister geworden.
Deutschlandradio Kultur: Das ist die philosophische Frage eigentlich, die hinter dem ganzen Thema heute steckt. Welchen Sport wollen wir eigentlich in der Bundesrepublik?
Dagmar Freitag, wie zuversichtlich sind Sie, dass wir wirklich und in welchem Zeitraum ein Antidoping-Gesetz bekommen, das wirklich greift?
Dagmar Freitag: Zuversichtlich bin ich, weil wir erstmalig eine ziemlich konkrete Formulierung in einem Koalitionsvertrag stehen haben. Es wird jetzt maßgeblich davon abhängen, ob die Kolleginnen und Kollegen von der Union ähnlich motiviert das Thema aufgreifen. Da bin ich zuversichtlich, weil ich einfach davon ausgehe, dass wir gemeinsam jetzt alles tun wollen, um dem sauberen Sportler eine Chance im Wettbewerb zu geben.
Deutschlandradio Kultur: Eberhard Gienger, Ihnen schwappt Zuversicht von dem künftigen potenziellen Koalitionspartner, wir müssen ja noch die Mitgliederabstimmung der SPD abwarten, entgegen. Teilen Sie die Zuversicht? Können Sie sie zurückgeben an Dagmar Freitag?
Eberhard Gienger: Ich möchte eine Anhörung diesbezüglich noch vorher mitmachen. Dann gilt es abzuwägen, ob es ein solches Gesetz geben kann, und vor allem, ob es ein solches wirkungsvolles Gesetz geben kann. – Ja, wir wollen so etwas machen. Wir wollen ein Antidoping-Gesetz umsetzen, aber es muss natürlich dann auch wirken.
Sie hatten vorhin die Länder erwähnt, wo es ein Antidopinggesetz gibt. Aber nach meinen Informationen ist bisher in diesen Ländern noch keine einzige Verurteilung erfolgt eines Sportlers. Und aus diesem Grunde sollten wir, wenn wir ein solches Gesetz machen, dann auch die Qualität dieses Gesetzes berücksichtigen, dass es also zu einer Verurteilung eines dopenden Athleten kommen kann.
Deutschlandradio Kultur: Und vielleicht treffen wir uns in ein, zwei Jahren wieder, um dann Bilanz zu ziehen, ob es geklappt hat mit dem Antidoping-Gesetz.