Sauberes Geld
Ein Volk, das Schutzgeld zahlt, hat keine Würde – unter diesem Motto rief vor einigen Jahren eine Gruppe junger Leute zum Widerstand gegen die Mafia in Sizilien auf. Sie helfen Menschen, die sich gegen Schutzgelderpressungen wehren, schaffen Öffentlichkeit und betreiben Bioanbau in der Mafiahochburg Corleone.
Der Vucciria-Markt in Palermos Altstadt, ein fast schon arabisch anmutender Gemüse- und Fischmarkt. Neben riesigen grünen Blumenkohlköpfen und Artischocken liegen durchgeschnittene Schwertfische, Sardinen und Doraden auf Eis.
Dort, in den engen, heruntergekommenen Gassen der Altstadt ist der Einfluss der Mafia besonders groß. Es ist eines der ärmeren Viertel Palermos: Von den Fassaden der Häuser bröckelt der Putz, Elektrokabel baumeln quer über die Straßen, Kinder spielen zwischen achtlos hingeworfenem Müll. Über die Mafia spricht man hier nicht, doch sie ist allgegenwärtig. Palermo gilt als Hochburg der Cosa Nostra, der sizilianischen Mafia. Aufgeteilt nach Stadtvierteln gibt es Bosse, Unterbosse und Handlanger, die Schutzgeld erpressen und andere Geschäfte machen.
Der Vucciria-Markt ist eine Station der Führungen, die eine Anti-Mafia Gruppe durch Palermo anbietet. Addio-Pizzo heißt diese Gruppe: Sie besteht aus rund 40 meist recht jungen Leuten. Addio-Pizzo – das bedeutet: "Tschüß, Schutzgeld!" und dieser Slogan prangt auch in orangen Lettern auf dem schwarzen Sweatshirt von Francesca Vannini. Sie ist 29 Jahre alt, studierte Kommunikationswissenschaftlerin und sehr engagiert im Kampf gegen die Mafia.
"Alles hat vor fünf Jahren begonnen, als ein paar Jungs einen Pub eröffnen wollten. Als sie die Kosten durchrechneten, meinte einer: Wir müssen den Pizzo, das Schutzgeld, mit einkalkulieren. Es hat alle sehr geärgert, dass es hier völlig normal ist, das zu zahlen. Es ist absurd, automatisch die Mafia zu bezahlen."
Über 70 Prozent der Geschäftsleute in Sizilien zahlen Schutzgeld, in Palermo sollen es sogar an die 80 Prozent sein. Das Problem trifft nicht nur die Geschäftsleute, sondern letztlich jeden, der in Sizilien Geld ausgibt.
"Wenn ich Brot kaufe oder Wein. Wenn ich tanke bei einem Händler, der Pizzo zahlt, dann geht ein Teil meines Geldes an die Mafia. Ich zahle den Geschäftsmann, der zahlt die Mafia, also ist es mein Geld, das bei der Mafia landet."
Eine weitere Station der Anti-Mafia-Führung ist der Justizpalast von Palermo, ein massiver Gebäudekomplex im Zentrum der Stadt. Hier, auf der Piazza Della Memoria, dem Platz der Erinnerung, wird an die von der Mafia ermordeten Richter und Staatsanwälte erinnert, erzählt Francesca Vannini:
" Es ist ein symbolischer Ort der Erinnerung, weil auf den Steintreppen, auf denen man lesen, entspannen oder spazieren gehen kann, die Namen der vielen Juristen eingraviert sind, die der Mafia zum Opfer fielen. Von Pietro Scaglione bis Paolo Borsellino. Damit man nie vergisst, was passiert ist. Es gab viel Schlechtes. Jetzt muss etwas Gutes darauf aufgebaut werden. Deshalb sollte jeder Bürger den Fußstapfen dieser Menschen folgen, die ihr Leben und ihre Arbeit dem Kampf gegen die Mafia gewidmet haben. Jeder Einzelne sollte sich anstrengen, damit niemand mehr sterben muss."
Früher haben die Mitglieder der Gruppe Addiopizzo nachts die Stadt mit Aufklebern bepflastert. Auf denen stand: Ein Volk, das Schutzgeld bezahlt, ist ein Volk ohne Würde. Ein Aufschrei, den Palermo morgens vorgefunden hat.
Dann versuchten sie, Geschäftsleute dazu zu ermuntern, kein Schutzgeld mehr zu entrichten. Diejenigen, die sich weigern, an die Mafia zu zahlen, werden von ihnen unterstützt. Wie die Besitzer der Antica Focacceria San Francesco, ein Spezialitätenlokal mit langer Tradition.
Hier kehren Reisegruppen, die von der Initiative betreut werden, zum Mittagessen ein. Viele probieren das Panino con la milza, ein Brötchen mit Kalbsmilz, dessen säuerlicher Geschmack gewöhnungsbedürftig ist. Auch die Focacceria war massiven Erpressungsversuchen durch die Mafia ausgesetzt.
"Es war im November vor fünf Jahren, als jemand auftauchte und meinte, wir sind hier, weil dieser Laden nicht 'a posto', nicht in Ordnung ist. 'Mettere a posto' bedeutet, etwas in Ordnung bringen. In der Sprache der Mafia ist damit Schutzgeld bezahlen gemeint. Er wollte 50.000 Euro für die vorangegangenen Jahre, und dann sollte über einen unserer Angestellten gezahlt werden, der war offenbar der Verbindungsmann."
Die Besitzer des Lokals, Fabio Conticello und sein Bruder, haben die Erpressung angezeigt, was zur Folge hatte, dass vier wichtige Mafiosi verurteilt wurden. Von diesem Zeitpunkt an mussten die Focacceria und ihre Besitzer unter Polizeischutz gestellt werden. Die Kunden reagierten unterschiedlich: Manche ließen sich plötzlich nicht mehr blicken. Andere boten Unterstützung an:
"Wir hatten positive Reaktionen aus Schulen und Universitäten, von jungen Leuten, zuallererst von den Jungs und Mädels von Addiopizzo, die uns begleitet haben: vom Moment der Anzeige an bis zum Prozess. Sie haben uns unterstützt, gemeinsam mit dem guten Teil der Stadt. Und zum ersten Mal waren wir und unsere Unterstützer im Gerichtssaal mehr vertreten als die Gegenseite der Mafiosi, etwas, was normalerweise nie vorkommt."
Inzwischen ist die Antica Foccaceria San Francesco so erfolgreich, dass eine Filiale in Mailand eröffnet werden konnte, in zentraler Lage, in der Nähe des Doms. Ein Zeichen dafür, dass die Weigerung, Schutzgeld zu zahlen, nicht unbedingt geschäftsschädigend sein muss. Im Gegenteil - es kann auch eine sehr gute Werbung sein. Inzwischen hat die Vereinigung Addiopizzo ein Büchlein und einen Stadtplan von Palermo herausgegeben, in dem alle Geschäfte, Restaurants und Betriebe verzeichnet sind, die sich weigern, Schutzgeld an die Mafia zu zahlen: Über 400 sind es mittlerweile.
Den Stadtplan gibt es seit Anfang dieses Jahres auch auf Deutsch, finanziert von der deutschen Botschaft in Rom, die von der Zivilcourage der Anti-Mafia-Gruppe angetan war. Auch Laura Garavini, die für die im europäischen Ausland lebenden Italiener im römischen Parlament sitzt, kann Addiopizzo nicht genug loben.
"Addiopizzo ist eine hervorragende Initiative von der Zivilgesellschaft. Es ist großartig, dass die Zivilgesellschaft mitmacht bei Bekämpfung der organisierten Kriminalität, dass nicht nur Polizei und Staatsanwälte und Politik zuständig sind, sondern es muss eine kulturelle Wandlung stattfinden und die einzelnen Bürger müssen aktiv gegen die Mafia sein und Addiopizzo macht genau das. Das heißt: Es ist unglaublich wertvoll."
Als Mitglied der Antimafiakommission des italienischen Parlaments ist Garavini sehr genau über die Entwicklungen innerhalb der Mafia im Bild. Ihrer Meinung nach demonstriert die organisierte Kriminalität mithilfe von Schutzgelderpressung, dass sie ihr Territorium unter Kontrolle hat und überall ihren Einfluss geltend machen kann. Das sei heutzutage die eigentliche Funktion des Pizzo, meint die Politikerin.
"Schutzgelderpressung wird nicht gemacht mit dem Ziel, Geld zu bekommen, eigentlich spielt das in der Wirtschaft der Mafia kaum eine Rolle. Die Mafia verdient mit Drogengeschäften, Waffenhandel, Menschenhandel verdient sie Geld, aber Pizzo zu verlangen, gibt der Mafia unglaublich viel Macht, und in diesem Sinn wird es leider noch von der Mafia ganz viel erpresst."
Inzwischen arbeiten die Mitglieder der Gruppe Addiopizzo eng mit den Behörden in Palermo zusammen. Sie können Kassenbücher der Mafia und Gerichtsakten einsehen, um sicherzugehen, dass sich weder ein Mafioso noch ein Geschäftsmann, der Schutzgeld zahlt, in ihre Liste von Mafia-Gegnern einschleicht. Bis jetzt mussten sie nur einen Unternehmer ausschließen, weil sich herausstellte, dass zwei seiner Mitarbeiter Mafia-Kontakte hatten. Und die Mafia selbst - wie reagiert sie auf die Initiative?
"Uns direkt hat die Mafia nie angegriffen. Aber es gab Signale gegen einen Eisen- und Plastikwarengroßhändler, der uns unterstützt hat. Eines Morgens, vor zwei Jahren war das, haben sie alles, was ihm gehörte, verbrannt. Das war ein starkes Zeichen, weil man das mehr als 500 Quadratmeter große Feuer in der ganzen Stadt gerochen hat.
Dennoch ist diese Geschichte ist in gewisser Hinsicht gut ausgegangen. Denn direkt nach dem Brand gab es eine Welle der Solidarität der Bürger von Palermo, im Gegensatz zu früher, wo immer alle geschwiegen haben. Die Menschen haben Geld gespendet. Die Stadtverwaltung hat für den Händler ein neues Lager gefunden, sodass er weiter arbeiten konnte. Zwar unter Polizeischutz, aber doch in Sizilien. Vor einigen Jahren noch hätte er Sizilien verlassen und irgendwo unter falschem Namen leben müssen ... Das war letztlich also ein kleiner Sieg, obwohl der Brand natürlich schlimm war."
Allerdings sprechen Experten wie der Staatsanwalt und Mafiajäger Roberto Scarpinato inzwischen von der weißen Mafia, die eher unsichtbar im Hintergrund agiert, kein Interesse daran hat, durch Gewalttaten Aufsehen zu erregen, ihren Nachwuchs auf besten Schulen ausbilden lässt und sich eng mit Politik und Wirtschaft verzahnt. Vielleicht ist das der Grund, warum die international agierende Mafia Schutzgeldverweigerer und kleine Initiativen wie Addiopizzo in Ruhe lässt.
Deren Mitgliedern ist das durchaus bewusst. Sie versuchen, schon Kinder und Jugendliche über die Verbrechen der Mafia aufzuklären und ihr Bewusstsein zu schärfen. Deshalb gehen sie in Schulen, organisieren neben den Stadtführungen Informationsveranstaltungen, die regen Zuspruch finden. Vor allem italienische Schulklassen und Studentengruppen buchen ihre Rundgänge durch Palermo und die Rundfahrten durch den Westen Sizliens.
Es geht raus aus der Stadt, in das Gebiet der Mafiahochburgen Corleone und San Giuseppe Jato, nicht weit von Palermo im Hinterland gelegen. Eine weite, wilde Hügellandschaft, aus der immer wieder ein schroffer Felsenberg herausbricht, in Orte, die wenig italienischen Charme versprühen, die eher gesichtslos und verschlossen scheinen. Nur wenige Menschen sind hier auf den Straßen, die Jalousien der Häuser heruntergezogen, selbst die zentrale Piazza wirkt ungemütlich und verwaist.
In dieser Gegend sind die landwirtschaftlichen Kooperativen Placido Rizzotto und Pio la Torre beheimatet, deren Namenspatronen von der Cosa Nostra, der sizilianischen Mafia, umgebracht wurden. Der Politiker Pio la Torre 1982, der Gewerkschafter Placido Rizzotto 1948.
Dort wird unter dem Dach der Organisation Libera Terra, freies Land, Bioanbau betrieben – und zwar auf Ländereien, die früher Mafia-Bossen wie Toto Riina, Bernardo Provenzano oder Giovanni Brusca gehörten. Heute kann in Italien der Besitz von Mafiosi beschlagnahmt und an soziale Projekte weitergegeben werden. Für die Mafia ein Schlag ins Gesicht. Deshalb war es anfangs für die Kooperativen auch schwierig, Mitarbeiter zu finden. Francesco Galante, Sprecher von Placido Rizzotto:
"2001-2002 haben wir mit dem Projekt in der Gegend von Corleone begonnen. Das war etwas ganz Neues, etwas, was es nie zuvor gegeben hatte. Es kam dann zu Einschüchterungsversuchen, zwei Brände, ein Traktor wurde gestohlen, eine Serie kleinerer Anschläge, aber nach ein paar Jahren hat sich das Leben normalisiert. Als die Leute hier verstanden haben, dass die Kooperative ihnen Arbeit bietet, haben auch die Einschüchterungsversuche aufgehört. Da sind ganz viele auf uns zugekommen und es gab keine Beschädigungen mehr."
Arbeitsplätze sind knapp in dieser Gegend Westsiziliens. Jugendliche haben erst recht kaum Chancen. Die Kooperativen beschäftigen inzwischen an die 60 Mitarbeiter. Einer von ihnen ist Stefano Palmeri. Der 48-Jährige stammt aus einem Dorf in der Nähe und arbeitet in der Weinkellerei von Placido Rizzotto.
"Vorher habe ich diverse Arbeiten gemacht: als Maurer, Landarbeiter, alles was es gab. Die Situation ist ein bisschen schwierig, sehr schwierig."
Angst vor Racheakten der enteigneten Mafiafamilien hat er heute nicht mehr.
"Am Anfang gab es die Ängste. Wir haben alle Familie. Da wir von hier kommen, wissen wir, wie diese Menschen denken. Aber dann, als ich mit den Jungs gearbeitet habe, hat mir das Projekt gefallen. Hier haben sich so viele gute Leute mit Ideen getroffen. So bin ich geblieben. Anfangs waren wir zehn, jetzt sind wir sehr viele, und auch das ändert die Meinung der Leute aus meinem Dorf, sodass sie jetzt auch an das Projekt glauben. Sie haben den Unterschied gesehen zwischen früher und heute. Sie haben gesehen, wie in der kleinen Kooperative Placido Rizzotto sofort 25-30 Leute gearbeitet haben - und das ist für die Gegend sehr wichtig: Es gibt sauberes Geld und es wird ordentlich bezahlt."
Die Arbeiter bauen Getreide und Hülsenfrüchte an und produzieren Wein – alles Bio. Der Wein wurde sogar mehrfach preisgekrönt. Um diesen Wein zu produzieren, hat man sich die Hände schmutzig gemacht, nicht aber das Gewissen - steht auf dem Plakat, mit dem die Weine beworben werden. Im Sommer kommen zusätzlich bis zu 2000 Freiwillige aus dem In und Ausland hierher, um bei der Weinlese und auf den Feldern zu helfen und damit die Antimafia-Bewegung in Sizilien zu unterstützen.
Zu den Kooperativen gehören mittlerweile auch zwei Landgasthöfe: Der eine wirtschaftet in zwei umgebauten Ställen, die früher dem Mafiaboss Toto Riina gehört haben. Der andere ist in einem Gebäude untergebracht, das die Mafiafamilie Brusca besaß.
"Es ist wichtig, dass wir auf diesem Land etwas Gutes produzieren und dass alle mitmachen können. Diese Erde wird auf viele verschiedene Arten zurückgegeben. Der beschlagnahmte Besitz soll nicht nur denen zugutekommen, die dort arbeiten. Er soll eine Grundlage sein. Die organisierte Kriminalität macht sich in der Wirtschaft in ganz Europa breit. Man muss das erkennen und derjenigen Wirtschaft Raum geben, die davon frei ist. Hier haben wir damit angefangen zu zeigen, dass das möglich ist."
Legale Arbeitsplätze in einer strukturschwachen Region, Wiederbewirtschaftung von brach liegenden Ländereien und gut schmeckende Biolebensmittel – die beiden Kooperativen im Hinterland von Palermo haben viel erreicht, meint die Politikerin Laura Garavini:
"Das sind wertvolle Initiativen, weil sie jeden Tag beweisen, dass es möglich ist, die Mafia zu bekämpfen und zu siegen. Und sie beweisen eben, dass diese Güter, die früher der Mafia gehörten, der Gesellschaft wieder zur Verfügung gestellt werden könnten und zwar mit der Möglichkeit, die Wirtschaft des Ortes zu verbessern. Das heißt: Junge Leute können Arbeitsmöglichkeiten bekommen, und zwar legale Arbeitsplätze, die nicht durch die kriminellen Tätigkeiten geschaffen werden, was die Mafia sonst immer macht, sondern Libera Terra, und Placido Rizzotto solche Kooperativen, solche Initiativen beweisen, dass es möglich ist, auf legale Art und Weise der Mafia ihre Macht wegzunehmen."
In Rom und in Palermo wurden sogenannte botteghe di sapori della legalitá eröffnet, Läden mit dem Geschmack der Legalität. Dort kann man den Wein, die Pasta und andere Erzeugnisse der Kooperativen erwerben. Die Nachfrage nach solchen Produkten wird immer größer, auch im Ausland.
Der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi sagte kürzlich: Man solle nicht so viel über die Mafia reden, das schade dem Ansehen Italiens. Für diese Äußerung hat er viel Kritik geerntet. Die Mitglieder von Gruppen wie Addiopizzo und Libera Terra tun das Gegenteil: Sie reden ständig über die Mafia und verstoßen damit gegen das alte Gesetz der Omertá, des Schweigens, das alle Münder verschließt, sobald es um die Cosa Nostra geht.
Der Kampf gegen deren internationale Geschäftsfelder wie den Waffen,- Drogen- und Menschenhandel, die Geldwäsche, die Verstrickungen der organisierten Kriminalität in Politik und Wirtschaft, ist längst nicht gewonnen.
Gleichzeitig aber geben Bewegungen wie Addiopizzo und Libera Terra Hoffnung, das sich etwas bewegt. Auch wenn es noch lange keine Massenbewegung ist, vielleicht ist ein Anfang gemacht.
Dort, in den engen, heruntergekommenen Gassen der Altstadt ist der Einfluss der Mafia besonders groß. Es ist eines der ärmeren Viertel Palermos: Von den Fassaden der Häuser bröckelt der Putz, Elektrokabel baumeln quer über die Straßen, Kinder spielen zwischen achtlos hingeworfenem Müll. Über die Mafia spricht man hier nicht, doch sie ist allgegenwärtig. Palermo gilt als Hochburg der Cosa Nostra, der sizilianischen Mafia. Aufgeteilt nach Stadtvierteln gibt es Bosse, Unterbosse und Handlanger, die Schutzgeld erpressen und andere Geschäfte machen.
Der Vucciria-Markt ist eine Station der Führungen, die eine Anti-Mafia Gruppe durch Palermo anbietet. Addio-Pizzo heißt diese Gruppe: Sie besteht aus rund 40 meist recht jungen Leuten. Addio-Pizzo – das bedeutet: "Tschüß, Schutzgeld!" und dieser Slogan prangt auch in orangen Lettern auf dem schwarzen Sweatshirt von Francesca Vannini. Sie ist 29 Jahre alt, studierte Kommunikationswissenschaftlerin und sehr engagiert im Kampf gegen die Mafia.
"Alles hat vor fünf Jahren begonnen, als ein paar Jungs einen Pub eröffnen wollten. Als sie die Kosten durchrechneten, meinte einer: Wir müssen den Pizzo, das Schutzgeld, mit einkalkulieren. Es hat alle sehr geärgert, dass es hier völlig normal ist, das zu zahlen. Es ist absurd, automatisch die Mafia zu bezahlen."
Über 70 Prozent der Geschäftsleute in Sizilien zahlen Schutzgeld, in Palermo sollen es sogar an die 80 Prozent sein. Das Problem trifft nicht nur die Geschäftsleute, sondern letztlich jeden, der in Sizilien Geld ausgibt.
"Wenn ich Brot kaufe oder Wein. Wenn ich tanke bei einem Händler, der Pizzo zahlt, dann geht ein Teil meines Geldes an die Mafia. Ich zahle den Geschäftsmann, der zahlt die Mafia, also ist es mein Geld, das bei der Mafia landet."
Eine weitere Station der Anti-Mafia-Führung ist der Justizpalast von Palermo, ein massiver Gebäudekomplex im Zentrum der Stadt. Hier, auf der Piazza Della Memoria, dem Platz der Erinnerung, wird an die von der Mafia ermordeten Richter und Staatsanwälte erinnert, erzählt Francesca Vannini:
" Es ist ein symbolischer Ort der Erinnerung, weil auf den Steintreppen, auf denen man lesen, entspannen oder spazieren gehen kann, die Namen der vielen Juristen eingraviert sind, die der Mafia zum Opfer fielen. Von Pietro Scaglione bis Paolo Borsellino. Damit man nie vergisst, was passiert ist. Es gab viel Schlechtes. Jetzt muss etwas Gutes darauf aufgebaut werden. Deshalb sollte jeder Bürger den Fußstapfen dieser Menschen folgen, die ihr Leben und ihre Arbeit dem Kampf gegen die Mafia gewidmet haben. Jeder Einzelne sollte sich anstrengen, damit niemand mehr sterben muss."
Früher haben die Mitglieder der Gruppe Addiopizzo nachts die Stadt mit Aufklebern bepflastert. Auf denen stand: Ein Volk, das Schutzgeld bezahlt, ist ein Volk ohne Würde. Ein Aufschrei, den Palermo morgens vorgefunden hat.
Dann versuchten sie, Geschäftsleute dazu zu ermuntern, kein Schutzgeld mehr zu entrichten. Diejenigen, die sich weigern, an die Mafia zu zahlen, werden von ihnen unterstützt. Wie die Besitzer der Antica Focacceria San Francesco, ein Spezialitätenlokal mit langer Tradition.
Hier kehren Reisegruppen, die von der Initiative betreut werden, zum Mittagessen ein. Viele probieren das Panino con la milza, ein Brötchen mit Kalbsmilz, dessen säuerlicher Geschmack gewöhnungsbedürftig ist. Auch die Focacceria war massiven Erpressungsversuchen durch die Mafia ausgesetzt.
"Es war im November vor fünf Jahren, als jemand auftauchte und meinte, wir sind hier, weil dieser Laden nicht 'a posto', nicht in Ordnung ist. 'Mettere a posto' bedeutet, etwas in Ordnung bringen. In der Sprache der Mafia ist damit Schutzgeld bezahlen gemeint. Er wollte 50.000 Euro für die vorangegangenen Jahre, und dann sollte über einen unserer Angestellten gezahlt werden, der war offenbar der Verbindungsmann."
Die Besitzer des Lokals, Fabio Conticello und sein Bruder, haben die Erpressung angezeigt, was zur Folge hatte, dass vier wichtige Mafiosi verurteilt wurden. Von diesem Zeitpunkt an mussten die Focacceria und ihre Besitzer unter Polizeischutz gestellt werden. Die Kunden reagierten unterschiedlich: Manche ließen sich plötzlich nicht mehr blicken. Andere boten Unterstützung an:
"Wir hatten positive Reaktionen aus Schulen und Universitäten, von jungen Leuten, zuallererst von den Jungs und Mädels von Addiopizzo, die uns begleitet haben: vom Moment der Anzeige an bis zum Prozess. Sie haben uns unterstützt, gemeinsam mit dem guten Teil der Stadt. Und zum ersten Mal waren wir und unsere Unterstützer im Gerichtssaal mehr vertreten als die Gegenseite der Mafiosi, etwas, was normalerweise nie vorkommt."
Inzwischen ist die Antica Foccaceria San Francesco so erfolgreich, dass eine Filiale in Mailand eröffnet werden konnte, in zentraler Lage, in der Nähe des Doms. Ein Zeichen dafür, dass die Weigerung, Schutzgeld zu zahlen, nicht unbedingt geschäftsschädigend sein muss. Im Gegenteil - es kann auch eine sehr gute Werbung sein. Inzwischen hat die Vereinigung Addiopizzo ein Büchlein und einen Stadtplan von Palermo herausgegeben, in dem alle Geschäfte, Restaurants und Betriebe verzeichnet sind, die sich weigern, Schutzgeld an die Mafia zu zahlen: Über 400 sind es mittlerweile.
Den Stadtplan gibt es seit Anfang dieses Jahres auch auf Deutsch, finanziert von der deutschen Botschaft in Rom, die von der Zivilcourage der Anti-Mafia-Gruppe angetan war. Auch Laura Garavini, die für die im europäischen Ausland lebenden Italiener im römischen Parlament sitzt, kann Addiopizzo nicht genug loben.
"Addiopizzo ist eine hervorragende Initiative von der Zivilgesellschaft. Es ist großartig, dass die Zivilgesellschaft mitmacht bei Bekämpfung der organisierten Kriminalität, dass nicht nur Polizei und Staatsanwälte und Politik zuständig sind, sondern es muss eine kulturelle Wandlung stattfinden und die einzelnen Bürger müssen aktiv gegen die Mafia sein und Addiopizzo macht genau das. Das heißt: Es ist unglaublich wertvoll."
Als Mitglied der Antimafiakommission des italienischen Parlaments ist Garavini sehr genau über die Entwicklungen innerhalb der Mafia im Bild. Ihrer Meinung nach demonstriert die organisierte Kriminalität mithilfe von Schutzgelderpressung, dass sie ihr Territorium unter Kontrolle hat und überall ihren Einfluss geltend machen kann. Das sei heutzutage die eigentliche Funktion des Pizzo, meint die Politikerin.
"Schutzgelderpressung wird nicht gemacht mit dem Ziel, Geld zu bekommen, eigentlich spielt das in der Wirtschaft der Mafia kaum eine Rolle. Die Mafia verdient mit Drogengeschäften, Waffenhandel, Menschenhandel verdient sie Geld, aber Pizzo zu verlangen, gibt der Mafia unglaublich viel Macht, und in diesem Sinn wird es leider noch von der Mafia ganz viel erpresst."
Inzwischen arbeiten die Mitglieder der Gruppe Addiopizzo eng mit den Behörden in Palermo zusammen. Sie können Kassenbücher der Mafia und Gerichtsakten einsehen, um sicherzugehen, dass sich weder ein Mafioso noch ein Geschäftsmann, der Schutzgeld zahlt, in ihre Liste von Mafia-Gegnern einschleicht. Bis jetzt mussten sie nur einen Unternehmer ausschließen, weil sich herausstellte, dass zwei seiner Mitarbeiter Mafia-Kontakte hatten. Und die Mafia selbst - wie reagiert sie auf die Initiative?
"Uns direkt hat die Mafia nie angegriffen. Aber es gab Signale gegen einen Eisen- und Plastikwarengroßhändler, der uns unterstützt hat. Eines Morgens, vor zwei Jahren war das, haben sie alles, was ihm gehörte, verbrannt. Das war ein starkes Zeichen, weil man das mehr als 500 Quadratmeter große Feuer in der ganzen Stadt gerochen hat.
Dennoch ist diese Geschichte ist in gewisser Hinsicht gut ausgegangen. Denn direkt nach dem Brand gab es eine Welle der Solidarität der Bürger von Palermo, im Gegensatz zu früher, wo immer alle geschwiegen haben. Die Menschen haben Geld gespendet. Die Stadtverwaltung hat für den Händler ein neues Lager gefunden, sodass er weiter arbeiten konnte. Zwar unter Polizeischutz, aber doch in Sizilien. Vor einigen Jahren noch hätte er Sizilien verlassen und irgendwo unter falschem Namen leben müssen ... Das war letztlich also ein kleiner Sieg, obwohl der Brand natürlich schlimm war."
Allerdings sprechen Experten wie der Staatsanwalt und Mafiajäger Roberto Scarpinato inzwischen von der weißen Mafia, die eher unsichtbar im Hintergrund agiert, kein Interesse daran hat, durch Gewalttaten Aufsehen zu erregen, ihren Nachwuchs auf besten Schulen ausbilden lässt und sich eng mit Politik und Wirtschaft verzahnt. Vielleicht ist das der Grund, warum die international agierende Mafia Schutzgeldverweigerer und kleine Initiativen wie Addiopizzo in Ruhe lässt.
Deren Mitgliedern ist das durchaus bewusst. Sie versuchen, schon Kinder und Jugendliche über die Verbrechen der Mafia aufzuklären und ihr Bewusstsein zu schärfen. Deshalb gehen sie in Schulen, organisieren neben den Stadtführungen Informationsveranstaltungen, die regen Zuspruch finden. Vor allem italienische Schulklassen und Studentengruppen buchen ihre Rundgänge durch Palermo und die Rundfahrten durch den Westen Sizliens.
Es geht raus aus der Stadt, in das Gebiet der Mafiahochburgen Corleone und San Giuseppe Jato, nicht weit von Palermo im Hinterland gelegen. Eine weite, wilde Hügellandschaft, aus der immer wieder ein schroffer Felsenberg herausbricht, in Orte, die wenig italienischen Charme versprühen, die eher gesichtslos und verschlossen scheinen. Nur wenige Menschen sind hier auf den Straßen, die Jalousien der Häuser heruntergezogen, selbst die zentrale Piazza wirkt ungemütlich und verwaist.
In dieser Gegend sind die landwirtschaftlichen Kooperativen Placido Rizzotto und Pio la Torre beheimatet, deren Namenspatronen von der Cosa Nostra, der sizilianischen Mafia, umgebracht wurden. Der Politiker Pio la Torre 1982, der Gewerkschafter Placido Rizzotto 1948.
Dort wird unter dem Dach der Organisation Libera Terra, freies Land, Bioanbau betrieben – und zwar auf Ländereien, die früher Mafia-Bossen wie Toto Riina, Bernardo Provenzano oder Giovanni Brusca gehörten. Heute kann in Italien der Besitz von Mafiosi beschlagnahmt und an soziale Projekte weitergegeben werden. Für die Mafia ein Schlag ins Gesicht. Deshalb war es anfangs für die Kooperativen auch schwierig, Mitarbeiter zu finden. Francesco Galante, Sprecher von Placido Rizzotto:
"2001-2002 haben wir mit dem Projekt in der Gegend von Corleone begonnen. Das war etwas ganz Neues, etwas, was es nie zuvor gegeben hatte. Es kam dann zu Einschüchterungsversuchen, zwei Brände, ein Traktor wurde gestohlen, eine Serie kleinerer Anschläge, aber nach ein paar Jahren hat sich das Leben normalisiert. Als die Leute hier verstanden haben, dass die Kooperative ihnen Arbeit bietet, haben auch die Einschüchterungsversuche aufgehört. Da sind ganz viele auf uns zugekommen und es gab keine Beschädigungen mehr."
Arbeitsplätze sind knapp in dieser Gegend Westsiziliens. Jugendliche haben erst recht kaum Chancen. Die Kooperativen beschäftigen inzwischen an die 60 Mitarbeiter. Einer von ihnen ist Stefano Palmeri. Der 48-Jährige stammt aus einem Dorf in der Nähe und arbeitet in der Weinkellerei von Placido Rizzotto.
"Vorher habe ich diverse Arbeiten gemacht: als Maurer, Landarbeiter, alles was es gab. Die Situation ist ein bisschen schwierig, sehr schwierig."
Angst vor Racheakten der enteigneten Mafiafamilien hat er heute nicht mehr.
"Am Anfang gab es die Ängste. Wir haben alle Familie. Da wir von hier kommen, wissen wir, wie diese Menschen denken. Aber dann, als ich mit den Jungs gearbeitet habe, hat mir das Projekt gefallen. Hier haben sich so viele gute Leute mit Ideen getroffen. So bin ich geblieben. Anfangs waren wir zehn, jetzt sind wir sehr viele, und auch das ändert die Meinung der Leute aus meinem Dorf, sodass sie jetzt auch an das Projekt glauben. Sie haben den Unterschied gesehen zwischen früher und heute. Sie haben gesehen, wie in der kleinen Kooperative Placido Rizzotto sofort 25-30 Leute gearbeitet haben - und das ist für die Gegend sehr wichtig: Es gibt sauberes Geld und es wird ordentlich bezahlt."
Die Arbeiter bauen Getreide und Hülsenfrüchte an und produzieren Wein – alles Bio. Der Wein wurde sogar mehrfach preisgekrönt. Um diesen Wein zu produzieren, hat man sich die Hände schmutzig gemacht, nicht aber das Gewissen - steht auf dem Plakat, mit dem die Weine beworben werden. Im Sommer kommen zusätzlich bis zu 2000 Freiwillige aus dem In und Ausland hierher, um bei der Weinlese und auf den Feldern zu helfen und damit die Antimafia-Bewegung in Sizilien zu unterstützen.
Zu den Kooperativen gehören mittlerweile auch zwei Landgasthöfe: Der eine wirtschaftet in zwei umgebauten Ställen, die früher dem Mafiaboss Toto Riina gehört haben. Der andere ist in einem Gebäude untergebracht, das die Mafiafamilie Brusca besaß.
"Es ist wichtig, dass wir auf diesem Land etwas Gutes produzieren und dass alle mitmachen können. Diese Erde wird auf viele verschiedene Arten zurückgegeben. Der beschlagnahmte Besitz soll nicht nur denen zugutekommen, die dort arbeiten. Er soll eine Grundlage sein. Die organisierte Kriminalität macht sich in der Wirtschaft in ganz Europa breit. Man muss das erkennen und derjenigen Wirtschaft Raum geben, die davon frei ist. Hier haben wir damit angefangen zu zeigen, dass das möglich ist."
Legale Arbeitsplätze in einer strukturschwachen Region, Wiederbewirtschaftung von brach liegenden Ländereien und gut schmeckende Biolebensmittel – die beiden Kooperativen im Hinterland von Palermo haben viel erreicht, meint die Politikerin Laura Garavini:
"Das sind wertvolle Initiativen, weil sie jeden Tag beweisen, dass es möglich ist, die Mafia zu bekämpfen und zu siegen. Und sie beweisen eben, dass diese Güter, die früher der Mafia gehörten, der Gesellschaft wieder zur Verfügung gestellt werden könnten und zwar mit der Möglichkeit, die Wirtschaft des Ortes zu verbessern. Das heißt: Junge Leute können Arbeitsmöglichkeiten bekommen, und zwar legale Arbeitsplätze, die nicht durch die kriminellen Tätigkeiten geschaffen werden, was die Mafia sonst immer macht, sondern Libera Terra, und Placido Rizzotto solche Kooperativen, solche Initiativen beweisen, dass es möglich ist, auf legale Art und Weise der Mafia ihre Macht wegzunehmen."
In Rom und in Palermo wurden sogenannte botteghe di sapori della legalitá eröffnet, Läden mit dem Geschmack der Legalität. Dort kann man den Wein, die Pasta und andere Erzeugnisse der Kooperativen erwerben. Die Nachfrage nach solchen Produkten wird immer größer, auch im Ausland.
Der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi sagte kürzlich: Man solle nicht so viel über die Mafia reden, das schade dem Ansehen Italiens. Für diese Äußerung hat er viel Kritik geerntet. Die Mitglieder von Gruppen wie Addiopizzo und Libera Terra tun das Gegenteil: Sie reden ständig über die Mafia und verstoßen damit gegen das alte Gesetz der Omertá, des Schweigens, das alle Münder verschließt, sobald es um die Cosa Nostra geht.
Der Kampf gegen deren internationale Geschäftsfelder wie den Waffen,- Drogen- und Menschenhandel, die Geldwäsche, die Verstrickungen der organisierten Kriminalität in Politik und Wirtschaft, ist längst nicht gewonnen.
Gleichzeitig aber geben Bewegungen wie Addiopizzo und Libera Terra Hoffnung, das sich etwas bewegt. Auch wenn es noch lange keine Massenbewegung ist, vielleicht ist ein Anfang gemacht.

Corleone, Sizilien© AP Archiv

Mafiaboss Salvatore ''Toto'' Riina wird 1996 dem Gericht vorgeführt© AP