Sauberes Wien

Drastische Strafen für Kippen und Hundekot

Ein Spender für Plastikbeutel zur ordnungsgmäßen "Gackerl"-Entsorgung: Wer den Hundekot trotzdem liegen lässt, muss in Wien 50 Euro Strafe zahlen.
Ein Spender für Plastikbeutel zur ordnungsgmäßen "Gackerl"-Entsorgung: Wer den Hundekot trotzdem liegen lässt, muss in Wien 50 Euro Strafe zahlen. © Philip Artelt
Von Philip Artelt · 24.09.2018
Die Schmutz-Sünder auf frischer Tat ertappen: Mit diesem Ziel sind seit zehn Jahren in der österreichischen Hauptstadt die Waste Watcher unterwegs. Ihr Einsatz wird von der Mehrheit der Wiener begrüßt – obwohl die Bußgelder für Verstöße hoch sind.
"Hundstrümmerl". So beschreibt der Wiener den Hundekot auf der Straße. Das klingt nach einer Verniedlichung, aber lassen Sie sich nicht täuschen: Die Wiener haben die Hundstrümmerl nämlich "scho gfressen". Auch das ist ein Dialektausdruck und bitte nicht wörtlich zu nehmen, die Wiener können den Hundekot nämlich ganz und gar nicht leiden.
Hier kommt die "MA48" ins Spiel. Die Magistratsabteilung ist zuständig für die Sauberkeit. Müllabfuhr, Straßenreinigung – und seit zehn Jahren sind auch die Waste Watcher, die städtischen "Müllsheriffs", auf den Straßen unterwegs.
"85 Prozent der Wiener halten die Waste Watcher für eine gute Einrichtung", sagt Martina Ableidinger, stellvertretende Leiterin der Magistratsabteilung.

Die Waste Watcher sind beliebt

Die überwiegende Zahl der Wiener liebt also ihre Waste Watcher, und das, obwohl die Truppe zum Strafen da ist: 50 Euro kostet es, wenn der Hundedreck auf der Straße liegenbleibt, der Kaugummi den öffentlichen Boden verklebt oder auch nur eine Zigarettenkippe achtlos weggeworfen wird.
Waste Watcher in Wien: Sie wollen die Müllsünder bei der Tat ertappen.
Waste Watcher in Wien: Sie wollen die Müllsünder bei der Tat ertappen.© Philip Artelt
Sonniger Tag, Wiens fünfter Bezirk. Nicht der Nobelste, aber auch nicht der Heruntergekommenste. Die beiden Waste Watcher Karin und Gregor gehen seit neuneinhalb Jahren gemeinsam auf Patrouille. Karin und Gregor heißen nicht wirklich so. Sie sind lieber anonym, denn ein von ihnen bestrafter Müllsünder könnte sonst auf blöde Gedanken kommen.
"Gerade runter, und dann gehen wir mal rechts rüber Richtung Siebenbrunnenplatz."
Auch die genauen Dienstzeiten sind Dienstgeheimnis. Es soll sich ja niemand sicher fühlen vor den städtischen Müllwächtern. Als Reporter fällt einem heute sofort der Müll auf, der hier auf der Straße liegt: aufgeweichte Zettel, eine Getränkedose. Die beiden Waste Watcher scheinen das aber nicht weiter wahrzunehmen.
"Ist Ihnen was aufgefallen?"
"Was ... was genau soll mir jetzt da gerade ... der Müll! Der Müll. Natürlich ist er mir aufgefallen, keine Frage! Mir ist auch der Kollege aufgefallen, der jetzt da unterwegs ist und Straßen kehrt."

Die Sünder auf der Tat ertappen

Den Waste Watchern geht es nicht um den Müll, der herumliegt. Ihnen geht es darum, Müllsünder inflagranti zu erwischen. Und manchmal passiert stundenlang gar nichts.
Der Blick der beiden konzentriert sich auf vier Personen, die vor einem Bürogebäude stehen.
"Sie rauchen, sie trinken ihren Kaffee, sie plaudern miteinander, sind entspannt."
"Wiener Gemütlichkeit. Bis zu dem Punkt, wo Müll gemacht wird. Dann hört es sich auf mit der Gemütlichkeit."
Die Menschenkenntnis der Waste Watcher ist erstaunlich. Nach Minuten fällt eine Zigarettenkippe zu Boden. Zugriff!
"Jetzt haben sie's beide oweghaun ... liegt eh unten."
"Zigarettenreste auf öffentlicher Fläche entsorgt ist eine Verunreinigung, einen Ausweis bitte.
"Ich bin oben im Büro mit dem Ausweis."
"Meiner ist in meinem Geldbörsel in der Tasche, bringst du bitte runter."
Den beiden Zigarettensündern ist das sichtlich peinlich. Die Waste Watcher ins Büro mitnehmen wollen sie nicht, und so holt einer die Ausweise, die andere Beschuldigte bleibt als Faustpfand bei den Waste Watchern.
"Wie weit ist denn der Mistkübel weg?"
"Haben Sie vollkommen Recht. Ich verteidige mich nicht, nur war das die Frage, wie viel ich zahlen muss."
Am Ende bleibt es bei einer Ermahnung für die Einsichtigen, die aus Reue sogar noch Zigarettenkippen anderer Leute weggeräumt haben.

Ein Blick in die Geschichte der Stadtreinigung

"Bloß der Hinweis darauf, dass Wien die einzige Großstadt des Continentes ist, in welcher regelmässige Reinigungsarbeiten auch zur Tageszeit vorgenommen werden", schreibt der Oberinspector der Wiener Berufs-Feuerwehr, Hans Stritzl, 1893. Drei Jahrzehnte später bekommt die Stadt rund 6000 öffentliche Mülleimer.
Historisches Dokument: Die effektive Straßenreinigung ist in Österreichs Hauptstadt Wien schon lange ein Thema.
Historisches Dokument: Die effektive Straßenreinigung ist in Österreichs Hauptstadt Wien schon lange ein Thema.© Philip Artelt
Und 1945 heißt es: "Wer Müll auf Straßen und anderen Plätzen ... ablagert, wird zur Müll-Zwangsabfuhr auf vier Wochen herangezogen."
Die Maßregelung von Müllsündern oblag der Polizei. Doch die hatte meist anderes zu tun, als in Sachen Zigarettenkippen und Hundekot zu ermitteln.
Schließlich beschloss Wien vor etwa einem Jahrzehnt ein Maßnahmenpaket: Die Mülleimer wurden mit Signalfarben auffälliger gemacht. Aschenbecher in Zigarettenform wurden angebracht. Und Plastiktütenspender für Hundekot.
"Nimm ein Sackerl für mein Gackerl" – wohl jeder Wiener und viele Touristen kennen den Slogan gegen Hundedreck, den ein herziger Jack-Russell-Terrier auf Schildern in Parks und Grünflächen präsentiert. Und dann wurden noch die Waste Watcher auf die Straßen geschickt.

Singapur dient teilweise als Vorbild

"International bekannt war schon seit längerer Zeit, dass in Singapur sehr rigide Strafen für Verunreinigungen umgesetzt wurden, also das ging in Singapur bis hin zu Stockschlägen."
So weit gehen die Waste Watcher natürlich nicht. Sie haben gerade eine Frau ermahnt, die ihren Hund nicht an der Leine führte. Selbst die Gescholtene freut sich über den Einsatz der Waste Watcher und nutzt die Gelegenheit, um auf notorische Hundekotsünder hinzuweisen:
"Und da denken sie sich, wenn sie am Abend gehen, wenn sie niemand sieht, kann man das liegen lassen."
Solche Beschwerden werden ernstgenommen. Gut möglich, dass die Waste Watcher an besagter Stelle demnächst vorbeischauen.
"Ach, das erzähl ich Ihnen noch, da haben Sie etwas zum Schmunzeln. Die Hundegackerlsackl im Park ... da kommt öfters ein Herr, ich kenn's nur aus Erzählungen, sobald sie voll aufgefüllt sind, hat er sich die mitgenommen. Er findet die ideal für sein Jausenbrot."
"Dann erzählen Sie ihm, dass es Recyclingsackerln sind. Dann wird er's sicher nicht mehr.

50 hauptamtliche Mitarbeiter im Einsatz

Der Einsatz der 50 hauptamtlichen Waste Watcher kostet Geld – ob sich das am Ende finanziell lohnt, darüber will man bei der MA48 nicht nachdenken. Ziel sei die saubere Stadt, die zufriedenen Bürger. Aber sind die Waste Watcher ein Erfolg?
"Wir haben schon nach wenigen Jahren nach Einführung der Waste Watcher bei einer Papierkorbanalyse feststellen können, dass damals 50.000 gefüllte Hundekotsackerl in die Wiener Papierkörbe gewandert sind, und wir haben diese Analyse im letzten Jahr noch mal wiederholt und da lag die Zahl bereits bei 100.000 gefüllten Hundekotsackerln pro Tag."
Der illegale Sperrmüll ging Ableidinger zufolge auch zurück. Die Wiener, bekannt als notorische Nörgler, beschweren sich trotzdem weiterhin über den Dreck in ihrer Stadt.
Den Namen "Waste Watcher" hat man sich übrigens in Hamburg abgeschaut. Dort gab es schon eine Truppe mit diesem Namen, deren Mitarbeiter aber nicht strafend eingriffen. Ironie der Geschichte: Die Hamburger haben sich inzwischen das Wiener Waste-Watcher-Modell zum Vorbild genommen. Seit diesem Jahr sind auch dort strafende "Müllpolizisten" im Einsatz.
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