Spiele für die Monarchie

Wie sich Saudi-Arabien durch den Sport wandelt

23:50 Minuten
Zuschauer beim Stadtderby Al Hilal gegen Al Nassr im König-Fahd-Stadion in Riad
Zuschauer beobachten das Stadtderby Al Hilal gegen Al Nassr im König-Fahd-Stadion in Riad. © Ronny Blaschke
Von Ronny Blaschke |
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Fußballprofis, Formel-1-Rennen, Boxkämpfe: Saudi-Arabien investiert in seine neue Sportindustrie. Die Monarchie gewährt vermeintlich unpolitische Freiräume durch Sport. Kann daraus der Wunsch nach mehr politischer Teilhabe entstehen?
Das König-Fahd-Stadion in Riad: Mehr als 50.000 Zuschauer wollen das Stadtderby zwischen Al Hilal und Al Nassr sehen. Die große Mehrheit ist kaum älter als 30.

Die Fans feiern sich beim Stadtderby selbst

Die Fans klatschen, hüpfen, entzünden Leuchtraketen. Sie feiern die neuen, fürstlich bezahlten Fußballer in Saudi-Arabien, darunter den Portugiesen Cristiano Ronaldo bei Al Nassr. Aber die Fans feiern vor allem sich selbst.
„In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich unter den jungen Menschen viel Frust ausgebreitet. Sie wussten nicht, wie sie ihre Energie sinnvoll nutzen konnten“, sagt der Wissenschaftler Aziz Alghashian, der die Transformation in seinem Heimatland Saudi-Arabien erforscht. „In Riad gab es kaum Freizeitmöglichkeiten. Es war zwar viel Geld vorhanden, aber das wurde nicht investiert. Das ändert sich nun.“
Wissenschaftler Aziz Alghashian
Wissenschaftler Aziz Alghashian beobachtet die Veränderungen in Saudi-Arabien.© Ronny Blaschke

Die Öleinnahmen werden langfristig sinken

Rund 70 Prozent der Bevölkerung sind jünger als 30. Noch sind die Öleinnahmen hoch, aber langfristig werden sie sinken. Und so kann die Monarchie nicht mehr allen Bürgern einen lukrativen Job im Staatswesen anbieten.
Laut Weltbank liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei 24 Prozent. Die jüngere Generation kann mit den alten Eliten aus Religion und Stammesstrukturen immer weniger anfangen.

Die Freiräume haben ihre Grenzen

Das Königshaus muss den Jüngeren neue Freiräume gewähren, denn es ist auf ihre Loyalität angewiesen. Aber diese Freiräume haben Grenzen.
Wenn im Stadion von Riad Cristiano Ronaldo am Ball ist, dann rufen die gegnerischen Fans „Messi, Messi“. Viel mehr an Provokation ist während des Spiels nicht zu hören.
Die saudische Fankultur sei weitgehend frei von Gewalt und Aggressionen, sagt der Forscher Aziz Alghashian. Auch Polizisten in Uniformen sieht man im König-Fahd-Stadion kaum.
Was einem aber ins Auge fällt, sind Werbebotschaften. Auf Plakaten, Leinwänden und Banden am Spielfeldrand. Dabei geht es um die Großprojekte von Saudi-Arabien, zum Beispiel um die Weltausstellung Expo, die 2030 in Riad stattfinden soll.    

Saudi-Arabien diversifiziert seine Wirtschaft. Die hohen Öl-Einnahmen sollen langfristig in den Aufbau anderer Industrien fließen. Dabei geht es um Tourismus, Dienstleistungen und die Öffnung für ausländische Investitionen. Die Regierung möchte sich für unterschiedliche Zielgruppen öffnen. Und Fußballer wie Ronaldo mit ihrer großen medialen Reichweite erzeugen Öffentlichkeit dafür.

Wissenschaftler Aziz Alghashian

Mehr als fünf Milliarden Euro für die Sportindustrie

Nach Berechnungen der britischen Zeitung „Guardian“ hat das Königshaus seit 2021 mehr als fünf Milliarden Euro in die Sportindustrie investiert. Seither finden im Königreich Formel-1-Rennen und Boxkämpfe statt, auch Tennisturniere, Handballspiele, Wrestling-Shows.
Die Schnittstelle für diese Offensive ist der Public Investment Fund, der PIF, einer der größten staatlichen Investitionsfonds der Welt, mit einem Volumen von geschätzt 700 Milliarden Euro.

Regime will Ruf im Ausland verbessern

Der PIF hat jeweils 75 Prozent an den vier großen Fußballklubs in Saudi-Arabien übernommen. Zwei sind in Riad beheimatet, zwei in der Hafenstadt Dschidda. 2023 soll fast eine Milliarde Euro in Ablösesummen und Gehälter für neue Spieler geflossen sein.
Ronaldo erhält bei Al Nassr angeblich 190 Millionen Euro pro Jahr. Es sind Summen, die im Westen mit dem Begriff Sportswashing überschrieben werden. Eine Strategie, um den schlechten Ruf eines Regimes im Ausland zu verbessern.
Christiano Ronaldo im Trikot von Al Nassr
Christiano Ronaldo bekommt angeblich ein Jahresgehalt in Höhe von 190 Millionen Euro.© dpa / picture alliance / Anadolu / Mohammed Saad

Noch fehlt die Infrastruktur für eine Fußball-WM

Die internationale Wirkung sei das eine, sagt der Forscher Aziz Alghashian. Aber die Sportoffensive solle vor allem nach innen wirken:
„Es wird interessant zu beobachten, wie Saudi-Arabien die vielen Großprojekte umsetzen wird. Es sollen ja neue, moderne Städte, Tourismusanlagen und Parks entstehen. Auch für den Sport sind viele Anlagen geplant. 2034 wird dann voraussichtlich die Fußball-Weltmeisterschaft in Saudi-Arabien stattfinden.
Dafür brauchen wir eine Infrastruktur: Stadien, Straßen, Hotels. Ich gehe davon aus, dass diese Projekte den Arbeitsmarkt und den Konsum anregen werden. Es werden neue Geschäfte entstehen, neue Jobs. Die inländischen Auswirkungen der Sportstrategie stehen im Mittelpunkt.“

Viele leben unterhalb der Armutsgrenze

Der Kronprinz und De-facto-Herrscher Mohammed bin Salman muss neue Wege finden, um den Wohlstand zu sichern - und damit seine eigene Macht. Bis 2030 könnte die Bevölkerung Saudi-Arabiens von 36 auf 41 Millionen wachsen.
Schon heute leben drei Millionen Menschen unterhalb der Armutsgrenze. Und jährlich drängen mindestens 250.000 Menschen auf den Arbeitsmarkt. Die neue glamouröse Sportindustrie soll Ablenkung schaffen - und Identität stiften.
Der Islamwissenschaftler Sebastian Sons, der immer wieder nach Saudi-Arabien reist, sagt:

Das ist auch ein politisches Signal. Wenn man in Saudi-Arabien sich umhört, dann gibt es da einen großen Nationalismus. Es gibt einen großen Patriotismus. Und eine große Euphorie, dieses Land verändern zu wollen.

Islamwissenschaftler Sebastian Sons

In seinem Buch „Die neuen Herrscher am Golf“ beschreibt er die Transformation, auch den Einfluss des Sports.
Er sagt: „Da spielt Fitness und Gesundheit eine gewisse Rolle. Gerade auch vor dem Hintergrund, dass gerade viele junge Menschen extrem in Anspruch genommen werden, die Erwartungshaltung extrem hoch ist, im Job auch wirklich zu ,performen‘. Und Leistungen zu erbringen, die ihre Eltern niemals erbringen mussten, weil es damals eben nicht notwendig war. Mittlerweile ist der Konkurrenzkampf auf dem Arbeitsmarkt enorm - für Frauen wie für Männer. Und dafür muss man auch eine gewisse körperliche Robustheit mit sich bringen.“

Lange dominierte der Wahhabismus den Alltag

Was das bedeutet, kann man bei den Saudi Games beobachten, bei einem Sportfestival, das an mehreren Orten in der Hauptstadt Riad stattfindet.
„Es ist wirklich erstaunlich. Ich bin sehr, sehr stolz, an diesem Wandel teilhaben zu können“, sagt Amira. Sie ist Mitte 30 und nimmt in einer Kraftsportdisziplin zum zweiten Mal an den Saudi Games teil.
Ihren richtigen Namen möchte sie nicht nennen. „Mein Sport ist körperlich und mental sehr anstrengend. Aber dadurch fühle ich mich im Alltag stärker. Ich wollte das Klischee durchbrechen. Ich möchte beweisen, dass man kräftig und feminin zugleich sein kann.“
In Saudi-Arabien dominierte über Generationen der Wahhabismus den Alltag, eine streng konservative Strömung des sunnitischen Islam. Das asketische Verständnis der Wahhabiten lehnt die Konsumgesellschaft ab, demnach auch Unterhaltung, Musik und die Glorifizierung von menschlichen Leistungen.

Frauen standen unter männlicher Vormundschaft

Über lange Phasen des vergangenen Jahrhunderts beschritten die Monarchie und die Rechtsgelehrten denselben Weg. Kinos und Konzertsäle blieben verschlossen.
Frauen standen lebenslang unter männlicher Vormundschaft. Sie mussten in Cafés oder Einkaufszentren getrennte Eingänge nutzen und durften Sportwettbewerbe von Männern nicht besuchen.
Strandfußball bei den Saudi Games
Auch Strandfußball gehört zu den Saudi Games.© Ronny Blaschke
Die Kraftsportlerin Amira erinnert sich an ihre Jugend Anfang des Jahrtausends:

Als ich aufgewachsen bin, gab es keinerlei Sportangebote für Mädchen und Frauen. Es gab nicht mal Fitnessstudios. Ich habe immer gedacht, dass ich das Land verlassen muss, um sportlich erfolgreich zu sein. Ich habe für den Wandel gebetet.

Kraftsportlerin Amira

In ihrer Jugend wurde Amira oft von der Religionspolizei angehalten und darauf hingewiesen, wenn ihr Kopftuch verrutscht war. Sie stammt aus einer vergleichsweise liberalen Familie. Ihre Eltern motivierten sie, Sport zu treiben.
Und so ging sie in der Nachbarschaft mit einer Sondererlaubnis ins Fitnessstudio von Aramco, dem großen US-amerikanischen Ölkonzern in Saudi-Arabien. Aber das reichte ihr nicht, sagt sie.
„Ich habe eine Weile in Japan gelebt und dort studiert. Eines Tages kam im Fitnessstudio ein Trainer auf mich zu und fragte, ob ich professionell in einem Klub trainieren wolle. Er sah Potenzial in mir. Irgendwann nahm ich an lokalen Wettbewerben teil. Ich wurde besser und dacht mir: Das ist genau, was ich will.“

Erst seit 2012 sind Frauen bei Olympia erwünscht

An einem Freitagvormittag sitzt Amira mit zwei Freundinnen in einem trendigen Café in Al Olaya, im Geschäftsviertel von Riad. Die Betreiber haben die Vorhänge an den Fenstern heruntergelassen und den Verkauf vorrübergehend eingestellt, denn es ist die Zeit des wichtigen Freitagsgebets.
Amira scheint die Ruhe in der Stadt zu genießen und erzählt, wie sie im August 2012 hoffnungsvoll vor dem Fernseher saß: Bei den Olympischen Sommerspielen in London trat Saudi-Arabien auch mit drei Sportlerinnen an - zum ersten Mal in der Geschichte.

"Frauen können heute alles erreichen"

Nun, da der Wohlstand langfristig nicht mehr sicher ist, stellt das saudische Königshaus die wirtschaftliche Transformation über religiöse Dogmen.
Stolz verweist Mohammed bin Salman darauf, dass Frauen inzwischen in der Regierung arbeiten, als Diplomatinnen wirken oder erfolgreich im Spitzensport sind.
Amira sagt: „Frauen können heute alles erreichen. Die Regierung gibt uns das Gefühl, dass für uns keine Grenzen mehr gibt. Das ist toll.“

Steigender Anteil der erwerbstätigen Frauen

Für eine Zukunft ohne Öl ist Saudi-Arabien auf eine vielseitig ausgebildete Bevölkerung angewiesen. 1990 waren elf Prozent der Frauen in Saudi-Arabien erwerbstätig.
Mittlerweile sollen es fast 40 Prozent sein. Saudische Sportverbände gründen Frauenteams, bilden Trainerinnen aus, berufen Funktionärinnen.
Einige Fußballklubs lassen ihre neuen Frauenteams in denselben Stadien spielen wie die Männer.
Beim Kronprinzen stehen Sportlerinnen wie Amira hoch im Kurs. Sie holt ihr Handy hervor und scrollt über das Display.
Auf Instagram hat sie mehr als 5.000 Follower. Sie zeigt sich auf Fotos beim Training, vor dem Spiegel, beim Cafébesuch mit ihrem Hund. Sie zeigt ihre Bauchmuskeln und gibt sich modebewusst.
Auf keinem Bild trägt Amira die Abaya, das schwarze Überkleid, das in Saudi-Arabien nicht mehr Pflicht ist, aber noch von vielen Frauen getragen wird.
Sie sagt: „Ich erhalte viele Nachrichten von Mädchen und jungen Frauen. Wenn ich auch nur eine von ihnen inspirieren kann, dann freut mich das sehr. Sie fragen häufig nach Tipps für Ernährung und Training.“

Autoritäres System schürt Angst

Wer als ausländischer Journalist in Saudi-Arabien Interviews führen möchte, der weiß, dass bestimmte Fragen außen vor bleiben sollten, um die Informanten nicht in Verlegenheit oder in Gefahr zu bringen.
Amira spricht mit leuchtenden Augen und kräftiger Stimme über die Fortschritte, aber bei sensiblen Themen zögert sie. Dann wirft sie einen musternden Blick auf die Besucher, die im Café neben ihr sitzen. Als habe sie Sorge, als Kritikerin angeschwärzt zu werden.

Die Menschenrechtslage ist bedrückend

Die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien ist bedrückend. Allein 2023 hat das Regime mindestens 170 Menschen hinrichten lassen.
In der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen liegt Saudi-Arabien von 180 bewerteten Staaten auf Platz 170. Streiks, Demonstrationen und Parteien sind untersagt. Dieses autoritäre System schreckt ab und führt dazu, dass es kaum Proteste und wenig Kriminalität gibt.
„Mohammed bin Salman kam ohne Legitimität an die Macht. Er erhielt die Zustimmung seines Vaters, des Königs, aber wir haben ihn nicht gewählt“, sagt Lina Alhathloul, Menschenrechtsaktivistin aus Saudi-Arabien. Seit einigen Jahren lebt sie in Brüssel.
„Der Kronprinz hat Anwärter auf die Macht ins Gefängnis gebracht. Er wittert überall Bedrohung und geht brutal gegen die Zivilgesellschaft vor. Die Überwachung mit Kameras und Spionagesoftware hat zugenommen. Aktivisten haben für Kommentare auf Twitter mehrjährige Haftstrafen erhalten. Die Gerichtsprozesse finden hinter verschlossenen Türen statt. Niemand soll wissen, was genau passiert.“
Wand mit Gesichtern der Monarchie in Saudi-Arabien
Die Monarchie möchte mit Sport ihr Image im Ausland verbessern.© Ronny Blaschke

Aktivisten im Ausland werden eingeschüchtert

Lina Alhathloul wurde auch durch ihre Schwester politisiert. Die Frauenrechtsaktivistin Loujain Alhathloul wurde mehrfach verhaftet und gefoltert.
Einmal kam die Geheimpolizei mit schwarzen Wagen und stürmte ihr Haus. Loujain Alhathloul und ihre Eltern dürfen Saudi-Arabien nicht verlassen.
Lina Alhathloul führt die Arbeit ihrer Schwester in Europa fort:

Ich weiß nicht, welches Risiko ich da auf mich nehme. Aktivisten im Ausland werden oft damit eingeschüchtert, dass ihre Verwandten in Saudi-Arabien verhaftet werden. Das Regime propagiert ein neues Narrativ: Jeder, der das Land verlässt und im Ausland womöglich Asyl beantragt, ist ein Verräter. Viele Trolle in den sozialen Medien stützten diese Erzählung mit gefälschten Informationen.

Lina Alhathloul

Lina Alhathloul ist in Europa viel unterwegs. Sie nimmt an Kundgebungen teil, hält Vorträge, gibt Interviews.
Sie weist darauf hin, dass Frauen in Saudi-Arabien rechtlich noch immer schlechter gestellt sind als Männer, dass sie im eigenen Haushalt oft bedroht, schikaniert und geschlagen werden. Und dass etliche Frauen, die geflohen sind, gewaltsam wieder nach Saudi-Arabien gebracht werden.

Ist die Öffnung des Landes nur Fassade?

Ist die viel beschworene Öffnung des Landes nur Fassade? „Die Öffnung für westliche Touristen und die wachsende Repression für die saudische Zivilgesellschaft gehen Hand in Hand“, sagt Lina Alhathloul.
„Es gibt jetzt zwar viele Unterhaltungsformate nach westlichem Vorbild, aber ohne Meinungsfreiheit im Land sind sie nur Propaganda. Ich verurteile nicht pauschal, dass Fußballer für gutes Geld nach Saudi-Arabien gehen. Aber dann sollten sie ihre Bekanntheit auch nutzen und die Menschenrechtsverletzungen ansprechen. Das passiert aber nicht. Damit legitimiert der Sport das System von Mohammed bin Salman.“

Viele umgehen die staatsnahen Medien

Die Menschen in Saudi-Arabien wissen offenbar, wo die roten Linien verlaufen. Sie umgehen die zensierten staatsnahen Medien und erfahren auf englischsprachigen Webseiten, wie das Königshaus kritische Aktivisten zu Haftstrafen verurteilt. Auch der brutale Mord des Journalisten Jamal Khashoggi hat viele Saudis verstört und verängstigt.
Ist in diesem Umfeld überhaupt Kritik möglich? Schon bei flüchtigen Gesprächen kann man in Riad frustrierte Stimmen hören, die sich über teure Mieten oder stundenlange Staus auslassen.
Die neue Metro etwa ist auch zehn Jahre nach Baubeginn noch immer nicht eröffnet. Es sind jene Themen, mit denen man dem Kronprinzen nicht zu nahetritt, denn die Versäumnisse liegen größtenteils bei seinen Vorgängern.

Viele leiden an psychologischen Problemen

Naif gehört in Riad zu denjenigen, die konstruktiv und kritisch sein wollen. Auch sein Nachname soll hier unerwähnt bleiben. Als Treffpunkt hat Naif ein Geschäft vorgeschlagen, in dem Kamelmilch zu Eiscreme verarbeitet wird.
Naif ist Anfang 30. Für ihn ist Sport mehr als Verausgabung.
Er sagt: „Viele Saudis leiden an psychologischen Problemen, aber darüber wird öffentlich kaum gesprochen. Auch ich hatte zeitweilig Depressionen. Ich habe dann das Laufen für mich entdeckt. Ich habe sieben Monate trainiert und meinen ersten Marathon in San Francisco bestritten. Durch diesen Sport konnte ich Leistungen erbringen, die ich mir vorher nicht zugetraut habe. Ich fühle mich stärker. Das Laufen gibt mir ein Ziel.“
Naif hat inzwischen fünf Marathons bestritten. Aber Trainieren in Riad? Das ist noch immer schwer.
Naif steuert jetzt sein Auto durch den Norden der Stadt. Achtspurige Autobahnen, glitzernde Bürotürme, riesige Einkaufszentren. Aber weit und breit keine Bürgersteige und Fahrradwege, keine Grünflächen und Anlagen für Freizeitsport.
Saudi-Arabien hat ambitionierte Pläne, aber an der Basis kann die Infrastruktur noch nicht mithalten.
„Das Leben in Saudi-Arabien spielt sich in Gebäuden oder im Auto ab. Es ist sehr heiß hier“, sagt Naif.
„Riad ist als Stadt ist nicht darauf ausgelegt, dass man durch die Straßen läuft. Aber ich möchte einfach loslaufen und jeden Tag trainieren. Immer wieder haben mich Leute am Straßenrand angehalten. Ihnen gefiel es nicht, dass ich kurze Hosen trug und meine Beine gezeigt habe. Auch Polizisten haben mich darauf hingewiesen, manchmal streng, manchmal höflich.“

Diabetes und Übergewicht sind weit verbreitet

Riad zählt rund acht Millionen Einwohner. Doch gemessen an dieser Größe ist das Angebot für Freizeitsport gering, aber es wächst. Es entstehen Laufgruppen, Fahrradwege, Yogastudios.
Seit 2022 findet in Riad jährlich ein Marathon statt, mit mehr als 10.000 Teilnehmern. Bei jedem Marathon, sagt Naif,werde ein bisschen mehr über Bewegung gesprochen, über Gesundheitsförderung, auch über den Mangel an Sportlehrern.
Fast 20 Prozent der Bevölkerung in Saudi-Arabien leben mit Diabetes, mehr als 50 Prozent mit Übergewicht. Beides sind internationale Spitzenwerte. Die Regierung möchte die Zahl der Menschen, die mindestens einmal pro Woche Sport treiben, bis 2030 von 13 auf 40 Prozent steigern.  

Saudi-Arabien möchte Führungsmacht sein

Saudi-Arabien will ein Machtzentrum des Sports im 21. Jahrhundert werden. Und andere Länder könnten profitieren. Die Handelsbeziehungen zwischen Saudi-Arabien und Europa sind eng, doch sie dürften noch lukrativer werden.
Auch deutsche Konzerne, Architekten und Zulieferer hoffen auf milliardenschwere Aufträge für den Bau von Stadien, Hotels und Straßen. Aber langfristig hat Saudi-Arabien andere Pläne, sagt Robert Chatterjee, stellvertretender Chefredakteur des Nahost-Magazins Zenith:
„Man will eine globale Führungsmacht sein, nicht nur im Nahen Osten, sondern weltweit. Strategisch möchte man jetzt nicht die nächsten 200 Jahre unsere deutschen Autos abnehmen, sondern man möchte die selber bauen. Man möchte den Westen als Zentrum der Industrieproduktion ablösen.
Und wo man auch klar definieren muss, an welchen Stellen ist Saudi-Arabien ein Partner, etwa auch in der Entwicklung von neuen Energieträgern wie etwa diesem blauen Wasserstoff. Und in welchen, auch nicht nur in außenpolitischer, sondern auch aus wirtschaftlicher Sicht, auch ein Konkurrent.“

Durch Sport die Zusammenarbeit stärken

Saudi-Arabien will durch Sport eine stärkere Zusammenarbeit mit anderen Staaten ebnen, in Diplomatie und Wirtschaft. Die Tourismusbehörde „Visit Saudi“ ist als Partner in der spanischen Fußballliga eingestiegen, die neue Fluglinie „Riyadh Air“ als Trikotsponsor bei Atlético Madrid.
Der Ölkonzern „Saudi Aramco“ mischt in der Formel 1, im Tennis und im indischen Kricket mit. Und 2021 sicherte sich Saudi-Arabien über seinen Staatsfond 80 Prozent der Anteile am englischen Fußballklub Newcastle United.
Sind Investitionen aus Riad auch im deutschen Fußball möglich? Und wie sollte sich der DFB mit Blick auf die WM 2034 in Saudi-Arabien positionieren?
Der Journalist Robert Chatterjee sagt dazu:
„Wir werden es ähnlich sehen wie bei Katar. Was beide Turniere gemeinsam haben, ist, dass da so ein unglaublich langer Zeitraum dazwischen liegt. Das gab es ja bei keinen anderen WM-Turnieren, dass man praktisch über ein Jahrzehnt Zeit hat. Die Lehre aus Katar war eher: Lasst uns lieber eigentlich nichts machen. Selbst wenn wir was machen, kriegen wir es von allen Seiten und werden eigentlich nur kritisiert und wir bewirken auch nicht wirklich was. Insofern denke ich, dass da noch weniger kommt.“

Lionel Messi als Tourismusbotschafter

Die saudische Monarchie wagt mit ihrer Sportindustrie einen Spagat. Sie wirbt um internationale Partner und will zugleich den heimischen Nationalismus stärken.
Als Tourismusbotschafter wurde der argentinische Fußballweltmeister Lionel Messi verpflichtet, der allein bei Instagram rund eine halbe Milliarde Follower zählt. Und wenn der brasilianische Nationalspieler Neymar beim Verein Al Hilal einen positiven Post über Saudi-Arabien veröffentlicht, soll er dafür 500.000 Euro erhalten.
Aber wie nachhaltig ist dieses Modell? Schon nach wenigen Monaten kritisierten einige Fußballer das Niveau der saudischen Liga. Einige nahmen Gehaltseinbußen in Kauf und kehrten nach Europa zurück. Möglich ist also auch, dass der Sportboom in Saudi-Arabien nur von kurzer Dauer ist.

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