Ulrike Freitag: "A History of Jeddah. The Gate to Mecca in the Nineteenth and Twentieth Centuries"
Cambridge University Press, Cambridge 2020
404 Seiten, ca. 40 Euro
Kulturelle Vielfalt kurz vor Mekka
11:41 Minuten
Die Hafenstadt Jeddah in Saudi-Arabien ist von durchreisenden Pilgern geprägt. Das brachte der Stadt kulturelle Vielfalt und religiöse Liberalität. Sogar einen Karneval der Frauen gab es früher, erzählt die Islamwissenschaftlerin Ulrike Freitag.
Eva, nach Bibel und Koran die Urmutter der Menschheit, soll in der Hafenstadt Jeddah (deutsch auch: Dschidda) begraben sein. Ihr Grab wurde zwar vor hundert Jahren von den streng konservativen Wahhabiten zerstört, ist aber weiterhin ein Anziehungspunkt, vor allem für ausländische Pilger, berichtet Ulrike Freitag, die Leiterin des Zentrums Moderner Orient in Berlin.
Vielfalt und Verbotenes prägen die Stadt
Eine gewisse Widerständigkeit gegen die strengen Regeln des Wahhabismus hat sich Jeddah erhalten. So gab es lange Zeit Radios und Hausmusik, auch als diese verboten waren, erklärt Freitag, die vor kurzem eine umfangreiche Stadtgeschichte Jeddahs veröffentlicht hat.
Mit der beginnenden religiösen Liberalisierung des ganzen Königreiches verliere die Stadt allerdings auch ihren Sonderstatus – inzwischen biete die Hauptstadt Riad mehr Freiräume, selbst wenn diese ursprünglich in Jeddah getestet worden sein.
Personennamen, Küche und Kleidung würden bis heute die vielfältigen Einflüsse der Pilger aus aller Welt deutlich machen, so Freitag: "Das durchdringt die Stadt, es gehört sozusagen zu ihrer DNA." Als gute Geschäftsleute hätten die Bewohner von Jeddah die Pilger zwar als Gäste Gottes willkommen geheißen, aber auch versucht, ihnen durch Vermietung, Versorgung und Transport möglichst viel Geld abzunehmen.
Beim Frauenkarneval ging es gegen die Männer
Am Ende der Pilgerfahrt, wenn die meisten Männer mit den Pilgern unterwegs waren, habe es früher einen Karneval der Frauen gegeben, berichtet Freitag: "In dieser Zeit haben sich die Frauen auf den Straßen in Männerkleidung vergnügt. Sie haben Tänze abgehalten, sie haben Musik gespielt. Und Männer, die sich zu dieser Zeit in der Stadt aufgehalten haben, wurden – so ähnlich wie im Frauenkarneval in Köln – beschimpft oder auch mal angegriffen."
Heute gebe es Retro-Festivals, auf denen man sich bemühe, dieses Erbe am Leben zu erhalten. Überhaupt lege man mittlerweile großen Wert darauf, die Geschichte der Stadt zu bewahren.
Wenn Jeddah als Dihliz von Mekka bezeichnet wird, dann sei damit die große Empfangshalle der Stadthäuser gemeint: "In diesen Räumen befanden sich häufig Büros der Händler, hier wurden auch Gäste empfangen", erklärt Ulrike Freitag. "Durch den Dihliz haben sich auch Dienstboten und überhaupt Fremde in das Haus hineinbewegt. Das heißt, aus moralischer Sicht war das auch ein etwas zwielichtiger Raum." Dieses Bild von Jeddah habe sich bis heute unter Bewohnern von Mekka gehalten.
Auch mit Seuchen musste sich die Stadt auseinandersetzen, weiß Ulrike Freitag: "Bis heute sagt man, wenn jemand nach der Pilgerfahrt krank wurde: Ach, das ist die Grippe der Hajj – man hat also noch im Gedächtnis, dass mit Besuchern, mit Fremden Krankheiten eingeschleppt werden." In praktischer Hinsicht sei Jeddah allerdings nicht besser gegen die Coronapandemie gerüstet als andere Städte.