Der Historiker des Holocaust
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Saul Friedländer hat den ermordeten Juden Europas ihre Stimme zurückgegeben und heute bei einer Gedenkfeier im Bundestag eine wichtige Rede gehalten. Wir wiederholen ein Gespräch mit dem Historiker aus dem Jahr 2016.
Saul Friedländer wurde 1932 in Prag als Kind deutschsprachiger Juden geboren. Er überlebte den Nationalsozialismus unter falschem Namen in einem französischen katholischen Internat, seine Eltern wurden in Auschwitz ermordet.
Als Jugendlicher ging er nach Israel und machte dort Abitur. Um zu studieren, kehrte er 1953 nach Frankreich zurück. Regelmäßige Ortswechsel kennzeichnen auch sein weiteres Leben:
"Zuhause im normalen Sinne, wie eine Heimatverwurzelung in einem Land, in einer Scholle, das gibt es für mich nicht."
Zwar empfinde er gegenüber Israel eine "instinktive Bindung", trotzdem lebt er seit bald 30 Jahren in den USA:
"Die Last der Vergangenheit existiert dort nicht."
Zudem kritisiert der emeritierte Historiker den Umgang des israelischen Staates mit den Palästinensern als "Unrecht":
"Entweder wird Israel ein demokratischer Staat neben einem palästinensischen Staat - und wird weiter leben, mit Schwierigkeiten wahrscheinlich - aber jedenfalls diese Lage wird sich langsam normalisieren - oder die andere Möglichkeit ist Apartheid."
Den Ermordeten die Stimme zurückgeben
Für seine Arbeit als Historiker erhielt Friedländer zahlreiche renommierte Auszeichnungen. In seinem Hauptwerk "Das Dritte Reich und die Juden" schildert er in außergewöhnlich eindrücklicher Weise die historischen Ereignisse aus der Perspektive aller Beteiligten: Anhand zahlreicher Quellen gibt er den Ermordeten ihre Stimme zurück - und damit die ihnen geraubte Würde, wie es in der Begründung zur Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels 2007 heißt.
Er betont, seine Absicht sei eine integrative Geschichtsschreibung:
"Ich wollte dem Leser das Gefühl geben, das ist etwas, das unglaublich ist. Selbstverständlich: Geschichtsschreibung erklärt alles, warum dies und warum das und alles ist fast normal; aber wenn die Stimmen der Opfer plötzlich ihre Verzweiflung, ihre Hoffnungen, ihre Fantasien usw. in die Geschichte hinein melden", dann, so Friedländer, bekomme der Leser für einen Moment das Gefühl:
"Es ist schrecklich."
(Wdh. von September 2016)