Ein immersives Erlebnis vom Feinsten
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Eine Sauna ist eigentlich auch nur ein Theater - mit wiederkehrenden Figuren und Dramen im Großen und Kleinen. Doch während das Theater beengt, macht die Sauna frei. Es wird Zeit, dass die Theaterwissenschaft das Schwitzen entdeckt.
Ich bin völlig begeistert bis fasziniert von den unterschiedlichen Saunaausführungen und vor allem den Sauna-Meister-Charakteren, die die deutschsprachige Saunalandschaft bereithält. Körperlich sind sie oft diverser, als die Ensembles der meisten Stadttheater und auch als Dramatis Personae taugen sie.
Der zärtliche Bodybuilder, der die Birkenzweige so durch die Luft wedelt, dass sie einen gefühlt streicheln. Der schüchterne junge Mann, Typ Surferboy und gleichzeitig Schwiegersohn, der die Zusammensetzung und Herstellung der Aufgussflüssigkeit ganz genau erklären kann. Die volltätowierte Brandenburgerin, die alle anweist, sich beim Hinsetzen bisschen zu beeilen, weil sie pünktlich weg muss, die Kinder aus der Kita abholen. Der sadistische Koloss, der das Mentholwasser auf die Saunasteine drischt und mit dem Handtuch die Luft zerteilt, als wäre es ein Säbel, und dann das schmerzvolle Aufkeuchen der Saunagäste mit einem hämischen "Ruhe bitte, um die Anderen nicht beim Genießen zu stören" kommentiert. Die ältere Dame mit dem Akzent, die den zwei Dudes, die anfangen, sich zu streiten, weil der eine den anderen aus Versehen am Bein berührt hat, streng ermahnt: "Kein Stress in meiner Sauna! In meiner Sauna entspannt ihr euch – oder ihr geht raus."
Beklemmungen im Theater, Entspannen in der Sauna
Jeder Saunagang ist ein Erlebnis. Immersives Theater vom Feinsten, wenn man das Personal als Performer anerkennt und die Mitbesucher als Publikum – oder ebenfalls als Akteur der Aufführung? Die Grenzen verschwimmen gern mal bei den Feedback-Schleifen des gemeinsamen Schwitzens.
Ähnlich absurd wie die Idee, dicht and dicht in einen dunklen, engen Raum Platz zu nehmen, damit einem dort andere Menschen etwas vorspielen, ist eigentlich nur die: Nackt und noch dichter an dicht in einem dunklen, noch engeren Raum Platz zu nehmen, um dort heißen Dampf um die Ohren gewedelt zu bekommen und mit anderen Menschen einen kollektiven Schweißaustritt zu erleben.
Aber erstaunlicherweise kriege ich persönlich in einem der beiden Räume oft unaushaltbare Beklemmungen, aufgrund der gesellschaftlichen Konventionen, die dort herrschen, und in dem anderen gar nicht. Die Sitzreihen sind zu eng. Alle sind zu nah. Man darf nicht einfach aufstehen und gehen – in der Sauna gar kein Problem. Da sitze ich sogar gern in der ersten Reihe. Und woher plötzlich diese Bereitschaft, einer wildfremden Person den Rücken mit Salzkristallen einzurubbeln? Ich meine – könnte ja eine AfD-Wählerin sein?
Hier ist der Körper noch Körper
Vielleicht, weil alle ihre Kostüme draußen gelassen haben. In der Sauna ist man nackt verabredet. In der Umkleide schließt man ein Stück weit auch sein Identitätskonstrukt in einen Spind ein. Am Ende aller Bemühungen – was für ein Mensch man versucht zu sein, was man erlebt hat, woran man glaubt und wie man sich in seinem Leben positioniert und aufgestellt hat – haben alle einen Körper. Und in unserer sonst recht körperunfreundlichen Welt dürfen in der Sauna Körper Körper sein und sich darüber freuen, dass sie Körper sind.
Ich gehöre definitiv zu den Menschen, die lange Zeit ihres Lebens lieber gar keinen Körper gehabt hätten, als denen, den sie nun mal haben – und das, obwohl ich mit einem weißen Standardkörper ausgestattet bin. Mit jedem Mal Schwitzen zwischen fremden Schenkelpaaren, die mein Bilderrepertoire von Schenkelpaaren erweitern, bringe ich weniger Stress mit in den dunklen, engen Raum, der kein Theater ist. Oder doch?