Saustall oder Ort des Schaffens
Künstlerheroen sind populär, Malerfürsten treiben die Preise auf dem Kunstmarkt in die Höhe - da wächst die Neugier auf das Rezept hinter dem Erfolg und die Nachfrage nach Homestorys und Atelierbesuchen: Wie sieht der Arbeitsplatz des Künstlers aus? Antworten darauf geben der Maler Adolph Menzel (1815-1905) und der zeitgenössische Künstler Lois Renne in der Kunsthalle Hamburg.
Totenmasken von Freunden und berühmten Zeitgenossen neben Gipsabgüssen antiker Statuen, dazwischen Zirkel und Hufeisen, auch eine Hand, vielleicht aus Wachs? Für einen Historienmaler, als der Adolph von Menzel angesehen wurde, war es ein ungewöhnlich vertracktes Sammelsurium, das Preußens renommiertester Künstler da 1872 als Blick auf seine Atelierwand ins Bild setzte. Im Hamburger Rotundensaal erläutert ein umlaufendes Schriftband, was es aus heutiger Sicht mit dem Ölgemälde auf sich hat. Die Zitate stammen von Werner Hofmann, sind eine Hommage für den ehemaligen Direktor der Hamburger Kunsthalle, der heute seinen achtzigsten Geburtstag feiert:
" Werner Hofmann hat in Menzels Atelierbild ein verschlüsseltes Manifest entdeckt: Dass er sich zur Kunst seiner Zeit äußert. Ganz deutlich, weil er verschiedene Möglichkeiten der Kunst - dem Ideal der Antike folgend oder der Realität in Form des Hundekopfes - nacharbeitet. Dass er seine Position gewissermaßen zwischen allen Stühlen verortet."
Auch Kurator Jenns Howoldt hat sich zwischen den Stühlen, besser zwischen den Stilen, für eine unkonventionelle Kombination entschieden. In bunter Reihe wechseln sich großformatige Farbfotografien mit den Gemälden Menzels ab. Lois Renner heißt der zeitgenössische Künstler, der einen Einblick in sein Atelier gewährt: Ein ganz gewöhnliches Stahlblechregal ist da zu sehen, bestückt unter anderem mit einem Miniaturschlagzeug, einer Modelleiter, dem Torso einer Schaufensterpuppe und einer afrikanischen Totemfigur.
"Bei der Beschäftigung mit dem Werk von Lois Renner, dem in Wien lebenden und arbeitenden Fotokünstler, bemerkte ich eine ganz starke Beziehung zur Frage "Was ist Kunst?", "Was war Kunst?", "Was kann Malerei und Fotografie?". "
Was sich nach grauer Theorie anhört, nach blutarmen Themen, das wird im prallen Künstlerleben, am Ort der Produktion verhandelt: In Ateliers, die im Vergleich zum aseptischen White Cube des Museums schon mal ein rechter Saustall sein können - sein müssen. Menzels Maler- und wohl auch Denkwerkstatt war da bereits einzigartig, ohne Vorbild:
"Es galt als das hässlichste Atelier Berlins. Manche Besucher waren sehr irritiert von den Bergen von Material, von den unglaublichen Ansammlungen verschiedenster Gegenstände, unter anderem auch der Gipsabgüsse. Das ist ein großer Fundus, aus dem er sehr frei und großzügig sich für seine Kompositionen bedient hat."
Unterdessen, seit Menzels Atelierbild von 1872, ist die Welt weiterhin in Fragmente zerfallen, unübersichtlich geworden. Zeit also für Betrachtungsdistanz, für einen nur scheinbaren Rückzug in eine Künstlerbude, die sich bei Lois Renner als Laboratorium für angewandte Stilkunde entpuppt:
"Er baut ein Atelier im Atelier, das er für seine Inszenierungen benutzt. Er holt sich die Welt ins Atelier. Das Spannende ist, dass er sich des Mediums der Fotografie bedient, aber gleichzeitig von der Vorstellung getrieben ist, dass er Bilder komponiert, wie es Maler früher getan haben. Dass er also eine Versöhnung zwischen Malerei und Fotografie herstellt."
Zumindest deutet Renner diese Versöhnung an. Stellt sie dann aber auch mit unübersehbarer Ironie in Frage: Da ist etwa das Porträt eines älteren Herrn, der - die randlose Brille in der Hand - nachdenklich in einen von Barockfiguren bevölkerten Himmel schaut. "Hans Belting" lautet der lakonische Titel. Und aufmerksame Leser wissen, dass hier der Kunsthistoriker gezeigt wird, vermutlich bei der Arbeit, bei der Bildbetrachtung. Aber ganz sicher ist das nicht. Wer weiß schon, was in einem fotografierten Kopf im Moment der Aufnahme vorgeht? Und wer spürt, an welchem Ort Intuition oder Inspiration zuschlagen?
"Natürlich ist der Ort des Ateliers ein Mythos. Ob es nun das Schreibzimmer von Fontane ist oder das Behandlungszimmer von Sigmund Freud oder das Atelier von Adolph Menzel. Da kann man feststellen, wenn man die historischen Fotos anguckt, dass Objekte für die künstlerische Intuition versammelt sind, die eben doch in tiefe Schichten hineinreichen."
Dazu zählt bei Renner selbst ein gewöhnliches "Küchenstillleben": Zwischen allerlei Gemüse und einem Glas Rotwein liegt das bereits aus der Decke geschlagene Wildbret, Kaninchen oder Hase - und nur durch die zusätzliche Titelangabe "Marsyas" gewinnt das Bild ganz neue, uralt mythische Dimensionen, weckt Erinnerungen an eine ewig aktuelle, antike Fabel:
"Apoll, der dem aufmüpfigen Marsyas die Haut bei lebendigem Leibe abziehen lässt: Es ist die Strafe vom Gott der Kunst, vom Gott der Klarheit und des Ideals. Die andere Seite, den Gegenpol finden Sie über Tizian bis hin zu Bacon in der Kunst verkörpert, wo es um Gewalt, um Verletzung und um letztendlich auch Tod geht."
Daneben tauchen auch allerlei Mythen des Alltags auf. Renner legt viele Fährten, macht vor allem die Machart seiner Kompositionen deutlich, lässt die einzelnen Elemente seiner Kompositionen aufscheinen.
" Der Betrachter versucht dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, er darf rekonstruieren, wie es gemacht ist - ein spannendes Unternehmen. Renner hat auch den Anspruch, dass er damit - wie man so sagt - den heutigen Betrachter abholt wo er ist, also auf dem Niveau der massenhaften Bilder, der Werbung zum Beispiel."
Was der Maler Menzel nicht absehen konnte, woran der Kunsthistoriker Hofmann nicht denken mochte, das macht der Fotograf Renner mit den Bildern seines Ateliers zum Museumsthema. Und so gerät diese Kombination, der Dreisprung von 1872 über Hofmanns Neuentdeckung Menzels in den Siebzigern bis hin zur aktuellen Kunst zu einem veritablen - und überaus anregenden - Zeitsprung.
" Werner Hofmann hat in Menzels Atelierbild ein verschlüsseltes Manifest entdeckt: Dass er sich zur Kunst seiner Zeit äußert. Ganz deutlich, weil er verschiedene Möglichkeiten der Kunst - dem Ideal der Antike folgend oder der Realität in Form des Hundekopfes - nacharbeitet. Dass er seine Position gewissermaßen zwischen allen Stühlen verortet."
Auch Kurator Jenns Howoldt hat sich zwischen den Stühlen, besser zwischen den Stilen, für eine unkonventionelle Kombination entschieden. In bunter Reihe wechseln sich großformatige Farbfotografien mit den Gemälden Menzels ab. Lois Renner heißt der zeitgenössische Künstler, der einen Einblick in sein Atelier gewährt: Ein ganz gewöhnliches Stahlblechregal ist da zu sehen, bestückt unter anderem mit einem Miniaturschlagzeug, einer Modelleiter, dem Torso einer Schaufensterpuppe und einer afrikanischen Totemfigur.
"Bei der Beschäftigung mit dem Werk von Lois Renner, dem in Wien lebenden und arbeitenden Fotokünstler, bemerkte ich eine ganz starke Beziehung zur Frage "Was ist Kunst?", "Was war Kunst?", "Was kann Malerei und Fotografie?". "
Was sich nach grauer Theorie anhört, nach blutarmen Themen, das wird im prallen Künstlerleben, am Ort der Produktion verhandelt: In Ateliers, die im Vergleich zum aseptischen White Cube des Museums schon mal ein rechter Saustall sein können - sein müssen. Menzels Maler- und wohl auch Denkwerkstatt war da bereits einzigartig, ohne Vorbild:
"Es galt als das hässlichste Atelier Berlins. Manche Besucher waren sehr irritiert von den Bergen von Material, von den unglaublichen Ansammlungen verschiedenster Gegenstände, unter anderem auch der Gipsabgüsse. Das ist ein großer Fundus, aus dem er sehr frei und großzügig sich für seine Kompositionen bedient hat."
Unterdessen, seit Menzels Atelierbild von 1872, ist die Welt weiterhin in Fragmente zerfallen, unübersichtlich geworden. Zeit also für Betrachtungsdistanz, für einen nur scheinbaren Rückzug in eine Künstlerbude, die sich bei Lois Renner als Laboratorium für angewandte Stilkunde entpuppt:
"Er baut ein Atelier im Atelier, das er für seine Inszenierungen benutzt. Er holt sich die Welt ins Atelier. Das Spannende ist, dass er sich des Mediums der Fotografie bedient, aber gleichzeitig von der Vorstellung getrieben ist, dass er Bilder komponiert, wie es Maler früher getan haben. Dass er also eine Versöhnung zwischen Malerei und Fotografie herstellt."
Zumindest deutet Renner diese Versöhnung an. Stellt sie dann aber auch mit unübersehbarer Ironie in Frage: Da ist etwa das Porträt eines älteren Herrn, der - die randlose Brille in der Hand - nachdenklich in einen von Barockfiguren bevölkerten Himmel schaut. "Hans Belting" lautet der lakonische Titel. Und aufmerksame Leser wissen, dass hier der Kunsthistoriker gezeigt wird, vermutlich bei der Arbeit, bei der Bildbetrachtung. Aber ganz sicher ist das nicht. Wer weiß schon, was in einem fotografierten Kopf im Moment der Aufnahme vorgeht? Und wer spürt, an welchem Ort Intuition oder Inspiration zuschlagen?
"Natürlich ist der Ort des Ateliers ein Mythos. Ob es nun das Schreibzimmer von Fontane ist oder das Behandlungszimmer von Sigmund Freud oder das Atelier von Adolph Menzel. Da kann man feststellen, wenn man die historischen Fotos anguckt, dass Objekte für die künstlerische Intuition versammelt sind, die eben doch in tiefe Schichten hineinreichen."
Dazu zählt bei Renner selbst ein gewöhnliches "Küchenstillleben": Zwischen allerlei Gemüse und einem Glas Rotwein liegt das bereits aus der Decke geschlagene Wildbret, Kaninchen oder Hase - und nur durch die zusätzliche Titelangabe "Marsyas" gewinnt das Bild ganz neue, uralt mythische Dimensionen, weckt Erinnerungen an eine ewig aktuelle, antike Fabel:
"Apoll, der dem aufmüpfigen Marsyas die Haut bei lebendigem Leibe abziehen lässt: Es ist die Strafe vom Gott der Kunst, vom Gott der Klarheit und des Ideals. Die andere Seite, den Gegenpol finden Sie über Tizian bis hin zu Bacon in der Kunst verkörpert, wo es um Gewalt, um Verletzung und um letztendlich auch Tod geht."
Daneben tauchen auch allerlei Mythen des Alltags auf. Renner legt viele Fährten, macht vor allem die Machart seiner Kompositionen deutlich, lässt die einzelnen Elemente seiner Kompositionen aufscheinen.
" Der Betrachter versucht dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, er darf rekonstruieren, wie es gemacht ist - ein spannendes Unternehmen. Renner hat auch den Anspruch, dass er damit - wie man so sagt - den heutigen Betrachter abholt wo er ist, also auf dem Niveau der massenhaften Bilder, der Werbung zum Beispiel."
Was der Maler Menzel nicht absehen konnte, woran der Kunsthistoriker Hofmann nicht denken mochte, das macht der Fotograf Renner mit den Bildern seines Ateliers zum Museumsthema. Und so gerät diese Kombination, der Dreisprung von 1872 über Hofmanns Neuentdeckung Menzels in den Siebzigern bis hin zur aktuellen Kunst zu einem veritablen - und überaus anregenden - Zeitsprung.