Jon Savage: "Sengendes Licht, die Sonne und alles andere"
Aus dem Englischen von Conny Lösch
Heyne-Hardcore, München 2020
384 Seiten, 20 Euro
Ungeheure Live-Energie und ein tragisches Ende
05:50 Minuten
Der britische Musikjournalist Jon Savage hat die Geschichte der Kultband Joy Division aufgeschrieben. Das Buch vermittelt ein Gefühl von Euphorie, ohne dabei das traurige Ende von Sänger Ian Curtis zu ignorieren.
"Joy Division war es ernst", sagt der Musikjournalist Jon Savage. "Sie haben sich nicht zurückgehalten. Dabei waren sie gar nicht selbstbewusst. Jede Performance wurde ein Event. Ian hat immer alles gegeben. Es ist eine große Geschichte in einem kleinen Zeitraum."
Diese Geschichte hat Savage sich vorgenommen. Er selbst war im Publikum, als Joy Division 1977 noch unter dem Namen Warsaw ihre ersten Shows gespielt haben.
Für seine Oral History nutzt Savage vor allem ungenutztes Interview-Material aus einer Dokumentation, an der er mitwirkte. Neben den Bandmitgliedern kommen auch Ian Curtis′ Ehefrau Deborah Curtis und seine Geliebte Annik Honoré zu Wort.
Trotzdem liegt der Fokus nicht auf dem Mythen umwehten Sänger, wie in Anton Corbijns Spielfilm "Control". Savages Buch zeigt erstmals, wie konzeptlos Joy Division gestartet sind. Das ist überraschend.
Zufällig entstand der prägnante Bassgitarren-Sound. Peter Hook konnte seine tiefen Basstöne nie hören, also spielte er melodischer. Ihr Produzent Martin Hannett sagt, dass die Band von Studios keine Ahnung hatte. Chaotisch ging es auch beim Independent-Label Factory zu.
Kurzfristig wird das legendäre Cover des Debütalbums "Unknown Pleasures" noch schwarz. Das Album schrieb Pop-Geschichte. Von der ungeheuren Live-Energie der Band schwärmen der Künstler Mark Reeder und der Journalist Dylan Jones, die Savage 2018 interviewt hat. Daher auch der Titel: "Sengendes Licht, die Sonne und alles andere".
"Ich empfinde die Musik von Joy Division gar nicht als düster", sagt Savage. "Licht und Dunkelheit befinden sich bei der Band vielmehr im Gleichgewicht. Deswegen sollte etwas mit Licht auch im Titel vorkommen. Das sengende Licht. Abgesehen davon war, was den Sound betrifft, jedes der vier Mitglieder gleichberechtigt."
Sorge um Ian Curtis
Es gibt auch ein paar amüsante Anekdoten. Auf der ersten Aufnahme, die an ein Label gesendet wurde, ist versehentlich zu hören, wie die Mutter des damaligen Managers zum Mittagessen ruft. Als sie einmal nicht auf die Bühne durften, haben sich Joy Division beinahe mit den Veranstaltern geprügelt.
Doch es geht bergab: Curtis leidet an Epilepsie, der junge Vater steckt in einer Ehekrise. Kurz vor der Amerika-Tour nimmt er sich das Leben. Savage meint, dass Curtis heute eine bessere Behandlung bekäme.
"Die Band war schon vor Mai 1980 sehr über Ians mentalen Zustand besorgt. Doch die Art, wie man mit psychischen Problemen umging, war nicht gut. Und auch die Behandlung von Syndromen wie Epilepsie waren noch grob, in einem rohen Zustand."
Konzept der Oral History
Die Schlusskapitel sind am emotionalsten, weil sich hier alle an die schockierende Nachricht von Curtis′ Tod erinnern, der unterschiedlich gedeutet wird. Das Buch beweist, wie wichtig es auch in der Popkultur ist, psychische Probleme offen zu thematisieren. Gitarrist Bernard Sumner macht sich etwa Vorwürfe, dass die Band ihn für ein Konzert aus dem Krankenhaus holte. Curtis′ Witwe meint: Die Leute bewunderten ihn für das, was ihn zerstörte.
"Was ich am Konzept der Oral History mag: Es gibt keine zentrale Stimme eines Autors, auch wenn ich natürlich die Person bin, die das zusammengestellt hat. Ich mag das Format wegen der Momente, in denen Leute nicht übereinstimmen und sich ihre Erinnerungen widersprechen. Zumindest muss so der Leser entscheiden, was sich tatsächlich ereignet hat."
Dass es zu Wiederholungen kommt, ist verzeihlich. Dafür erhält man ganz neue Einblicke in Curtis′ Texte, welche die Band überraschenderweise nicht stark beschäftigten.
Das Buch bietet Lesarten, die zeigen: Curtis war nicht nur mit sich selbst beschäftigt. Seine Texte drehen sich um aktuelle Themen wie Digitalisierung und Einsamkeit. Für "She′s Lost Control" ließ sich Curtis sogar von seiner Reha-Arbeit inspirieren. Er war berührt von körperlich und geistig behinderten Menschen, die ein Berufsleben wollten.
Der Autor Jon Wozencroft hält nichts davon, Joy Division nur als deprimierende Band abzutun. Vielmehr ginge es darum, "das normale Leben in etwas Magisches und Bejahendes zu verwandeln".
Das Buch von Savage vermittelt ein Gefühl von dieser Euphorie, ohne dabei das traurige Ende von Curtis zu ignorieren.