Sayed Kashua: "Eingeboren"
Mein israelisch-palästinesisches Leben.
Kolumnen aus den Jahren 2006 - 2014
Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler
Berlin Verlag, 2016
348 Seiten, 22 Euro
Gehätschelt und diskriminiert
Ein Fünftel der Bevölkerung in Israel sind Araber. Zu sagen haben sie meist wenig. Der Autor Sayed Kashua ist eine prominente Ausnahme: Seine TV-Comedy-Serie über einen arabischen Protagonisten wurde ein Hit. Seine jetzt in dem Buch "Eingeboren" gesammelten Kolumnen verraten aber auch einiges über die Aussichtslosigkeit der politischen Verhältnisse in Israel.
Als vor mehr als zehn Jahren der israelisch-arabische Autor Sayed Kashua von einem jüdischen Israeli das Angebot bekam, eine TV-Comedy-Serie mit arabischem Hauptdarsteller zu schreiben, hoffte er, damit ein tieferes Verständnis der jüdischen Öffentlichkeit für die Lebenssituation der arabischen Israelis erzielen zu können. Und letztlich auch eine Verbesserung ihrer gesellschaftlichen Situation.
Denn Araber – immerhin ein Fünftel der israelischen Bevölkerung – haben zwar auf dem Papier die gleichen Rechte wie ihre jüdischen Landsleute. In der Praxis aber werden sie häufig diskriminiert, und sind in den Institutionen des Staates deutlich unterrepräsentiert.
Sayed Kashuas Comedy-Serie wurde ein Hit. Geändert hat sie nichts.
Frustration und Hoffnungslosigkeit
Zunehmende Frustration und Hoffnungslosigkeit spiegeln auch die Kolumnen wieder, die der 1975 geborene Kashua regelmäßig für die linksliberale Tageszeitung "Haaretz" schreibt. Neben der TV-Serie begründeten sie seine Popularität und zugleich seinen Status als "Vorzeige-Araber" in Israel.
Eine umfangreiche Auswahl seiner Kolumnen aus den Jahren 2006 bis 2014 liegt nun in deutscher Übersetzung vor: "Eingeboren: Mein israelisch-palästinensisches Leben". Im hebräischen Original ist der Titel ironisch doppeldeutig "Ben Haaretz" – Sohn des Landes. Aber auch: Sohn der Zeitung – als ob sie ihn gezeugt hätte.
Auf jeweils fünf bis sechs Seiten beschreibt Kashua, immer in der ersten Person, Alltagsszenen. Seine Frau ist häufig Dialogpartnerin, es geht um die Kinder, den Haushalt, die Arbeit. Um das Rauchen und Trinken, das neue Auto, einen Grillnachmittag. Aber so harmlos, wie sie daher kommen, sind diese Szenen bei weitem nicht. Virtuos setzt Kashua kleine Pointen, die einen weiteren Bedeutungshorizont aufreißen und den Leser, der gerade noch gemütlich gelächelt hat, mit einer existentiellen Frage oder überraschenden Emotion konfrontieren.
Autor hat eine brüchige Identität
Man erfährt viel über das "Dazwischen", die brüchige Identität des Autors – stellvertretend für viele Israelis arabischer Herkunft, die in der jüdischen Mehrheitsgesellschaft leben. Gehätschelt oder diskriminiert von den Juden, verachtet und attackiert von arabischen Landsleuten. In mehrfacher Hinsicht also: benutzt und funktionalisiert. Erhellend die Schilderung einer Lesung mit Paul Auster: Der amerikanische Autor wird nach seiner Poetik befragt, Kashua hingegen, ob es im Dorf seiner Kindheit eine Bibliothek gegeben hätte.
Sayed Kashuas Kolumnen verdeutlichen die Aussichtslosigkeit der politischen Verhältnisse in Israel und die hoffnungslose Situation der Menschen, die weder in der israelischen Mehrheitsgesellschaft noch in der palästinensischen Gemeinschaft ganz zuhause sind. Mal kultiviert der Autor seine Melancholie, dann wieder bricht die Wut aus ihm heraus. Spricht er von seinen Depressionen, wirkt das anfangs noch kokett. Am Ende jedoch wird klar: Kashua hält es tatsächlich nicht mehr in seinem Land aus.
In der letzten Kolumne, "Abschied", gibt Kashua seiner Tochter Salingers "Der Fänger im Roggen" in die Hand – zur Vorbereitung auf die Auswanderung der Familie in die USA.