Schaber: Milchbauern stehen "mit dem Rücken zur Wand"

Romuald Schaber im Gespräch mit Birgit Kolkmann |
Nach Auskunft des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter (BDM) ist die Lage vieler Milchbauern dramatisch. Bei den derzeitigen Preisen könnten viele Betriebe nicht mehr die laufenden Kosten begleichen, sagte BDM-Präsident Romuald Schaber vor einem Treffen mit Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner.
Birgit Kolkmann: Immer mehr Bauern sind nicht mehr liquide, weil sie für das flüssige Lebensmittel gerade mal 20 Cent pro Liter bekommen. Viele Betriebe bewegen sich am Rande der Zahlungsunfähigkeit, und das, obwohl im letzten Jahr Protest und Boykott für einen Literpreis von über 40 Cent gesorgt hatten, allerdings nur vorübergehend. Was ist derweil passiert, dass die Milchbauern heute wieder an einem Krisengespräch im Verbraucherschutzministerium teilnehmen? Ministerin Aigner hat zum runden Tisch geladen, Romuald Schaber, der Vorsitzende des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter ist auch dabei und jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!

Romuald Schaber: Guten Morgen!

Kolkmann: Herr Schaber, wie dramatisch ist die Situation?

Schaber: Na ja, die Situation ist wirklich dramatisch. Wir haben in einigen Gebieten in Ostdeutschland, in Norddeutschland, Schleswig-Holstein seit einigen Monaten Milchauszahlungspreise um die 20 Cent. Damit kann man nicht mal die laufenden Kosten mehr decken und die Betriebe stehen mittlerweile wirklich mit dem Rücken zur Wand.

Kolkmann: Wie kam es denn zu dieser Entwicklung innerhalb eines Jahres?

Schaber: Die Entwicklung hat sich ja letztes Jahr vor dem Milchlieferstopp schon abgezeichnet, dass einfach zu viel Milch auf dem Markt ist. Die Kommission hat dann die Quoten, die Milchquoten noch mal ausgedehnt letztes Jahr, um zwei Prozent, das hat dazu geführt, dass doch etwas mehr Milch produziert worden ist, gleichzeitig geht weltweit der Verbrauch zurück oder stagniert der Absatz und das führt einfach zu einer Überversorgung von Milch am Markt.

Kolkmann: Wie kommt es denn, dass der Absatz stagniert? Haben sich die Verbraucher umorientiert? Nehmen sie mehr pflanzliche Produkte und, vor allem, macht das auch die Industrie?

Schaber: Die Verbraucher haben sich nur geringfügig verändert in ihrem Kaufverhalten, es hat zunächst bei den Preiserhöhungen schon ein bisschen Rückgänge im Absatz gegeben, das hat sich dann aber wieder eingespielt. Entscheidender und bedeutender ist es bei der Industrie. Die Industrie versucht hier wirklich, auf pflanzliche Produkte auszuweichen, die billiger sind, und natürlich macht auch die Weltwirtschaftskrise uns zu schaffen. Die Leute drehen einfach das Geld ein bisschen öfter um als vorher und man kauft nur noch, was unbedingt sein muss.

Kolkmann: Nun ist ja im Gespräch, wie die Nachfrage wieder angekurbelt werden kann. Woran denken Sie da? Man hört wieder von Schulmilchprogrammen wie in den 60er-Jahren. Ist das sinnvoll?

Schaber: Es ist mit Sicherheit sinnvoll, Marketing zu betreiben, zu schauen, dass die Absätze steigen und da ist natürlich ein Schulmilchprogramm sehr, sehr sinnvoll, weil Milch ja ein sehr gesundes Nahrungsmittel ist und gerade auch die Jugend hier schon an gute Milchgetränke herangeführt werden sollte. Aber all die Absatzprogramme werden allein das Problem nicht lösen. Wir müssen auch das Angebot einfach an die Nachfrage anpassen.

Kolkmann: Das Angebot, ist das in Deutschland nicht so, wie man sich das wünschen könnte? Die Ministerin Aigner hat ja Ende des letzten Jahres, als die Agrarminister der EU tagten, da doch nicht durchsetzen können, was sie wollte und da war mit ein Fazit: Die deutschen Molkereien müssen sich mehr einfallen lassen, ihre Produktpalette erweitern. Wie denn das?

Schaber: Na ja, gut, das sehen wir etwas anders. Die Molkereien haben ja seit Jahren sehr gute Innovationen, sehr gute Produkte. Es gibt Hunderte von Milchprodukten. Fakt ist einfach: Wenn zu viel Milch an den Markt kommt, dann drängt dieser Überschuss in die Standardverwertung, das heißt, ins Milchpulver, in die Butter, und die muss dann zu ganz niedrigen Preisen abgesetzt werden letztendlich auf dem Weltmarkt, und dort liegen die Preise zurzeit bei 17 bis 18 Cent umgerechnet auf den Liter Milch. Das heißt also, wir müssen wirklich rangehen und auch weniger produzieren und zwar nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa, weil der Markt natürlich längst europäisch ist.

Kolkmann: Trotzdem sind diese Kapazitäten ja da, die Höfe, die milcherzeugenden Betriebe. Kann man das so schnell umschalten?

Schaber: Ja, kann man schon, da haben wir sogar einen Vorteil gegenüber anderen Produktionssparten. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, weniger Milch zu produzieren, den Tieren ein bisschen weniger Kraftfutter zu geben, die eine oder andere Kuh auch mal früher trockenzustellen oder etwas früher zum Schlachten zu geben, weniger Jungvieh nachzustallen, weniger junge Kühe aufzustallen. Es gibt also eine ganze Reihe von Möglichkeiten, wichtig ist nur, dass klare Vorgaben gemacht werden, weil einfach Hunderttausende von Milchproduzenten in Europa zugange sind und die Entscheidung eines einzelnen – ich mache jetzt weniger, weil der Preis schlecht ist – auf das Gesamtmarktgefüge nahezu keinen Einfluss hat.

Kolkmann: Welche Unterstützung erwarten Sie da von der Bundesregierung und welche übernational von der Europäischen Union?

Schaber: Wir erwarten uns natürlich hier Änderungen in der Vorgehensweise, die Europäische Kommission hat ja ganz klar zum Ziel herausgegeben, dass der Milchmarkt vollständig liberalisiert werden soll. Wir sehen darin einen schlechten Weg. Das geht nicht nur jetzt schief, sondern wird auch die nächsten Jahre schiefgehen, insofern muss hier eine grundlegende Korrektur angesetzt werden. Und wir fordern ja nicht umsonst einen Krisengipfel bei Merkel und letztendlich auch bei Sarkozy, um diese Problematik wirklich europaweit zur Chefsache zu machen.

Kolkmann: Nun ist auch zu hören, dass, wenn man über den Tellerrand hinausguckt, auf den Weltmarkt, dass die Nachfrage nach Milchprodukten da durchaus steigt, vor allen Dingen bei den immer zahlungskräftigeren Mittelschichten in Asien, und Europa hat ja da den Klimavorteil: Das Klima ist immer gleichbleibend gut, was die Produktion angeht. Ist das eine Chance für die Zukunft?

Schaber: Das kann durchaus eine Chance sein für die Zukunft. Der Chance wollen wir uns natürlich auch nicht verschließen. Das bedeutet ja nicht, wenn man jetzt weniger macht, dass man nicht in ein paar Monaten oder einigen Jahren dann wieder Chancen nutzt, die sich auf den Märkten ergeben. Jeder, der sich marktwirtschaftlich verhält, muss diese Flexibilität an den Tag legen, muss weniger machen, wenn der Absatz nicht da ist, und wieder mehr, wenn Wertschöpfung zu erwarten ist, und wenn hochpreisige Absätze da sind, dann wollen wir natürlich diese auch bedienen.

Kolkmann: Beim runden Tisch bei der Agrarministerin geht es heute auch um die Milchpreise, das war Romuald Schaber, der Vorsitzende des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter. Danke schön für das Gespräch!

Schaber: Ich bedanke mich ebenfalls!