Schabernack wie Till Eulenspiegel

Rezensiert von Georg Schmidt |
Die schottische Autorin Dorothy Dunnett veröffentlicht den ersten Teil ihrer Reihe historischer Romane in Deutschland. Der junge Claes van der Poele treibt, ähnlich wie Till Eulenspiegel, sein Unwesen in der Stadt Brügge. Malerisch setzt Dunnett in einer Mischung aus Wirtschaftskrimi, Spionageroman und Liebesgeschichte die Renaissance in Belgien ins Bild.
Europa am Vorabend der Moderne: Während Schottland die Rosenkriege einmal mehr zu einem Einfall ins verhasste England nutzt, Frankreich in steter Fehde mit dem Vatikan liegt, Deutschland von einer Vielzahl miteinander konkurrierender und gegen den Kaiser konspirierender Regionalfürsten drangsaliert wird, begründen in Italien große Kaufmanns- und Bankiersfamilien, die Medici, die Doria, die Strozzi, ihre Macht und steigen zu Global Players der damaligen Welt auf.

Aber auch im Norden Europas, im flämischen Burgund vor allem, in Gent, Brügge, Antwerpen und Brüssel, blühen Handel und Gewerbe, emanzipiert sich ein wohlhabendes Bürgertum von den Zwängen feudaler Herrschaft. Die Renaissance ist angebrochen, und mit ihr die Zeit unbeschränkter Möglichkeiten, wenn man clever ist, skrupellos, schlau und durchtrieben, ein Schelm vor dem Herrn.

Wie Claes van der Poele, Nicholas der Bastardsohn, Färberlehrling in der Manufaktur der Demoiselle de Charetty, unverbesserlicher Tunichtgut und Prügelknabe der ganzen Stadt Brügge, aber begehrt bei den Mägden. Ein blitzgescheiter Teenager, halb Eulenspiegel, halb Machiavelli, den die schottische Schriftstellerin Dorothy Dunnett zum Helden eines historischen Romans in acht Bänden erkoren hat, dessen erster Teil "Niccolòs Aufstieg", nun erschienen ist und dessen zweiter, "Der Frühling des Widder", demnächst erscheinen wird.

Dorothy Dunnett war ursprünglich Malerin, und entsprechend malerisch setzt sie ihre Renaissance ins Bild, pracht- und prunkvoll in ihrer Herrlichkeit, aber auch dunkel und voller Mollfarben, durchtrieben, wie es nur eine Ersinnerin großer Geschichten kann.

"Niccòlos Aufstieg" und die sieben Bände, die darauf folgen, sind Wirtschaftskrimi und Spionageroman, Liebesgeschichte und Rosenkrieg in einem, schottisch-schnurrig von einer Autorin erzählt, die das Zeitalter, in dem ihre Romane spielen, so eingehend recherchiert hat, dass man jede Figur, die einem hier begegnet, persönlich zu kennen meint.

Nicht zum ersten Mal allerdings. Vor fast zwanzig Jahren versuchte sich Rowohlt schon mit dieser Autorin, stellte die Reihe aber nach vier veröffentlichten Romanen schnöde ein und überließ alle Leser, die unterdessen der Dunnett-Sucht anheim gefallen waren, den Originalausgaben, sofern sie deren habhaft werden konnten.

Umso erfreulicher ist die Ausgabe, die Klett-Cotta jetzt verspricht, schön ausgestattet schon im ersten Band, begleitet von einer Website, die ihresgleichen sucht. So baut man Bücher auf. Und auch eine Autorin, die in ihrer schottischen Heimat seit langem Kultstatus genießt und auf Augenhöhe mit den großen historischen Romanciers ihrer Heimat genannt wird, einem Sir Walter Scott beispielsweise. Womit man ihr nicht ganz gerecht wird.

Denn ihr Historiengemälde ist moderner, ihre Renaissance liest sich zeitgenössisch, so als sehe man in einen gar nicht so fernen Spiegel, wenn Claes van der Poele seinen Schabernack mit der Welt treibt.

Dorothy Dunnett: Niccolòs Aufstieg
Übersetzt von Britta Mümmler und Mechthild Sandberg-Ciletti
Klett-Cotta, Stuttgart 2006
736 Seiten, 21,50 Euro