Schachzüge der SPD-Außenpolitik
Der Journalist Gunter Hofmann hat eine Streitschrift zur deutschen - sozialdemokratisch geprägten - Entspannungspolitik seit den 70er-Jahren vorgelegt. Der legendären Formel des Außenpolitikers Egon Bahr vom "Wandel durch Annäherung" misst er höchste Bedeutung für den Fall des Eisernen Vorhangs zu.
Über die Ursachen für den Zusammenbruch des sowjetischen Herrschaftsbereichs in Ost- und Mitteleuropa wird bis heute spekuliert. Die einen verweisen auf die geografische Überdehnung bei fortschreitender Unregierbarkeit des kommunistischen Imperiums, andere auf den unaufholbaren ökonomisch-technischen Rückstand des sowjetischen Lagers gegenüber dem Westen. Wieder andere sehen die Wende von 1989 als Ergebnis kompromissloser Hochrüstungspolitik des Westens, die den Osten in die Knie gezwungen habe.
Einen lange Zeit unterschätzten Aspekt rückt der Publizist Gunter Hofmann in den Mittelpunkt. In seinem Buch "Polen und Deutsche - Der Weg zur europäischen Revolution 1989/90", hebt der frühere Chefkorrespondent und Leiter des Berliner Büros der Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit" immer wieder die Bedeutung der Schlussakte von Helsinki hervor. Dort hatten die Vertreter von 35 Staaten aus Ost und West am 1. August 1975 den Status quo des geteilten Nachkriegseuropa, die Unverletzlichkeit seiner Grenzen und das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten des anderen anerkannt.
Es sah nach einem Triumph des sowjetischen Lagers aus. Der Umstand, dass man auch die Achtung der Menschenrechte einschließlich Gedanken-, Gewissens- und Überzeugungsfreiheit in den Vertrag aufnahm und diesen dann im Ostblock in der jeweiligen Landessprache veröffentlichte, kümmerte den damaligen sowjetischen Parteichef Leonid Breschnew und seine Verbündeten zunächst nicht.
Gunter Hofmann zeigt, dass dies eine folgenreiche Fehleinschätzung war. Ob "Solidarność” in Polen, die Charta 77 in der Tschechoslowakei oder "Schwerter zu Pflugscharen” in der DDR - die Oppositionellen im Ostblock konnten sich von nun an auf Helsinki berufen.
Vor allem im Blick auf Deutschland und Polen reflektiert Gunter Hofmann, wer und was zum insgesamt friedlichen Ende der Nachkriegsordnung beitrug. Er hebt die Rolle der sozialdemokratischen Entspannungspolitik hervor und beschwört die den Kommunismus letztlich zersetzende Wirkung von Egon Bahrs legendärer Formel vom "Wandel durch Annäherung".
Dadurch erhält das vorsichtig argumentierende Buch den Charakter einer Streitschrift. Denn etliche Aspekte der deutschen Entspannungspolitik namentlich der achtziger Jahre sahen und sehen bis heute für viele Deutsche und vor allem für viele Polen nach Kumpanei mit den kommunistischen Machthabern aus. Schließlich brüskierte Helmut Schmidt die polnische antikommunistische Gewerkschaft "Solidarność” durch die sofortige Anerkennung des Kriegsrechts 1981. Willy Brandt, 1985 auf Besuch in Warschau, lehnte damals ein Treffen mit Lech Wałęsa, dem Chef der in den Untergrund verbannten Gewerkschaft, einfach ab. Das hat Wunden geschlagen und Ressentiments der polnischen Opposition gegen die Staatsgläubigkeit der SPD befördert.
Gunter Hofmann nimmt diese Vorbehalte ernst und verteidigt die SPD dennoch. Er arbeitet überzeugend die subversive Wirkung des "Wandels durch Annäherung" für die Überwindung der europäischen Teilung heraus. Hofmann schreibt im klassischen Stil des politischen Journalismus. Gut getan hätte dem Buch, das auf Interviews u. a. mit Egon Bahr, Bronisław Geremek, Tadeusz Mazowiecki, Richard von Weizsäcker, Wojciech Jaruzelski und Markus Meckel beruht, allerdings (neben der Vermeidung einiger sachlicher Fehler) eine knappere Fassung als die 500 Seiten, die nun vorliegen.
Besprochen von Martin Sander
Gunter Hofmann: Polen und Deutsche - Der Weg zur europäischen Revolution 1989/90
Suhrkamp Verlag, Berlin 2011
504 Seiten, 33,90 Euro
Einen lange Zeit unterschätzten Aspekt rückt der Publizist Gunter Hofmann in den Mittelpunkt. In seinem Buch "Polen und Deutsche - Der Weg zur europäischen Revolution 1989/90", hebt der frühere Chefkorrespondent und Leiter des Berliner Büros der Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit" immer wieder die Bedeutung der Schlussakte von Helsinki hervor. Dort hatten die Vertreter von 35 Staaten aus Ost und West am 1. August 1975 den Status quo des geteilten Nachkriegseuropa, die Unverletzlichkeit seiner Grenzen und das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten des anderen anerkannt.
Es sah nach einem Triumph des sowjetischen Lagers aus. Der Umstand, dass man auch die Achtung der Menschenrechte einschließlich Gedanken-, Gewissens- und Überzeugungsfreiheit in den Vertrag aufnahm und diesen dann im Ostblock in der jeweiligen Landessprache veröffentlichte, kümmerte den damaligen sowjetischen Parteichef Leonid Breschnew und seine Verbündeten zunächst nicht.
Gunter Hofmann zeigt, dass dies eine folgenreiche Fehleinschätzung war. Ob "Solidarność” in Polen, die Charta 77 in der Tschechoslowakei oder "Schwerter zu Pflugscharen” in der DDR - die Oppositionellen im Ostblock konnten sich von nun an auf Helsinki berufen.
Vor allem im Blick auf Deutschland und Polen reflektiert Gunter Hofmann, wer und was zum insgesamt friedlichen Ende der Nachkriegsordnung beitrug. Er hebt die Rolle der sozialdemokratischen Entspannungspolitik hervor und beschwört die den Kommunismus letztlich zersetzende Wirkung von Egon Bahrs legendärer Formel vom "Wandel durch Annäherung".
Dadurch erhält das vorsichtig argumentierende Buch den Charakter einer Streitschrift. Denn etliche Aspekte der deutschen Entspannungspolitik namentlich der achtziger Jahre sahen und sehen bis heute für viele Deutsche und vor allem für viele Polen nach Kumpanei mit den kommunistischen Machthabern aus. Schließlich brüskierte Helmut Schmidt die polnische antikommunistische Gewerkschaft "Solidarność” durch die sofortige Anerkennung des Kriegsrechts 1981. Willy Brandt, 1985 auf Besuch in Warschau, lehnte damals ein Treffen mit Lech Wałęsa, dem Chef der in den Untergrund verbannten Gewerkschaft, einfach ab. Das hat Wunden geschlagen und Ressentiments der polnischen Opposition gegen die Staatsgläubigkeit der SPD befördert.
Gunter Hofmann nimmt diese Vorbehalte ernst und verteidigt die SPD dennoch. Er arbeitet überzeugend die subversive Wirkung des "Wandels durch Annäherung" für die Überwindung der europäischen Teilung heraus. Hofmann schreibt im klassischen Stil des politischen Journalismus. Gut getan hätte dem Buch, das auf Interviews u. a. mit Egon Bahr, Bronisław Geremek, Tadeusz Mazowiecki, Richard von Weizsäcker, Wojciech Jaruzelski und Markus Meckel beruht, allerdings (neben der Vermeidung einiger sachlicher Fehler) eine knappere Fassung als die 500 Seiten, die nun vorliegen.
Besprochen von Martin Sander
Gunter Hofmann: Polen und Deutsche - Der Weg zur europäischen Revolution 1989/90
Suhrkamp Verlag, Berlin 2011
504 Seiten, 33,90 Euro