Scharfzüngiger Spötter

Von Ruth Jung · 13.03.2011
Er war ein Zeitgenosse von Molière und Racine: Der Schriftsteller und Kritiker Nicolas Boileau gilt als unbestechlicher Satiriker und Literaturpapst des 17. Jahrhunderts. Vor 300 Jahren starb der Vordenker der französischen Klassik in seiner Heimatstadt Paris.
"Oh, meine Muse, lasst mich eine andere Gattung wählen, und absagen der Satire. Ein gar schändliches Gewerbe ist's, zu lästern über andere. Und folgenschwer für den, der es ausübt. Denn Schlechtes über andere zu sagen, ruft nur wieder Schlechtes hervor."
Wirklich ernst war es Nicolas Boileau mit dieser Absage nicht. Viel zu gut beherrschte der am 1. November 1636 als Sohn eines hohen Beamten in Paris geborene Schriftsteller und Literaturkritiker die Kunst der Satire.
"Nicolas' satirische Begabung übte sich daran, eine ganze Reihe von zeitgenössischen Literaturgrößen polemisch zu zerzausen, was ihm viele Feinde, aber auch Respekt und vor allem Renommee einbrachte",
schrieb der Romanist Erich Köhler über den scharfsinnigen Spötter. Eigentlich hätte Nicolas Geistlicher werden sollen, studierte dann aber Jura. Den ungeliebten Beruf musste er jedoch nie ausüben, denn das väterliche Erbe sicherte ihm ein gutes Einkommen. Gegenüber seinen 15 Geschwistern zeigte der Junggeselle wenig Familiensinn, seine Liebe galt einzig der Literatur.

1665 wurden Boileaus in Alexandrinern verfasste Satiren als Buch veröffentlicht – scharfzüngige Angriffe auf die Gesellschaft seiner Zeit, die er persönlich in den literarischen Salons von Paris vorgetragen hatte. Vor allem gegen die von Finanzminister Colbert hofierten schwülstigen Literaten, die um die Gunst des Königs Louis XIV. buhlten, richtete sich sein Spott. Das Buch wurde ein Skandalerfolg. Boileau erwarb sich den Ruf eines unbestechlichen Kritikers, seine Gegner reagierten mit wütenden Gegenangriffen.

Knapp zehn Jahre später, 1674, erschien "L'Art Poétique". Ein in vier Gesänge aufgeteiltes Lehrgedicht, das zugleich eine Bestandsaufnahme zeitgenössischer französischsprachiger Dichtkunst ist.

"Ich bin der Ansicht, dass die Würze der Kunst im Grunde darin besteht, sich dem Leser einzig wahr im Gedanken und zutreffend im Ausdruck darzubieten."

Gegen schwülstige Dichtung und Preziosentum setzte Boileau das der Vernunft unterworfene Erhabene der Kunst. "L'Art poétique" wurde zum Inbegriff klassischer Doktrin. Trotzdem war Nicolas Boileau mehr als der rigide Verfechter ästhetischer Normen, als der er später oft dargestellt wurde. Être vraie, aufrichtig und wahrhaftig sein, das war seine Maxime, gerichtet gegen die selbstgefällige höfische Gesellschaft. Gegen jene Klasse, die die Zeichen der Zeit nicht erkennen wollte.

"Macht euch die Vernunft zu eigen",

forderte Boileau. 1677 wurde er zusammen mit Jean Racine zum Geschichtsschreiber des Königs ernannt. Zum Höfling wurde Boileau deshalb nicht. Der unbestechliche Denker blieb sich treu. 1687 kam es während einer Sitzung der Académie française zum Eklat: Der Schriftsteller Charles Perrault hatte es gewagt, die Dichter der von Boileau als vorbildlich gepriesenen römischen Antike vom Sockel zu stoßen. Die Querelle des anciens et des modernes war eröffnet.

Dieser Literatenstreit um den Vorbildcharakter antiker Kunst und die Wertigkeit moderner Dichtung war auch ein Streit um ein neues Geschichtsbewusstsein. Boileau wetterte gegen die "Modernen". Als würdige Nachfolger antiker Dichter galten ihm nur Molière und Racine. Doch begriff er wohl, dass sich die neuen Strömungen durchsetzen würden, später versöhnte er sich öffentlich mit Perrault.

"Nicolas Boileau besaß eine Ahnung davon, in welchem Ausmaß der Stand, dem er selber angehörte, an den geistigen Hervorbringungen seiner Zeit beteiligt war",

resümiert Erich Köhler. Den eigentlichen Siegeszug der Aufklärung erlebte der eigensinnige Satiriker und Literaturkritiker nicht mehr. Nicolas Boileau starb am 13. März 1711 in seiner Heimatstadt Paris, wo er krank und zurückgezogen die letzten Jahre seines Lebens verbracht hatte.