Scharia-Polizei

"Wir empfinden das als große Schmach"

Ein Mann blickt auf einen Computer-Bildschirm, auf dem selbsternannte "Scharia-Polizisten" zu sehen sind.
Die Scharia-Polizei in Wuppertal sorgt für Aufregung - auch bei Samir Bouissa © picture alliance / dpa / Oliver Berg
Samir Bouissa im Gespräch mit Nana Brink |
Der Generalsekretär der Wuppertaler Moscheen, Samir Bouaissa, fordert in der Auseinandersetzung mit islamistischen Gruppen den Ausbau der Jugendarbeit. Um der Gefahr für die Gesellschaft zu begegnen, benötigten die muslimischen Gemeinden die Zusammenarbeit mit Verwaltung und Politik, sagte Bouaissa.
Nana Brink: Der amerikanische Präsident Barack Obama steht zu Hause unter Druck. Viele erwarten von ihm, dass er jetzt endlich außenpolitisch reagiert, auch in Richtung Irak, dort gegen die Terrororganisation Islamischer Staat. Und er will sich heute erklären, und zwar bei einem Treffen mit den Führern des Kongresses, er hat sie ins Weiße Haus eingeladen. Auch Deutschland gehört ja zur Koalition der Willigen, Deutschland liefert Waffen ins Kurdengebiet, um eben die Kurden zu unterstützen in ihren Bemühungen gegen den Islamischen Staat. Im Weißen Haus und in den USA will man aber einen Schritt weiter gehen.
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Dagmar Pepping berichtete über die Strategie der Vereinigten Staaten gegenüber dem Islamischen Staat, der Terrororganisation im Irak. Und die geht auch uns an, das hat die Bundeskanzlerin ja letzte Woche gesagt. Der Verfassungsschutz meldete, dass ungefähr 40 Islamisten, die sich radikalisiert haben, inzwischen aus den Gebieten wieder nach Deutschland zurückgekehrt sind, viele rekrutieren sich auch aus der extremen Gruppe der Salafisten, die haben etwa geschätzte 5000 Anhänger in Deutschland. Und radikale und extreme Muslime bestimmen ja auch das Bild der Diskussion und auch der Religion in Deutschland, zumindest beherrschen sie die Schlagzeilen, sei es, wenn sie mit orangefarbenen Westen und dem Aufkleber Scharia-Polizei durch die Straßen marschieren und gezielt junge Leute ansprechen oder, wie in Bonn, wenn sie vor Gericht stehen, weil man ihnen einen Sprengstoffanschlag zu Last legt. Samir Bouaissa ist Generalvertreter der Wuppertaler Moscheen und Mitglied im Vorstand der Abu-Bakr-Moschee der Islamischen Gemeinde eben dort. Guten Morgen, Herr Bouaissa!
Samir Bouaissa: Guten Morgen!
Brink: In Wuppertals Straßen marschierten sogenannte Vertreter einer Scharia-Polizei. Was geht denn in Ihnen vor, wenn Sie so etwas sehen in Ihrer Heimatstadt?
Bouaissa: Vor allen Dingen große Wut, genau wie bei den meisten unserer Mitglieder. Wir empfinden das als große Schmach oder großes Ärgernis, dass unsere Religion von so einer kleinen Gruppe missbraucht wird und ihr in der Öffentlichkeit so geschadet wird, von einer kleinen Gruppierung Angst und Schrecken verbreitet wird. Dazu kommt noch Angst natürlich bei unseren Gemeindemitgliedern, denn damit wird das Bild der Muslime geprägt. Es werden oft alle in einen Topf geworfen, es wird gesagt, alle sind gleich.
Und man hat natürlich Ängste, das sieht man an der gestiegenen Zahl auch an Anschlägen auf Moscheen. Auf der anderen Seite hat man natürlich Angst vor diesen Gruppen, vor diesen Menschen, denn sie sprechen ja gezielt muslimische Jugendliche an, versuchen, sie in ihre Vorträge mit ihrem einfachen Islamverständnis - ihr habt einen einfachen Weg zu Gott, ihr müsst euch nur ganz streng an Regeln halten -, das ist ein Kampf um unsere Jugend, auch unsere Reputation in der Gesellschaft, aber auch um unseren Glauben und unsere Überzeugungen.
Brink: Haben Sie denn schon solche Tendenzen der Radikalisierung bei Ihnen in den Moscheen oder in Ihrer Moschee festgestellt?
"Große Sorgen mache ich mir vor allen Dingen um junge Leute"
Bouaissa: Nein, in den Moscheen eigentlich überhaupt nicht. Denn die Menschen oder der Großteil der Menschen, die in die Moscheen kommen, haben sich mit dem Islam beschäftigt, wissen über die Werte und die eigentlichen Aussagen des Islams, in dem eigentlich die Toleranz gegenüber anderen Menschen großgeschrieben sein sollte.
Aber große Sorgen mache ich mir vor allen Dingen um junge Leute, die nicht so das Wissen haben und eher distanziert zum Islam stehen beziehungsweise zwar Muslime von Geburt vielleicht sind, aber ansonsten über kein Wissen verfügen. Die lassen sich viel einfacher ansprechen, vor allen Dingen in einem gewissen Alter, wo sie nach Halt in einer Gruppe suchen. Da verfangen solche einfachen Aussagen viel einfacher und viel leichter.
Brink: Aber erreichen Sie denn diese jungen Menschen? Was tun Sie denn, um sie zu erreichen? Gibt es da eine Möglichkeit?
Bouaissa: Möglichkeiten gibt es, wir tun einiges. Das ist gerade das Thema Jugendarbeit, die Wuppertaler Moscheen, aber auch viele Gemeinden in Nordrhein-Westfalen, von denen ich weiß, verstärken ihre Jugendarbeit, treten ins Gespräch gerade mit Jugendlichen, pubertierenden jungen Menschen, erklären ihnen, was der Islam eigentlich für eine Aussage hat, und erläutern ihnen auch dieses Bild, das diese Gruppierungen haben, um ihnen klarzumachen, dass das nicht mit dem Islam vereinbar ist, auch wenn es sich immer so einfach und so logisch teilweise anhört.
Diese Gruppierungen treten ja als der Kumpel auf, ich will doch nur dein Bestes und geh weg von Alkohol und Drogen und wir haben die Lösung für dich ... Wir versuchen, die Jugendlichen aufzuklären. Allerdings sind unsere Mittel ja beschränkt, unsere Aktiven sind eigentlich ausschließlich ehrenamtlich tätig. Um hier dieser Gefahr, die ja nicht nur für uns Muslime, sondern für die gesamte Gesellschaft besteht, entgegenzuwirken, müssen wir da zusammenarbeiten. Ob es die Gesellschaft, die Politik, die Verwaltungen sind, wir müssen die Jugendarbeit im Allgemeinen weiter ausbauen, die ja gerade in finanzarmen immer weiter zurückgefahren wird, diese muss weiter ausgebaut und aufrechterhalten werden.
Aber es muss auch eine Partnerschaft mit den Gemeinden stattfinden. Denn um über das Islambild aufzuklären und diese Menschen zu erreichen, ihnen glaubhaft bewusst zu machen, dass das nicht der richtige und der wahre Islam ist, der ihnen das Heil bringt, bedarf es gut ausgebildeter Theologen und Imame.
Brink: Aber viele radikale junge Muslime fühlen sich ja hier abgelehnt, sind ohne Perspektive. Ist es nicht vielleicht aber auch so, dass viele muslimische Gemeinschaften sich in der Vergangenheit auch sehr abgeschottet haben?
"Perfide Art des Vorgehens solcher radikalen Gruppierungen"
Bouaissa: Das mag sein. Es gibt die eine oder andere Gemeinde, die sich eher zurückgezogen hat. Das, was wir beobachtet haben, ist natürlich die Angst unter Jugendlichen - das ist nicht nur unter den Radikalen -, irgendwo nicht dazugehören zu dürfen.
Das ist ja die perfide Art des Vorgehens gerade solcher radikalen Gruppierungen, die den Jugendlichen, aber auch uns vorwerfen, nicht den wahren Islam zu leben und zu versuchen, der Mehrheitsgesellschaft zu gefallen. Und der weitere Vorwurf ist: Ihr könnt euch integrieren und anpassen, soviel ihr wollt, ihr werdet nie dazugehören! Wenn dann Diskussionen hochkommen, die vermeintlich dieses Bild bestätigen, dann sind die Jugendlichen verängstigt und eher gefährdet, dann so was auf den Leim zu gehen.
Brink: Meinen Sie, dass die Salafisten das Zusammenleben zwischen Christen und Muslimen in Deutschland beschädigen?
Bouaissa: Ja, auf jeden Fall. Ihr vereinfachtes Bild und ihr Ziel ist die Spaltung zwischen gut und schlecht. Gut sind alle, die meiner Gruppe angehören, und schlecht sind alle anderen. Dazu zählen nicht nur die Nicht-Muslime, sondern auch wir Muslime, die diesem Bild nicht folgen. Sie versuchen, die Gesellschaft zu spalten.
Brink: Sami Bouaissa ist Generalvertreter der Wuppertaler Moscheen. Dankeschön für Ihre Zeit und das Gespräch!
Bouaissa: Gern geschehen, auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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