Die Greifswalder Kirche und ihre Stasi-Verbindungen
Zu DDR-Zeit hat die evangelische Nordkirche im Kreis Pommern eng mit dem Staat kooperiert: Allein fünf Kirchenleitende waren Inoffizielle Mitarbeiter der Stasi. Nach der Wende blieben sie im Amt. Bis heute tut die Kirche sich mit der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit schwer.
Vom Greifswalder Landesbischof Horst Gienke über den Präses der Synode bis hin zu drei Mitgliedern des Konsistoriums: In den 1980er-Jahren waren insgesamt fünf Kirchenleitende als Inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit registriert. Die enge Kooperation zwischen Staat und Kirche prägte den sogenannten "Greifswalder Weg".
Sichtbarer Höhepunkt: der Besuch von Erich Honecker am 11. Juni 1989 zur Wiedereinweihung des evangelischen Domes St. Nikolai in Greifswald. Sozialismus und Kirche kamen zusammen. Der Rundfunk der DDR berichtete live über das ungewöhnliche Ereignis.
Während sich 1989 in zahlreichen Kirchengemeinden Ausreisewillige oder Friedensgruppen trafen und der Gegensatz zwischen Kirche und Staat zunehmend spürbar wurde, erklärte Horst Gienke im Radio der DDR überall seien "in unserer Republik gute Erfahrungen im Miteinander von Marxisten und Christen, von Staat und Kirche gesammelt worden".
"Irgendwo hatte ich das Gefühl, wenn die Diktatur des Proletariats noch mal ausholt zu großen Schlägen gegen die Kirche, werden wir diesen am Ende nicht standhalten können", rechtfertigt Christoph Ehricht, seine Kontakte im Nachhinein. "Dieses Bemühen, solche Schläge zu verhüten und einen Weg der Normalisierung und auch einer gewissen Stabilisierung volkskirchlicher Verhältnisse zu suchen, war für mich das Ausschlaggebende." Ehricht war in den 1980er-Jahren Mitglied des Konsistoriums und als IM "Ingolf Seidel" für die Stasi tätig.
Allerdings: Im Kirchenbund der DDR galt für die anderen Bischöfe in den 80e-Jahren die Maxime: wenn überhaupt Kontakt zur Stasi, dann nicht allein. Und nach den Gesprächen sollte ein Protokoll angefertigt werden. Die Gespräche sollten so für andere kirchliche Mitarbeiter transparent gemacht werden.
Keine verantwortungsvolle Aufarbeitung
In Greifswald verfuhr man jedoch anders. In den Jahren nach der Wende 1989/90 bestanden alle Kirchenleitenden die internen Überprüfungen ohne berufliche Konsequenzen. Die ehemaligen Inoffiziellen Mitarbeiter der Stasi blieben nicht nur im Dienst, sondern auch in der Kirchenleitung.
"In der Greifswalder Landeskirche hat man zwei Fragen gestellt: Hat er die Seiten gewechselt? Hat er für die Staatssicherheit gearbeitet? Und gab es Amtspflichtverletzungen? Mit diesen beiden Fragen können sie jeden weiterbeschäftigen. Also, wo wollen sie da sehen, dass jemand so klar die Seiten gewechselt hat, dass er mit der Stasi auf einer Seite gestanden hat?", kritisiert Anne Drescher, Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen in Mecklenburg-Vorpommern, das damalige Vorgehen gegenüber den ehemaligen IM.
Aus Sicht von Anne Drescher fehlt bis heute eine transparente und verantwortungsvolle Aufarbeitung innerhalb der ehemaligen Evangelischen Kirche Greifswald, die 1991 in Pommersche Evangelische Kirche umbenannt wurde und seit 2012 ein Kirchenkreis innerhalb der Nordkirche ist.
Die Schuldfrage sei in eine Schadensfrage umgewandelt worden, personelle Konsequenzen hätte es nicht gegeben, sagt sie. "Die Opfer sind in der Bringpflicht, müssen jetzt belegen, dass ihnen ein Schaden entstanden ist aus einer IM-Tätigkeit. Und das ist das Ende der Aufarbeitung."
"Es wird verdrängt, es wird geleugnet"
Der Pfarrer und Kirchenhistoriker Irmfried Garbe benennt eine entscheidende Folge des Greifswalder Weges, nämlich "dass ein Urvertrauen in die Brüderlichkeit einer Landeskirche grundsätzlich zerstört ist". Dieses Urvertrauen lasse sich auch nicht wieder retten. "Und schon gar nicht, indem man abwiegelt und sagt: So schlimm war das ja nicht. Im Gegenteil: Das macht es noch schlimmer. Es bleibt ein moralischer Makel, und der ist entscheidend."
Auch 27 Jahre nach dem Ende der DDR ist im Kirchenkreis Pommern keine Ruhe eingekehrt. Machten die konspirativen Kontakte zum Geheimdienst Sinn oder waren sie ein Sündenfall? Das ist noch immer die Gretchen-Frage, räumt auch Bischof Hans-Jürgen Abromeit ein. "So wie offensichtlich in der DDR schon darum gestritten wurde, was der richtige Weg ist, so hält der Streit bis heute an", schildert er die Situation. "Ich glaube, in einem System, in dem man manches auch im Geheimen tun muss, um etwas zu erreichen, wie es das diktatorische System der DDR gewesen ist, man manchmal auch zu ungewöhnlichen Wegen greifen muss."
Wie präsent die 1980er-Jahre auch heute noch sind, zeigte eine Auseinandersetzung, die vor eineinhalb Jahren stattfand. Die regionale Kirchenzeitung hatte in einem Nachruf auf den ehemaligen Superintendenten Siegfried Bohl dessen Gespräche mit der Stasi erwähnt. Allein dieser Hinweis auf die Stasi-Verbindungen hatte bei etlichen Lesern Empörung ausgelöst.
"Es werden Nebelkerzen geworfen, es wird verdrängt, es wird geleugnet, und das, obwohl die Akten eine sehr klare Sprache sprechen", sagt Anne Drescher. Für sie sie problematische Entwicklung: "Wir waren in den 90er-Jahren schon mal weiter in der Aufarbeitung oder wie darüber diskutiert wurde."
"Mit Aufarbeitung nur sehr begrenzt weitergekommen"
Die Aufarbeitung ist in der Greifswalder Kirche in den Anfängen stecken geblieben. Die Historikerin Rahel Frank, Autorin einer Studie über den "Greifswalder Weg", fordert deswegen eine Neuausrichtung der Aufarbeitung. "Wir haben immer gedacht, wir können Aufarbeitung betreiben, in dem wir die IM des MfS zum Sprechen bringen können und auf diese Weise Versöhnung erreichen können. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass wir mit Aufarbeitung nur sehr begrenzt weiterkommen. Wir müssen sie einfach beiseitelassen und sagen: Wir wenden uns denen zu, die Kirche eigentlich stark gemacht haben, und deren Biografien erzählen."
Die Menschen zum Reden zu ermuntern, das sei Aufgabe der Kirche, denn die Christen machten die größte Gruppe von Verfolgten in der DDR aus. Der Kirchenkreis Mecklenburg will sich gerade diesen Christen widmen. In einem Biografie-Projekt sollen jene Protestanten, die sich nicht angepasst haben, öffentlich gewürdigt werden. Das wäre auch eine Chance für den Kirchenkreis Pommern, den Betroffenen einen neuen Anlauf für eine wirkliche Aufarbeitung zu ermöglichen, meint die Historikerin Rahel Frank. "Die Kirche ist der richtige Ansprechpartner, weil sie sagen müsste: Wir sind stolz auf euch, ihr habt uns am Laufen gehalten. Ohne euch gäbe uns nicht, in diesen schwierigen 40 Jahren seid ihr bei der Stange geblieben und habt nicht staatlichen Drängen nachgegeben. Und wir wollen euch Anerkennung dafür zollen."