Wolfram Eilenberger, geboren 1972, hat Philosophie, Psychologie und Romanistik studiert und ist Autor zahlreicher philosophischer Sachbücher. Der Publizist lehrte an der University of Toronto (Kanada), der Indiana University (USA) und an der Berliner Universität der Künste. Eilenberger ist Gründungschefredakteur des Philosophie Magazins. Sein neuestes Buch "Zeit der Zauberer – Das große Jahrzehnt der Philosophie 1919-1929" erschien im März 2018. Er ist Mitglied der Programmleitung des Philosophie-Festivals phil.cologne und Moderator der Sternstunde Philosophie im Schweizer Fernsehen SRF. Eilenberger besitzt eine DFB-Trainerschein und schreibt seit 2015 die monatliche Fußballkolumne "Eilenbergers Kabinenpredigt" auf "Zeit Online".
Armut – die bittere Realität in Deutschland
Die Nationale Armutskonferenz hat auf die gestiegene Erwerbsarmut hingewiesen und die Bundesregierung zum Handeln aufgerufen. Unser Studiogast, der Philosoph Wolfram Eilenberger, kritisiert vor allem die Stagnation bei der Kinderarmut.
Sie nennen es "Schattenbericht": Die Nationale Armutskonferenz hat anlässlich des Internationalen Tags zur Beseitigung der Armut neue Zahlen zur Lage in Deutschland vorgelegt und ein düsteres Bild von der Lage hierzulande gezeichnet. "Armut stört", heißt der Titel des Berichts, in dessen Mittelpunkt das Bündnis in diesem Jahr die Erwerbsarmut gestellt hat.
Obwohl Wirtschaft und Arbeitsmarkt boomten, sei für viele Menschen in Beschäftigung Armut "bittere Realität", sagte die Sprecherin der Konferenz, Barbara Eschen. Insgesamt lebten rund 16 Prozent der Bevölkerung an der statistischen Armutsgrenze. 70,5 Prozent der Arbeitslosen darunter, so der Bericht. Bei Alleinerziehenden seien es 32,5 Prozent.
Forderungen an Berlin
Die Nationale Armutskonferenz verband mit dem Bericht klare Forderungen an die Bundesregierung. Armut zu bekämpfen, sei keine Wohltätigkeit, sondern eine Verpflichtung. Die Bundesregierung müsse sich daher "für gute Arbeit und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung" einsetzen, statt "Arbeit um jeden Preis" zur Devise zu machen. Für Bezieher von Grundsicherung forderte die Armutskonferenz höhere Regelsätze und den Wegfall von Sanktionen, wenn Hartz-IV-Empfänger Auflagen der Jobcenter nicht erfüllen. Der soziale Wohnungsbau müsse gestärkt werden.
"Zunächst einmal ist beachtenswert, dass es diese Schattenberichte überhaupt geben muss", sagte unser Studiogast, der Philosoph und Publizist Wolfram Eilenberger im Deutschlandfunk Kultur. Im London oder Berlin 1818 hätte man das nie Schattenbericht nennen können, weil die Armut überall sichtbar gewesen sei. "Es ist bemerkenswert in unserer Gesellschaft, wie uns die Armut, die existiert, aus dem Blick gerät." Das hänge auch damit zusammen, dass die Armen selbst sich unsichtbar machten. Armut sei oft mit Scham verbunden und führe zu einem gesellschaftlichen Rückzug, sagte Eilenberger. "Das führt in die Vereinzelung, in das Schweigen, vielleicht auch in die Nicht-Partizipation in Gruppen."
Trotz solcher Befunde sei 16,5 Prozent Armut historisch gesehen unglaublich wenig, sagte der Philosoph. In Deutschland seien diese Zahlen lange bekannt, dennoch gebe es vor allem bei der Kinder-, Jugend-, und Altersarmut eine stabile Stagnation. "Wir schaffen es nicht, insbesondere die Kinder aus dieser Armut zu befreien."
Kritik an Vorschlägen
Bei den Forderungen zeigte sich Eilenberger skeptisch, ob es sinnvoll sei, prekäre Arbeitsverhältnisse einzudämmen. "Ob das eine sinnvolle Armutsbekämpfung ist und ob viele dieser prekären Arbeiten würden sie unter andere Regeln gesetzt überhaupt bestünden und angeboten werden, das ist halt eine interessante Frage." Er habe selbst die Erfahrung gemacht, dass Reglementierung Probleme für die Menschen schaffe, die Arbeit anböten. "Man muss diese Forderungen von beiden Seiten betrachten."
(gem)
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