Schattenseiten der "bunten Republik"
Wer für Einwanderung wirbt, muss auch bereit sein, über bisherige Fehlentwicklungen zu sprechen. Die Bevölkerung sieht und spürt die Folgen der fehlgesteuerten Zuwanderung vergangener Jahrzehnte.
Seit gut fünf Monaten gilt nun die volle Freizügigkeit für Arbeitnehmer aus acht östlichen EU-Ländern, darunter Polen, Tschechien und Ungarn. Doch die Osteuropäer kommen keineswegs in Scharen zum Arbeiten in Deutschland. Im ersten Monat wurden nur einige tausend mehr registriert. Viele davon waren schon zuvor in der hiesigen Schattenwirtschaft tätig. Vermutlich werden im Jahr kaum mehr als 100.000 Zuwanderer aus Osteuropa kommen. Dabei könnte Deutschland von fleißigen polnischen Handwerkern durchaus profitieren, so wie Großbritannien seinen Wachstumsschub nach 2004 auch dieser Zuwanderung verdankte.
Wer für Einwanderung wirbt, muss auch bereit sein, über bisherige Fehlentwicklungen zu sprechen. Die Bevölkerung sieht und spürt die Folgen der fehlgesteuerten Zuwanderung vergangener Jahrzehnte. Ein Großteil der Einwanderung, die nach dem Anwerbestopp von 1973 erfolgte, ging in die Sozialsysteme. Das ist eine Tatsache, die in der Statistik belegt ist: Die Zahl der Ausländer in Deutschland ist von damals drei Millionen auf etwa 7,5 Millionen gestiegen, doch die Zahl der erwerbstätigen Ausländer stagnierte bei zwei Millionen. Das heißt: Ein Großteil der Zuwanderung erfolgte zulasten der Sozialsysteme.
Der amerikanische Journalist Christopher Caldwell, Autor des Buches "Reflections on the Revolution in Europe", hat also vermutlich recht: Die ungesteuerte Zuwanderung nach Europa war kein dauerhafter Gewinn. Es ist zweifelhaft, ob sie uns volkswirtschaftlich bereichert hat, wenn man dem die Sozialkosten gegenüber stellt.
Dazu ein paar Fakten, die gern unterschlagen werden. Die Arbeitslosenquote unter Ausländern liegt bei 18 Prozent, das ist fast dreimal so hoch wie der Durchschnitt in der hiesigen Bevölkerung. Von den 1,7 Millionen türkischen Staatsbürgern hierzulande bezieht laut Statistik jeder Vierte Hartz IV. Eine Studie des Berlin-Instituts stellt fest: In keiner anderen Herkunftsgruppe finden sich mehr Menschen ohne Schulabschluss. Drei Viertel der arbeitslosen Ausländer haben keine Berufsausbildung.
Lange Zeit war eine offene Debatte über die Zuwanderungs- und Integrationspolitik kaum möglich. Auf der Rechten hieß es abwehrend, Deutschland sei kein Einwanderungsland, obwohl es längst eines ist. Auf der Linken hieß es stereotyp: Multikulti ist eine Bereicherung. Für die Bewohner multikultureller Problembezirke, wo sich der soziale Sprengstoff anhäuft, klingt das wie Hohn.
Wie tabubelastet das Thema noch immer ist, zeigte der hysterische Umgang mit dem Sarrazin-Buch, das vor einem Jahr herauskam. Hat die emotionsgeladene Kontroverse die notwendige Diskussion erstickt, wie Necla Kelek jüngst in der FAZ beklagt hat? Das wäre fatal. Die Diskussion muss offen geführt werden, ohne den Schleier der politischen Korrektheit.
Klassische Einwanderungsländer wie Australien oder Kanada betreiben eine aktive Auswahl von Zuwanderern. Sie wählen strikt nach beruflicher Qualifikation. So schöpfen die angelsächsischen Länder die begehrten Hochqualifizierten ab: indische Computer-Spezialisten oder chinesische Geschäftsleute. Längst gibt es einen globalen Wettbewerb um die besten Talente. In Deutschland dagegen wirkt nach wie vor der Sozialstaat als Zuwanderungsmagnet, während die hohen Steuern und bürokratische Hürden abschrecken.
Fest steht: Deutschland wird mehr Zuwanderung brauchen, um der Alterung und Schrumpfung entgegenzuwirken. Nach dem Demographiereport der Bundesregierung wird die Zahl der Erwerbsfähigen in Deutschland ohne Zuwanderung bis 2050 auf 26,5 Millionen sinken. Das wäre fast eine Halbierung. Eine solche extreme Schrumpfung bedroht unseren Wohlstand.
Allerdings sind die Wünsche der Wirtschaft nicht alles. Ebenso wichtig ist die Frage: Wie viel Zuwanderung ist sozialverträglich? Welche Einwanderergruppen sind kulturell leichter zu integrieren? Wie können die Konflikte entschärft werden, die in multiethnischen Gesellschaften auftreten? Die brennende Banlieue von Paris oder die jüngsten britischen Unruhen sind dafür Menetekel.
"Die multikulturelle Gesellschaft ist hart, schnell, grausam und wenig solidarisch", hat Daniel Cohn-Bendit schon vor Jahren gesagt. Das sind die Schattenseiten der "Bunten Republik" – auch darüber muss eine offene, ungeschminkte Diskussion möglich sein.
Philip Plickert, geboren 1979 in München, dort sowie an der London School of Economics Studium der Wirtschaftswissenschaften. 2007 Promotion an der Universität Tübingen mit einer Arbeit über die ideengeschichtliche Entwicklung des Neoliberalismus. Bereits während des Studiums Mitarbeit bei Presse und Rundfunk. Seit 2007 Mitglied der F.A.Z.-Wirtschaftsredaktion mit dem Schwerpunkt volkswirtschaftliche Themen. 2009 Ludwig-Erhard-Förderpreis für Wirtschaftspublizistik, 2010 Bruckhaus-Förderpreis der Hanns Martin Schleyer-Stiftung.
Wer für Einwanderung wirbt, muss auch bereit sein, über bisherige Fehlentwicklungen zu sprechen. Die Bevölkerung sieht und spürt die Folgen der fehlgesteuerten Zuwanderung vergangener Jahrzehnte. Ein Großteil der Einwanderung, die nach dem Anwerbestopp von 1973 erfolgte, ging in die Sozialsysteme. Das ist eine Tatsache, die in der Statistik belegt ist: Die Zahl der Ausländer in Deutschland ist von damals drei Millionen auf etwa 7,5 Millionen gestiegen, doch die Zahl der erwerbstätigen Ausländer stagnierte bei zwei Millionen. Das heißt: Ein Großteil der Zuwanderung erfolgte zulasten der Sozialsysteme.
Der amerikanische Journalist Christopher Caldwell, Autor des Buches "Reflections on the Revolution in Europe", hat also vermutlich recht: Die ungesteuerte Zuwanderung nach Europa war kein dauerhafter Gewinn. Es ist zweifelhaft, ob sie uns volkswirtschaftlich bereichert hat, wenn man dem die Sozialkosten gegenüber stellt.
Dazu ein paar Fakten, die gern unterschlagen werden. Die Arbeitslosenquote unter Ausländern liegt bei 18 Prozent, das ist fast dreimal so hoch wie der Durchschnitt in der hiesigen Bevölkerung. Von den 1,7 Millionen türkischen Staatsbürgern hierzulande bezieht laut Statistik jeder Vierte Hartz IV. Eine Studie des Berlin-Instituts stellt fest: In keiner anderen Herkunftsgruppe finden sich mehr Menschen ohne Schulabschluss. Drei Viertel der arbeitslosen Ausländer haben keine Berufsausbildung.
Lange Zeit war eine offene Debatte über die Zuwanderungs- und Integrationspolitik kaum möglich. Auf der Rechten hieß es abwehrend, Deutschland sei kein Einwanderungsland, obwohl es längst eines ist. Auf der Linken hieß es stereotyp: Multikulti ist eine Bereicherung. Für die Bewohner multikultureller Problembezirke, wo sich der soziale Sprengstoff anhäuft, klingt das wie Hohn.
Wie tabubelastet das Thema noch immer ist, zeigte der hysterische Umgang mit dem Sarrazin-Buch, das vor einem Jahr herauskam. Hat die emotionsgeladene Kontroverse die notwendige Diskussion erstickt, wie Necla Kelek jüngst in der FAZ beklagt hat? Das wäre fatal. Die Diskussion muss offen geführt werden, ohne den Schleier der politischen Korrektheit.
Klassische Einwanderungsländer wie Australien oder Kanada betreiben eine aktive Auswahl von Zuwanderern. Sie wählen strikt nach beruflicher Qualifikation. So schöpfen die angelsächsischen Länder die begehrten Hochqualifizierten ab: indische Computer-Spezialisten oder chinesische Geschäftsleute. Längst gibt es einen globalen Wettbewerb um die besten Talente. In Deutschland dagegen wirkt nach wie vor der Sozialstaat als Zuwanderungsmagnet, während die hohen Steuern und bürokratische Hürden abschrecken.
Fest steht: Deutschland wird mehr Zuwanderung brauchen, um der Alterung und Schrumpfung entgegenzuwirken. Nach dem Demographiereport der Bundesregierung wird die Zahl der Erwerbsfähigen in Deutschland ohne Zuwanderung bis 2050 auf 26,5 Millionen sinken. Das wäre fast eine Halbierung. Eine solche extreme Schrumpfung bedroht unseren Wohlstand.
Allerdings sind die Wünsche der Wirtschaft nicht alles. Ebenso wichtig ist die Frage: Wie viel Zuwanderung ist sozialverträglich? Welche Einwanderergruppen sind kulturell leichter zu integrieren? Wie können die Konflikte entschärft werden, die in multiethnischen Gesellschaften auftreten? Die brennende Banlieue von Paris oder die jüngsten britischen Unruhen sind dafür Menetekel.
"Die multikulturelle Gesellschaft ist hart, schnell, grausam und wenig solidarisch", hat Daniel Cohn-Bendit schon vor Jahren gesagt. Das sind die Schattenseiten der "Bunten Republik" – auch darüber muss eine offene, ungeschminkte Diskussion möglich sein.
Philip Plickert, geboren 1979 in München, dort sowie an der London School of Economics Studium der Wirtschaftswissenschaften. 2007 Promotion an der Universität Tübingen mit einer Arbeit über die ideengeschichtliche Entwicklung des Neoliberalismus. Bereits während des Studiums Mitarbeit bei Presse und Rundfunk. Seit 2007 Mitglied der F.A.Z.-Wirtschaftsredaktion mit dem Schwerpunkt volkswirtschaftliche Themen. 2009 Ludwig-Erhard-Förderpreis für Wirtschaftspublizistik, 2010 Bruckhaus-Förderpreis der Hanns Martin Schleyer-Stiftung.