Die älteste Koranhandschrift liegt in Berlin
Bis heute rätseln Wissenschaftler, wie und wann der Koran verschriftlicht wurde. Ein Puzzleteil für diese Forschung liegt in der Berliner Staatsbibliothek – die älteste umfangreiche Koranhandschrift der Welt.
Wir sind im Keller der Berliner Staatsbibliothek. Über lange Flure führt Christoph Rauch, der Leiter der Orientabteilung, an mehreren großen Stahltüren vorbei in das besonders geschützte Handschriftenmagazin.
"Hier befinden sich unsere 43.000 orientalischen Handschriften gut gesichert. Das ist die größte Sammlung orientalischer Handschriften in einer deutschen Bibliothek, eine der größten Sammlungen in der westlichen Welt."
Auf einem Schaumstoffkissen liegt der sogenannte Wetzstein Koran. Das Buch, etwa in DIN A4-Größe, ist von einem abgewetzten Ledereinband umhüllt. Der aber, erklärt Christoph Rauch, gehöre nicht zum Original, sondern wurde vor über hundert Jahren hier in der Bibliothek gefertigt.
"Schlagen wir ihn mal auf, von rechts nach links natürlich. Der Anfang fehlt, es sind ca. 85 Prozent des Korantextes, die hier bewahrt sind in dieser alten Handschrift und deshalb beginnen wir hier, inmitten der Sure Zwei."
Dieser Koran, erklärt mir Christoph Rauch, ist schon seit Ende des 19. Jahrhunderts im Besitz der Bibliothek, die damals noch königliche Bibliothek hieß. Erworben hatte sie der preußische König von Johann Gottfried Wetzstein, der von 1848 bis 1862 als preußischer Konsul in Damaskus stationiert war. Als ausgebildeter Orientalist wusste er um die Bedeutung dieser außergewöhnlichen Handschriften.
"Und zwar gab es in der Umayyaden-Moschee in Damaskus ein sogenanntes Schatzhaus - das gibt’s auch noch heute. Und in diesem Schatzhaus wurden alte Korane, Pergamentkorane aus früheren Zeiten aufbewahrt, die zerstört waren, kaputt gegangen waren, durch die starke Benutzung, die man aber aus religiösen Gründen nicht weggeworfen hat."
Dass es sich bei diesem Koran um eine wirklich alte Handschrift handeln musste, war unter Orientalisten nie umstritten. Aber erst eine Materialuntersuchung brachte Gewissheit, erklärt Michael Marx, der Leiter der Forschungsstelle Corpus Coranicum an der Berlin Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.
In der Moschee wird nicht aus dem Koran gelesen - sonder auswendig vorgetragen
"Die Technik ist die C14-Technik, die wir in den letzten zwei Jahren sehr umfangreich angewendet haben. Wir haben insgesamt 130 Datierungen vorgenommen von Koranhandschriften, aber auch von anderen Texten auf Pergament, Papyrus, auf südarabischen Holzstäbchen, alle aus dem ersten christlichen Jahrtausend, einfach auch um Vergleichstexte zu datieren."
Die seit 2007 in Potsdam angesiedelte Forschungsstelle betreibe so Grundlagenforschung zu den Ursprüngen des Korans, betont Michael Marx.
"Wir möchten die Geschichte des Korans verstehen. Wir möchten den Text historisch verstehen und dazu gehört, dass wir uns die Frage stellen: Wann ist der Text als solcher nachweisbar? Stimmt das überhaupt, dass der aus dem 7. Jahrhundert ist, gab's den schon vorher oder gab's den erst danach? Und von daher betreiben wir erstmalig weltweit eine systematische Auswertung aller vorliegenden Textzeugen."
Die islamische Religion sehe sich zwar auch als Buchreligion, meint Michael Marx. Das Buch aber, der Koran, habe historisch eine untergeordnete Rolle gespielt. Bis heute werde in der Moschee eben nie aus dem Koran gelesen, sondern auswendig vorgetragen.
Die vom Corpus Coranicum initiierten Datierungen zeigen, dass viele der Textfragmente deutlich älter sind als bisher vermutet. Einige einzeln überlieferte Dokumente wurden vermutlich nur wenige Jahrzehnte nach dem Tod des Propheten Mohamed verfasst. Dabei handelt es sich aber immer um einzelne Textseiten. Diese sogenannte Wetzstein-Handschrift in der Berliner Staatsbibliothek, erklärt Michael Marx, sei nicht ganz so alt, dafür aber fast vollständig erhalten.
"Sie ist vor 750 zu platzieren und dadurch ist sie ein ganz bedeutender, großer, umfangreicher, der erste fast vollständige Textzeuge, den wir bislang zur Verfügung haben."
Diese derzeit weltweit älteste Koranhandschrift ist für jedermann zugänglich, allerdings nur digital, meint Christoph Rauch.
"Wir haben die Handschrift digitalisiert und ein Wissenschaftler, der zu uns kommt, der muss sich mit dem Digitalisat zufrieden geben und wird das in der Regel auch, weil man kann mit unseren digitalen Aufnahmen sehr gut arbeiten und sehr gut auch alles sehen, was man mit dem bloßen Auge manchmal nicht erkennen kann."