Die Inszenierung des Sehens
In 3-D erleben, wie über Pompeji der Vesuv ausbricht: Das Diorama machte das bereits im 19. Jahrhundert möglich. Die Schirn Kunsthalle in Frankfurt hat unglaublichen Aufwand betrieben, um die Geschichte dieses volkstümlichen Mediums des Schaukastens darzustellen.
Im Golf von Neapel geht die Sonne unter und taucht die malerische Szenerie in wechselndes Licht. Dann wird es unheimlich. Hunde beginnen zu jaulen. Der Vesuv bricht aus. Feuerzungen und wirbelnde Rauchwolken verwandeln die Landschaft in eine apokalyptische Hölle. Noch heute kommt man ins Staunen angesichts der Effekte, die dieses historische Diorama mit Hilfe einer halbdurchsichtigen Leinwand und dahinter befindlichen Lampen und Farbfolien erzielt. So also muss man sich das Illusionstheater vorstellen, das Louis Daguerre, Vater des Dioramas und der Fotografie, 1822 in Paris eröffnete.
Die Schirn Kunsthalle Frankfurt hat unglaublichen Aufwand getrieben, um die Geschichte dieses volkstümlichen Mediums darzustellen. Kuratorin Ilka Voermann:
"Definitiv. Das war mit Abstand der aufwändigste Aufbau, den ich je betreut habe. Es ist natürlich eine Ausstellung nicht nur über das Sehen, eine Kulturgeschichte des Sehens, sondern es ist auch eine Geschichte des Ausstellens. Dass wir immer, wenn wir eine Ausstellung machen, eine Illusion kreieren, eine Welt bauen, in der wir eine Geschichte erzählen. Das ist das Ausstellungmachen, das passiert im Diorama im Kleinformat".
Es waren Künstler wie Rowland Ward, die sich im 19. Jahrhundert der Taxidermie, also dem Ausstopfen von Tieren widmeten. Sie benutzten ihre Kunstfertigkeit dazu, Hintergrundprospekte und natürliche Umgebungen zu gestalten. Der Leopard, der sich um einen Buschbock schlingt, um ihm die Kehle durchzubeißen, ist noch heute ein großartiges Beispiel für Wissensvermittlung plus Entertainment. Philipp Demandt, Direktor der Schirn Kunsthalle:
"Wie kann man das Weltwissen eigentlich zugänglich machen? Zum einen gibt es ein großes, auch naturwissenschaftliches Interesse daran, Tiere oder auch Menschen nicht nur losgelöst von ihren Umgebungen zu zeigen, sondern in ihrem Verhalten, in ihrer vermeintlich natürlichen Umgebung. Und da entsteht eben dieser Ansatz, Naturwissenschaft und Kunst zu verschmelzen, um quasi diese Welt nach Hause zu bringen. Natürlich sind das Inzensierungen. Und diese Mischung aus extremer Künstlichkeit, die vorgibt, natürlich zu sein: Das macht die Faszination des Dioramas bis heute aus".
Ein wahrhaft voyeuristisches Werk
Die Schirn Kunsthalle Frankfurt bietet nicht nur großartige naturkundliche und anthropologische Schaukästen oder Veranschaulichungen von Kolonialgeschichte. Sie zeigt auch, dass es wiederum Künstler waren, die im 20. Jahrhundert zur Renaissance des Dioramas beitrugen. Marcel Duchamps zum Beispiel, der ein wahrhaft voyeuristisches Werk entwickelte: Durch das Loch in einer Backsteinmauer blickt man auf einen nackten Frauenunterkörper mit gespreizten Beinen vor einer Landschaft.
Hiroshi Sugimoto fotografiert Dioramen im New Yorker Museum of Natural History. Die Schirn zeigt seine schwarzweißen Bilder. Sie verwischen genau diese Grenze zwischen Natur und extremer Künstlichkeit. Fast, als sollten die getöteten Tiere wieder lebendig werden. Die Schirn-Ausstellung ist eine gelungene Collage quer durch die Jahrhunderte. Gelegentlich, auf kleinen Monitoren, gibt es leitmotivische Filme, sagt Ilka Voermann:
"Sie werden bei uns im Treppenhaus von der 'Truman Show' begrüßt, wo ja eigentlich ein Mann in einem Riesen-Diorama lebt, also eine Welt um ihn herum gebaut wurde, dann haben wir "Night in the Museum", das ist der Film, der wahrscheinlich jedem sofort einfällt, wenn man an Diorama im Film denkt, wo Dioramen lebendig werden."
"Im ersten Ausschnitt sehen wir sehr schön, das ist der Start der Ausstellung, wie der Wächter, der von Ben Stiller dargestellt wird, versucht, durch die Scheibe zu sprechen, mit der Figur, die dort drin ist, das aber nicht gelingt. Und das ist ein ganz typischer Bestandteil des Dioramas: Wir sind nicht Teil dieser Welt, dieser Illusion, wir stehen immer davor".
Der Frankfurter Ausstellung gelingt das Kunststück, die Faszination der historischen Dioramen zu vermitteln, ohne sie zu denunzieren. Und trotzdem den kritischen Blick zu wahren. Höhepunkt dieser liebevollen Hommage sind die großformatigen Fotos von Richard Barnes. Sie zeigen Momente, in denen Dioramen aufgebaut, ausgebessert oder gereinigt werden. Ein Museumsmitarbeiter mit weißen Überschuhen bearbeitet mit einem Staubsauger das weiße Schneefeld einer amerikanischen Steppe – unter den wachsamen Blicken eines Bisons und eines Schneefuchses.
Ein humorvoll transzendentaler Moment in dieser Ausstellung: Sind wir Ausstellungsbesucher und Museumsgänger vielleicht auch nur das Personal eines noch zu entwerfenden Dioramas?