Weitere Informationen zum Stück "Das Bildnis des Dorian Gray" am Schauspiel Dortmund.
Ein Chor spricht "Dorian Gray"
Der schöne Jüngling Dorian Gray erkennt, dass sein Portraitbild nie altert, er aber schon. "Das Bildnis des Dorian Gray", der kunstphilosophische Krimi von Oscar Wilde, wird vom "Dortmunder Sprechchor" auf die Bühne gebracht − ein gewagtes Experiment.
Mit großer Regelmäßigkeit sind mittlerweile "Bürgerbühnen" aus dem Boden gesprossen in vielen Theaterstädten. Was in Dresden begann, noch mit den provokativen Spektakeln des Regisseurs Volker Lösch, fand Trend-Begleiter fast überall dort, wo Lösch arbeitet; oft aber nur projektbezogen. Das Theater neuen Typs fand wiederum in Dresden die eigene Struktur, andere Städte folgten: etwa Mannheim und seit mittlerweile sechs Jahren auch Dortmund. Jenseits der halbwegs dokumentarischen Beschäftigung solcher Laien-Ensembles mit dem jeweils eigenen Leben vor Ort blieb die Auseinandersetzung mit Literatur eine Herausforderung der besonderen Art – der "Dortmunder Sprechchor" erkundet jetzt zum Saison-Finale "Das Bildnis des Dorian Gray", den kunstphilosophischen Krimi von Oscar Wilde.
Der schöne Jüngling Dorian Gray
Chor-Leiter Alexander Kerlin und Thorsten Bihegue, Bearbeiter und Regisseur dieser "Dorian Gray"-Version, wissen durchaus um die Schwierigkeiten von Chören mit Literatur – weshalb sie den kopfstarken Chor (das jüngste Mitglied ist acht, das älteste 91 Jahre alt, sagt das Dortmunder Theater) tatsächlich auf die zentralen Rollen in Wildes Roman verteilen. Jeweils um die zehn Personen sind der Maler Basil und dessen scharfzüngig-kritisches "alter ego" Sir Henry, ebenso der schöne Jüngling Dorian Gray, der mit Blick auf Basils Bild mit Schrecken erkennt, dass das Bild nie altert, er aber schon. Und das will er nicht.
Die Schauspielerin Sibyl Vane, die sich in Gray verliebt und an unerwiderter Liebe stirbt, ist zu viert im Spiel (und sehr ironisch angelegt); und als "Tante Agathe" kommentieren schließlich weit über 30 weitere Stimmen den Gang der Dinge. Dieser große Chor ist vor allem auch der Wilde-Erzähler und verdichtet die künstlerisch-philosophischen Fragen des Romans. Obendrein ist der Kindersprechchor im Einsatz – klar, wo ja der eitle Dorian immer Kind bleiben will. Richtig viel Arbeit ist das für die Kostüm-Abteilung um Clara Hedwig und Vanessa Rust, da ja jede Gruppe gemeinschaftliche Ausstattung bekommt.
Hinter ihnen allen übrigens ist im Bühnenbild aus Podesten und Kulissen ein Video von Teilen des Chors zu sehen – und es verändert sich kaum merklich; nur wer genau aufpasst, sieht ein Augenlid auf und zu klappen oder die Veränderung etwa der Kopfhaltung. Das Video markiert den Kern der Wilde-Motive – es ist Kunst pur und verändert sich langsamer als das Leben selbst. Derweil will der schöne Dorian dieses Vergehen ja aufhalten – was letztlich zu Mord und Tod führt; für Miss Vane als Romeos Julia im Theater, für Dorian selbst und den Maler Basil.
Es wird kein Witz daraus
Ob es aber wirklich eine richtig gute Idee war, den literatur-erfahrenen Dortmunder Sprechchor gerade mit einem derart fein ziselierten, weithin sehr filigranen Text herauszufordern? Selbst die süffigeren Pointen jedenfalls im Streiten über Sinn und Zweck und Zukunft der Kunst zünden sämtlich nicht; und einmal wird sogar ein Wortspiel absichtsvoll fürs Publikum wiederholt. Aber noch immer wird kein Witz daraus – die kompakte Statik gemeinsamen Sprechens steht jeder Delikatesse im Text ziemlich grundsätzlich im Wege. Oscar Wildes "Dorian Gray" ist doch bei allem bitteren Ernst vor allem leichtfüßig; gesprochen im Chor aber kommt er hier über gemeinschaftliche Schwerfälligkeit nicht hinaus.
Warum also überhaupt Wilde? Die Antwort liefert das Vorspiel. Bevor das Publikum Platz nehmen kann in der "Megastore"-Spielstätte des Dortmunder Schauspiels, darf es durch einen "Wellness-Tempel" driften, Kopf-Massage inklusive. Hier nehmen die Projektleiter Kerlin und Bihegue den akuten Schönheitswahn kurz ins Visier; und der Chor mit all den tollen Dortmunder Privat-Persönlichkeiten kommt uns hier auch sehr nahe.
Danach leider nicht mehr so sehr – Oscar Wilde im Chor geht vielleicht ja wirklich nicht.