Schauspiel Frankfurt: "Die Blechtrommel"

Kartoffelacker-Koitus und Konservensturz

David Bennet als Oskar Matzerath am Filmset von "Die Blechtrommel" (1979)
Die Bühnenadaption von "Die Blechtrommel" von Oliver Reese versammelt alle eigenartigen Szenen, wohlbekannt aus Grass' Roman und Schlöndorffs Verfilmung. © imago/EntertainmentPictures
Von Natascha Pflaumbaum |
Oliver Reese bringt am Schauspiel Frankfurt Günter Grass’ Roman "Die Blechtrommel" auf die Bühne - als Ein-Mann-Stück und Best-Of. Ein paar Wörter aus dem Roman genügen jeweils als Erkennungszeichen, und das Publikum freut sich an diesem Spiel.
Das Publikum ist begeistert: "Standing Ovations" für Nico Holonics. Man hat gelacht, man hat sich gut unterhalten, ein richtiger Wohlfühlabend mit Musik und Komik, ein bisschen Tragik - etwas über zwei Stunden lang. Und das über "Die Blechtrommel": diesen Nachkriegsroman schlechthin.
Man kennt das Buch von Grass, den Film von Schlöndorff, und nun kommt diese Bühnenadaption von Reese, und man erinnert sich aufs Stichwort an alle die eigenartigen Szenen, die Günter Grass in seinem Roman von 1959 so kunstvoll syntaktisch schlingernd verwoben, die Schlöndorff so drastisch kadriert hat: an den Koitus auf dem Kartoffelacker, Oskars Geburt, die Sache mit dem Nachtfalter an der Lampe, an Oskars dritten Geburtstag und seine erste Blechtrommel, an den Konservensturz, der Oskars Kleinwuchssyndrom erklärt, an seinen ersten Arztbesuch, seine Einschulung und natürlich die Pferdekopf-Aal-Szene, die Brausepulverbauchnabelverführung und und und ...
Szenensuchspiel auf der Bühne
Ein gestischer Schnipser von Holonics, eine bisschen Stimmparodie auf Mario Adorf etwa, ein paar Wörter aus dem Roman genügen schon als Erkennungszeichen. Den ganzen Abend über spielt das Publikum dieses Wiedererkennungsspiel und erfreut sich daran. So funktioniert also der Roman auf der Bühne: als Szenensuchspiel.
Oliver Reese hat den Grass-Roman schrumpfen lassen zu einer Szenen-Kompilation auf Musik, zu einem Best-Of, wie es auch Wikipedia zusammenschreibt. Wenn man sich überhaupt an die Romanlektüre erinnert, dann an die von Reese zusammengeschnittenen Szenen.
Der Bühnenbildner Daniel Wollenzin baut dafür den plakativen Blechtrommel-Raum schlechthin: ein Podest aus Torf als Anspielung auf den kaschubischen Kartoffelacker mit einer Bodenluke und mit einem übergroßen Stuhl darauf, der so groß ist, dass Holonics sehr klein wirkt. Zweites Requisit: die weiß-rote Blechtrommel, auf der Holonics den ganzen Abend über nicht einen einzigen Ton spielt, wenn man mal von dem Krachen absieht, mit dem er ein Instrument nach dem anderen mit seinen Füßen zusammenstampft.
Ein Schauspieler, zahlreiche Rollen
Nico Holonics macht aus der Kargheit von Bühne und Text eine szenische Rezitation: er schlüpft in zahlreiche Rollen, in Agnes, in Jan, in Alfred, in Marie und erzählt so im ewigen Rollenspiel sein Leben, er spielt Szenen nach, imitiert mit Sprache und Gestus, überzeichnet, parodiert, er ist unentwegt in dieses Rollenspiel verwickelt, so dass die Figur des Oskar ein bisschen auf der Strecke bleibt. Und wenn nichts mehr geht, suhlt und aalt er sich obendrein noch im Torf. Diesen Oskar spielt er als kindlichen Sadisten, gedrängt, gedrückt, er lässt ihn zittern, beben. Boshaft und aggressiv ist der Wicht. Ein Verführer, der auf sehr simple Weise - mit Staccato-Trommeln und hohem Diskant – unentwegt zerstört: Menschen und Glas.
In seinen übergroßen Hosen, die ihm weit über den Bauchnabel reichen, wirkt Holonics mitunter sogar sehr niedlich oder possierlich – spätestens dann schlägt sich das Publikum auf seine Seite. Er leistet einen Kraftakt, der viel schauspielerisches Talent aufblitzen lässt, aber auch viel Unvermögen, dem Buch gerecht zu werden. Alles das ist unterhaltsam, mal witzig, mal anrührend, ein sehr gepflegtes Spiel aus dem Jahr 2015 und weit weg vom Grass’schen Ton der Nachkriegszeit.
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