"Ich täusche nichts vor"
Der Schauspieler Dieter Mann gilt als ernst und analytisch, doch er kann auch albern sein. Nach vier Jahrzehnten am Deutschen Theater in Berlin und etlichen großen Rollen ist er nun mit einer neuen Aufgabe konfrontiert: dem Kampf gegen seine Parkinson-Erkrankung. Ein Porträt zum 75. Geburtstag.
Er war einer der Star-Schauspieler der DDR - und nicht ohne das Deutsche Theater in Berlin zu denken, dessen Ehrenmitglied er heute ist. Dieter Mann hat hier über 40 Jahre Theater gespielt – und zwischendurch das Haus sogar einige Jahre geleitet. Im Osten Deutschlands war er den meisten ein Begriff – im Westen dagegen musste er sich schon mal fragen lassen, ob er - Dieter Mann – denn mit Thomas Mann verwandt wäre. Am 20. Juni wird er 75 Jahre alt – ein Schauspieler wie es nur noch wenige gibt – wandlungsfähig – und vielseitig – im Theater genauso wie im Film, Fernsehen oder Hörfunk. Susanne Burkhardt gratuliert.
Es passt zum Wesen Dieter Manns, dass eine Biografie über sein ereignisreiches Leben, erst jetzt erscheint, zum 75. Geburtstag. Er habe nichts, dass er der Nachwelt mitteilen müsse – so kommentierte er sein jahrelanges Widerstreben, seine Distanz zur Legendenwerdung. So als spräche da Antonio aus ihm, aus Goethes "Torquato Tasso" den er 1975 unter Friedo Solter spielte:
"Ist es so angenehm, sich mit sich selbst zu beschäftigen? Wenn es nur so nützlich wäre – inwendig lernt kein Mensch sein Innerstes erkennen – denn er misst sein Innerstes zu klein und manchmal auch zu groß."
Theater ist nur gut, wenn es zeitlos ist
Dieter Manns Schaffen ist gar nicht groß genug zu messen: Viel kann er uns erzählen, von einer Zeit, die längst vergangen zu sein scheint: Eine Zeit, in der Schauspieler über Jahrzehnte und Krisen hinweg in Ensembles zusammen arbeiteten – ohne Angst vor dem auslaufenden 2-Jahresvertrag.
Erzählen vom Vertrauen im Miteinander und dem gemeinsamen sich entwickeln. Von Schauspielerei als Erweiterung der Sinne – als
Davon, wie es sich anfühlt, auf derselben Bühne als Anfang Zwanzigjähriger zu stehen und dann als 65jähriger – mit all der gewonnenen Erfahrung. Wie es ist, im gleichen Stück über einen Zeitraum von 40 Jahren die verschiedensten Charaktere zu spielen – wie den Nathan, den Derwisch und ganz jung, den Tempelherren in "Nathan der Weise":
"Nathan – ihr setzt eure Worte sehr gut. Sehr spitz – ich bin betreten."
Für Dieter Mann ein zeitloses Stück. Und Theater ist nur dann gut – wenn es zeitlos ist. Er hat in einigen solcher zeitlosen Stücke gespielt – mehr als 300 Mal war er Edgar Wiebeau – Hauptdarsteller in Ulrich Plenzdorfs "Neuen Leiden des jungen W." – ein DDR-Kultstück.
Liebe zur Genauigkeit
Sensibel, ernst, konzentriert, unaufgeregt und analytisch – so könnte man das Spiel des Dieter Mann beschreiben und würde ihm doch nie wirklich gerecht.
"Na dett war watt na? Kommse mal zur Sache."
Denn dieser so ernste und selbstkritische Mann kann auch völlig albern sein:
"Dett is das schöne an mir: Ick bin n ganz cooler Typ."
Egal ob mit Berliner Schnauze
"Hallo Fans – bei euch kommt jetzt janz steile Type – heißt das her preil bei euch oder bei Sie?"
– oder auf Sächsisch:
"Sprache ist wichtig."
Sagt Dieter Mann.
"Ich bin sonst bleidigt – als Zuschauer und als Schauspieler."
Gute Sprache kann glücklich machen – und ist gleichzeitig unverzichtbar für gutes Theater. Gute Sprache, findet er, fehlt heute immer öfter auf den Bühnen. Dabei regt sie doch an zum Denken. Und Dieter Mann ist fasziniert vom Denken:
"Und wenn ich den guten Gedanken eines Poeten oder Philosophen bemerke, einen, den ich vielleicht auch ahnte aber nie so gut hätte formulieren können – dann ist das für mich eine Form von glücklicher Entdeckung –das kann bis zu einzelnen Wörtern gehen – wo ich mich dann frage – was willst du denn hier mit irgendwelchen schauspielerischen herumalbernden Arabesken?"
Vielleicht ist diese Liebe zur Genauigkeit und zum Denken – neben seiner Wandelbarkeit, seiner spielerischen Tiefe, mit ein Grund dafür, dass Dieter Mann in den 80er Jahren das wurde, was man ein Publikumsliebling nennt – egal ob er Theater machte, Film, Fernsehen oder Hörfunk. Erfolge, von denen noch heute unsterbliche DEFA-Filme künden wie "Lotte in Weimar, "Das Versteck", "Glück im Hinterhaus", oder Polizeirufe wie "Albtraum". Vielleicht war diese Liebe zum Denken auch ein Grund dafür, dass er es auf sich nahm, das Deutsche Theater als Intendant durch die aufregende Wendezeit zu manövrieren. Denn das beste Theater – das weiß Dieter Mann – entsteht immer in Zeiten des Umbruchs.
Von 1984 bis 1991 sorgte er als Chef für eine ruhige und konzentrierte Atmosphäre, holte Regisseure wie Frank Castorf oder Heiner Müller ans Haus.
Vielleicht erhoffte er sich auch auf diese Weise ein bisschen zu überdauern, denn:
"Es ist das Schicksal der Schauspielerei dass von ihr nichts Festzumachendes bleibt – die Dichter sind da besser dran – auch die Maler."
Letzter Auftritt war eine Autobiografie
Wir können dankbar sein, dass Dieter Mann – der schmallippige, kluge, nachdenkliche Schauspieler nicht seinem frühen Impuls folgte, Musiker zu werden. Sondern das Theater wählte – auch wenn sich die Eltern wenig darum scherten, nicht einmal kam seine Mutter in eine Vorstellung. Und auch dafür, dass er manchmal das Deutsche Theater verließ: zu Ausflügen nach Dresden, wo er uns vor acht Jahren seinen "König Lear" schenkte.
"Wenn der Lear kommt, dann weißt du Bescheid!"
Oder den "Hagen von Tronje" bei den Nibelungen-Festspielen in Worms unter Dieter Wedel.
Der Schauspieler als blinder Wanderer auf den steinigen Feldern der Sehnsüchte – so poetisch beschreibt Dieter Mann seinen Beruf.
"Manchmal ertasten wir etwas was sich nach Glanz anfühl."
Sein letzter Auftritt bislang: Die Vorstellung seiner Autobiografie, entstanden als Gesprächsbuch mit Hans-Dieter Schütt vor ein paar Wochen im Deutschen Theater in Berlin. Dazu die Auskunft, er sei jetzt Parkinson-Patient. Eine neue Aufgabe für den Kämpfer Dieter Mann, für den nicht zutrifft, dass "aller Anfang schwer sei".
"Aufhören ist schwer."
Das Leben ohne Theater, ohne Schauspielerei – ist das eine Möglichkeit für Dieter Mann? Durchaus.
"Weiterleben ist eine schöne Möglichkeit – es ist eine schöne Möglichkeit und zwar jeden Morgen."