"Ich bin kein zufriedener Mensch"
Dem Fernsehpublikum wurde er bekannt als einarmiger Kommissar Tauber im "Polizeiruf 110", auf der Bühne brilliert er in Michel Houellebecqs "Unterwerfung": "Ich bin jemand, der immer in Bewegung ist", sagt der Schauspieler Edgar Selge.
Fast zehn Jahre lang spielte er den einarmigen Kommissar Tauber im bayerischen "Polizeiruf 110": Sprachen ihn Menschen auf der Straße an, waren sie erstaunt, dass er zwei Arme hat. Edgar Selge, der in diesem Jahr 70 wurde, steht sowohl vor der Kamera als auch auf regelmäßig der Bühne.
Er braucht den Kontakt zum Publikum
"Der Kontakt zum Publikum, das Anschauen des Publikums, den Text aus den Augen des Anderen zu entwickeln, ist für mich wesentlich, damit meine eigene Spontaneität in Gang kommt. Ich will nicht etwas Eingelerntes reproduzieren, sondern ich will, dass etwas, worüber ich mir viele Gedanken gemacht habe und wo es bestimmte Schienen gibt, dass das neu entsteht. Und dazu muss ich mich selbst in eine geforderte Dialogsituation begeben und die stelle ich hypothetisch zwischen mir und dem Zuschauer her."
Außerdem sagt er über sich:
"Ich bin kein zufriedener Mensch. Was nicht heißt, dass ich nicht auch positive Brücken bauen kann. Ich bin jemand, der immer in Bewegung ist, Dinge verwandeln will und Schwierigkeiten hat, mal eine Pause zu machen. Aber Zufriedenheit? Ich weiß gar nicht, was das heißen soll."
Seine Charaktere sind meist in sich zerrissen und nah am Abgrund: Shakespeares Jago, Tschechows Astro oder den Mann im Parka in Botho Strauß‘ "Groß und Klein".
Angst als Grundgefühl
Edgar Selge wuchs in Ostwestfalen auf. Sein Vater war Direktor einer Jugendstrafanstalt – eine Nachbarschaft, die seine Kindheit geprägt hat. Dort sammelte er auch seine ersten Theatererfahrungen.
"Vielleicht hängt meine Angst, die ich als Kind gehabt habe und die ich eigentlich noch immer habe, die Angst als Grundgefühl, durchaus mit dem Gefängnis zusammen. Angst vorm Leben, Angst vorm Unerwarteten, mit dem ich nicht umgehen kann, Angst vor Unheil, das hereinbricht. Das kann sich auch auf eine politische, gesellschaftliche Situation beziehen. Ich bin kein mutiger Mensch, kann aber in Situationen auch Mut beweisen. Das ist kein Widerspruch."
"Vielleicht hängt meine Angst, die ich als Kind gehabt habe und die ich eigentlich noch immer habe, die Angst als Grundgefühl, durchaus mit dem Gefängnis zusammen. Angst vorm Leben, Angst vorm Unerwarteten, mit dem ich nicht umgehen kann, Angst vor Unheil, das hereinbricht. Das kann sich auch auf eine politische, gesellschaftliche Situation beziehen. Ich bin kein mutiger Mensch, kann aber in Situationen auch Mut beweisen. Das ist kein Widerspruch."
Allein vor 1200 Zuschauern
Am Hamburger Schauspielhaus ist Edgar Selge zur Zeit in Michel Houellebecqs "Unterwerfung" zu sehen – allein vor 1200 Zuschauern. Für diese Rolle erhielt der den Deutschen Theaterpreis "Der Faust". Der Roman "Unterwerfung", in dem Houellebecq ein vom Islam beherrschtes Frankreich im Jahr 2022 schildet, treffe einen Nerv, sagt der Schauspieler.
"Theater ist Unterwerfung. Ich musste mich auch diesem Text unterwerfen."
"Es gibt einfach nicht so oft Texte im Theater, die von solcher Aktualität sind und solche Krisenbeschreibungen sind und die dem Publikum, den Machern und mir ermöglichen, anhand dieses Textes über die eigenen Krisen nachzudenken. Die objektive Krise ist die der Müdigkeit in unserer Gesellschaft, auch einer gewissen Lebensmüdigkeit, einer Müdigkeit in Bezug auf Religion, aber auch den demokratischen Diskussionen und komplizierten Verläufen. Demokratie ist etwas sehr kompliziertes. Und ein Riesenvertrauensverlust in die Politik und die Politiker."