Zum Tod von Günter Lamprecht
Schauspieler Günter Lamprecht. Nach der Fassbinder-Verfilmung von "Berlin Alexanderplatz" wurde er in den USA mit Standing Ovations gefeiert. © picture alliance / dpa / Jörg Carstensen
Ein Künstler, der den Existenzkampf kannte
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Ein Freund brachte Günter Lamprecht zum Schauspiel. Der Berliner spielte an einem Dutzend deutscher Bühnen, in Rainer Werner Fassbinders "Berlin Alexanderplatz" brillierte er in der Rolle des Franz Biberkopf. Nun ist er in Bad Godesberg gestorben.
"Die Erde ist ein Jammernest. Da ist der jute Vater Staat, der gängelt dich von früh bis spaat, er zwickt und beutelt dich nach Noten mit Paragraphen und Verboten."
Als Günter Lamprecht 1979 den Franz Biberkopf in Fassbinders „Berlin-Alexanderplatz“ spielte, war er schon lange ein bekannter Schauspieler. Aber Biberkopf, der einfache Mann, der in der Weimarer Republik versucht, ein anständiger Mensch zu werden und am System, an der Zeit und an sich selbst scheitert, machte ihn zum Star.
Schwierige Kindheit in Armut
Dabei verlief Lamprechts Kindheit alles andere als vielversprechend: 1930 in Berlin geboren, wächst er in einfachsten Verhältnissen auf. Seine Mutter ist eine aus Polen stammende Putzfrau, die von seinem Vater, einem Taxifahrer und Alkoholiker, misshandelt wird.
"Ich habe ihn ja ganz wenig als Kind erlebt. Und wenn er dann wirklich da war, da war er dann betrunken in seiner wunderbaren SA-Uniform. Dann tobte er bei uns durch die Landschaft", erinnerte sich der Schauspieler einst.
Im Krieg wird er bei Bombenangriffen zweimal verschüttet, eine Dachdeckerlehre bricht er ab, arbeitet als Müllfahrer und Hilfssanitäter. Nach dem Krieg handelt Lamprecht auf dem Schwarzmarkt, trainiert zusammen mit Bubi Scholz und wird beinahe Profiboxer.
Stipendiat an der Max-Reinhard-Schule
Aber als er sich sein Nasenbein operieren lassen soll, steigt er aus. Er absolviert eine Lehre zum Orthopädie-Mechaniker, will seinen Meister machen. Doch ein Freund animiert ihn, zur Schauspielschule zu gehen. Lamprecht erhält 1953 ein Begabten-Stipendium für die Max-Reinhard-Schule und übernimmt bereits ein Jahr später kleine Rollen am Berliner Schillertheater.
Sein erstes festes Engagement folgt dann am Schauspielhaus Bochum. Richtig wohl fühlt er sich dort nicht. "Als ich am Theater anfing, da herrschte immer noch so ein Kommandoton von einigen Intendanten", erinnert er sich. "Die brüllten statt zu inszenieren, haben die gebrüllt, immer den ganzen Tag. Da habe ich dann gesagt: ´Ich gehe nach Hause. Das mache ich nicht mit hier. Bin ich hier auf dem Kasernenhof?`"
Lamprecht wechselt öfter die Theater, arbeitet insgesamt an zwölf verschiedenen Bühnen und spielt häufig Männer des Volkes.
TV-Rollen in den 60er-Jahren
In den 60er-Jahren übernimmt er dann erste Nebenrollen in Fernsehfilmen. 1973 spielt er die Hauptrolle in der Romanverfilmung „Stellenweise Glatteis“ von Max von der Grün. Drei Jahre später kämpft er in „Das Brot des Bäckers“ von Erwin Keusch gegen die Macht der Supermärkte an.
"Du musst mehr Mehl an die Hände nehmen, dann klebt er nicht", erklärt er darin seinem Lehrling das Handwerk. "Heute hat man ja schon diese Brotstraßen. Da brauchst du keine Waage mehr, brauchst du so einen Teig nicht mehr abschneiden. Schüttest einfach 100 Kilo in einen Kessel, in den Abwieger, und am Ende der Maschine kommt der Teig fertig geformt und abgewogen raus."
"Spart natürlich ganz schön Zeit."
"Ja! Ist aber nicht gleiche Qualität. So ein Brot kriegen die nicht hin."
Drehen mit Fassbinder
Bereits zu dieser Zeit hat Lamprecht auch in kleineren Rollen in Filmen von Rainer Werner Fassbinder gespielt: in „Welt am Draht“, „Martha“ und „Die Ehe der Maria Braun“.
Dann engagiert Fassbinder ihn für sein Epos „Berlin-Alexanderplatz“: 14 Teile, über 15 Stunde Länge – und Lamprecht ganz im Zentrum als Mann, der gerade das Gefängnis verlässt und gegen die Wirren der Zeit kämpft.
"All diese Menschen und dann die Stadt und die Welt und ick. Jetzt mach keine Schwierigkeiten, Junge! Wirst dich schon wieder zurechtfinden. Und vergiss nicht! Du darfst dich nicht umdrehen", sagt sein Biberkopf zu sich.
Gefeiert in den USA
In Deutschland zwiespältig aufgenommen, wird „Berlin-Alexanderplatz“ in den USA als Jahrhundertwerkt gefeiert – und Günter Lamprecht gleich mit, zum Beispiel als er sich am Broadway ein Musical anschaut.
"Eine Woche lang war ich da der King. Ungefähr am vierten Tag abends, nachdem ich in New York war, da steht die rechte Seite, das ganze Parkett auf und klatscht. Standing Ovation." Er habe sich umgedreht und gefragt, ob der Präsident komme? "'Ne', sagt er, 'it´s for you!'"
In Deutschland hingegen versteht Lamprecht nicht, warum die Kritiker US-Schauspieler und ihr Method Acting bejubeln. "Wenn Robert de Niro sich 20 Kilo runtertrainiert hat und original gekämpft hat, das habe ich ja auch schon alles vorher gemacht", sagt er. "Das war so selbstverständlich. Ich habe ein halbes Jahr mit den Catchern trainiert in Bremen, um das authentisch zu spielen."
Politisches Engagement
Privat ist Günter Lamprecht zuerst mit der Schauspielerin Gisela Zülch verheiratet, später wird Claudia Amm seine Lebensgefährtin. Politisch setzt er sich für die SPD ein, engagierte sich für Umweltschutz und soziale Zwecke und beweist mit einer zweiteiligen Autobiografie, dass er auch das Schreiben beherrscht.
Als Schauspieler und Co-Autor gelingt ihm in den 90er-Jahren ein großer Wurf: Lamprecht entwickelt den "Tatort"-Kommissar Franz Markowitz, der in Berlin-Kreuzberg als Polizeibeamter mit Herz ermittelt und sonntags mit einer Jazzband auftritt.
Mit Günter Lamprecht verlieren wir einen Charakterdarsteller, der zugleich Volksschauspieler war. Ein Künstler, der wusste, wie er seinen Figuren Leben einhauchen konnte, weil er deren Existenzkampf selbst kannte.
Und auch wenn Lamprecht viel erreichte, blieb doch einer seiner Wünsche unerfüllt: Als Kind fiel sein musikalisches Talent auf, und seine Mutter legte Sonderschichten ein, um ihm ein Klavier zu kaufen, an dem er fleißig übte – bis der Vater es versoff.
"Wenn ich noch mal auf die Welt kommen würde, wenn es das gibt, dann würde ich ganz gerne Bandleader sein, Musiker und eine schöne große Swingband, ein Orchester leiten."