"Ein Zwerg auf dem Zahntechnikerstuhl ist doch verschenkt"
Das gewisse Etwas, das jemanden zum Bühnenberuf befähigt, lässt sich nicht messen - schon gar nicht an der Körpergröße. Wie man der Norm ein Schnippchen schlägt und dabei die größten Widerstände überwindet, beweist der Berliner Schauspieler Peter Luppa.
Worin besteht eigentlich die Größe eines Schauspielers? Außergewöhnliche Erscheinung, Ausstrahlung, Authentizität...? Peter Luppa ist ein ungewöhnlicher Schauspieler, weil er all diese Eigenschaften in sich vereint. Aber eben nicht in gängiger Konfektion. Mit gerade einmal 138 cm Körpergröße, ohne Ausbildung und Vitamin B hat er geschafft, wovon viele träumen. Auf der Bühne und vor der Kamera zu spielen und davon zu leben. Zuvor hat Luppa sieben Jahre als Zahntechniker in Karlsruhe gearbeitet. Bis ihm die Ausbruchsphantasien eines Kollegen die Augen geöffnet haben.
"Der Kollege der Dvorak, der wollte immer den Flugschein machen und wollte immer was anderes machen. Da war mir eigentlich klar, dass ich'n anderen Auftrag habe in der Gesellschaft. Und da hab ich gedacht, der Zwerg oder der Kleinwüchsige auf einem Zahntechnikerstuhl ist eigentlich verschenkt, komplett verschenkt!"
In einem Magazin entdeckt Luppa das Portrait des kleinwüchsigen Schauspielers Dirk Zalm. Zalms Geschichte, der seine Arbeit als Flugzeugtechniker für die Schauspielerei an den Nagel gehängt hat, versetzt ihm den entscheidenden Kick. Luppa schreibt rund 300 Briefe, um sich bei Agenturen, Produktionsfirmen und Schauspielschulen zu bewerben.
"Die haben mich alle abgelehnt, immer mit der Begründung, dass ein kleiner Mann nicht in das System, in das Ausbildungskonzept der Schule passt. Da gäbe es keine richtigen großen Rollen oder man könnte da schlecht in der Gruppe miteinander arbeiten, weil es immer rausknallt, weil es was anderes wäre. Die haben gemeint, beim Theater wird man schlecht behandelt und beim Film - gerade als Kleinwüchsiger und Behinderter noch schlimmer. Man soll doch seinen Job weiter machen, wenn's einem da gut geht."
Aber Peter Luppa schlägt die Vorurteile in den Wind und bewirbt sich weiter. Am Ende nimmt ihn eine Münchener Agentur als Statist. Und plötzlich geht alles schneller als erwartet. 1985 will das Münchener Residenztheater ihn für eine Uraufführung engagieren. Der Schauspieler Sepp Bierbichler soll sein Partner sein. Zuvor aber muss er den Autor des Stücks, Franz Xaver Kroetz überzeugen.
"Und dann bin ich am Heiligabend im Schneetreiben im Auto nach München geeiert. Dann saßen wir beisammen und ich hab schnell die Szene gelesen, um was es da ging. Da ging's darum, dass ein Zwerg zu sich steht. Ich hab dem Kroetz gesagt, ich find' das alles ganz spanned. Bloß ich weiß nicht, ob ich Text lernen kann, ich weiß nicht, ob ich Mut hab, da auf der Bühne herumzurennen mit den Kollegen. Ich weiss nur eines, mich interessiert's und ich würd's gern versuchen. Und dann hat der Kroetz nur gesagt, Peter, pass mal auf, ich geb' dir die Chance, du kannst das machen. Aber du musst auch Talent haben, weil nur Sätze aufsagen, das geht nicht, du musst auch spielen können."
Luppa spielt sich ins Herz des Publikums
Luppa probiert und überzeugt. Kroetz Zusage erfolgt nach einer Probe. Betrunken - in einer Kneipentoilette.
Im Theater: "Sag irgendetwas, komm, los, irgendwas!"(Gelächter)
"Man wusste auf einmal, Peter Luppa, wer das ist. Das ist ein kleiner Mann der spielt, und der ist frei und den kann man engagieren."
Im Theater: "Ist doch gut, ist doch gut, wenn sie lachen!. (Gelächter)
Bierbichler, mit dem er seit der Münchener Produktion befreundet ist, empfiehlt ihn weiter ans Berliner Ensemble. Dort trifft Peter Luppa den Regisseur Leander Hausmann. In Hausmanns "Sommernachtstraum"- Inszenierung sind zwar schon alle Rollen besetzt, aber Hausmann erliegt Luppas hartnäckigem Charme und erfindet eine Rolle hinzu.
"Was dann als Rolle rauskam: ich soll einen Tannenbaum spielen. Und da dachte ich, aha einen Tannenbaum. Die haben mir da so'n Plastikkinderzelt drüber gestülpt, haben da so Plastiknadeln drauf geheftet auf dieses Zelt und dann ham sie noch was rausgeschnitten, dass der Kopf rausguckt und das war's eigentlich. Der Tannenbaum wurde die zweite Haut auf einmal. Das war ein Satz, da streiten sich die beiden Mädchen und dann tritt der Tannenbaum auf...
(Im Theater "Sommernachtstraum": "Kann mir mal jemand sagen, wie klein ich bin? Naja, das ist alles eine Frage des Blickwinkels!")
Und dann kommt halt der Satz 'das ist alles eine Frage des Blickwinkels'. Das war aber eigentlich darauf bezogen, weil beide sind mit dem Oberkörper frei gewesen, also halb nackig, beide Mädels. Und der Tannenbaum ist ja nicht so groß, weil ich ja auch nicht so groß bin und mein Blick ging natürlich genau auf...ja, auf was Schönes."
Peter Luppa spielt sich nicht nur ins Herz des Publikums, sondern auch in das des Berliner Ensembles. 2004 bietet ihm Claus Peymann ein Festengagment an. Mitunter setzt Luppa andere Akzente als sein pedantischer Chef, Claus Peymann. So auch in dessen neuester Inszenierung "die Macht der Gewohnheit" von Thomas Bernhard. Mit Peter Luppa als "Spassmacher".
"Und der "Spassmacher" verliert immer eine Mütze. Die fällt ihm runter, die rutscht ihm ins Gesicht. Und der Herr Peymann ist ja sehr werktreu und übt jede Regieanweisung genauestens aus. Und da weiß ich jetzt schon, die Fragen werden kommen: Wie rutscht die Mütze ins Gesicht, rutscht die Mütze von alleine ins Gesicht und wann, bei welchem Stichwort rutscht sie und wie weit rutscht sie.
Dann gibt's auch wichtige akrobatische Szenen. Und als ich das Gespräch hatte mit Herrn Peymann war für ihn vielleicht sogar die wichtigste Frage überhaupt: Luppa, bevor wir darauf kommen, dass ich Sie jetzt besetze: Können Sie einen Purzelbaum machen?"
Dann gibt's auch wichtige akrobatische Szenen. Und als ich das Gespräch hatte mit Herrn Peymann war für ihn vielleicht sogar die wichtigste Frage überhaupt: Luppa, bevor wir darauf kommen, dass ich Sie jetzt besetze: Können Sie einen Purzelbaum machen?"
Dinge auf den Kopf stellen, sie von hinten aufrollen, um sie neu zu erzählen. Peter Luppa tut dem Berliner Ensemble gut. Die Theaterinstitution darf sich mit ihm schmücken. Entgegen jeglicher Macht der Gewohnheit.