Freie Kunst nach der Pandemie

Zurück zur prekären Beschäftigung

Illustration einer Person vor einem Schreibtisch mit vielen Aktenordnern. Der Rücken der Person brennt.
Mit finanzieller Unterstützung während der Pandemie hatte sich das Leben vieler freischaffender Künstler gebessert - doch das scheint nun wieder vorbei zu sein. © imago images / fStop Images / Malte Müller
Ein Einwurf von Nicola Schubert · 20.07.2022
Ideenentwicklung, Konzeption und Antragschreiben: Vieles in der Freien Kunstszene ist unbezahlt. Durch die Corona-Hilfen änderte sich das plötzlich. Doch nun droht ein Backlash - bei steigenden Kosten, fürchtet die Schauspielerin Nicola Schubert.
Die Pandemie war wohl die erste Krise in den letzten Jahrzehnten, bei der mal nicht sofort an Kultur gespart wurde. Im Gegenteil. Etwa eine Milliarde Euro stellte der Bund im Rahmen des Programms „Neustart Kultur“ im Juni 2020 zur Verfügung, etwa 144 Millionen davon gingen an die Freien Darstellenden Künste.
Was waren das für Jahre! Plötzlich gab es die Chance, sich Arbeit finanzieren zu lassen, die vorher gratis gemacht wurde: Ideen entwickeln für Projekte und Formate, Recherche, Konzeption, Antragschreiben. „Ich hatte kurzzeitig das Gefühl, vom Theatermachen, von meiner Arbeit ein halbwegs normales Leben führen zu können“, hat es eine Freundin und Kollegin zusammengefasst. Diese strukturelle Förderung glich einer Revolution - eine Errungenschaft, auf die die Freie Szene auch vor der Pandemie schon lange gewartet hatte.

Unentgeltliche Arbeit als Realität

Die Realität war vorher, dass diese Arbeit von einem Großteil der Künstler:innen irgendwo parallel zu laufenden Projekten und Nebenjobs untergebracht und unentgeltlich gemacht werden musste. Stunden, Wochen, Monate bringen über das Jahr gesehen diejenigen auf, die sich in Themen einarbeiten und um Finanzierungen für Projekte bemühen. Das ist prekäre Arbeit gleich in doppelter Hinsicht. Nicht nur, dass freie Theatermacher:innen sehr selten wenigstens mittelfristig so etwas wie Planungssicherheit haben – auch kurzfristig ist das Risiko erheblich: Denn wenn der Projektantrag abgelehnt wird, war die ganze Arbeit umsonst.
Jetzt kehrt die so vermisste Normalität wieder zurück und mit ihr anscheinend auch die alte Angewohnheit, in Krisenzeiten den Rotstift in der Kultur anzusetzen. Die Wertschätzung für Kunst aus den letzten Jahren droht damit rückgängig gemacht zu werden.
Auch wenn es widersprüchliche Signale gibt: In manchen Bundesländern werden sogar steigende finanzielle Mittel in Aussicht gestellt. Ist Kultur damit bald wieder Ländersache, ebenso der alten Logik folgend? Das Wegfallen der Bundes-Hilfsprogramme und deren Wirkung, ein halbwegs normales Leben von der eigenen Arbeit führen zu können, werden die Länder nicht auffangen können. Hinzu kommt noch eine weitere Schwierigkeit: Die Kulturschaffenden sind genau wie alle anderen von der gegenwärtigen Krise betroffen.

Inflation lässt Projektausgaben steigen

Durch die Inflation nehmen die Ausgaben für Projekte zu. Selbst wenn wir unsere eigenen, meist ohnehin bescheidenen Honorare nicht den steigenden Lebenshaltungskosten angleichen, müssen wir das bei allem anderen tun: Materialien, Mieten, Energiekosten und Dienstleistungen, die traditionell besser bezahlt sind als künstlerische Arbeit.
Wir engagieren freiberufliche Ton-, Video- und Lichttechniker:innen für unsere Projekte. An denen fehlt es. Nicht nur der Gastronomie oder der Pflege sind während der Pandemie Arbeitskräfte verloren gegangen: Auch viele Ton- oder Lichttechniker:innen haben sich offenbar in den vergangenen Jahren umorientiert. Noch fehlen dazu zwar belastbare Zahlen, doch in der Szene spricht man bereits vom Fachkräftemangel – und von teils doppelt so hohen Tagessätzen für diese Jobs im Vergleich zum letzten Jahr.
Ich missgönne das niemandem. Doch die Budgets steigen nicht einfach mit. Veranstalter:innen könnten diese Mehrkosten an das Publikum weitergeben. Aber das wäre sehr riskant und wenig hilfreich in einer Situation, in der das Publikum ohnehin zögerlich zurückkehrt.

Hoffnung liegt auf der Kulturstaatsministerin

Wenn jetzt, wie angekündigt, die Förderung für den Fonds Darstellende Künste gekürzt wird, bringt uns das nicht einfach wieder auf den Stand von 2019 zurück. Denn die 2 Millionen Euro, die er ab 2024 wiederbekommen soll, waren 2019 mehr wert als heute und erst recht, als sie es 2024 sein werden.
Ein Rest Hoffnung liegt auf Kulturstaatsministerin Claudia Roth, die sich bisher sehr vehement für die Freien Künste eingesetzt hat. Kann sie das Blatt nicht mehr wenden und mehr Geld erstreiten, droht die Wirkung der Neustart-Programme zu verdampfen und Künstler:innen müssen wieder mehr Gratis-Arbeit leisten. Aber es macht ja schließlich auch Spaß.

Nicola Schubert ist Schauspielerin, Theatermacherin und freie Autorin. Sie begann bei den „Ruhr Nachrichten“ und Radio 91,2 in Dortmund und mit einem Theater- und Medienwissenschaftsstudium. Nach dem Schauspieldiplom in Frankfurt am Main war sie in Detmold und am Theater Ulm engagiert. Nun lebt sie in Köln und arbeitet hauptsächlich mit ihrem Performance-Kollektiv schubert-stegemann.

Porträt von Nicola Schubert, Schauspielerin und Autorin
© Birgit Hupfeld

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