"Abhängig von Licht zu sein, ist etwas Schönes"
Als Schauspieler spielt Udo Kier in Hollywood meistens den Bösewicht. Nun erscheint mit "Arteholic" ein Dokumentarfilm über ihn als Kunst-Süchtigen. Im Gespräch erklärt er, wie beides zusammenhängt.
Susanne Burg: Herr Kier, sind Sie wirklich – wie in dem Dokumentarfilm über Sie, "Arteholic", mehrfach angesprochen – süchtig nach Kunst?
Udo Kier: Ich finde Kunst einfach interessant und ich liebe Kunst. Ich lebe in Palm Springs, in einer ehemaligen Bücherei, und ich sammle Möbel, ich bin ein Sammler. Kriegskinder sammeln, weil sie nichts hatten. Und wenn ich dann auf die Wand schaue, wenn ich Kaffee trinke, dann sehe ich Andy Warhol, Robert Mapplethorpe, Robert Longo, Sigmar Polke, Raymond Pattibon, und es ist schön, denn es sind fast alles Geschenke. Und man liebt das einfach. Da gibt es dann auch Momente, vor allen Dingen wenn ich mich auf einen Film vorbereite, wo ich Sachen abhänge und nur ein Bild da habe, also ganz minimalistisch, und dann ist mir das alles nach ein paar Wochen doch zu wenig, dann hänge ich wieder alles auf oder hänge auch Sachen um. Und die Löcher in den Wänden, da stecke ich Federn rein, damit es nicht so zerstört aussieht. Und das ist einfach ein schönes Gefühl.
Burg: Im Film gibt es eine Szene, in dem Sie Ihre Arbeit ein bisschen in Bezug setzen zu der eines Malers, da sagen Sie: Ich brauche eine Kamera, ich brauche Licht et cetera, ein Maler braucht nur einen Stift. Spricht da auch ein bisschen die Sehnsucht aus Ihnen, vielleicht auch einfach mal nur aus sich selbst schöpfen zu können, also nicht abhängig zu sein von anderen? Was Sie als Schauspieler ja sind.
Kier: Ja, sicher, aber abhängig von Licht zu sein, ist doch was Schönes. Film ist ja Schatten und Licht und in Amerika sind die Schatten halt länger, deswegen wohne ich sehr wahrscheinlich da. Nein, es ist halt viel einfacher, nicht das Kreative, sondern Einfaches herzustellen. Als Schauspieler bin ich halt ... Wie alle Schauspieler hat man einen Text und wenn es gefilmt wird, braucht man ja wirklich dann auch Licht, man muss ein Kostüm haben, man braucht viele Sachen.
Zusammenarbeit mit exzentrischen Regisseuren
Burg: Ich meine, es kann ja auch ein Vorteil sein, mit anderen zu arbeiten. Sie haben ja häufig mit Regisseuren zusammen gearbeitet, die durchaus als exzentrisch galten wie zum Beispiel Rainer Werner Fassbinder, Schlingensief oder auch Lars von Trier, den Sie erwähnt haben. Konnten die denn so was aus Ihnen herausholen?
Kier: Ja, sicher. Wie zum Beispiel Lars von Trier, wir arbeiten zusammen seit 25 Jahren. Und bei jedem Film, wie bei "Melancholia", sagte er, du musst jetzt durch den Raum gehen, du möchtest aber die Kirsten Dunst, also die Hauptdarstellerin nicht sehen, was würdest du denn machen? Und dann habe ich gesagt, ja, mal so eine Handbewegung gemacht, meine linke Hand so vors Gesicht gehalten und bin gegangen. Und ich war in Cannes bei der Premiere und dann kam ein Ehepaar und sagte, ach, danke, danke, Herr Kier, mein Mann und ich sind den ganzen Tag mit der Hand vor dem Gesicht durchs Haus gelaufen. Oder die Zeitungen haben über diese Handbewegung geschrieben. Und das war meine Idee.
Aber ich wurde ja darauf angesprochen, das entstand gemeinsam. Und so war das bei Fassbinder, so war das bei Wim Wenders, bei fast allen Regisseuren, bei Schlingensief. Der Christoph Schlingensief hat einem sehr viel Freiheit gelassen. Und wir haben ja auch Sachen gemacht wie zum Beispiel "Die letzte Stunde im Führerbunker", da sind wir ja wirklich morgens – Volker Spengler, Margit Carstensen –, da sind wir ja morgens in einen echten Bunker gegangen in Mülheim an der Ruhr und kamen spät abends aus diesem Bunker und gingen zum Essen. Und da war der Film eigentlich abgedreht. Es gibt viele Leute, auch Oliver Hirschbiegel, mit dem ich ja in "Borgia" den Papst gespielt habe, ich hätte auch nie gedacht, dass ich den Papst spiele. Aber das war einfach gut. Jeder Regisseur bringt etwas Neues aus einem heraus. Und das Gute ist, dass ich Glück hatte und sehr viel Glück immer gehabt habe, wenn man diese IMDb liest von mir ...
Burg: Also die Filmdatenbank.
Kier: Ja, da steht dann halt so über 200 Filme. Und ich sage immer, und das meine ich, davon sind 100 bestimmt schlecht, weil es Experimente waren, und manchmal funktioniert das ja nicht.
"Ich habe noch nie einen Nazi seriös dargestellt"
Burg: Weil Sie eben Schlingensief erwähnten, "100 Jahre Adolf Hitler": Sie haben ja immer wieder mit diesen Nazi-Klischees auch gespielt in Ihren Rollen, zuletzt 2012 kam "Iron Sky" heraus, ein Film, in dem Sie einen Führer einer Nazi-Kolonie auf dem Mond spielen. Bruno Ganz ist für viele seit "Der Untergang" irgendwie auf ewig der Führer, das hat seiner Karriere auch nicht nur gutgetan. Wie haben Sie es geschafft, dass Ihnen so was nicht passiert ist?
Kier: Das kann ich Ihnen ganz einfach erklären, es waren Komödien. Das ist ein Unterschied, ob man einen Nazi spielt in einer Komödie wie "Iron Sky" oder "Die letzte Stunde im Führerbunker", ich habe sogar Adolf Hitler in einem wunderschönen Film, der auch viele Preise bekommen hat, der hieß "Mrs. Meitlemeiher", den kennt man in Deutschland nicht, wo Adolf Hitler als Frau verkleidet sich in London versteckt und auf ein Ticket wartet nach Argentinien. Das ist auch eine schwarze Komödie, es sind Komödien und da ist der Unterschied. Und ich habe noch nie einen Nazi seriös dargestellt.
Ich habe bei diesem Film, Tarantino, "Grindhouse", da gibt es einen kurzen Film in der Mitte, der hieß "Die Werwolf-Frauen der SS", und da habe ich das erste Mal die Nazi-Uniform getragen und war erschrocken, denn plötzlich wurde mir bewusst, dass das eine Macht-Uniform ist. Und dann habe ich natürlich zu dem Regisseur Rob Zombie gesagt, dass man mir ein Taschentuch anfertigt mit fünf Totenköpfen, ich bin dann noch eins drüber gegangen, auch wieder Komödie. Bruno Ganz, ich weiß nicht, wieso hat er denn Schwierigkeiten?
Burg: Das ist einfach etwas, was ihm anhaftet, das hat er selber auch gesagt.
Kier: Vielleicht haftet es ihm auch an, weil er gut war. Bei mir hat man auch jahrelang hinter meinem Namen geschrieben, Udo Kier, "Andy Warhols Dracula".
Burg: Heute sagt man, der Darsteller der Bösewichte!
"Ich koche gern, ich pflanze Bäume, ich habe Hunde"
Kier: Ja, weil ich privat genau das Gegenteil bin. Ich koche gern, ich pflanze Bäume, ich habe Hunde. Und ich spiele das, das macht mir Freude. Und was ich gesagt habe, um einen Teufel zu spielen, muss man ein Engel sein.
Burg: Ich fand auch interessant, was Sie eben sagten über die Macht der Uniform, und dann interessant, dass viele ja davor gerade in Deutschland sich fragen, huch, wie viel darf ich spielen? Bei Nazi-Themen setzt sehr schnell Political Correctness ein. Sie haben aber gesagt, dann sind Sie noch einen Schritt weiter gegangen. Um Political Correctness, wie viel kümmern Sie sich darum?
Kier: Ich kümmere mich darum, dass ich genau weiß ... Ich weiß ja, was das für eine schlechte, brutale, unmenschliche Zeit war. Und deswegen überlasse ich das anderen das seriös darzustellen. Und ich sehr persönlich, ich lebe in Amerika ja auch und da sehe ich ja diese Macht der Uniform von der Polizei in Kalifornien jeden. Nicht nur über die Polizei, wie sie aussieht mit Sonnenbrille, schwarzen Stiefeln, schwarzer Uniform, sondern auch sie sie Menschen behandeln, wenn sie sie kontrollieren. Das muss man dazu ja sagen, wenn wir über die Uniform reden und Nazi-Zeit, dass ich das ja nicht ignoriere. Es ist nur so, ich würde es nicht gerne spielen. Warum soll ich das denn, die Brutalität auch noch vorführen?
Burg: Sie haben eben schon selber gesagt, Sie haben in über 200 Filmen mitgespielt, das sagt die Datenbank. Nach welchen Kriterien wählen Sie heute Rollen aus?
Kier: Herausforderungen sind natürlich Filme von Figuren, die es nie gab wie Dracula oder Dr. Frankenstein, denn da ist der Fantasie keine Grenze gesetzt. Natürlich gab es einen Graf Dracula in Rumänien, der ein böser Mensch war, und so entstand im Laufe der Jahre so eine Geschichte vom Vampir. Aber so was spiele ich gerne.
Burg: Udo Kier, herzlichen Dank!
Kier: Bitte!
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