Bleierne Kapitalismuskritik
"Die Unvernünftigen sterben aus" – in Bochum brachte Alexander Riemenschneider Peter Handkes Kapitalismuskritik aus den Siebzigern auf die Bühne und ermüdete die Zuschauer. Überzeugender geriet der "Onkel Wanja" in der Inszenierung von Stefan Kimmig.
Kapitalismuskritik aus den Siebzigern, ein scharfer Blick auf ein sinnlos in sich selbst drehendes System in einer Zeit, als der Westen sich noch definiert hat über seine "freie Wirtschaft". Das ist eine attraktive These, und der Titel ist auch gut. Dennoch ist Handkes Stück "Die Unvernünftigen sterben aus" nicht oft gespielt worden.
In der Bochumer Inszenierung von Alexander Riemenschneider sieht man wieder, warum: Es ist doch sehr thesenhaft und papieren, sein Gehalt surrt zusammen auf die anekdotenhafte Erfindung, dass der Kapitalist in der Sinnkrise nichts Besseres weiß, als immer noch kapitalistischer zu werden.
Irgendwann prasselt nur noch Text auf einen ein
Viele kluge und schlagende Sätze hört man da über Werbung, Manipulation, Degradierung von Menschen zu Manövriermasse und zynische Strategien. Aber irgendwann prasselt nur noch Text auf einen ein, man bewundert den Hauptdarsteller Matthias Redlhammer für seine enorme Gedächtnisleistung und stellt fest, dass die Geschichte einen eigentlich gar nichts angeht.
Regisseur Alexander Riemenschneider, Anfang 30 und schon mit einigen interessanten Arbeiten aufgefallen, hat ein paar zaghafte Schritte in Richtung surreale Farce unternommen. Auf der Drehbühne stehen drei identische Räume, zwischen denen die Darsteller hin und herwechseln und doch nicht herausfinden aus ihrer Welt. Vielleicht hätte es sehr viel radikalerer Ideen bedurft, um dem Text eine theatrale Qualität zu geben. So breitet sich an dem kurzen Abend dennoch Langeweile aus.
Die ist geradezu Thema bei Anton Tschechow und seinen "überflüssigen", perspektivlosen Menschen. Stefan Kimmig schafft es, Leere und Langeweile nicht als lähmende Zähigkeit auf Bühne und Zuschauerraum zu übertragen, auch den Humor Tschechows immer wieder aufblitzen zu lassen. Manchmal hat das seinen Preis, die Atmosphäre geht verloren in lauten und hektischen Szenen: Aber dann kommt Kimmigs Inszenierung der Widerspüchlichkeit und Komplexität Tschechows auch immer wieder nahe.
Fassade aus Lüge und Selbstbetrug wird immer brüchiger
Seine Tschechow-Interpretation ist wohl auch eine Hommage an Jürgen Gosch und seine letzte, jahrelang auf dem Spielplan des Deutschen Theaters lebendig gehaltene Inszenierung. Kimmig ist dort Hausregisseur und wie in Berlin spielt "Onkel Wanja" in Bochum in einem dunklen, holzverkleideten Raum, und es gibt eine Reihe von Sitzgelegenheiten am hinteren Rand der Bühne. Niemand geht ab während dieses Spiels, alle Darsteller bleiben ständig präsent. Die Figuren tragen bunt und absichtsvoll lieblos zusammengewürfelten Second-Hand-Look, mit Ausnahme des eitlen Professors und seiner verwirrend schönen Frau selbstverständlich, die aus der Stadt in das Leben der Gutsbewohner hineingeplatzt sind und alles aus den Fugen geraten lassen.
Dass auch vorher schon ziemlich viel im Unstand war, deutet die weit nach vorn gezogene Spielfläche an. Dort steht ein Labyrinth aus Stützen und Metallträgern, die ein paar Dachbalken am Einsturz hindern. Hindurch geregnet hat es aber offensichtlich schon, eine große Pfütze blinkt mitten auf der Bühne. Das Klima des Stücks setzen Stephan Kimmig und sein Team (Bühne: Oliver Helf, Kostüme: Camilla Daemen) damit sehr genau. Nach einem etwas zerfransten ersten Akt zieht sich das Spiel immer dichter zusammen. Und die Fassade aus Lüge und Selbstbetrug, geplatzten Illusionen und verborgenen Wünschen wird immer brüchiger. Es gibt viele dichte Szenen, in denen sich die Resonanzen einstellen, die Tschechow im Ungesagten mitschwingen ließ. In den besten Momenten glaubt man die Gedanken der Figuren zu hören.
Leider gibt es aber auch immer wieder Phasen, wo dieses fragile Gewebe reißt. Und das hat wohl mit einer insgesamt zwar sehr guten, aber nicht ganz einheitlichen Ensembleleistung zu tun. Werner Wölbern, der die Titelrolle spielt in Bochum, ist ohne Zweifel ein starker Schauspieler. Als Wanja ist er zu stark. Die Gebrochenheit, die Selbstverachtung, die diesen Charakter grundieren, werden nicht immer spürbar. Wölbern spielt viele Situationen, aber insgesamt wird die Figur kaum fassbar, ihr innerer Weg nicht nachvollziehbar.
Porträt eines sich als Opfer fühlender Parasit
Ebenso bleibt Minna Wündrich als Sonja recht eindimensional und so fehlt dem vielfigurigen Stück eine zentrale Achse. Umso stärker profilieren sich Felix Rech als verzweifelter, verkommener Idealist Astrow und Peter Lohmeyer als monströs egoistischer Professor. Rech entwickelt das ganze Psychogramm dieses Doktors, der sich falsch fühlt im Leben, aus der Körperhaltung eines Menschen, der kratzende oder juckende Kleider trägt. Ebenso exzellent, klar und ökonomisch gespielt ist Lohmeyers Porträt eines eitlen, sich souverän im Recht, ja als Opfer fühlenden gefährlichen Parasiten.
Insgesamt klappt viel an diesem Abend; nicht alles, aber so viel, dass man sich wünscht, Stephan Kimmig hätte noch ein paar Stellschrauben nachziehen können. Dann gäbe es in Bochum den seltenen Glücksfall einer Tschechow-Aufführung, die einfach stimmt.