Ein Jahr fast ohne Jahrmarkt
07:24 Minuten

Schaustellerinnen und Schausteller bangen um ihre Existenz: Seit etwa einem Jahr sind sie notgedrungen sesshaft geworden, warten auf ein Ende des Lockdowns – und darauf, dass sie wieder von Jahrmarkt zu Jahrmarkt ziehen können.
Andreas und Thomas Horlbeck sind Brüder und auf dem Jahrmarkt groß geworden. Der Name Horlbeck steht für eine alteingesessene Schaustellerfamilie, aus Neumünster. Die 80.000-Einwohner-Stadt liegt zentral in der Mitte von Schleswig-Holstein. Auch deswegen ist sie zur Heimat vieler Menschen geworden, die von Jahrmarkt zu Jahrmarkt fahren und dort ihre Geschäfte aufbauen, sagt Thomas Horlbeck.
"Im Schnitt hat ein Schausteller so 25 Veranstaltungen im Jahr – kann man von ausgehen", sagt Thomas Horlbeck. "Also 25 Mal irgendwo hinfahren, aufbauen, da sein, abbauen. Ich habe als Kind so 20, 25 Mal im Jahr die Schule gewechselt."
Auf dem Hinterhof im Stadtteil Tungendorf, wo wir die Horlbeck-Brüder treffen, stehen an die 20 Fahrzeuge. Es sind mächtige Zugmaschinen, Anhänger mit zerlegten Jahrmarktbuden und einer Reihe von Wohnwagen. Seit Monaten wohnen hier die Mitglieder von vier Familien – und warten darauf, dass es wieder losgeht.
"Im Schnitt hat ein Schausteller so 25 Veranstaltungen im Jahr – kann man von ausgehen", sagt Thomas Horlbeck. "Also 25 Mal irgendwo hinfahren, aufbauen, da sein, abbauen. Ich habe als Kind so 20, 25 Mal im Jahr die Schule gewechselt."
Auf dem Hinterhof im Stadtteil Tungendorf, wo wir die Horlbeck-Brüder treffen, stehen an die 20 Fahrzeuge. Es sind mächtige Zugmaschinen, Anhänger mit zerlegten Jahrmarktbuden und einer Reihe von Wohnwagen. Seit Monaten wohnen hier die Mitglieder von vier Familien – und warten darauf, dass es wieder losgeht.
Jahrmarktbuden im Dornröschenschlaf
Doch es geht nicht los. Denn die Coronapandemie hat das Schaustellergewerbe und ihre Fahrgeschäfte in den Dornröschenschlaf versetzt. So schlimm war es noch nie, sagt Thomas Horlbeck.
"Wir haben ja schwierige Zeiten schon durch. Die Schaustellerei gibt es ja jetzt schon seit über 1200 Jahren. Wir haben Diktaturen überlebt. Wir haben auch Epidemien überlebt. Aber so, in dieser Zeit war noch niemand von uns. Selbst während der Kriegszeit und nach dem Krieg nicht. Wir waren immer in der Lage, für uns zu sorgen. Und das können wir jetzt nicht."
"Wir haben ja schwierige Zeiten schon durch. Die Schaustellerei gibt es ja jetzt schon seit über 1200 Jahren. Wir haben Diktaturen überlebt. Wir haben auch Epidemien überlebt. Aber so, in dieser Zeit war noch niemand von uns. Selbst während der Kriegszeit und nach dem Krieg nicht. Wir waren immer in der Lage, für uns zu sorgen. Und das können wir jetzt nicht."
Auch Patrick Meyer stammt aus einer Schaustellerfamilie. Der 29-Jährige aus dem niedersächsischen Vechta ist dabei, in die Horlbeck-Familie "einzuheiraten", hat gerade mit einer Horlbeck-Tochter ein Kind bekommen. Und wünscht sich, dass es bald wieder losgeht.
"Das ist so, als wenn man da an so einem Gummiband hängt und will loslaufen, und man wird immer wieder zurückgezogen. Man will ja los, man will ja raus morgens. Und dann merken wir jeden Tag: Geht einfach nicht. Wir dürfen es momentan nicht. Wir wollen das ja nicht verantworten, auf Großveranstaltungen, dass da so viele Personen zusammenkommen."

Warten auf das Ende des Lockdowns: die Schausteller Thomas Horlbeck, Patrick Meyer und Andreas Horlbeck.© Deutschlandradio / Johannes Kulms
Supermarktkasse statt Loopingbahn
Albert Ritter ist Präsident des Deutschen Schaustellerbunds. Der Verband vertritt nach eigenen Angaben rund 5300 Betriebe aus ganz Deutschland mit knapp 32.000 Beschäftigten.
In einem normalen Jahr strömen laut Schaustellerbund rund 350 Millionen Besucher und Besucherinnen auf die Volksfeste und die Weihnachtsmärkte in Deutschland. Aber durch Corona sind in den letzten zwölf Monaten fast alle Veranstaltungen ausgefallen. Auf allen Ebenen der Politik gebe es Zeichen der Unterstützung, sagt Ritter.
"Wir haben Signale der Hilfe, aber es ist natürlich eine dramatische Situation. Und wir müssen natürlich diese politischen Gespräche ständig weiterführen, damit wir überleben können."
Ritter berichtet von Kolleginnen und Kollegen, die vorübergehend an der Fleischtheke oder der Supermarktkasse arbeiten oder mit ihrem Lastwagenführerschein bei der Müllabfuhr untergekommen sind. Eine Reihe von Betrieben werde wohl auch nach dem Ende der Pandemie nicht wieder auf die Jahrmärkte zurückkehren, sagt der Präsident des Deutschen Schaustellerbunds.
"Ein Prozentsatz wird sich anders orientieren. Eine Kollegin hier aus meinem Essener Verein, die hat sich jetzt einen Minigolf-Platz zugelegt und hofft natürlich auch da auf die Öffnung."
In einem normalen Jahr strömen laut Schaustellerbund rund 350 Millionen Besucher und Besucherinnen auf die Volksfeste und die Weihnachtsmärkte in Deutschland. Aber durch Corona sind in den letzten zwölf Monaten fast alle Veranstaltungen ausgefallen. Auf allen Ebenen der Politik gebe es Zeichen der Unterstützung, sagt Ritter.
"Wir haben Signale der Hilfe, aber es ist natürlich eine dramatische Situation. Und wir müssen natürlich diese politischen Gespräche ständig weiterführen, damit wir überleben können."
Ritter berichtet von Kolleginnen und Kollegen, die vorübergehend an der Fleischtheke oder der Supermarktkasse arbeiten oder mit ihrem Lastwagenführerschein bei der Müllabfuhr untergekommen sind. Eine Reihe von Betrieben werde wohl auch nach dem Ende der Pandemie nicht wieder auf die Jahrmärkte zurückkehren, sagt der Präsident des Deutschen Schaustellerbunds.
"Ein Prozentsatz wird sich anders orientieren. Eine Kollegin hier aus meinem Essener Verein, die hat sich jetzt einen Minigolf-Platz zugelegt und hofft natürlich auch da auf die Öffnung."
Homeschooling – kein Problem
Die Tür für immer zuschlagen zum Mikrokosmos Kirmes? Das ist für die Horlbecks in Neumünster nicht vorstellbar. Zumindest noch nicht. Für sie ist das Leben als Schausteller ein eigener Lebensentwurf, den die Eltern über Generationen an die Kinder weitergeben. Das weiß auch die achtjährige Lilly, die gerade mit ihrem Fahrrad den Hof unsicher macht.
"Ich finde das gut, dass wir Schausteller sind. Weil dann kann man umsonst Geschäfte fahren und so."
"Ich finde das gut, dass wir Schausteller sind. Weil dann kann man umsonst Geschäfte fahren und so."
Kinder aus Schaustellerfamilien sind den ständigen Orts- und Schulwechsel gewohnt. Für ein paar Wochen besuchen sie irgendwo eine Schule, dann geht es auch schon wieder weiter. Möglicherweise haben die Schaustellerfamilien deswegen einen kleinen Vorteil in Zeiten von ständigen Schulschließungen, sagt Andreas Horlbeck, der auch Bildungsbeauftragter beim Deutschen Schaustellerbund ist. Überall an den Schulen in Deutschland gibt es Lehrkräfte die sich speziell um die Kinder aus Schaustellerfamilien kümmern.
"Wir können damit besser umgehen, weil wir durchaus immer Probleme haben. Es gibt so Bereichslehrkräfte, das ist so eine Art Vertrauenslehrer. Und auf die können wir jetzt natürlich in so einer Situation auch zurückgreifen, die kennen auch die Schüler schon. Nur die können dann ganz anders mit umgehen, als wenn auf einmal so ein Klassenlehrer da mit seinen Kindern ganz anderen Unterricht machen muss. Das ist der Vorteil, den wir haben."
Diese besondere Schule des Lebens funktioniert aber am besten, wenn die Rummelplätze brummen.
"Wir verlieren die Zuversicht"
Im vergangen Herbst haben sie zumindest in Schleswig-Holstein ein bisschen gebrummt. Zum Beispiel Anfang September in Schleswig, wo unter Auflagen 500 Gäste gleichzeitig aufs Gelände durften. Andreas Horlbeck hat davon Videoaufnahmen mit dem Handy gemacht. Sie zeigen nicht nur viele bunte Fahrgeschäfte, sondern immer wieder auch glückliche Gesichter. Er hofft darauf, dass er bald wieder häufiger solche Momente erlebt.
"Wir verlieren momentan so ein bisschen die Zuversicht. Weil jetzt gerade alles so über uns alle reinbricht. Auch die Regierung: Man hat manchmal den Eindruck, dass sie auch ein bisschen den Faden verlieren."
Seinem Bruder fehlen die Gespräche auf dem Jahrmarkt. Ich bin ein kommunikativer Mensch, sagt Thomas Horlbeck: "Wir betreiben ein Ausschankgeschäft, und ich habe dadurch immer viel… meine Frau nennt das immer Gesabbel. Und das fehlt mir gänzlich. Das macht mich depressiv. Ich kann mich nicht mehr austauschen!"
Auf dem vorderen Teil des Grundstücks in Neumünster steht ein Haus. Dort wohnt Gerda Horlbeck, die Mutter von Thomas und Andreas. Die 86-Jährige freut sich darüber, dass die Familie zusammenhält und seit Monaten gleich vor ihrer Haustür wohnt. Andererseits weiß sie aber auch, dass die Schaustellerfamilien gerne wieder losziehen würden.
"Es belastet stark, aber stärken tut es auch!" – Gerda Horlbeck ist 1936 geboren. Sie hat Rummelplätze während des Zweiten Weltkriegs erlebt, aber auch Jahrmärkte auf die die Menschen kurz nach Kriegsende wieder gelöst strömten.
"Das ganze Leben wird sich wohl ändern für uns. Aber ich denk auch, dass es wieder aufwärts geht mit uns, dass auch bald wieder Jahrmärkte stattfinden."
"Wir verlieren momentan so ein bisschen die Zuversicht. Weil jetzt gerade alles so über uns alle reinbricht. Auch die Regierung: Man hat manchmal den Eindruck, dass sie auch ein bisschen den Faden verlieren."
Seinem Bruder fehlen die Gespräche auf dem Jahrmarkt. Ich bin ein kommunikativer Mensch, sagt Thomas Horlbeck: "Wir betreiben ein Ausschankgeschäft, und ich habe dadurch immer viel… meine Frau nennt das immer Gesabbel. Und das fehlt mir gänzlich. Das macht mich depressiv. Ich kann mich nicht mehr austauschen!"
Auf dem vorderen Teil des Grundstücks in Neumünster steht ein Haus. Dort wohnt Gerda Horlbeck, die Mutter von Thomas und Andreas. Die 86-Jährige freut sich darüber, dass die Familie zusammenhält und seit Monaten gleich vor ihrer Haustür wohnt. Andererseits weiß sie aber auch, dass die Schaustellerfamilien gerne wieder losziehen würden.
"Es belastet stark, aber stärken tut es auch!" – Gerda Horlbeck ist 1936 geboren. Sie hat Rummelplätze während des Zweiten Weltkriegs erlebt, aber auch Jahrmärkte auf die die Menschen kurz nach Kriegsende wieder gelöst strömten.
"Das ganze Leben wird sich wohl ändern für uns. Aber ich denk auch, dass es wieder aufwärts geht mit uns, dass auch bald wieder Jahrmärkte stattfinden."