Schavan: Zugang zum Buch ist Schlüssel für Bildung
Die zum zweiten Mal stattfindende Aktionswoche soll fürs Buch, für Bibliotheken und fürs Lesen werben. Viele Prominente stellen sich als Vorleser zur Verfügung. Bundesbildungsministerin Annette Schavan will vor Schülern aus einem Buch über den Mauerfall lesen.
Joachim Scholl: Annette Schavan, willkommen im Deutschlandradio Kultur! Stehen Bibliotheken in Deutschland mittlerweile auf der politischen Tagesordnung?
Annette Schavan: Ja, der Bundespräsident hat recht, Bibliotheken sind wertvolle Partner der Schulen, arbeiten an gemeinsamen Projekten und wir wissen, Umgang mit Sprache, Zugang zum Buch ist Schlüssel für gute Bildung. "Deutschland liest" wird deshalb ja auch von uns unterstützt, weil wir immer stärker aus Einzelprojekten eine bundesweite Konzeption machen wollen.
Scholl: Aber die Situation sieht ja doch etwas beklagenswerter aus. Wenn man von Bibliotheken in Deutschland etwas gehört hat in den letzten Jahren, dann waren es in der Regel bittere Klagen über gekürzte Gelder, gestrichene Stellen, den Rückgang der Zukäufe in Bibliotheken an Büchern. Es gibt inzwischen im Internet eine eigene Seite, die bibliothekssterben.de heißt und fast jede Woche einen neuen Trauerfall meldet. Alles redet über Bildung, aber haben wir die Bibliotheken vernachlässigt?
Schavan: Die Bibliotheken sind in ganz unterschiedlicher Trägerschaft. Ich kenne tolle Beispiele von Bibliotheken, die neu gebaut worden sind, wobei ja nicht nur das Gebäude wichtig ist. Studenten klagen darüber, dass da manchmal tolle Gebäude sind, aber die Bücher nicht in ausreichender Zahl. Aber als kommunale Aufgabe, als Teil des kommunalen Kulturauftrags ist da viel passiert. Und jetzt geht es darum, in der Tat die Bildungsdebatte nicht nur theoretisch zu führen, sondern dafür zu sorgen, dass zum Beispiel keine Schule mehr ohne eigene Bibliothek ist. Eine Bibliothek gehört mitten in die Schule. Und wo es nicht mitten in der Schule ist, muss der Weg zur Bibliothek außerhalb der Schule kurz sein. Und es muss Regelmäßigkeit hineinkommen, also nicht nur das spektakuläre Projekt, sondern in der Bibliothek arbeiten können, Bücher ausleihen, Vorlesen auch in der Klasse als Teil des schulischen Alltags.
Scholl: Als ich ins Lesealter kam, Frau Schavan, bin ich jede Woche in unsere Schulbibliothek getrabt, fünf Bücher durfte man ausleihen, meistens war ich am dritten Tag schon damit durch und habe sehnlichst auf den nächsten Tag gewartet. Meine Eltern schimpften, der Junge, der verdirbt sich nur die Augen durchs Lesen. Heute würde ich wahrscheinlich als Vorzeigekind vermutlich ins Fernsehen kommen. Tatsache ist ja, dass Kinder und junge Menschen immer weniger lesen. Wie lässt sich denn diesem unseligen Trend begegnen?
Schavan: Der Unterschied zur Kindheit damals ist heute, dass sehr viel anderes noch im Angebot der Kinder ist, das heißt, die Stunden, die sie vor dem Bildschirm sitzen, sind sehr viel mehr Stunden als die Stunden mit dem Buch. Wir wissen allerdings, dass das keine wirkliche Konkurrenz ist, und eigentlich ist der Zusammenhang ziemlich einfach. Alle Studien zeigen, wo beide Eltern lesen, liest jedes zweite Kind auch regelmäßig. Wo ein Elternteil nur liest, sind es noch 25 Prozent der Kinder, und wenn die Eltern nicht lesen, sind es knapp 9 Prozent, die überhaupt lesen. Das heißt, der erste Ort für Lesen ist die Familie. Die Erfahrung, vorgelesen zu bekommen, zu spüren, das hat eine Wertschätzung bei den Eltern, und dann muss die Schule unmittelbar ansetzen. Ich glaube, es sind gute Zeichen, wenn wir jetzt so einen Vorlesetag am kommenden Freitag haben werden, wo deutlich wird, das ist nicht nur irgendetwas, das man auch noch tun kann, sondern es gehört zur Grundbeziehung zwischen Erwachsenen und Kindern.
Scholl: Eine Aktionswoche wie "Deutschland liest" ist natürlich auch gerade als Werbung für das Lesen bei jungen Leuten gedacht. Es gibt Vorleseveranstaltungen, Computerspiele, Mangas, Fantasy – man nutzt also die neuen Medien. Alles prima, wird man sofort sagen, aber wird man dadurch wirklich einen Nichtleser zum Leser machen? Was glauben Sie?
Schavan: Ich glaube, dass es gute Chancen gibt, weil ja nicht nur irgendwie vorgelesen wird, sondern viele Schulen, viele Bibliotheken denken sich damit verbunden auch wirklich tolle Veranstaltungen aus. Wir sollten da nicht zu pessimistisch sein. Natürlich reicht nicht ein Mal, aber wir haben ja vereinbart, es gibt jetzt regelmäßig diese Verbindung zwischen Bibliotheken und Bildungseinrichtungen. Es gibt regelmäßig diese Verbindung auch zu den Eltern. Investition in Bildung, das wissen wir auch aus vielen Studien, wirkt da am besten, wo sie Eltern einbezieht, wo sie früh ansetzt, das heißt, wir setzen auf die Kleinen, wir setzen auf das Interesse auch der Eltern. Und viele von uns, auch ich, gehen am Vorlesetag in eine Grundschule, diesmal in Berlin, und werden mitmachen. Also viele müssen da sein, die einfach mitmachen, das Ganze muss ein bisschen mit Begeisterung verbunden sein, und dann glaube ich, steter Tropfen höhlt den Stein.
Scholl: Was werden Sie denn lesen in der Schule, vorlesen?
Schavan: Ich denke an ein Buch, das über das Umfeld Mauerfall vor 20 Jahren handelt.
Scholl: "Deutschland liest", die Aktionswoche der deutschen Bibliotheken, unterstützt auch vom Bildungsministerium und dessen Chefin, Annette Schavan, sie ist hier beim Deutschlandradio Kultur im Gespräch, und Deutschlandradio Kultur ist Medienpartner von "Deutschland liest". Frau Schavan, eine moderne Bibliothek verfügt längst nicht mehr nur über Bücher, sondern über alle möglichen Medien, wenn es auch ein traditioneller Bücherwurm nur schwer einsehen mag. Hat das Buch den Jahrhunderte langen kulturellen Primat nicht inzwischen verloren?
Schavan: Die Debatte wird auch schon lange geführt, und wir führen sie ja gerade am Beispiel des E-Books. Das sind unterschiedliche Welten. Das E-Book ist interessant für diejenigen, die unterwegs sind, die viele Informationen, viele Quellen auf kleinstem Raum mitnehmen können. Etwas ganz anderes ist der Umgang mit dem Buch. Luis Borges hat einmal gesagt: Ich stelle mir den Himmel vor als eine Art Bibliothek, dazu gehört auch der Geruch des Papiers, dazu gehört das Rascheln. Das lässt sich nicht vergleichen, und deshalb finde ich auch nach vielen Diskussionen, das ist nicht wirklich Konkurrenz.
Scholl: Verlage und Buchhändler schauen ja jetzt gespannt darauf, ob die Leserschaft das E-Book, das elektronische Buch, annehmen wird. Jetzt werden die ersten Lesegeräte zum Weihnachtsgeschäft angeboten. Was sagt denn Annette Schavan zu dieser Entwicklung? Als Bildungsministerin haben Sie schon gesprochen, aber als Leserin? Werden Sie demnächst im ICE mit einem E-Book ertappt werden?
Schavan: Als Leserin sage ich, ich bin begeisterte Leserin, ich lese jeden Morgen, vor jeder Akte und vor jeder Zeitung lese ich. Im Wahlkampf, auf den langen Autofahrten, jetzt habe ich zum Beispiel Ulla Hahn "Aufbruch", einen wunderbaren autobiografischen Roman gelesen. Das gehört zu meinem Alltag, daran wird sich nichts ändern. Und an die Stelle kommt auch nicht das E-Book. Aber im ICE, wenn ich an irgendeinem Thema dran bin, kann das durchaus interessant sein, das E-Book dabeizuhaben mit Informationen, die ansonsten in drei dicken Aktenordnern wären.
Scholl: Sie haben Luis Borges schon erwähnt, den wohl größten Bibliothekar, den die Weltliteratur je hatte. Ganze Bibliotheken werden sich demnächst im Netz wiederfinden, wenn der Internetgigant Google sein Projekt Google Books verwirklicht. Wir alle kennen die scharfe Kontroverse um Urheberrechte und das geistige Eigentum, aber in die Zukunft gesprochen: Wird das nicht einmal die neue Bibliothek von Alexandria sein, das Wissen der Menschheit, allgegenwärtig, überall verfügbar? Das ist doch eigentlich ein berauschender Gedanke, oder?
Schavan: Ich finde ihn nicht beängstigend, er gehört zum 21. Jahrhundert. Und wenn man heute in die Bibliothek von Alexandria fährt und vom Direktor durch die neue Bibliothek geführt wird, dann ist ja in der Tat der Ehrgeiz derer, die da arbeiten, nicht nur viele Bücher zu haben, sondern an dieser digitalen Welt nicht nur Anteil zu haben, sondern Vorreiter zu sein. Zwei Weisen, Wissen, Erinnerung zu versammeln, zu speichern, zur Verfügung zu stellen, zwei Welten, die gut nebeneinander existieren können. Die Digitalisierung wird auch eine faszinierende Welt sein, wird genauso auf faszinierende Weise Horizonte, weite Horizonte schaffen. Das muss das Buch nicht fürchten, beides passt gut nebeneinander.
Scholl: Sind Sie gern früher in die Bibliothek gegangen als Studentin zum Beispiel?
Schavan: Ja, ich habe ja klassische Lesefächer studiert: Theologie, Philosophie. Das sind Fächer, die leben vom Lesen, von der Bibliothek. Für mich ist Bibliothek bis heute etwas Wunderbares. Ich bedauere gerade sehr, dass meine eigene Bibliothek auf zwei Wohnungen aufgeteilt ist und nicht mehr alles beieinander ist.
Scholl: Jetzt haben Sie mich schon gerade überrascht, dass Sie vor der Arbeit lesen, also Literatur lesen. Ich wollte Sie eigentlich fragen, was auf dem Nachttisch von Annette Schavan liegt. Auch Literatur?
Schavan: Nein, ich gehöre zu denen, die nicht im Bett lesen können, weil ich da zu müde bin, abends bringt es irgendwie nichts mehr, deshalb frühmorgens, wenn ich noch fit bin. Und da liegt ganz Verschiedenes. Ich lese nach wie vor in meinen Fächern die Fachliteratur, theologische Bücher, manches, was ich auch wieder lese, aber auch viel Belletristik, das, was neu erscheint an Kinder- und Jugendbüchern quer durch. Es ist eine ganz wichtige Stunde frühmorgens.
Scholl: Was hat Sie zuletzt besonders fasziniert?
Schavan: Zuletzt hat mich besonders fasziniert die Biografie "Golo Mann" von Tilmann Lahmeund eben schon erwähnt ein Buch, das großartig ist, der "Aufbruch" von Ulla Hahn. Vor Auslandsreisen greife ich dann auch immer mal zu zeitgenössischen Schriftstellern aus den Ländern, in die ich fahre. Ich empfinde das oft so, wie Borges dieses Bild benutzt hat vom Himmel, der wie eine Bibliothek ist, oder auch dieser schöne Satz von Lawrence David in dem "Käferjungen": Bücher sind Schokolade für die Seele, sie machen nicht dick, man muss nach dem Lesen nicht die Zähne putzen, sie sind leise, man kann sie überall mitnehmen und das ohne Reisepass. Bücher haben aber auch einen Nachteil: Selbst das dickste Buch hat eine letzte Seite und man braucht wieder ein neues.
Scholl: Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Hettinger: Bundesbildungsministerin Annette Schavan im Gespräch mit meinem Kollegen Joachim Scholl. Heute beginnt die bundesweite Aktionswoche "Deutschland liest. Treffpunkt Bibliothek".
Annette Schavan: Ja, der Bundespräsident hat recht, Bibliotheken sind wertvolle Partner der Schulen, arbeiten an gemeinsamen Projekten und wir wissen, Umgang mit Sprache, Zugang zum Buch ist Schlüssel für gute Bildung. "Deutschland liest" wird deshalb ja auch von uns unterstützt, weil wir immer stärker aus Einzelprojekten eine bundesweite Konzeption machen wollen.
Scholl: Aber die Situation sieht ja doch etwas beklagenswerter aus. Wenn man von Bibliotheken in Deutschland etwas gehört hat in den letzten Jahren, dann waren es in der Regel bittere Klagen über gekürzte Gelder, gestrichene Stellen, den Rückgang der Zukäufe in Bibliotheken an Büchern. Es gibt inzwischen im Internet eine eigene Seite, die bibliothekssterben.de heißt und fast jede Woche einen neuen Trauerfall meldet. Alles redet über Bildung, aber haben wir die Bibliotheken vernachlässigt?
Schavan: Die Bibliotheken sind in ganz unterschiedlicher Trägerschaft. Ich kenne tolle Beispiele von Bibliotheken, die neu gebaut worden sind, wobei ja nicht nur das Gebäude wichtig ist. Studenten klagen darüber, dass da manchmal tolle Gebäude sind, aber die Bücher nicht in ausreichender Zahl. Aber als kommunale Aufgabe, als Teil des kommunalen Kulturauftrags ist da viel passiert. Und jetzt geht es darum, in der Tat die Bildungsdebatte nicht nur theoretisch zu führen, sondern dafür zu sorgen, dass zum Beispiel keine Schule mehr ohne eigene Bibliothek ist. Eine Bibliothek gehört mitten in die Schule. Und wo es nicht mitten in der Schule ist, muss der Weg zur Bibliothek außerhalb der Schule kurz sein. Und es muss Regelmäßigkeit hineinkommen, also nicht nur das spektakuläre Projekt, sondern in der Bibliothek arbeiten können, Bücher ausleihen, Vorlesen auch in der Klasse als Teil des schulischen Alltags.
Scholl: Als ich ins Lesealter kam, Frau Schavan, bin ich jede Woche in unsere Schulbibliothek getrabt, fünf Bücher durfte man ausleihen, meistens war ich am dritten Tag schon damit durch und habe sehnlichst auf den nächsten Tag gewartet. Meine Eltern schimpften, der Junge, der verdirbt sich nur die Augen durchs Lesen. Heute würde ich wahrscheinlich als Vorzeigekind vermutlich ins Fernsehen kommen. Tatsache ist ja, dass Kinder und junge Menschen immer weniger lesen. Wie lässt sich denn diesem unseligen Trend begegnen?
Schavan: Der Unterschied zur Kindheit damals ist heute, dass sehr viel anderes noch im Angebot der Kinder ist, das heißt, die Stunden, die sie vor dem Bildschirm sitzen, sind sehr viel mehr Stunden als die Stunden mit dem Buch. Wir wissen allerdings, dass das keine wirkliche Konkurrenz ist, und eigentlich ist der Zusammenhang ziemlich einfach. Alle Studien zeigen, wo beide Eltern lesen, liest jedes zweite Kind auch regelmäßig. Wo ein Elternteil nur liest, sind es noch 25 Prozent der Kinder, und wenn die Eltern nicht lesen, sind es knapp 9 Prozent, die überhaupt lesen. Das heißt, der erste Ort für Lesen ist die Familie. Die Erfahrung, vorgelesen zu bekommen, zu spüren, das hat eine Wertschätzung bei den Eltern, und dann muss die Schule unmittelbar ansetzen. Ich glaube, es sind gute Zeichen, wenn wir jetzt so einen Vorlesetag am kommenden Freitag haben werden, wo deutlich wird, das ist nicht nur irgendetwas, das man auch noch tun kann, sondern es gehört zur Grundbeziehung zwischen Erwachsenen und Kindern.
Scholl: Eine Aktionswoche wie "Deutschland liest" ist natürlich auch gerade als Werbung für das Lesen bei jungen Leuten gedacht. Es gibt Vorleseveranstaltungen, Computerspiele, Mangas, Fantasy – man nutzt also die neuen Medien. Alles prima, wird man sofort sagen, aber wird man dadurch wirklich einen Nichtleser zum Leser machen? Was glauben Sie?
Schavan: Ich glaube, dass es gute Chancen gibt, weil ja nicht nur irgendwie vorgelesen wird, sondern viele Schulen, viele Bibliotheken denken sich damit verbunden auch wirklich tolle Veranstaltungen aus. Wir sollten da nicht zu pessimistisch sein. Natürlich reicht nicht ein Mal, aber wir haben ja vereinbart, es gibt jetzt regelmäßig diese Verbindung zwischen Bibliotheken und Bildungseinrichtungen. Es gibt regelmäßig diese Verbindung auch zu den Eltern. Investition in Bildung, das wissen wir auch aus vielen Studien, wirkt da am besten, wo sie Eltern einbezieht, wo sie früh ansetzt, das heißt, wir setzen auf die Kleinen, wir setzen auf das Interesse auch der Eltern. Und viele von uns, auch ich, gehen am Vorlesetag in eine Grundschule, diesmal in Berlin, und werden mitmachen. Also viele müssen da sein, die einfach mitmachen, das Ganze muss ein bisschen mit Begeisterung verbunden sein, und dann glaube ich, steter Tropfen höhlt den Stein.
Scholl: Was werden Sie denn lesen in der Schule, vorlesen?
Schavan: Ich denke an ein Buch, das über das Umfeld Mauerfall vor 20 Jahren handelt.
Scholl: "Deutschland liest", die Aktionswoche der deutschen Bibliotheken, unterstützt auch vom Bildungsministerium und dessen Chefin, Annette Schavan, sie ist hier beim Deutschlandradio Kultur im Gespräch, und Deutschlandradio Kultur ist Medienpartner von "Deutschland liest". Frau Schavan, eine moderne Bibliothek verfügt längst nicht mehr nur über Bücher, sondern über alle möglichen Medien, wenn es auch ein traditioneller Bücherwurm nur schwer einsehen mag. Hat das Buch den Jahrhunderte langen kulturellen Primat nicht inzwischen verloren?
Schavan: Die Debatte wird auch schon lange geführt, und wir führen sie ja gerade am Beispiel des E-Books. Das sind unterschiedliche Welten. Das E-Book ist interessant für diejenigen, die unterwegs sind, die viele Informationen, viele Quellen auf kleinstem Raum mitnehmen können. Etwas ganz anderes ist der Umgang mit dem Buch. Luis Borges hat einmal gesagt: Ich stelle mir den Himmel vor als eine Art Bibliothek, dazu gehört auch der Geruch des Papiers, dazu gehört das Rascheln. Das lässt sich nicht vergleichen, und deshalb finde ich auch nach vielen Diskussionen, das ist nicht wirklich Konkurrenz.
Scholl: Verlage und Buchhändler schauen ja jetzt gespannt darauf, ob die Leserschaft das E-Book, das elektronische Buch, annehmen wird. Jetzt werden die ersten Lesegeräte zum Weihnachtsgeschäft angeboten. Was sagt denn Annette Schavan zu dieser Entwicklung? Als Bildungsministerin haben Sie schon gesprochen, aber als Leserin? Werden Sie demnächst im ICE mit einem E-Book ertappt werden?
Schavan: Als Leserin sage ich, ich bin begeisterte Leserin, ich lese jeden Morgen, vor jeder Akte und vor jeder Zeitung lese ich. Im Wahlkampf, auf den langen Autofahrten, jetzt habe ich zum Beispiel Ulla Hahn "Aufbruch", einen wunderbaren autobiografischen Roman gelesen. Das gehört zu meinem Alltag, daran wird sich nichts ändern. Und an die Stelle kommt auch nicht das E-Book. Aber im ICE, wenn ich an irgendeinem Thema dran bin, kann das durchaus interessant sein, das E-Book dabeizuhaben mit Informationen, die ansonsten in drei dicken Aktenordnern wären.
Scholl: Sie haben Luis Borges schon erwähnt, den wohl größten Bibliothekar, den die Weltliteratur je hatte. Ganze Bibliotheken werden sich demnächst im Netz wiederfinden, wenn der Internetgigant Google sein Projekt Google Books verwirklicht. Wir alle kennen die scharfe Kontroverse um Urheberrechte und das geistige Eigentum, aber in die Zukunft gesprochen: Wird das nicht einmal die neue Bibliothek von Alexandria sein, das Wissen der Menschheit, allgegenwärtig, überall verfügbar? Das ist doch eigentlich ein berauschender Gedanke, oder?
Schavan: Ich finde ihn nicht beängstigend, er gehört zum 21. Jahrhundert. Und wenn man heute in die Bibliothek von Alexandria fährt und vom Direktor durch die neue Bibliothek geführt wird, dann ist ja in der Tat der Ehrgeiz derer, die da arbeiten, nicht nur viele Bücher zu haben, sondern an dieser digitalen Welt nicht nur Anteil zu haben, sondern Vorreiter zu sein. Zwei Weisen, Wissen, Erinnerung zu versammeln, zu speichern, zur Verfügung zu stellen, zwei Welten, die gut nebeneinander existieren können. Die Digitalisierung wird auch eine faszinierende Welt sein, wird genauso auf faszinierende Weise Horizonte, weite Horizonte schaffen. Das muss das Buch nicht fürchten, beides passt gut nebeneinander.
Scholl: Sind Sie gern früher in die Bibliothek gegangen als Studentin zum Beispiel?
Schavan: Ja, ich habe ja klassische Lesefächer studiert: Theologie, Philosophie. Das sind Fächer, die leben vom Lesen, von der Bibliothek. Für mich ist Bibliothek bis heute etwas Wunderbares. Ich bedauere gerade sehr, dass meine eigene Bibliothek auf zwei Wohnungen aufgeteilt ist und nicht mehr alles beieinander ist.
Scholl: Jetzt haben Sie mich schon gerade überrascht, dass Sie vor der Arbeit lesen, also Literatur lesen. Ich wollte Sie eigentlich fragen, was auf dem Nachttisch von Annette Schavan liegt. Auch Literatur?
Schavan: Nein, ich gehöre zu denen, die nicht im Bett lesen können, weil ich da zu müde bin, abends bringt es irgendwie nichts mehr, deshalb frühmorgens, wenn ich noch fit bin. Und da liegt ganz Verschiedenes. Ich lese nach wie vor in meinen Fächern die Fachliteratur, theologische Bücher, manches, was ich auch wieder lese, aber auch viel Belletristik, das, was neu erscheint an Kinder- und Jugendbüchern quer durch. Es ist eine ganz wichtige Stunde frühmorgens.
Scholl: Was hat Sie zuletzt besonders fasziniert?
Schavan: Zuletzt hat mich besonders fasziniert die Biografie "Golo Mann" von Tilmann Lahmeund eben schon erwähnt ein Buch, das großartig ist, der "Aufbruch" von Ulla Hahn. Vor Auslandsreisen greife ich dann auch immer mal zu zeitgenössischen Schriftstellern aus den Ländern, in die ich fahre. Ich empfinde das oft so, wie Borges dieses Bild benutzt hat vom Himmel, der wie eine Bibliothek ist, oder auch dieser schöne Satz von Lawrence David in dem "Käferjungen": Bücher sind Schokolade für die Seele, sie machen nicht dick, man muss nach dem Lesen nicht die Zähne putzen, sie sind leise, man kann sie überall mitnehmen und das ohne Reisepass. Bücher haben aber auch einen Nachteil: Selbst das dickste Buch hat eine letzte Seite und man braucht wieder ein neues.
Scholl: Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Hettinger: Bundesbildungsministerin Annette Schavan im Gespräch mit meinem Kollegen Joachim Scholl. Heute beginnt die bundesweite Aktionswoche "Deutschland liest. Treffpunkt Bibliothek".