Scheitern im Jahreskreis

Die Stellungnahme der Kraftwerksbetreiber nach der Katastrophe von Fukushima - ein Thema des Scheiterns für Görg.
Die Stellungnahme der Kraftwerksbetreiber nach der Katastrophe von Fukushima - ein Thema des Scheiterns für Görg. © picture alliance / dpa
Im "Handbuch der Erfolglosen" bringt die Autorin Patricia Görg das Jahr 2011 im Schnelldurchlauf auf den Punkt - teils kulturkritisch, teils literarisch. Durch den Blickwinkel des Scheiterns erscheinen viele Ereignisse in einem neuen Licht.
Palästina soll als eigener Staat in die UN aufgenommen werden, Dominique Strauss-Kahn wird in New York festgenommen. Zwei von unzähligen Ereignissen, die das Jahr 2011 ausmachen. Zwei vergleichsweise unspektakuläre Ereignisse, die wenig nachhaltige Wirkung zeitigten und den meisten Menschen in unseren Breiten nicht mehr präsent sind. Patricia Görg hat sie und andere in ihrem jüngstem Buch angesprochen und stellt Wiedererinnern her.

Einiges ist uns noch vertraut, als wäre es gestern geschehen, anderes scheint schon lange zurückzuliegen. Doch Patricia Görg rollt das Jahr nicht als Chronistin auf. Sie scheint willkürlich vorzugehen, mit dem Mut zur Lücke Geschehnisse des vorigen Jahres auszuwählen, die sie dann mit kleinen Anmerkungen versieht. Mitunter enthält sie sich jedes Kommentars, dann ist allein die Auswahl schon Kommentar genug. Von Kalenderwoche eins bis Kalenderwoche 52 spannt sie ihre Betrachtungen dessen, was für sie 2011 ausmacht, jeweils mit "KW" und Ordnungszahl überschrieben.

Zwischen ihre kleine Wochenschau streut Görg Exkursionen und Fallgeschichten: Sie besucht Diskussionen, Ausstellungen oder sieht sich Kinofilme an. Offenbar unmittelbar danach macht sie ihre Notizen, beurteilt das soeben Erlebte. In den Fallgeschichten erzählt sie scheinbar Unzusammenhängendes, Miniaturen des Alltags oder aus dem großen Kosmos. Für ihn dürfte die Autorin eine Schwäche haben: Immer wieder handeln Geschichten vom Geschehen im All, von Raumkapseln, Satelliten und Himmelskörpern - wahr, erfunden, doch zumindest stets der Wahrheit eng benachbart.

Eines aber eint all die Häppchen, die Patricia Görg ihrer Leserschaft vorsetzt: Sie eint das Thema des Scheiterns. Dabei bewertet die Autorin aber nicht: Berlusconi scheitert ebenso wie die offizielle Stellungnahme der Kraftwerksbetreiber nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima. Terroristenchef Bin Laden gehört ebenso zu den Erfolglosen von 2011 wie die Protestierer nach der russischen Wahl.

Görg wertet nicht: Sie holt die Erfolglosen zusammen in ein buntes Bild und stellt sie vor. Die Erfolglosen sind weder die Wahren, die unsere Sympathie erhalten sollen, noch jene, denen gerechte Vergeltung für ihr erfolgloses Handeln widerfährt: Scheitern ist keine Kategorie, um Wertungen anzustellen, Scheitern gehört zum Leben, zum Alltag, zum Jahresablauf, das macht Görg in ihrem Buch klar.

In ihrer Sprache bleibt die Autorin distanziert, wenn sie wie eine Chronistin ihre knapp ausgewählten Vorkommnisse von 2011 anspricht. Sie wird zur Kulturkritikerin, wenn sie von ihren Exkursionen berichtet. Und sie ist ganz Literatin, der schöne Formulierungsketten gelingen, allerdings auch mitunter schiefe Bilder passieren, wenn sie die Fallgeschichten erzählt.

Es ist eine gute Idee, ein Jahr quer zu lesen, dessen Ereignisse unter dem Thema "Erfolglosigkeit" durchmarschieren zu lassen und so einen ungewohnten Blick auf den Ablauf des Lebens um uns herum zu erhalten. Durch die Einbettung in andere Zusammenhänge erscheint vieles plastischer, für sich stehend und in neuem Licht. Wenngleich sich nicht alle Verknüpfungen und selbst die tiefere Absicht des Buches bis zum Schluss nicht so recht erschließen wollen.

Besprochen von Stefan May

Patricia Görg: Handbuch der Erfolglosen - Jahrgang zweitausendundelf
Berlin Verlag, Berlin 2012
224 Seiten, 19,90 Euro

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