Scherenschnitte von der unschönen Seite der Wirklichkeit
Das Medium des Scherenschnitts verbindet man nicht unbedingt mit aktueller, gar politischer Kunst. Weit gefehlt, wie jetzt eine Ausstellung in Hamburg beweist, die zeitgenössische Scherenschnitte vorstellt: "Cut. Scherenschnitte 1970-2010" umfasst über 50 meist großformatige Arbeiten, unter anderem von Felix Droese, Kara Walker und Annette Schröter.
Welch eine Eröffnung! Kaum hat man die Ausstellung betreten, fällt der Blick auf eine gut drei Meter hohe Arbeit an der Wand gegenüber: Da sieht man einige aus schwarzem Papier geschnittene Caspar-David-Friedrich-Figuren. Jene Damen und Herren, die auf den Bildern des Romantikers so sehnsuchtsvoll in die Ferne blicken.
Bei der Künstlerin Annette Schröter allerdings hapert es empfindlich mit der "romantischen Stimmung": Ihre Figuren blicken nicht in eine ersehnte menschlichere Zukunft, sondern direkt auf eine explodierende Großstadt: In feinster Ornamentik lässt die Leipziger Künstlerin Hochhäuser und Rauchwolken durch die Luft fliegen. "Kawumm" nennt sie ihre Arbeit - aus der Traum von einer besseren Zukunft.
Schröters Werk ist charakteristisch für den zeitgenössischen Scherenschnitt: Geradezu genussvoll demontieren Künstlerinnen und Künstler das biedermeierliche Medium - in das im 19. Jahrhundert mit Vorliebe idyllische Kinderreigen und Blumenstilleben geschnitten wurden - und nutzen es nun, um von der unschönen Seite der Wirklichkeit zu erzählen.
Petra Roettig, Kuratorin der Ausstellung:
"Diese Reduktion auf das Wesentliche, das hat schon immer viele Künstler interessiert. Also man muss gar nicht viele Sachen zeichnen oder so etwas, es ist einfach nur der Umriss. Und in diesem klaren Umriss spiegelt sich schon eine ganze Menge. Wie die Kara Walker gesagt hat: Auch die Psyche des Menschen."
Die Afroamerikanerin Kara Walker greift das im 19. Jahrhundert so beliebte bürgerliche Medium auf, um mit Kolonialismus und Rassismus abzurechnen: Etwa zehn Meter zieht sich ihre in farbiges Licht getauchte Inszenierung aus schwarzen Schattenrissen über die Wände: Man sieht Sklavenhändler, die Kinder verschleppen. Frauen, die auf dem Feld arbeiten. Eine Freiheitskämpferin. Einen verstümmelten Schwarzen.
"Sie zeigt am 'braven' Medium des Scherenschnitts die richtige Brutalität. ... Und das ist obszön, auch pornografisch, und dadurch hochpolitisch. Und attackiert natürlich damit auch ... - ja, der Scherenschnitt war ja ein Medium des Weißen im 18., 19. Jahrhundert - und das greift sie natürlich auch damit an: Die heile Welt des Weißen. ... Und was noch ganz spannend ist bei ihr: Sie hüllt das in einen farbigen Lichtraum, und man geht dann dadurch, wird wieder zu seinem eigenen Scherenschnitt, und wird dann Teil dieser Inszenierung von ihr. Man nimmt also teil. Und: Sie nimmt einen damit auch in die Verantwortung."
Andere arbeiten abstrakt: Katharina Hinzberg etwa lässt in einem Raum unzählige schmale, orangefarbene Papierstreifen, die sie aus Din-A4-Bögen schnitt, wie Regen von der Decke fallen. Phillip Lörsch bringt seine ausgeschnittenen Papiere mithilfe fast unsichtbarer aufgespannter Nylonfäden zum Schweben. Und Charlotte Griffins spielt in ihrem riesigen gestrandeten Wal mit der Wirkung von Licht und Schatten: Das Tier aus weißem Papier ist begehbar und von innen beleuchtet, sodass man von außen die Schattenrisse der Eindringlinge sehen kann.
Eindrucksvoll führt die Ausstellung die unterschiedlichen Facetten des zeitgenössischen Scherenschnitts vor, die von faszinierenden Formspielereien bis zu hochpolitischen Kommentaren zur Gegenwart reichen, von feinster filigraner Schneidekunst auf riesigem Format, bis hin zu ganzen Rauminstallationen.
Petra Roettig: "Ich glaube, dass bei dem Cut Out einfach die Möglichkeit, in eine andere Gattung reinzugehen - ... also ganz extrem bei der Zeichnung, die ja immer nur die Linie auf dem Zeichentisch ist, plötzlich in die Installation, in das Dreidimensionale, in das Skulpturale hineinzugehen, dass das einfach reizvoll ist."
Am Erstaunlichsten ist jedoch, mit welcher Selbstverständlichkeit Künstlerinnen und Künstler figürlich arbeiten, und das Medium für aktuelle politische Kommentare nutzen: Raumhoch präsentiert die Leipzigerin Annette Schröter die Fassade eines leerstehenden, heruntergekommenen Hauses, beschmiert mit Graffiti, überwuchert von Unkraut. Versprach da nicht einst einer im Osten "blühende Landschaften"?
Oder William Kentridge. Er erzählt in seinen Scherenschnittfilmen von Apartheid und politischer Verfolgung. Oder Jeanne Faust. Sie schneidet Fotos aus der Presse nach und präsentiert diese wiederum als Fotos - etwa den Blick in eine russische Drogenküche mit maskierten Männern.
Und dann ist da noch Felix Droese, der Begründer des zeitgenössischen Scherenschnitts. Als einer der ersten griff er in den 1970er-Jahren auf das Medium zurück und nutzte es politisch: Wie für die aktuelle Hamburger Situation entstanden wirkt seine Arbeit, die zwölf lebensgroße, aus schwarzem Papier geschnittene, sehr angeschlagen wirkende Männer zeigt: an Infusionsständer gekettet schleppen sie sich mal kopf- mal beinlos zwei Wände entlang. Titel der Inszenierung: "Antiterroreinheit - unterwegs zu einem Begräbnis der Kunst".
Bei der Künstlerin Annette Schröter allerdings hapert es empfindlich mit der "romantischen Stimmung": Ihre Figuren blicken nicht in eine ersehnte menschlichere Zukunft, sondern direkt auf eine explodierende Großstadt: In feinster Ornamentik lässt die Leipziger Künstlerin Hochhäuser und Rauchwolken durch die Luft fliegen. "Kawumm" nennt sie ihre Arbeit - aus der Traum von einer besseren Zukunft.
Schröters Werk ist charakteristisch für den zeitgenössischen Scherenschnitt: Geradezu genussvoll demontieren Künstlerinnen und Künstler das biedermeierliche Medium - in das im 19. Jahrhundert mit Vorliebe idyllische Kinderreigen und Blumenstilleben geschnitten wurden - und nutzen es nun, um von der unschönen Seite der Wirklichkeit zu erzählen.
Petra Roettig, Kuratorin der Ausstellung:
"Diese Reduktion auf das Wesentliche, das hat schon immer viele Künstler interessiert. Also man muss gar nicht viele Sachen zeichnen oder so etwas, es ist einfach nur der Umriss. Und in diesem klaren Umriss spiegelt sich schon eine ganze Menge. Wie die Kara Walker gesagt hat: Auch die Psyche des Menschen."
Die Afroamerikanerin Kara Walker greift das im 19. Jahrhundert so beliebte bürgerliche Medium auf, um mit Kolonialismus und Rassismus abzurechnen: Etwa zehn Meter zieht sich ihre in farbiges Licht getauchte Inszenierung aus schwarzen Schattenrissen über die Wände: Man sieht Sklavenhändler, die Kinder verschleppen. Frauen, die auf dem Feld arbeiten. Eine Freiheitskämpferin. Einen verstümmelten Schwarzen.
"Sie zeigt am 'braven' Medium des Scherenschnitts die richtige Brutalität. ... Und das ist obszön, auch pornografisch, und dadurch hochpolitisch. Und attackiert natürlich damit auch ... - ja, der Scherenschnitt war ja ein Medium des Weißen im 18., 19. Jahrhundert - und das greift sie natürlich auch damit an: Die heile Welt des Weißen. ... Und was noch ganz spannend ist bei ihr: Sie hüllt das in einen farbigen Lichtraum, und man geht dann dadurch, wird wieder zu seinem eigenen Scherenschnitt, und wird dann Teil dieser Inszenierung von ihr. Man nimmt also teil. Und: Sie nimmt einen damit auch in die Verantwortung."
Andere arbeiten abstrakt: Katharina Hinzberg etwa lässt in einem Raum unzählige schmale, orangefarbene Papierstreifen, die sie aus Din-A4-Bögen schnitt, wie Regen von der Decke fallen. Phillip Lörsch bringt seine ausgeschnittenen Papiere mithilfe fast unsichtbarer aufgespannter Nylonfäden zum Schweben. Und Charlotte Griffins spielt in ihrem riesigen gestrandeten Wal mit der Wirkung von Licht und Schatten: Das Tier aus weißem Papier ist begehbar und von innen beleuchtet, sodass man von außen die Schattenrisse der Eindringlinge sehen kann.
Eindrucksvoll führt die Ausstellung die unterschiedlichen Facetten des zeitgenössischen Scherenschnitts vor, die von faszinierenden Formspielereien bis zu hochpolitischen Kommentaren zur Gegenwart reichen, von feinster filigraner Schneidekunst auf riesigem Format, bis hin zu ganzen Rauminstallationen.
Petra Roettig: "Ich glaube, dass bei dem Cut Out einfach die Möglichkeit, in eine andere Gattung reinzugehen - ... also ganz extrem bei der Zeichnung, die ja immer nur die Linie auf dem Zeichentisch ist, plötzlich in die Installation, in das Dreidimensionale, in das Skulpturale hineinzugehen, dass das einfach reizvoll ist."
Am Erstaunlichsten ist jedoch, mit welcher Selbstverständlichkeit Künstlerinnen und Künstler figürlich arbeiten, und das Medium für aktuelle politische Kommentare nutzen: Raumhoch präsentiert die Leipzigerin Annette Schröter die Fassade eines leerstehenden, heruntergekommenen Hauses, beschmiert mit Graffiti, überwuchert von Unkraut. Versprach da nicht einst einer im Osten "blühende Landschaften"?
Oder William Kentridge. Er erzählt in seinen Scherenschnittfilmen von Apartheid und politischer Verfolgung. Oder Jeanne Faust. Sie schneidet Fotos aus der Presse nach und präsentiert diese wiederum als Fotos - etwa den Blick in eine russische Drogenküche mit maskierten Männern.
Und dann ist da noch Felix Droese, der Begründer des zeitgenössischen Scherenschnitts. Als einer der ersten griff er in den 1970er-Jahren auf das Medium zurück und nutzte es politisch: Wie für die aktuelle Hamburger Situation entstanden wirkt seine Arbeit, die zwölf lebensgroße, aus schwarzem Papier geschnittene, sehr angeschlagen wirkende Männer zeigt: an Infusionsständer gekettet schleppen sie sich mal kopf- mal beinlos zwei Wände entlang. Titel der Inszenierung: "Antiterroreinheit - unterwegs zu einem Begräbnis der Kunst".