Diese Sendung ist am 31. Dezember 2017 erstmals ausgestrahlt worden.
Die dunkle Macht
51:45 Minuten
Fatum, Kismet, Fortuna, Karma – das Schicksal kommt mit vielen Namen und bleibt doch schwer fassbar. Jedes Leben ist schicksalhaft, angefangen mit dem Ort der Geburt. Die Religionen haben einen ganz unterschiedlichen Umgang mit dieser Größe.
Es gibt Ereignisse, in denen sich das Schicksalhafte regelrecht konzentriert. Sie kommen abrupt, geben dem ganzen Leben eine neue Richtung und sie hinterlassen eine dunkle Ahnung, dass da noch eine andere, größere Macht am Werke sei, so fasst es der katholische Philosoph Martin Knechtges zusammen. Wobei Menschen ganz unterschiedlich mit ihrem Schicksal umgehen. Friederike Kolster, deren Leben von einer fortschreitenden Krankheit verkürzt wird, lebt eine Art aufsässige Schicksalsergebenheit:
"Meine Art von Schicksalsergebenheit ist, anzuerkennen, es ist gerade so, wie es ist. Und es geht darum, mit mir und mit dem, was gerade ist, freundlich zu sein."
Aber eigentlich würde sie den Begriff Schicksal für ihr Leben nicht verwenden. Anders als die deutsch-iranische Schriftstellerin Mehrnousch Zaeri-Esfahani. Sie schätzt es sehr, wenn man Dinge nicht einfach als schicksalhaft hinnimmt – eine Eigenschaft, die sie der deutschen Kultur zuschreibt –, aber trotzdem nähert sie sich eher wieder dem Schicksalsverständnis ihrer Herkunftskultur an:
"Im Persischen sagen wir: Anteil. Das ist ja schon mal etwas, was ich habe. Das hat mir das Leben gegeben. Man hat auch gar keine Angst davor. Man ist sogar offen und sagt: Ich bin gespannt, was ich daraus machen kann."
Alles steht in Gottes Hand
Alle großen Religionen setzen sich mit dem Schicksalhaften auseinander und setzen dabei sehr unterschiedliche Akzente. Die Bibel kennt den Begriff Schicksal nicht. Sie zeichnet einen persönlichen, zugewandten Gott – um den Preis, dass der Glauben manchmal auch keine Antwort auf Schicksalhaftes hat.
Der Islam dagegen glaubt fest an die göttliche Fügung. Alles steht in Gottes Hand, im Guten wie im Schlechten, jeder Gläubige muss allerdings entscheiden, wie er sich dazu verhält. Mohammed Imran Sagir, der in Berlin das muslimische Seelsorgetelefon leitet, deutet das als Prüfung:
"Eine Prüfung muss ja auch nicht einfach sein. Die ist aber so, dass sie machbar ist."
Auch der islamische Theologe Daniel Roters sieht die Verknüpfung von göttlicher Vorhersehung und menschlichem freien Willen, betont aber auch die möglichen Gefahren, wenn dieses Verhältnis in eine Schieflage gerät:
"In der arabisch-islamischen Welt wurde auch eine Verengung dieser Konzepte gebraucht, um eine Bevölkerung lethargisch zu halten. Das ist aber absolut nicht islamisch."
Schicksal oder Autonomie?
Auch im Buddhismus ist Schicksal nicht unerklärlich, sondern fest eingebunden in vergangenes und künftiges Handeln jedes und jeder Einzelnen. Es gibt Ausrichtungen, die daraus eine große Schicksalsergebenheit ableiten. Für die buddhistische Meditationslehrerin Sylvia Wetzel liegt aber genau in der Betonung des menschlichen Handelns der entscheidende Schritt in Richtung Autonomie.
Jeder hat sein Schicksal selbst in der Hand? Für den Menschen in der Moderne ist das nicht nur Verheißung, sagt der Sinologe Michael Lackner. Früheren Zeiten diente das Konzept Schicksal der moralischen Verbesserung, sagt er:
"Ich nehme das Schicksal an, aber gerade dadurch, dass ich es annehme, bin ich schon einen Schritt ein besserer Menschen geworden."
Der andere Umgang: praktizierte Magie, mit Orakeln, Amuletten, Zaubersprüchen. Beide Möglichkeiten haben in der Moderne keinen guten Ruf mehr. Wobei eine wirklich gelebte Religion bei der Verarbeitung von Schicksalhaftem immer noch helfen kann, sagt der Religionspsychologe Michael Utsch – und zwar unabhängig davon, um welche Religion es sich konkret handelt.
Das Manuskript des vollständigen Features finden Sie hier im PDF-Format.