Christoph Rickels mit Alex Raack: "Schicksalsschlag: Täter, Opfer, Aktivist – Warum ich der Gewalt den Kampf ansage"
Edel Books, Hamburg 2020
240 Seiten, 17,95 Euro
Harter Schlag mit schweren Folgen
08:19 Minuten
Christoph Rickels wurde niedergeschlagen, lag monatelang im Koma und ist seitdem zu 80 Prozent schwerbehindert. Wohin Gewalt führt, macht er jungen Menschen in Schulen und Gefängnissen klar. Nun hat er darüber auch ein Buch geschrieben.
Liane von Billerbeck: Vor 13 Jahren geriet Christoph Rickels – damals ein draufgängerischer, junger Mann – in eine Auseinandersetzung um ein Mädchen und wurde vom Freund dieser Angebeteten ohne Vorwarnung niedergeschlagen. Und dabei so schwer verletzt, dass er vier Monate lang im Koma lag und nach dem Erwachen alles neu lernen musste: sprechen, gehen, essen, denken.
Er ist zu 80 Prozent schwerbehindert und muss immer wieder zu langen Behandlungen in die Klinik. Nachdem er die anfänglichen Rachegedanken überwunden hatte, setzt er sich nun mit seiner Organisation First-Togetherness für Aufklärung und Demokratie ein und erzählt vor allem jungen Menschen von seinem Schicksal, in Schulen und in Gefängnissen.
Wie geht es Ihnen heute, 13 Jahre nach den Schlägen auf Ihren Kopf, nach diesem ungebremsten Sturz auf den Boden?
Rickels: Man sagt so schnell: gut. Mir geht’s nicht gut, mir geht’s okay. Ich habe alles im Griff und ich krieg das hin, aber gut ist doch noch was Anderes. Glücklich bin ich noch nicht.
"Mein Leben ist ziemlich einsam"
von Billerbeck: Wie müssen wir uns Ihr Leben vorstellen, wenn Sie nicht im Krankenhaus sind?
Rickels: Mein Leben ist ziemlich einsam. Ich bin sozial ziemlich auf Distanz, so nenne ich es immer, und das macht es halt sehr schwer, dass man so alleine ist. Ich habe dann durch mein Projekt, durch First-Togetherness, schon ein bisschen Lebensexilier bekommen.
Durch das Projekt gehe ich ja in die Welt und lerne Leute kennen und begeistere sie und bewege was, und das ist mir wichtig. Da merke ich halt: Verdammt, du bist doch noch was wert, du kannst doch noch Großes leisten. Das freut mich dann.
von Billerbeck: Eine Art Normalität kann man sich gar nicht vorstellen nach dem, was Ihnen passiert ist, oder gibt es auch Normalität in Ihrem Leben?
Rickels: Nein, durchaus nicht. Ich kann ein neues Leben erst beginnen, wenn der ewige juristische Kampf vorbei ist. Es ist tatsächlich so – und das schwöre ich mir selber immer –, sobald ich da endlich Ruhe und Gewissheit habe, kann ich wieder anfangen zu leben. Jetzt ist mein Leben nur noch Kampf, deswegen ist Normalität ein Fremdwort.
von Billerbeck: Sie haben vier Monate lang im Koma gelegen nach diesem Schlag in der Disko. Als Sie aufwachten, haben sich dann viele Ihrer Gedanken um Rache an dem Täter gedreht. Wie haben Sie es geschafft, da raus zu finden?
Rickels: Durch meine Initiative First-Togetherness habe ich diesen Ausweg gefunden, und zwar weit genug, so dass ich das alles selber reflektieren konnte und mich gefragt habe, warum das überhaupt passiert ist. Ich habe dann erkannt, dass ich früher ja selber genauso einer war und dass ich mich auch geschlagen habe.
Da habe ich gedacht, das Problem ist dieses falsche Verständnis von Coolness. Kinder, Jugendliche machen immer das, was cool ist, und wenn sie cool sind, wenn sie sich schlagen, dann schlagen sie sich halt, weil sie cool sein wollen.
Im Knast hat keiner Lust, zuzuhören
von Billerbeck: Mit Ihrem Projekt First-Togetherness besuchen Sie ja Schulen und auch Gefängnisse und erzählen von Ihrem Schicksal, und da geht es eben genau um dieses Coolsein, von dem Sie eben sprachen - und cool ist dann der, der nur im Sport schlägt und ansonsten die Hand reicht. Wie reagieren die Zuhörer, wenn sie von Ihrem Schicksal hören? Haben Sie eine Ahnung, ob das ein Moment der Rührung ist bei Ihren Zuhörern oder ob da tatsächlich nachhaltig eine Wirkung erzielt wird?
Rickels: Das kann man natürlich nicht beweisen. Die Rückmeldungen, die ich im Anschluss bekomme, zeigen mir schon, dass ich da was bewegt haben muss. In Schulen beispielsweise die Rückmeldung von Eltern, die mir sagen, dass ihre Kinder wie ausgewechselt seien, und in Gefängnissen – okay, das ist eine andere Hausnummer.
Die Jungs, die da sitzen, die haben eigentlich im ersten Moment gar keine Lust, zuzuhören. Da war ich in einer Sicherungsverwahrungsanstalt, da saßen die Härtesten der Harten. Als einer nach meinem Vortrag zu mir kam und zu mir sagte, Christoph, ich habe noch nie so einen starken Menschen kennengelernt wie dich, da wusste ich, krass, das sagt dir so einer, und dass er das sagt, zeigt mir, den habe ich erreicht.
von Billerbeck: Sie setzen sich ja mit Ihrer Organisation First-Togetherness, die auch viele Prominente unterstützen, für Demokratie und Toleranz ein, für ein Miteinander als neue Coolness, haben viele Preise bekommen, sind mit der Verdienstmedaille der Bundesrepublik ausgezeichnet worden. Dennoch müssen Sie um Schmerzensgeld kämpfen – bis heute hat Ihnen keine Versicherung etwas bezahlt –, mit Ihrem Körper gegen den Schmerz, den die Einsamkeit bringt. Was hilft Ihnen denn, wenn Sie das Gefühl haben, eben nicht mehr der starke Mann zu sein und keine Kraft zu haben, was machen Sie dann?
Rickels: Das ist eine ganz schön schwere Frage. Das, was mir hilft, ist das, was ich am Anfang des Gesprächs als Lebenselixier beschrieben habe: Mir hilft mein Engagement. First-Togetherness hilft mir, weil ich merke, dass ich was bewege, und das motiviert. Diese Motivation, die hilft auch, schlechte Gedanken oder Trauer und Wut beiseite zu schieben.
Mit dem Schicksal Frieden geschlossen
von Billerbeck: Wenn man auf Ihre Homepage guckt, da steht Ihr Lebensmotto, das heißt: "Man erntet, was man sät." Haben Sie denn Frieden mit Ihrem Schicksal gemacht, ist diese Lisa, dieses Mädchen, um das es damals ging, wegen der Sie niedergeschlagen wurden, jemals bei Ihnen aufgetaucht?
Rickels: Nein, ich habe nicht mit ihr gesprochen. Aber um auf die Frage zurückzukommen: Ja, das habe ich, ich habe mit meinem Leben Frieden geschlossen. Ich möchte mit allem Frieden schließen, auch mit dem Täter. Meinetwegen können wir uns alle zusammen hinsetzen und beim Kaffee darüber sprechen, was damals passiert ist.
Ich sage mir heute, es bringt doch nichts, wenn man mit Wut und mit Hass seine eigenen Kräfte raubt, das macht es allen schwer. Deswegen sage ich heute: Lass uns lieber einen Weg finden, um aus der negativen Vergangenheit eine positive Zukunft zu kreieren. Das klingt vielleicht blöd, aber so meine ich das.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.