Schieb: Internet ist "einigermaßen unkaputtbar"
Die Helfer in Haiti nutzen vielfach das Internet, um sich zu organisieren, sagt der Computer- und Internetfachmann Jörg Schieb. Oft gebe es schon einige Meter abseits des Erdbebengebiets Zugang zum Netz.
Joachim Scholl: Um den Opfern des Erdbebens in Haiti zu helfen, dazu braucht es nicht nur Geld und Einsatzkräfte, sondern immens viel technische Unterstützung. Zum Beispiel in Form von Satellitenbildern, die den Helfern zeigen, wo und wie viel zerstört ist an Gebäuden, Straßen und Infrastruktur. Solche Bilder liefert derzeit das Zentrum für satellitengestützte Kriseninformation am Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum in Köln, und ich bin nun verbunden mit dem Projektleiter Olaf Kranz. Guten Tag!
Olaf Kranz: Ja, guten Tag!
Scholl: Sie versorgen jetzt schon seit einigen Tagen die Helfer in Haiti mit Bildinformationen. Welche Satelliten liefern diese Bilder eigentlich?
Kranz: Wir benutzen momentan vornehmlich optische Satelliten in der Klasse unter einem Meter Bodenauflösung. Das sind vornehmlich Satelliten von amerikanischen Anbietern, die eben entsprechende Auflösung haben, damit wir auch die entsprechenden Schäden vor Ort am Boden auch erkennen können.
Scholl: Wie muss man sich das vorstellen? Funken Sie selbst diese Satelliten an oder machen das die amerikanischen Kollegen für Sie? Die müssen ja auch erst mal in Stellung gebracht werden.
Kranz: Das ist korrekt. Wichtig für unsere Arbeit ist eine internationale sehr gute Vernetzung und entsprechende Kontakte. Das heißt also, über diese entsprechenden Kontakte und die Vernetzung, auch über internationale Mechanismen sind wir in der Lage, die Anfrage zu stellen für bestimmte Orte, Aufnahmen zu programmieren. Und im Rahmen einer Krise gibt es entsprechende Mechanismen, dass das dann auch Priorität hat.
Scholl: Müssen wir uns diese Bilder so ähnlich vorstellen, wie wenn wir Google Map auf unserem Computer einstellen?
Kranz: Das ist durchaus vergleichbar. Die Auflösung ist ebenfalls vergleichbar. Das, was man bei Google im besten Falle sieht, sind auch 60 bis 50 Zentimeter Bodenauflösung, sind oft die gleichen Satelliten. Allerdings – und das ist der große Unterschied – die Daten, die wir bei Google sehen, sind Archivdaten, das heißt also, sie haben ein bestimmtes Alter bereits, während wir natürlich direkt nach der Katastrophe sehr aktuelles Bildmaterial brauchen.
Scholl: Nun ist allein Port-au-Prince, die Hauptstadt, ein riesiges Areal, das heißt, man braucht zigtausend Fotos. Wie viele Mitarbeiter arbeiten derzeit daran?
Kranz: Es ist richtig, wir brauchen eine ganze Menge an Aufnahmen, wenn auch nicht Tausende, so doch relativ viele. Wir arbeiten hier normalerweise immer mit einer Mannschaft von drei, vier, fünf Leuten, im Fall von Haiti ist das ein bisschen anders. Wir haben jetzt gerade am Donnerstag, Freitag und auch übers Wochenende durchaus mit einem Personal von 20, 25 Leuten gearbeitet.
Scholl: Trotzdem noch einmal: Wie verläuft eigentlich denn die Auswertung, also ich meine, wie – ich bekomme ein Bild von einer Straße – wie erkenne ich denn sozusagen, ob es nun wirklich im Zusammenhang, dass diese Straße jetzt zerstört ist, dass diese Straße jetzt vielleicht über ein Kilometer lang nicht befahrbar ist?
Kranz: Ja, da ist eine sehr gute Frage, weil wir das natürlich nur dann sagen können, wenn wir Vorher-Bilder, also vor dem Ereignis, und Nachher-Bilder miteinander vergleichen können, weil wir selbst und auch die Interpreten waren ja nicht vor Ort. Das heißt, wir vergleichen immer ein Vorher- und ein Nachher-Bild. Und durch diesen Vergleich, zum Teil auch unterstützt durch automatische Auswertung, viel aber durch visuelle Bildinterpretation können wir dann sagen: Hier haben wir eine zerstörte Straße oder zerstörte Gebäude. Man muss allerdings auch dazusagen, dass wir niemals eine Hundertprozentgenauigkeit erreichen, sondern wir es immer mit einer gewissen Unsicherheit auch zu tun haben.
Scholl: Wie werden denn dann die Bilder funktionsfähig gemacht, das heißt also auch etwa in brauchbare Karten umgewandelt? Wie funktioniert das?
Kranz: Das ist so, dass wir diese Daten, diese Bilder auswerten. Nehmen wir an, wir machen das in visueller Form. Dann werden von uns visuell auch entsprechend die Straßen, die entsprechenden Straßenklassen oder Gebäudeschäden eingezeichnet und dann mithilfe entsprechender Softwaretools in eine entsprechende Karte mit Legende, mit Erklärungstext zusammengestellt.
Scholl: Wie verläuft dann das Prozedere, wie gelangen die Helfer an das Material?
Kranz: Das normale Prozedere ist so, dass wir unsere Informationen immer frei verfügbar im Internet zur Verfügung stellen auf unserer Internetseite. Das heißt also, jeder Helfer, selbst wenn er nicht angefragt hat, kann, sofern er Internetzugang hat, sich das Datenmaterial herunterladen. Wir haben also die fertigen Karten und Informationen, wir haben unterschiedliche Auflösungsstufen, dass das auch mit einer sehr schlechten Internetverbindung noch geht. Im Normalfall ist es aber so, dass Hilfsorganisationen uns angefragt haben, die bekommen das Material dann direkt zur Verfügung gestellt, entweder über FTP-Server, über E-Mail oder sogar, wie wir das zum Teil machen, in ausgedruckter Form mit großen Karten, die dann direkt an den Flughafen per Expresskurier geliefert werden.
Scholl: Das heißt also, ein Einsatzteam zum Beispiel, das also am Ort ist und nicht genau Bescheid weiß über das Areal vielleicht, wie der Grad der Zerstörung ist, kann direkt Sie fragen in Köln nach diesem Gebiet, und Sie können eventuell dann die Kollegen dort versorgen mit Material, mit Bildern?
Kranz: Das ist richtig, genau. Das Zentrum für satellitengestützte Kriseninformation – wir sitzen hier in Oberpfaffenhofen in der Nähe von München und können aber, egal wo die Hilfsmannschaften starten, ob Frankfurt, Berlin, Hamburg oder auch natürlich in München, das Material entsprechend dort hinliefern oder die Information oder sie auch digital zur Verfügung stellen, wenn das angefragt wird.
Scholl: Ich kann mir vorstellen, dass Sie sich vor allem vornehmlich jetzt erst mal auf Port-au-Prince konzentriert haben. Oder auch schon über das ganze Land, ist wahrscheinlich schwieriger, ne?
Kranz: Das ist schwierig. Wir haben uns tatsächlich momentan fokussiert auf Port-au-Prince, weil dort die größten Schäden aufgetreten sind, fangen jetzt aber an beziehungsweise sind auch am Wochenende bereits nach Westen gegangen, wo es bereits auch Meldungen gab über sehr große Schäden auch in kleineren Ortschaften, und warten aktuell auch tatsächlich noch auf aktuelles Bildmaterial von einer Stadt, einer Agglomeration weiter im Westen, die auch sehr stark betroffen ist.
Scholl: Besten Dank! Das war Olaf Kranz vom Zentrum für satellitengestützte Kriseninformation. Alles Gute, Herr Kranz, für Ihre weitere Arbeit!
Kranz: Danke!
Scholl: Und jetzt begrüße ich im Studio unseren Computer- und Internetfachmann Jörg Schieb. Hallo!
Jörg Schieb: Hallo, guten Tag!
Scholl: Sie haben gerade mitgehört und das Internet spielt natürlich auch hier eine Rolle bei der Übermittlung von Satelliteninformationen. Das Netz war die erste und zunächst einzige Informationsquelle über die Katastrophe, weil ja alle Telefon- und Datenleitungen nicht funktionierten. Welche Bedeutung hat das Internet jetzt bei der Bewältigung der Krise?
Schieb: Also es hat zwei ganz wesentliche Bedeutungen: Einmal für die Menschen, die vor Ort sind und helfen, also Helfer, die organisieren sich durchaus auch über das Internet. Da gibt es zum Beispiel bei Twitter, diesem Nachrichtenkanal, wo man sich ja auf 140 Zeichen lange Nachrichten beschränken muss, einen Kanal, der unter dem Namen "Haiti Help" zu erreichen ist. Und wer sich diesen Kanal "Haiti Help" anschaut, der sieht ganz genau, dass eben Helfer aus aller Welt nach Haiti strömen regelrecht und sich vorher, aber auch vor Ort eben über diesen Kanal organisieren. Und das Tolle ist ja, man braucht entweder nur einen Computer, der online gehen kann, oder eben sogar auch ein Handy, denn Twitter ist ja durchaus auch handytauglich. Das heißt also, dieser Kanal hilft, dass Menschen, die sich eventuell auch gar nicht kennen, aber wissen, wir haben ein Ziel, nämlich vor Ort zu helfen, darüber zu organisieren, wo ist was los, wo können wir vielleicht aktiv werden, wo brauchen wir Hilfe. Und die Menschen können sich auch untereinander organisieren, weil Funk oder Telefon eventuell ja ansonsten Schwierigkeiten macht da vor Ort.
Scholl: Das Internet braucht ja auch Datenleitungen. Wir haben uns auch zwischendurch gefragt, sind diese Datenleitungen eigentlich eventuell natürlich auch zerstört in Haiti, funktioniert das Netz denn dort jetzt derzeit nur mobil?
Schieb: Das ist unterschiedlich natürlich. Der Vorteil des Internets im Vergleich zum Telefon ist, wenn eine Telefonleitung kaputt ist, ist die nun mal kaputt, dann tut sich da nichts mehr. Aber beim Internet haben Sie ja immer verschiedene Wege: Es gibt Festnetz, es gibt DSL, es gibt WLAN, es gibt eben auch noch den Mobilfunk, und natürlich ist in einem Erdbebengebiet es schwierig, online zu gehen, aber vielleicht ein paar Hundert Meter weiter schon wieder nicht, sodass man also sich teilweise nur ganz leicht rausbewegen muss und hat dann schon wieder Zugang. Und das ist eigentlich bei allen Katastrophen in den vergangenen zwei, drei, vier Jahren gewesen, dass sehr schnell Bilder, Fotos, Augenzeugenberichte, sogar Videos und eben auch Hilferufe über diese Kanäle rausgegangen sind. Irgendeinen Weg finden die Daten im Internet erstaunlicherweise immer – es ist ja aber auch so ausgelegt, das ist ja einer der großen Vorteile des Internet. Es ist ja einigermaßen unkaputtbar sozusagen, es gibt viele Wege rein, es gibt viele Wege raus, und es zeigt sich immer wieder, dass das relativ verlässlich arbeitet.
Scholl: Der Konzern Google bietet mit einem eigenen Suchportal die Möglichkeit, nach Angehörigen oder vermissten Personen zu suchen. Wird das auch als Hilfsmöglichkeit in Anspruch genommen?
Schieb: Ganz intensiv sogar. Das Rote Kreuz, das Internationale Rote Kreuz hat auch so eine Plattform, wo man entweder Freunde, Verwandte, Vermisste einfach melden kann oder eben umgekehrt gucken kann, wer ist denn gefunden worden – lebend oder eben auch nicht lebend dann –, sodass man wenigstens Gewissheit hat, und das wird extrem intensiv genutzt, eben auch von Menschen, die zum Beispiel gerade vielleicht aus Haiti kommen, aber nicht in Haiti sind und wissen wollen, was ist denn gerade vor Ort los. Die nutzen sehr, sehr intensiv solche Plattformen, um einfach Informationen zu bekommen. Das muss man sich einmal vorstellen, man kann nicht telefonieren, man will ja wissen, was los ist, und da ist jede Informationsquelle recht, und das Internet bietet da viele Möglichkeiten.
Scholl: Dann gibt es noch verschiedene Foren so zum Meinungsaustausch. Können solche Plattformen auch eine Art Therapeutikum darstellen, also dass man auf diese Weise traumatische Ereignisse verarbeiten kann? Wie sind da Ihre Beobachtungen?
Schieb: Ja, definitiv. Also zum einen für die Leute, die vor Ort sind und erst mal einfach das sagen müssen, was sie da sehen, weil man es ja teilweise gar nicht fassen kann, egal ob jetzt Helfer oder eben auch Einwohner, also Menschen, die da leben, die das alles miterlebt haben, die das einfach rausschreien müssen regelrecht. Und da ist natürlich auch so eine Plattform wunderbar geeignet, um das auch an die, quasi an das andere Ende zu bringen, damit es Menschen gibt, die das also auch wahrnehmen. Und das wird auch sehr, sehr intensiv gemacht, eben auch wieder von Menschen, die von Haiti kommen und sich einfach schlau machen wollen. Da habe ich eine Menge gesehen, also teilweise auch von richtig professionellen Reportern, die eben gar nicht mehr reportieren konnten, weil ihre Sender vielleicht zum Beispiel gar nicht mehr stehen, aber die dann ihre Kamera genommen haben und auf YouTube sehr informativ, sehr eindringlich auch schildern, was sie gesehen haben. Und umgekehrt, für viele, die halt nur indirekt betroffen sind, die einfach, denen das Herz überläuft quasi und die dann in der Tat in Foren, in Blogs sich mit anderen austauschen und einfach ihrer Fassungslosigkeit Luft machen. Das ist ja auch eine ganz wichtige Sache. Und in der Tat entsteht dadurch eine therapeutische Wirkung, da kann es keinen Zweifel geben. Ganz schnell ist es immer so nach solchen Katastrophen, dass gerade auch bei Twitter, bei Facebook und diesen anderen sozialen Diensten man das sehr schnell beobachten kann, dass die entsprechenden Schlagwörter, die sogenannten Hashtags, ganz schnell in die Top Ten schießen, weil Menschen aus aller Welt einfach sich informieren und austauschen wollen. Und das ist eben auch positiv, das ist nicht nur ein Konsumieren von Nachrichten und Informationen, sondern das ist auch ein Sichmitteilen, Austauschen und therapeutisch quasi das verarbeiten.
Scholl: Ich danke Ihnen! Jörg Schieb über die Bedeutung der neuen Medien bei der Katastrophenhilfe in Haiti.
Olaf Kranz: Ja, guten Tag!
Scholl: Sie versorgen jetzt schon seit einigen Tagen die Helfer in Haiti mit Bildinformationen. Welche Satelliten liefern diese Bilder eigentlich?
Kranz: Wir benutzen momentan vornehmlich optische Satelliten in der Klasse unter einem Meter Bodenauflösung. Das sind vornehmlich Satelliten von amerikanischen Anbietern, die eben entsprechende Auflösung haben, damit wir auch die entsprechenden Schäden vor Ort am Boden auch erkennen können.
Scholl: Wie muss man sich das vorstellen? Funken Sie selbst diese Satelliten an oder machen das die amerikanischen Kollegen für Sie? Die müssen ja auch erst mal in Stellung gebracht werden.
Kranz: Das ist korrekt. Wichtig für unsere Arbeit ist eine internationale sehr gute Vernetzung und entsprechende Kontakte. Das heißt also, über diese entsprechenden Kontakte und die Vernetzung, auch über internationale Mechanismen sind wir in der Lage, die Anfrage zu stellen für bestimmte Orte, Aufnahmen zu programmieren. Und im Rahmen einer Krise gibt es entsprechende Mechanismen, dass das dann auch Priorität hat.
Scholl: Müssen wir uns diese Bilder so ähnlich vorstellen, wie wenn wir Google Map auf unserem Computer einstellen?
Kranz: Das ist durchaus vergleichbar. Die Auflösung ist ebenfalls vergleichbar. Das, was man bei Google im besten Falle sieht, sind auch 60 bis 50 Zentimeter Bodenauflösung, sind oft die gleichen Satelliten. Allerdings – und das ist der große Unterschied – die Daten, die wir bei Google sehen, sind Archivdaten, das heißt also, sie haben ein bestimmtes Alter bereits, während wir natürlich direkt nach der Katastrophe sehr aktuelles Bildmaterial brauchen.
Scholl: Nun ist allein Port-au-Prince, die Hauptstadt, ein riesiges Areal, das heißt, man braucht zigtausend Fotos. Wie viele Mitarbeiter arbeiten derzeit daran?
Kranz: Es ist richtig, wir brauchen eine ganze Menge an Aufnahmen, wenn auch nicht Tausende, so doch relativ viele. Wir arbeiten hier normalerweise immer mit einer Mannschaft von drei, vier, fünf Leuten, im Fall von Haiti ist das ein bisschen anders. Wir haben jetzt gerade am Donnerstag, Freitag und auch übers Wochenende durchaus mit einem Personal von 20, 25 Leuten gearbeitet.
Scholl: Trotzdem noch einmal: Wie verläuft eigentlich denn die Auswertung, also ich meine, wie – ich bekomme ein Bild von einer Straße – wie erkenne ich denn sozusagen, ob es nun wirklich im Zusammenhang, dass diese Straße jetzt zerstört ist, dass diese Straße jetzt vielleicht über ein Kilometer lang nicht befahrbar ist?
Kranz: Ja, da ist eine sehr gute Frage, weil wir das natürlich nur dann sagen können, wenn wir Vorher-Bilder, also vor dem Ereignis, und Nachher-Bilder miteinander vergleichen können, weil wir selbst und auch die Interpreten waren ja nicht vor Ort. Das heißt, wir vergleichen immer ein Vorher- und ein Nachher-Bild. Und durch diesen Vergleich, zum Teil auch unterstützt durch automatische Auswertung, viel aber durch visuelle Bildinterpretation können wir dann sagen: Hier haben wir eine zerstörte Straße oder zerstörte Gebäude. Man muss allerdings auch dazusagen, dass wir niemals eine Hundertprozentgenauigkeit erreichen, sondern wir es immer mit einer gewissen Unsicherheit auch zu tun haben.
Scholl: Wie werden denn dann die Bilder funktionsfähig gemacht, das heißt also auch etwa in brauchbare Karten umgewandelt? Wie funktioniert das?
Kranz: Das ist so, dass wir diese Daten, diese Bilder auswerten. Nehmen wir an, wir machen das in visueller Form. Dann werden von uns visuell auch entsprechend die Straßen, die entsprechenden Straßenklassen oder Gebäudeschäden eingezeichnet und dann mithilfe entsprechender Softwaretools in eine entsprechende Karte mit Legende, mit Erklärungstext zusammengestellt.
Scholl: Wie verläuft dann das Prozedere, wie gelangen die Helfer an das Material?
Kranz: Das normale Prozedere ist so, dass wir unsere Informationen immer frei verfügbar im Internet zur Verfügung stellen auf unserer Internetseite. Das heißt also, jeder Helfer, selbst wenn er nicht angefragt hat, kann, sofern er Internetzugang hat, sich das Datenmaterial herunterladen. Wir haben also die fertigen Karten und Informationen, wir haben unterschiedliche Auflösungsstufen, dass das auch mit einer sehr schlechten Internetverbindung noch geht. Im Normalfall ist es aber so, dass Hilfsorganisationen uns angefragt haben, die bekommen das Material dann direkt zur Verfügung gestellt, entweder über FTP-Server, über E-Mail oder sogar, wie wir das zum Teil machen, in ausgedruckter Form mit großen Karten, die dann direkt an den Flughafen per Expresskurier geliefert werden.
Scholl: Das heißt also, ein Einsatzteam zum Beispiel, das also am Ort ist und nicht genau Bescheid weiß über das Areal vielleicht, wie der Grad der Zerstörung ist, kann direkt Sie fragen in Köln nach diesem Gebiet, und Sie können eventuell dann die Kollegen dort versorgen mit Material, mit Bildern?
Kranz: Das ist richtig, genau. Das Zentrum für satellitengestützte Kriseninformation – wir sitzen hier in Oberpfaffenhofen in der Nähe von München und können aber, egal wo die Hilfsmannschaften starten, ob Frankfurt, Berlin, Hamburg oder auch natürlich in München, das Material entsprechend dort hinliefern oder die Information oder sie auch digital zur Verfügung stellen, wenn das angefragt wird.
Scholl: Ich kann mir vorstellen, dass Sie sich vor allem vornehmlich jetzt erst mal auf Port-au-Prince konzentriert haben. Oder auch schon über das ganze Land, ist wahrscheinlich schwieriger, ne?
Kranz: Das ist schwierig. Wir haben uns tatsächlich momentan fokussiert auf Port-au-Prince, weil dort die größten Schäden aufgetreten sind, fangen jetzt aber an beziehungsweise sind auch am Wochenende bereits nach Westen gegangen, wo es bereits auch Meldungen gab über sehr große Schäden auch in kleineren Ortschaften, und warten aktuell auch tatsächlich noch auf aktuelles Bildmaterial von einer Stadt, einer Agglomeration weiter im Westen, die auch sehr stark betroffen ist.
Scholl: Besten Dank! Das war Olaf Kranz vom Zentrum für satellitengestützte Kriseninformation. Alles Gute, Herr Kranz, für Ihre weitere Arbeit!
Kranz: Danke!
Scholl: Und jetzt begrüße ich im Studio unseren Computer- und Internetfachmann Jörg Schieb. Hallo!
Jörg Schieb: Hallo, guten Tag!
Scholl: Sie haben gerade mitgehört und das Internet spielt natürlich auch hier eine Rolle bei der Übermittlung von Satelliteninformationen. Das Netz war die erste und zunächst einzige Informationsquelle über die Katastrophe, weil ja alle Telefon- und Datenleitungen nicht funktionierten. Welche Bedeutung hat das Internet jetzt bei der Bewältigung der Krise?
Schieb: Also es hat zwei ganz wesentliche Bedeutungen: Einmal für die Menschen, die vor Ort sind und helfen, also Helfer, die organisieren sich durchaus auch über das Internet. Da gibt es zum Beispiel bei Twitter, diesem Nachrichtenkanal, wo man sich ja auf 140 Zeichen lange Nachrichten beschränken muss, einen Kanal, der unter dem Namen "Haiti Help" zu erreichen ist. Und wer sich diesen Kanal "Haiti Help" anschaut, der sieht ganz genau, dass eben Helfer aus aller Welt nach Haiti strömen regelrecht und sich vorher, aber auch vor Ort eben über diesen Kanal organisieren. Und das Tolle ist ja, man braucht entweder nur einen Computer, der online gehen kann, oder eben sogar auch ein Handy, denn Twitter ist ja durchaus auch handytauglich. Das heißt also, dieser Kanal hilft, dass Menschen, die sich eventuell auch gar nicht kennen, aber wissen, wir haben ein Ziel, nämlich vor Ort zu helfen, darüber zu organisieren, wo ist was los, wo können wir vielleicht aktiv werden, wo brauchen wir Hilfe. Und die Menschen können sich auch untereinander organisieren, weil Funk oder Telefon eventuell ja ansonsten Schwierigkeiten macht da vor Ort.
Scholl: Das Internet braucht ja auch Datenleitungen. Wir haben uns auch zwischendurch gefragt, sind diese Datenleitungen eigentlich eventuell natürlich auch zerstört in Haiti, funktioniert das Netz denn dort jetzt derzeit nur mobil?
Schieb: Das ist unterschiedlich natürlich. Der Vorteil des Internets im Vergleich zum Telefon ist, wenn eine Telefonleitung kaputt ist, ist die nun mal kaputt, dann tut sich da nichts mehr. Aber beim Internet haben Sie ja immer verschiedene Wege: Es gibt Festnetz, es gibt DSL, es gibt WLAN, es gibt eben auch noch den Mobilfunk, und natürlich ist in einem Erdbebengebiet es schwierig, online zu gehen, aber vielleicht ein paar Hundert Meter weiter schon wieder nicht, sodass man also sich teilweise nur ganz leicht rausbewegen muss und hat dann schon wieder Zugang. Und das ist eigentlich bei allen Katastrophen in den vergangenen zwei, drei, vier Jahren gewesen, dass sehr schnell Bilder, Fotos, Augenzeugenberichte, sogar Videos und eben auch Hilferufe über diese Kanäle rausgegangen sind. Irgendeinen Weg finden die Daten im Internet erstaunlicherweise immer – es ist ja aber auch so ausgelegt, das ist ja einer der großen Vorteile des Internet. Es ist ja einigermaßen unkaputtbar sozusagen, es gibt viele Wege rein, es gibt viele Wege raus, und es zeigt sich immer wieder, dass das relativ verlässlich arbeitet.
Scholl: Der Konzern Google bietet mit einem eigenen Suchportal die Möglichkeit, nach Angehörigen oder vermissten Personen zu suchen. Wird das auch als Hilfsmöglichkeit in Anspruch genommen?
Schieb: Ganz intensiv sogar. Das Rote Kreuz, das Internationale Rote Kreuz hat auch so eine Plattform, wo man entweder Freunde, Verwandte, Vermisste einfach melden kann oder eben umgekehrt gucken kann, wer ist denn gefunden worden – lebend oder eben auch nicht lebend dann –, sodass man wenigstens Gewissheit hat, und das wird extrem intensiv genutzt, eben auch von Menschen, die zum Beispiel gerade vielleicht aus Haiti kommen, aber nicht in Haiti sind und wissen wollen, was ist denn gerade vor Ort los. Die nutzen sehr, sehr intensiv solche Plattformen, um einfach Informationen zu bekommen. Das muss man sich einmal vorstellen, man kann nicht telefonieren, man will ja wissen, was los ist, und da ist jede Informationsquelle recht, und das Internet bietet da viele Möglichkeiten.
Scholl: Dann gibt es noch verschiedene Foren so zum Meinungsaustausch. Können solche Plattformen auch eine Art Therapeutikum darstellen, also dass man auf diese Weise traumatische Ereignisse verarbeiten kann? Wie sind da Ihre Beobachtungen?
Schieb: Ja, definitiv. Also zum einen für die Leute, die vor Ort sind und erst mal einfach das sagen müssen, was sie da sehen, weil man es ja teilweise gar nicht fassen kann, egal ob jetzt Helfer oder eben auch Einwohner, also Menschen, die da leben, die das alles miterlebt haben, die das einfach rausschreien müssen regelrecht. Und da ist natürlich auch so eine Plattform wunderbar geeignet, um das auch an die, quasi an das andere Ende zu bringen, damit es Menschen gibt, die das also auch wahrnehmen. Und das wird auch sehr, sehr intensiv gemacht, eben auch wieder von Menschen, die von Haiti kommen und sich einfach schlau machen wollen. Da habe ich eine Menge gesehen, also teilweise auch von richtig professionellen Reportern, die eben gar nicht mehr reportieren konnten, weil ihre Sender vielleicht zum Beispiel gar nicht mehr stehen, aber die dann ihre Kamera genommen haben und auf YouTube sehr informativ, sehr eindringlich auch schildern, was sie gesehen haben. Und umgekehrt, für viele, die halt nur indirekt betroffen sind, die einfach, denen das Herz überläuft quasi und die dann in der Tat in Foren, in Blogs sich mit anderen austauschen und einfach ihrer Fassungslosigkeit Luft machen. Das ist ja auch eine ganz wichtige Sache. Und in der Tat entsteht dadurch eine therapeutische Wirkung, da kann es keinen Zweifel geben. Ganz schnell ist es immer so nach solchen Katastrophen, dass gerade auch bei Twitter, bei Facebook und diesen anderen sozialen Diensten man das sehr schnell beobachten kann, dass die entsprechenden Schlagwörter, die sogenannten Hashtags, ganz schnell in die Top Ten schießen, weil Menschen aus aller Welt einfach sich informieren und austauschen wollen. Und das ist eben auch positiv, das ist nicht nur ein Konsumieren von Nachrichten und Informationen, sondern das ist auch ein Sichmitteilen, Austauschen und therapeutisch quasi das verarbeiten.
Scholl: Ich danke Ihnen! Jörg Schieb über die Bedeutung der neuen Medien bei der Katastrophenhilfe in Haiti.