Schief ist prima

Von Alexa Hennings |
Dort, wo Deutschland im Osten zu Ende ist, liegt die Kultur-Insel Einsiedel. In einem der bizarrsten Freizeitparks Deutschlands tummeln sich Junge und Alte auf schiefen Holzbauwerken aller Art - unter, auf und über der Erde. Einsiedel ist der Sitz von Deutschlands einzigem professionellen Baumhausbauer: Jürgen Bergmann.
Der einstige Forstarbeiter und DDR-Aussteiger baut seine schrägen Spiellandschaften mit seinem 50-köpfigen Team inzwischen in ganz Europa auf. Eine Erfolgsstory Ost, die der inzwischen ergraute und zum "Inselkönig Bergamo" mutierte Waldschrat manchmal selbst kaum glauben kann.

Wir sind in Polen, fast. Das ist unüberhörbar. Keiner weiß, wie es geschah, aber irgendwie gehört das polnische Geburtstagslied zu den Einsiedel-Ritualen. Genauso wie das gemeinsame Frühstück an jedem Morgen. Die langen, gescheuerten Holztische sind voll gestapelt mit Käse, Wurst und Brot, die Stullen werden aus abwaschtechnischen Gründen gleich auf dem Tisch geschmiert. Vor dem Geburtstagskind steht ein Blech Apfelkuchen. Die junge Frau lächelt. Auch sie hat eine Überraschung für die anderen.

"Rufe: Seid doch mal stille! Ruhe!... Frau: ... dass ich am 19. Oktober diesen Jahres ein Baby bekomme! - Huh, Klatschen, Klopfen..."

Das Einsiedel-Universum wächst, und der Vater des Kindes wird Inselkönig Bergamo selbst sein. Sein Zopf ist ergraut schon, aber was macht das, es kann gar nicht genug Leben in der Bude sein, findet Bergamo, der eigentlich Bergmann, heißt, Jürgen Bergmann. Aber weil das hier kein normaler Ort ist, sondern ein Reich, und zwar eins mit Zauberschlössern und Käsebergen, Türenlabyrinthen und Kannibalenkesseln, mit Geisterkellern, Baumhausburgen und Erdhöhlen, deshalb ist Jürgen, auch wenn er der Chef ist, hier nicht Herr Bergmann, sondern Bergamo. Das Wort "Sie" gibt es nicht in diesem Reich. Hier, in der 50-köpfigen Belegschaft der Kulturinsel Einsiedel, zu der eine Holzbaufirma und ein Erlebnispark gehört, heißt es "Du", und: Mach mal! Arbeit ist genug.

Jürgen redet vor Belegschaft: "Also, eene Geschichte ist ja sozusagen schräg an uns vorbeigegangen, das ist ein Transport nach Spanien. Die Sache, die wir im November produziert haben und die im November aufgebaut werden sollte, wird jetzt erst aufgebaut. Das ist alles schon verladen und verschickt und auf dem Weg nach Spanien - Guten Morgen Holger! - alle im Chor: Guten Morgen Holger! - Lachen..."

Schnell lässt sich der Verspätete auf die nächstbeste Bank fallen. Man spürt: So etwas nimmt man hier locker und ernst zugleich.

Jürgen: "... Ja, das ist dann erst der erste Auftrag in Spanien. Es geht dann gleich weiter mit "Dinopolios", der ist ‘ne Nummer größer, da geht’s darum, so ’ne Art Visit - äh - Visiters - und so was - ja , genau, Besucherzentrum! - Lachen - Danke für die Hilfe! Also, so eine Art Mini-Freizeitpark. Da geht es ganz knallhart um das Thema Dinosuarier, und die haben dort eine ganz perfekte Ausstellung mit Videoshow und so ’nem Mist. Und hinter dem Gelände ist so eine ehemalige Stein- und Sandgrube, so irgendwas dazwischen. Und das helfen wir mit umzuwandeln in eine verrückte Spiellandschaft. Da haben wir an einer senkrechten Wand so eine Art Ausgrabungsstätte zu machen, aber als senkrechtes Labyrinth mit Rutsche runter und so weiter. Also, spannende Geschichte, es gehören noch mehrere Bauten dazu, alles unter dem Thema Forschercamp ...."

Spannende Geschichten sind es allesamt, die des Inselkönigs Firma namens "Künstlerische Holzgestaltung Jürgen Bergmann" da so produziert. Baumhäuser auf den Wurzeln umgedrehter Obstbäume in Holland, ein halbes Schiff, das aus der Wand kommt, in Bremen, eine Afrika-Baumhaus-Landschaft in Portugal, ein Spielhaus-Labyrinth in München, Baumhütten im Robin-Hood-Wald Sherwood Forest in England. Das sind die Großaufträge in diesem Jahr. Dazu kommen noch diverse geflügelte und gehörnte Wesen, einzelne Hütten und Klettertürme, Laden- Büro- und Kneipenausstattungen, Bushaltestellen, wippende Kutschen und Zauberkisten, in denen sich ein Kind wegzaubern kann.

Alles schief, alles krumm, alles TÜV-geprüft. Wir bauen so, wie Kinder bauen würden - wenn man sie ließe - ist das Einsiedel-Credo. Hier haben sogar die Enten, Gänse und die Hühner ihr eigenes, eiförmiges Baumhaus. Mit Fenster. Man wäre nicht im Geringsten erstaunt, wenn es sich öffnen würde und, wie in den Bilderbüchern von Petterson und Findus, ein Huhn mit Kaffeetasse erschiene.

Jürgen: "... Ja, diese Eier hier, die kommen nach hinten, werden auch umgesetzt. Dann kommen die Enten hinten in den Park rein - die Gans meine ich. Zwei bleiben hier vorne. (spricht zu den Enten): Ja, ja! - Die Hühner sind gar nicht zu sehen. Ein paar verrückte Hühner kommen auch mit hinter ... Schritte ... gut, also hier, das ist unser Arbeitsraum ... redet weiter, Baggergeräusch ..."

Von einer Plattform aus kann jeder Einsiedel-Besucher zuschauen, wie das Holzbau-Spiel- Universum entsteht. Bagger greifen nach den Baumstämmen, Zimmerleute und Tischler schwirren umher.

Jürgen: "... hier hat man einen ganz guten Blick. Dahinten unser Holzlager, wo mehrere hundert Kubikmeter Holz rumliegen. Da unten ist so eine Vorbereitungsabteilung, da werden die Stämme entrindet und entsplintet. Eiche und Rubine ist Splintholz, das keine Gerbsäure hat, und das muss vorher beseitigt werden. Dann muss es geschliffen werden, um wieder eine glatte Oberfläche zu haben. "

Mit Holz kennt er sich aus. Inselkönig Bergamo ist ein richtiger Waldschrat, der nicht nur seit 20 Jahren im Wald wohnt, auf dem damals noch einsamen Flecken an der Neiße, dem er den Namen Einsiedel gab. Jürgen Bergmann wohnte nicht nur, sondern er arbeitete auch im Wald.

Jürgen: "Na, ich war zehn Jahre in der Forstwirtschaft. Habe dann als Hobby mit Bildhauerei angefangen, mit Schnitzen und Bildhauerei. Und die letzten DDR-Jahre bin ich schon ausgestiegen aus der Forstwirtschaft und war scheinselbstständig, sagen wir mal so. Habe dann einen Facharbeiter Holzbildhauerei gemacht und hätte dann auch sicher einen Meister und diesen ganzen Weg gemacht. Aber mit der Wende haben wir dann einen Gewerbebetrieb gegründet. Da mussten wir durchstarten, von irgendwas mussten wir ja leben letztendlich. - Zwitschern - Es war ‘ne Art Musterspielplatz am Anfang. Uns als Firma gibt es seit 15 Jahren, seit dem Tag der Währungsunion. Und am Anfang haben wir sehr wenig Arbeit gehabt. Da haben wir die Sachen, die wir gebaut haben, einfach gleich an die Straße gestellt. Und daraus hat sich dann der Park entwickelt. "

König Bergamo streicht sich durchs Grauhaar und blickt über sein buntes, schiefes Reich. Der kupferne Turm des Zauberschlosses glänzt rotgolden in der Sonne. Dass alles mal so kommt, so groß wird, das hätte er sich nie träumen lassen.

Jürgen: "Nee, da hätte ich mir wahrscheinlich gleich ‘nen Strick genommen - lacht - . Wie war das mit den Geistern, die ich rief? "

Jugendliche im Klettertunnel: "... Ah! - Oh Gott, hier geht’s ja ab! Is’ ja cool, da geh’ch glei’ runter!..."

Jürgen: "Nee, ist eigentlich nicht so schön, wenn man so einen großen Block am Fuß hat, aber es entwickelt sich halt. Man kann gar nichts dagegen tun, man muss eben einen Schritt vor den anderen setzen. Und es hat sich auch in zwei Richtungen entwickelt: Zum einen den Park und dann die Holzgestaltung."

Jürgen: "Also, als Park alleine kann es noch nicht existieren. Die Holzgestaltungsfirma trägt es nach wie vor. Im Sommer trägt es schon gut mit bei, es hilft jeden Tag. Aber den ganzen Winter, das würde es noch nicht tragen. "

Jürgen: "Es ist halt extrem. Wir haben den schlechtesten Standort, den man überhaupt haben kann als Freizeitpark in Deutschland. Man muss sich vorstellen, hinter uns ist die Grenze. Damit haben wir nur einen Halbkreis als Einzugsgebiet, andere den Ganzkreis. Die nächste Großstadt ist Dresden, anderthalb Stunden Entfernung, und die anderen Großstädte sind noch weiter weg. Selbst wenn hier keine Grenze wäre: Auf der anderen Seite ist das größte mitteleuropäische Waldgebiet, und da ist einfach mal niemand da - lacht. Wenn man dazu sieht, dass man hier in der Region die größte Arbeitslosenrate in Deutschland hat - was soll man da machen?"

Kinder: "Klar zum Entern! Entern! Holt die Enterhaken!"

Ein Enterhaken wäre gut, um das ganz große Publikum nach Einsiedel zu bekommen. Aber wenn auch noch nicht die Massen, so hat doch Jürgen Bergmann mit seinen verrückten Ideen die Herzen der Kinder erobert. Im Sturm. Mit Karl und Richard, zwei Jungs aus Bayern, geht angesichts des gestrandeten Piratenschiffs mit Verliesen, Geheimausgang und dem vergitterten Mastkorb, dessen Zugang man sich im stockfinsteren Schiffsbauch erst ertasten muss, die Phantasie durch. Der sechsjährige Richard ist ganz atemlos von dem Abenteuer der Weltumseglung.

Richard: "Ich war jetzt fast auf der ganzen Welt schon. Bin von Amerika gestartet, und bin dann auch wieder hier in Amerika gelandet. War von Deutschland nach Afrika, von Afrika nach London und von London nach Australien. Dann bin ich um die ganze Welt rum! Und noch Russland!"

Die beiden Brüder haben ihre Eltern schon durch den ganzen Park geschleppt. Auch sie sind begeistert von Einsiedel.

Eltern: "Das ist Klasse, einfach nicht diese übliche Freizeitparkgeschichte, wo die Kinder was serviert kriegen und TÜV-genormt rauf und runterfahren dürfen - oder müssen. Sondern wo sie wirklich gefordert sind, was zu entdecken. Ist schon Klasse, für die Erwachsenen auch. Aber ich glaube, da müsste man wohl öfters mal herkommen - werden wir wohl auch machen! "

Kinder: "Warte bitte mit dem Entern noch..."

Eltern: "Und die Eintrittpreise, zehn Euro für eine Familie am Wochentag, das ist unschlagbar! Das ist uns noch nicht begegnet!"

In Einsiedel gibt es überhaupt einiges, was einem noch nie begegnet ist.

Zum Beispiel ein unterirdisches, stockdunkles Labyrinth, durch das man sich tasten muss. Ganz alleine! Der kleine Richard hat keine Taschenlampe in der Hand, er hat sie nur erfunden. Vielleicht, um sich ein bisschen Mut zu machen.

Jungen: "He, dahinten ist Licht! Wollen wir den Gang mal ausprobieren? - Ja, aber dahinten ist ein Loch drin! - Ja, ein Doppelloch. Wollen wir vielleicht den unteren Gang probieren?"

Die beiden Brüder nehmen ihren ganzen Mut zusammen und tasten sich vorwärts. Vorhin, im Zauberschloss, da hatte sie fast der Mut verlassen.

Jungen: "Unter dem Schloss, da gab es einige dunkle Wege. Da gab es zum Beispiel eine Lampe, die ging aus, sobald man an ihr vorbei gegangen ist. Die Burg hatte nämlich vier Türme. - Nee es waren glaub’ ich fünf! - Nee vier! - Doch, fünf! - Ich hab’ auch eine Falle gesehen, die war aber abgesperrt, damit man nicht reinfallt. Da war das voll dunkel. Dann bin ich noch sogar durch so einen Tunnel in den Brunnen geklettert. - Da konnte man sogar runter klettern, im Brunnen. - Ja, runter, das ist gefährlicher als rauf!"

Immer, wenn Inselkönig Bergamo durch sein Einsiedel-Reich schreitet - und das tut er oft - und solchen Kindern wie Richard und Karl beim Spielen zusieht, ihr Abtauchen in eine andere Welt beobachtet, ist er froh. Er weiß, dass es nicht einfach ist heutzutage, die Kinder mit schiefen Holzspielgeräten hinterm Computer vorzulocken. Aber er probiert es dennoch.

Jürgen: "Wir aus unserer Kindheit kennen ja noch, dass die Eltern gesagt haben: Guckt nicht so viel Fernsehen, macht, dass ihr rauskommt. Im Moment ist der Fernseher gar nicht mehr das Problem. Man hat gemerkt, die Kindern lernen damit umzugehen, für die ist das dann satt und die gehen auch irgendwann raus. Man lernt ja auch vom Fernseher, davon abgesehen. Das Problem ist jetzt, dass der Computer aufgetaucht ist. Und der Computer natürlich kreative Beschäftigungsmöglichkeiten bietet und die Kinder ganz schnell und viel über den Computer auch lernen. Das Problem ist: Was bleibt dabei auf der Strecke? Das ist A die Bewegung und B die soziale Kompetenz. Sie lernen nicht mehr, spielerisch miteinander umzugehen. Und das ist ein ganz großes Problem. Dazu brauchen sie eigentlich Spielplätze, also Plätze, wo sie miteinander spielen, ins Rollenspiel verfallen vor allen Dingen."

Jürgen: "Und wenn man dann auf der einen Seite in eine ganz verrückte Computerwelt eintauchen kann, ganz tolle Dinge erleben kann, auf dem Mars rumschwirrt oder in ganz tollen Zukunftswelten, und dann rausguckt, was da für ein Spielplatz vor der Haustür steht, das ist natürlich ein Widerspruch, wo man die Kinder überhaupt nicht locken kann. Und ich glaube, da können gerade wir eine Alternative bieten. Wir versuchen Spiellandschaften zu kreieren, die möglichst thematisch gelagert sind und wo die Kinder in erster Linie Lust haben, hinzugehen. Sich mit Freunden zu treffen und dann wie auch immer zu spielen. Eigentlich jeden Tag spielt man etwas Neues, etwas Anderes. Also, sich treffen und miteinander kommunizieren, sich einfach treiben lassen, in Rollenspiele verfallen - was auch immer. Dazu bauen wir tolle Landschaften. Das ist ‘ne Aufgabe."

Jürgen: "Unsere Abenteuerwildnis hier hat als Spezialität die Eigenschaft, dass die Kinder mit den Eltern zusammen spielen. Also, es wird nicht als Spielplatz abgetan und: ich bin ja kein Kind mehr! Sondern es ist eine Abenteuerlandschaft, die auch die Eltern animiert, mit durch die Röhren zu kriechen und mit über die Brücken zu hangeln. Und mit den Kindern gemeinsam ein Abenteuer zu haben. Und das ist natürlich viel intensiver, das bleibt viel länger und ich denke, das ist auch mit ein Grund für unseren Erfolg. Es gibt schon Väter, auch Großväter, die ganz schön lange Kondition haben. Man erlebt auch witzige Geschichten, es ist dann durchaus mal zu sehen, wie ein 60-, 70-jähriger Mann oder ‘ne Oma da oben durch die Gitterröhre kriecht. Das ist schon spannend - lacht ..."

Spannend geht es heute auch auf der Baustelle für das Baumhaushotel zu. Ein Seil reißt, als der Kran die fertigen Baumhäuser an ihren Platz hoch oben auf der Plattform heben soll. Bergamo hat die Ruhe weg.

Jürgen: "Lasst uns doch erstmal Mittagessen gehen! Oder? Wie seht ihr das, Baggerfahrer? "

Abwarten und Tee trinken. Oder wie wär’s mit einem kräftigen Happen? Die Gaststätte, die hier Fresstempel heißt, und von Folk-Musik beschallt wird, verzeichnet auf ihrer Speisekarte Sachen wie Stinki-Winki, die transsilvanische Knoblauchsuppe, oder Wicklum, den Knüppelkuchen, den sich die Kinder an einem der sechs offenen Kamine im Freßtempel rösten können. Jeder, der etwas bestellt, bekommt einen Namen verpasst, und muss sich den fertigen Schmaus dann von der Theke abholen.

Die Musik gibt einen Vorgeschmack auf das größte Ereignis von Einsiedel: das Folklorum am ersten Septemberwochenende. Dann sind 12 000 Menschen auf dem Gelände. Ebenso beliebt beim Publikum sind die nächstgrößten Partys, die da heißen: Mystum, Spielum und Theatrum - wobei das Mystum eine "Nacht der verbotenen Spiele" ist und als einziger Termin in Einsiedel nur für Erwachsene erlaubt ist. Kleinere Feten wie Masken-, Vogelscheuchen-, Lehm- und Pamp- sowie Wassermatschfeste, oder Spiele, Sommertheater und Konzerte gibt es an jedem Sonntag und manchmal auch in der Woche. Schülergruppen bekommen eine Ermäßigung auf den Eintrittspreis, wenn sie auf der Bühne etwas zum Besten geben - so ist allen gedient. Einsiedel als Kulturinsel. Andy ist einer der Einsiedler, der sich darum kümmert.

Andy: "Ich bin aus Berlin weggegangen, weil mir diese Hochkultur dort ein bisschen - hm - auf die Nerven ging. Und hier ist es einfach eine ganz andere Kultur, eine echte Kultur. Wir machen das, was uns gefällt, und haben das Glück, dass es viele Leute gibt, die das auch mögen. Also, ich muss mich nicht 100-prozentig nach dem Konsumenten richten und sagen so, ich schneidere dem jetzt was zu. Wir sind ja selber ein großer Pool und so hat ja das Folklorum begonnen. Wir haben Musik für uns gemacht und dann kamen immer mehr Leute. Jetzt sind es zwölfeinhalbtausend, ja. Wir können das machen, was uns Spaß macht und haben glücklicherweise auch das Zielpublikum, das das auch mag."

Damit bietet die Kulturinsel Einsiedel sozusagen Traumjobs. Wenn es nicht so abgegriffen wäre, könnte man sagen: Hier kann man sich selbst verwirklichen. Mit Kultur haben alle bis zum jüngsten Zimmermann was am Hut, beim Theatrum zum Beispiel führt die komplette Belegschaft ein Theaterstück auf. Viele reisen in ihrer Freizeit zu großen Festen in ganz Deutschland, zu Beispiel nach Berlin zum Fest der Kulturen der Welt, um bei ihrem Zielpublikum für Einsiedel zu werben. Hinter ihrem Produkt stehen, nennt man so etwas wohl. Eine Insel der etwas anderen als der Ellenbogen-Arbeitskultur. Und natürlich: Ein Inselreich mit König.

Andy: "Also, man kann alles mit ihm besprechen. Das sagt er auch immer: Egal welches Problem, man kann immer zu ihm kommen. Er ist halt schon ein Stück Vaterfigur. Und nicht ohne Grund nennen wir ihn Inselkönig Bergamo. Es ist halt auch ein leicht monarchisches Arbeitsklima. Im Endeffekt ist es seine Grundidee, auf der das alles aufgebaut ist, die müssen wir einfach respektieren. Und die respektieren wir auch. Und es ist klar, wenn er pfeift, dann müssen wir halt springen! - Jürgen ruft: Andy! - Andy: So, jetzt muss ich mal die Tipi-Leute..."

Jürgen ruft und Andy muss rasch nachsehen, ob auch keiner in den Tipis ist, wenn der Kran jetzt das Baumhaus über die Zelte hinwegschwenkt und drüben auf die Plattform setzt. Zwischen den Wipfeln der Bäume, in zwölf Metern Höhe, mit Blick über die Neißeaue, können dann je fünf bis sechs Leute in den fünf Baumhäusern wohnen. Da Einsiedel so weit ab der Zivilisation liegt und man dort gut und gern mehrere Tage seine Zeit verspielen kann, sind Übernachtungsplätze immer gefragt. Die Schlafplätze in den Tipis und in der Erdhöhle sind oft ausgebucht. Wer hoch in den Bäumen großen Komfort erwartet, wird enttäuscht. Alle anderen werden begeistert sein.

Jürgen: "Ich glaube, im Baumhaus ist eher weniger Komfort als eher ein verrücktes Gefühl. Und ein richtiges Baumhaus - und ich weiß, wovon ich spreche, denn ich habe in meinem Leben schon viele Baumhäuser gebaut - hat eine gewisse Enge. Und das bieten unsere Baumhäuser auch. Es ist verwinkelt, schief, krumm, eng. Also richtig urig und gemütlich. Wir versuchen also so zu bauen, wie es die Natur vorgibt bzw. wie Kinder bauen würden, wenn sie können."

Natürlich hat der Inselkönig dafür gesorgt, dass Kinder hier bauen können. Ein riesiger Bauspielplatz lädt zum Hämmern und Sägen ein. Einer baut weiter, was der andere angefangen hat. Aus vielen Ideen wird ein Gesamtkunstwerk - das Einsiedel-Universum eben.

Wer es verlässt, der trifft auf der Straße nach Zentendorf, dem nächsten Ort, am Straßenrand vielleicht einen alten Mann, der sich tief hinunterbeugt und mit dem Finger auf die Straße tippt. Das ist Erwin, 98 Jahre alt, der, weil hier nur so wenig Busse fahren, ins Nachbardorf trampt. Erwin, der auch mal bei der Forst war, kennt den Inselkönig noch aus Zeiten, wo er der Waldarbeiter Jürgen Bergmann war.

Erwin: "Eine ehrliche Haut war das, der Bergmann. Und ist heute noch. Und ist heute noch! Also, ich freu mich. Der Bergmann hat Leben gemacht, hat gebaut, hat Neuigkeiten hingestellt mit Bäumen und - ach, was der nich’ alles hat für Sachen gemacht. Ist vielleicht für die kleine Gemeinde a bissel übertrieben, aber wenn Bergmann nicht wär, da wär gar nischt los. Da wär doch alles tot! Immer mehr Arbeitslose, immer weniger Geld und so fort, und so fort. So wär doch das Geplärre am Ende. Und es ginge nichts vorwärts. Das ist doch schön, wenn Menschen sag’mer mal aus Nichts was machen! Dass wieder Leben wird!"