Schießstände im Schulgebäude?
In vielen Schulen in Nordrhein-Westfalen wird abends der Keller zum Schießstand. Dieses Thema wird nun kontrovers im Düsseldorfer Landtag diskutiert. Gleichzeitig kämpft ein Bündnis Winnender Eltern für bundesweit verschärfte Waffengesetze.
Raus aus den Schulen – Schützenvereine in NRW
Von Friederike Schulz
Der Vereinskeller der Schützenbruderschaft Sankt Hubertus in Köln-Kalk ist gut besucht. An der Theke werden Cola und Mineralwasser ausgeschenkt. Um einen großen, ovalen Holztisch sitzen fünfzehn Schützen und besprechen die nächsten Vereinsaktivitäten. In der Luft hängen Rauchschwaden, die Aschenbecher auf dem Tisch sind voll. Der hintere Teil des Raums ist durch eine Glaswand abgetrennt. Dahinter liegt der Schießstand – mit sechs Bahnen, je zehn Meter lang. Monika Schäfer drückt ihre Zigarette aus, nimmt einen Schluck Kaffee, den Blick auf ihre Vereinskollegen gerichtet, die hinter der Scheibe ihre Luftgewehre laden.
"Man hat Spaß zusammen, nicht nur im Sinne, dass man feiert, sondern auch das Schießen macht Spaß. Ich selber mache hier nicht nur das Training, nehme auch an Kreismeisterschaften teil, an Bezirksmeisterschaften, habe es geschafft auf die Landesmeisterschaft, nehme an Rundenwettkämpfen teil. Es ist auch der Schießsport."
Seit Mitte der 90er Jahre hat der Verein seinen Sitz im früheren Kohlenkeller einer Grundschule. Die Schützen haben den Raum selbst hergerichtet, die Decken mit Holzvertäfelung abgehängt, Boden und Wände gestrichen, die Theke und den Schießstand gebaut, erzählt Monika Schäfer.
"Bis 1992 war unser Schießstand im Zechengarten. Der musste durch den U-Bahn-Bau geräumt werden. Danach waren wir in einer Wirtschaft untergebracht und haben immer neue Möglichkeiten gesucht, weil das nicht so ideal war. Bis wir dann von der Stadt den Kokskeller zur Verfügung gestellt bekommen haben."
Dass Schützenvereine in Kellern und auf Dachböden von Schulen in Nordrhein-Westfalen trainieren, ist keine Seltenheit. Das haben die Grünen im Düsseldorfer Landtag kürzlich herausgefunden, sagt deren bildungspolitische Sprecherin Sigrid Beer:
"Wir haben einen Hinweis bekommen aus einer Kommune. Dort ist es aufgefallen, dass Schießstand und Schule in unmittelbarer Nachbarschaft liegen. Wir haben dann eine Anfrage an die Landesregierung gestellt und waren über das Ergebnis in der Tat selbst überrascht. Wir wissen jetzt definitiv, dass es in Nordrhein-Westfalen 122 Schießstände an Schulen gibt und 29 Schießstände, die in unmittelbarer Nachbarschaft der Schulgebäude auf dem Schulgebäude untergebracht sind."
Damit geriet die Landesschulministerin Barbara Sommer von der CDU erheblich unter Druck. Kurz nach dem Amoklauf von Winnenden hatten die Grünen ein hochbrisantes Wahlkampfthema gefunden. Die Reaktion der Ministerin ließ nicht lange auf sich warten.
"Wenn es nach mir ginge, dann würde es keine Schießstände an Schulen geben. Ich denke, das vereinbart sich nicht miteinander."
Es folgten wütende Proteste des Schützenbundes, der rund 130.000 Mitglieder in Nordrhein-Westfalen hat. Auch im Vereinsheim St. Hubertus in Köln ist die Drohung aus Düsseldorf seither Thema Nummer 1 am Stammtisch.
"Ich kann dazu sagen: Da schwillt mir wirklich der Kamm. Ich komme aus einem Verein, der feiert in vier Jahren sein 550-jähriges Bestehen. Und dann kommt so eine Partei und wischt das mit einem Begriff weg? Das ist unsere abendländische Kultur. Ich als Schütze, der ich 41 Jahre lang bin, habe mir nie etwas zu Schulden kommen lassen. Und ich werde dann in eine Ecke gestellt als eigenartige Figur. Da schwillt mir als Bürger wirklich der Kamm."
Die Grünen halten dagegen: Es könne nicht angehen, dass in unmittelbarer Nähe von Klassenzimmern scharfe Waffen und Munition lagerten. Sigrid Beer erinnert an den Fall einer Schule in Gelsenkirchen. Dort wurde der Tresor des Schützenvereins aufgebrochen – anschließend hätten 24.000 Schuss Munition gefehlt.
"Es kann nicht sein, nachdem was wir an Amokläufen und Gewalttaten an Schulen erlebt haben, dass wir eine Situation haben: Man geht auf einen Schulhof, schaut auf der einen Seite in das Grundschulfenster und dann eröffnet sich auf der anderen Seite der Blick auf ein Fadenkreuz, wo der Zugang zum Schießstand ist. Das sind Dinge, die gehen so einfach nicht mehr. Wir müssen ganz deutlich machen: Die Schule muss ein waffen- und gewaltfreier Raum sein."
Mit festen Schritten geht Monika Schäfer ins Nebenzimmer des Vereinsheims. Hier, verschlossen hinter einer Stahltür, steht der Tresor. Ebenfalls verschlossen, der Waffenschrank. Für den gibt es genau zwei Schlüssel – einen trägt sie selbst am Bund, den anderen hat der Oberschützenmeister. Sonst hat niemand aus dem Verein Zugang zum Arsenal. Nach dem Training wird auch das Lokal immer abgeschlossen, so dass kein Fremder die Räume betreten kann.
"Unsere Tür ist selbstverständlich immer abgeschlossen, sonst könnte hier ja tagsüber einer rein. Es ist einmal oben gesichert durch den Eingangsbereich, und hier unten dann auch noch mal. Das Ganze ist auch noch alarmanlagengesichert."
Monika Schäfer setzt sich wieder zu ihren Schützenbrüdern an den Tisch, zündet sich noch eine Zigarette an. Das Argument der Politik, gewaltbereite Schüler könnten auf die Idee kommen, bei den Schützenvereinen auf dem Schulgelände Kleinkaliberwaffen zu entwenden, haben sie und ihre Mitstreiter in den Wochen nach dem Amoklauf von Winnenden oft diskutiert.
"Die Schützenvereine sind es ja gar nicht Schuld. Denn die Waffen wurden nie bei Schützenvereinen entwendet, sondern bei einem, der zwar den Schein hat, um sich ein K-K-Gewehr zu kaufen, der es dann aber zu Hause nicht ordnungsgemäß aufbewahrt hat, denn es ist jeder verpflichtet, der ein K-K-Gewehr zu Hause lagert, es in einem Waffenschrank zu lagern, dass kein anderer da rankommt. Ebenso die Munition."
Verständnis für die Aufregung in Düsseldorf hat niemand am Tisch. Schließlich wird bei St. Hubertus noch nicht einmal mit Kleinkaliber-K-K-Waffen hantiert, sondern nur mit Luftgewehren. Zudem gebe es auf ihrem Gelände keinerlei Berührungspunkte zu den Schülern.
"Unser Training beginnt montags und donnerstags ab 18 Uhr. Dann haben wir schon mal bestimmte Veranstaltungen, die halt samstags sind, aber dann auch erst am Samstagnachmittag oder halt sonntags. Somit stören wir den Schulbetrieb nicht, und die Schulkinder haben mit uns quasi keine Berührung, denn sie kommen auch nicht auf unser Gelände, da der Schuleingang auf der Kapitelstraße liegt, und wir unseren Eingang in der Josephkirchstraße haben. Unser Gelände ist auch mit einem Zaun gesichert. Somit können die eigentlich gar nicht rüber."
Argumente, die in der Politik nicht nur auf Unverständnis stoßen. So hat sich zum Beispiel der Städte- und Gemeindebund auf die Seite der Schützen geschlagen. Dessen Präsident Roland Schäfer schüttelt über die Aufregung im Landtag den Kopf.
"Sicherheit in Schulen, Sicherheit für die Schulkinder ist ein ganz wichtiges Thema. Ich sehe nur überhaupt keinen Zusammenhang zwischen der Aktivität in einigen Schulen mit Schießständen und der Sicherheit der Schüler. Von daher bitte ich doch darum, die Diskussion rationaler zu führen und nicht übers Ziel hinauszuschießen."
Roland Schäfer ist selbst Bürgermeister von Bergkamen im Ruhrgebiet. Auch dort gibt es an einigen Schulen Schießstände, die alle zwei Jahre von der Polizei auf ihre Sicherheit überprüft werden. Das Training finde außerhalb der Schulzeit statt, außerdem würden nur Luftgewehre verwendet. Mit seiner Einschätzung stehe er nicht alleine da – seine Kollegen in den Städten und Gemeinden wunderten sich ebenso über die plötzliche Diskussion um ein Verbot.
"Wir bedauern alle, dass unsere Schützenvereine und die Schießsportgruppen so ein bisschen in Verruf geraten sind, denn es ist natürlich ein anerkannter Sport, es ist eine olympische Disziplin. Wir haben hier im Ruhrgebiet gerade die Ruhr-Olympiade 2009 hinter uns. Auch dort ist mit Jugendlichen Schießsport eine der Disziplinen gewesen. Diese Jugendarbeit in den Vereinen wird auch offiziell gefördert vom Land. Wir wissen, da wird Disziplin mitgeschult, da wird Zurückhaltung geschult. Das sind alles Werte, die für die Gesellschaft wichtig sind."
Die Grünen im Landtag sehen das anders. Sie haben durchgesetzt, dass nach den Sommerferien eine Expertenkommission zusammentritt, die Lösungswege erarbeiten soll. Für Sigrid Beer ist klar: Die Schießstände müssen langfristig aus den Schulen verschwinden.
"Es gibt eine Expertenrunde im Schulministerium, wo die kommunalen Spitzenverbände vertreten sind, wo die Polizei vertreten ist. Auch die Gewerkschaft der Polizei hat sich sehr eindeutig geäußert. Sie hat gesagt: Wir können nicht auf der einen Seite über die Wirkung von Killerspielen reden, die Fragen virtueller Gewalt und der Vorstellung von Jugendlichen. Auf der anderen Seite dann das konkrete Umgehen mit Waffen auf dem Schulgelände zulassen."
Monika Schäfer hat ihr Luftgewehr gespannt und geladen, zielt und drückt ab. Genau ins Schwarze. Die Schützin grinst, lädt ein weiteres Mal. Sie sieht den Ergebnissen der Expertenrunde gelassen entgegen, weiß sie doch, dass die Landespolitiker ihr Anliegen ohne Zustimmung der Bürgermeister kaum durchsetzen können. Schließlich haben die zu bestimmen, wer städtische Gebäude nutzen darf und wer nicht. Und der Städte- und Gemeindebund hat bereits signalisiert: Die Schützen dürfen bleiben wo sie sind und weiter in Kellern und auf Dachböden trainieren.
Winnenden – nach der Verschärfung des Waffengesetzes
Von Uschi Götz
Aus einer amerikanischen Studie geht hervor: 95 Prozent der schlimmsten Amokläufe in westlichen Demokratien seit 1966 wurden mit legalen Waffen verübt. Amokläufer, das zeigen alle vergangenen Taten, können Waffen gezielt einsetzen. Der Anteil legaler Waffen in Deutschland ist hoch. Rund zehn Millionen Waffen sind registriert. Zu den Besitzern gehören Jäger ebenso wie Sportschützen. Vor kurzem haben sich die Eltern des Amokläufers von Winnenden bei den Hinterbliebenen der Tat schriftlich gemeldet. Die Eltern schreiben, sie wissen nicht, wie ihr Sohn zu dieser Tat fähig war. Nur eines wissen sie sicher, schreiben die Eltern des Amokläufers, die Pistole, die er benutzt hat, kam aus ihrem Haus.
Mütter und Väter, die ihr Kind beim Amoklauf in Winnenden verloren haben, kämpfen indes für eine weitere Verschärfung des Waffengesetzes. Noch vor den Sommerferien in Baden- Württemberg haben betroffene Mütter CDU-Innenminister Schäuble in Berlin besucht.
Flughafen Stuttgart. Sechs Mütter machen sich auf den Weg nach Berlin. Bis zum 11. März kannten sich einige der Frauen nur vom Sehen, seit dem 11. März verbindet sie das gleiche Schicksal: Ihre Töchter wurden beim Amoklauf von Winnenden und Wendlingen erschossen. Heute wollen sie in Berlin Innenminister Wolfgang Schäuble zu einem Gespräch treffen.
Barbara Nalepa: "Meine Tochter wurde erschossen, meine Tochter wurde ermordet in der Schule. Und ich möchte ihm so viel sagen. Es gibt verschiedene Fragen, es gibt auch politische Fragen, aber es gibt Fragen, die vom Herzen fließen."
Gemeinsam mit anderen betroffenen Eltern setzen sich die Mütter im Aktionsbündnis Winnenden für eine weitere Verschärfung des Waffenrechts ein. Die jüngst beschlossene Verschärfung reicht ihnen nicht aus. Heute wollen sie - ungeachtet dieser Forderung des Bündnisses – gerade als Frauen, als Mütter der getöteten Schülerinnen, vor den Innenminister treten.
"Ich denke, es kommt emotionaler rüber und es ist nicht so sachlich. (…) Alles wird beantwortet, wie es bei den Männern wahrscheinlich sein wird."
Gleichzeitig wollen die Frauen die wahnsinnige Tat von Winnenden und Wendlingen in den Schlagzeilen halten, betont Birgit Schweitzer, die ihre Tochter Selina verloren hat:
"Weil es einfach für die Menschen zu weit weg ist. Es wird noch im Umkreis von Stuttgart darüber geredet, aber, wenn man mal weiter weggeht, 30 – 40 Kilometer um Stuttgart herum, es ist weg."
Die Frauen sind nervös. Doris Kleisch, Mutter der getöteten Schülerin Steffi Kleisch, sorgt sich um ihren 9-jährigen Sohn, der sich zuhause in Winnenden wiederum um die Mutter sorgt. Die Welt ist seit dem 11. März für fast alle Betroffenen zu einem bedrohlichen Ort geworden. Auf wen kann man sich noch verlassen?
"Weil mein Sohn heute morgen gesagt hat, mit dem Flieger, das sei ihm jetzt gar nicht recht und ich soll ihn sofort anrufen, wenn ich oben angekommen bin. Also er hätte mich am gernsten gar nicht gehen lassen wollen. Es ist einfach so im Kopf drin, dass wieder irgendetwas sein könnte."
Ankunft in Berlin. Mit Blick auf die Spree sitzen die sechs Frauen in einem Berliner Cafe. Gleich werden sie ein paar Schritte weiter im Bundesinnenministerium von Minister Schäuble empfangen werden.
Über eine Stunde nimmt sich Schäuble Zeit und redet mit den Frauen, hinter verschlossenen Türen. Themen sind unter anderem das jüngst verschärfte Waffenrecht und der Schießsport mit großkalibrigen Waffen. Schäuble hört zu und lässt die Frauen alles sagen, was ihnen am Herzen liegt. Nach dem Treffen mit den betroffenen Müttern des Amoklaufs sagt CDU Innenminister Wolfgang Schäuble:
"Den Müttern reicht die Änderung, die wir im Waffenrecht vorgenommen haben, nicht aus. Das habe ich anders auch gar nicht erwartet, das wusste ich auch vorher. Und ich habe ihnen zunächst einmal erklärt, normalerweise braucht Gesetzgebung länger, wir wollten aber bewusst nicht sagen, angesichts der zu Ende gehenden Legislaturperiode, wir prüfen das gründlich und in der nächsten Legislaturperiode ziehen wir dann Konsequenzen, was für eine geordnete Gesetzgebung das Normale ist. Das haben sie auch gesagt: Ja, nein, das verstehen sie, da sind sie auch dankbar dafür, dass man gesagt hat, wir machen einen Schritt."
Die Mütter, so Schäuble, hätten sich dann vor allem auf die Frage konzentriert, ob man nicht den Schießsport mit großkalibrigen Waffen ganz untersagen könne.
"Ich habe ihnen erklärt, dass es eine ganz schwierige Geschichte ist, wenn der Staat, der Gesetzgeber, in den Sport in einem solchen Maße eingreift, denn wir haben natürlich international viele internationale Wettbewerbe, auch wenn es nicht olympische Schießdisziplin ist. Viele Länder und Schützenvereinigungen in den Ländern betreiben internationale Wettbewerbe, Weltmeisterschaften mit internationalen Waffen. Deswegen ist es so eine Sache, wo man auch an die Grenzen dessen, was der Gesetzgeber kann, stößt (…), aber die Debatte, vielleicht auch bei den Schützen selber, kann ja weiter gehen. Muss es sein oder könnte man nicht auch sagen, es ist auch im Interesse von Schützen selber? Das wird nicht schnell gehen, aber, die Mütter müssen auch damit leben, und das geht auch nicht schnell, dass ihre Kinder durch einen Amoklauf ums Leben gekommen sind."
Zurück im schwäbischen Winnenden. Die Frauen, die Eltern, die ein Kind verloren haben, kämpfen weiter. Im Aktionsbündnis Winnenden setzen sie sich nach wie vor für eine weitere Verschärfung des Waffenrechts ein. Sie fordern ein generelles Verbot großkalibriger Waffen für Privatpersonen sowie das Verbot für Faustfeuerwaffen in privaten Haushalten. Mit diesen Forderungen starteten sie vor wenigen Monaten eine Unterschriftenaktion, die noch bis zur Bundestagswahl laufen soll. Gisela Mayer, Sprecherin des Bündnisses, setzt auf eine neue Regierung, die alte habe beim Thema Waffenrecht versagt.
"Ich denke natürlich, dass die Waffenlobby hier sehr gezielt, sehr gut strukturiert, sehr gut organisiert gearbeitet hat und ganz einfach ihre Interessen vertreten hat und das die Politik hier definitiv eingeknickt ist. Denn, es ist ein ganz einfaches, die Dinge, die kurz nach dem Amoklauf gesagt wurden, zu vergleichen mit dem, was hinterher dabei herauskommt, das ist keine schwierige Aufgabe zu sagen: da ist etwas passiert in der Zwischenzeit, das ist vollkommen klar."
Auch wenn Gisela Mayer glaubt, die Waffenlobby habe sich bei der Verschärfung des Waffengesetzes durchgesetzt, so spricht sie dennoch von einem Teilerfolg. Es seien ein paar Dinge geschehen, die in die richtige Richtung gingen, aber:
"Schön, es waren längst überfällige Dinge. So etwas wie ein zentrales Waffenregister – Schande, dass es noch nicht bestanden hat. So etwas wie Heraufsetzung des Alters, um mit derart gefährlichen Waffen umzugehen – Schande, dass das nicht vorher schon längst geregelt war. Das sind jetzt nicht großartige Verdienste, das sind längst überfällige Regelungen."
Im September will sich das Aktionsbündnis gemeinsam mit Vertretern von Schützenvereinen zu einem Runden Tisch treffen. Das Gespräch soll im Beisein eines kirchlichen Vertreters stattfinden. Ziel des Treffens ist es, die Diskussion um den Gebrauch von Waffen weiterzuführen. Grundsätzlich setzt das Aktionsbündnis Winnenden auf eine politische Lösung.
"Wir setzen unsere Hoffnung ganz klar auf eine neue Regierung. Vor allem, eine neue Regierung steht nicht schon wieder unter dem Druck in ein paar Monaten gewählt zu werden; sie muss sich nicht überlegen, welches Wählerpotential in welcher Ecke ist. Sie hat ein wenig Ruhe, nachzudenken, Dinge in Angriff zu nehmen und zu überlegen, was man erreicht hat und was man tun muss. Insofern machen wir uns da schon Hoffnungen noch einmal eine wirklich sinnvolle Diskussion aufnehmen zu können."
Vorbild für das Aktionsbündnis Winnenden ist eine britische Bürgerinitiative. Die Mitglieder der Initiative hatten sich in der Folge von zwei Amokläufen erfolgreich für eine Verschärfung der Waffengesetze in Großbritannien eingesetzt. Mittlerweile zählt das Waffengesetz von Großbritannien zu den schärfsten der Welt.
Nach einem Amoklauf im schottischen Dunblane wurde in Großbritannien 1997 der Privatbesitz von Kurzwaffen ganz verboten. Zuvor hatte sich rund eine Million Menschen in England bei Unterschriftenaktionen für ein Verbot ausgesprochen. Doch zwischen Engländern und Deutschen gibt es viele Unterschiede, stellt Gisela Mayer nach einem Treffen mit Vertretern der englischen Initiative fest:
"Es ist das Problem in der Gesellschaft teilweise auch wirklich gegen Mauern anzurennen, Dinge fordern zu müssen. Es war für uns signifikant, was Herr North aus England oder Schottland uns sagte. Er sagte: "Ihr Deutschen seid eigenartig, zu uns kam die Regierung, die kam und hat uns gefragt, was sie machen kann, was sie machen soll. Ihr müsst selber gehen und müsst euch Gehör verschaffen." Er hatte dafür zunächst erst einmal kein Verständnis. Er sagte, das ist ganz komisch, das ist ganz anders als bei uns. Und dieses Sich-Gehör-Verschaffen-Müssen ist einfach Arbeit."
Jeden Tag Termine: Treffen mit Politikern, Interviews, Talkshowauftritte, Unterschriftensammeln. Sie haben alle ein Kind verloren. Sie könnten wegziehen von Winnenden oder sich völlig zurückziehen. Doch viele betroffene Eltern von Winnenden resignieren nicht, suchen bewusst den Weg in die Öffentlichkeit. Das seien sie ihren Kindern schuldig, sagen alle.
Viele Mütter und Väter, deren Kinder beim Amoklauf erschossen wurden, sammeln weiter Unterschriften, treten für eine weitere Verschärfung des Waffenrechts ein. Sie müssen den eigenen Schmerz aushalten und gleichzeitig gegen die Ignoranz vieler ihrer Mitmenschen ankämpfen. Noch einmal Gisela Mayer:
"Es ist leider Gottes häufig anzutreffen, eine Mentalität: "Oh Gott, ich will mich nicht positionieren, ich zeige mich nicht, ich möchte mich verstecken. Ich gebe keine Meinung kund, deswegen auch keine Unterschrift." Nicht nur einmal habe ich gehört: "Ich finde das ja ganz richtig, was ihr da so macht, na ja, aber unterschreiben, das möchte ich dann jetzt vielleicht doch nicht."
Es gibt dann Menschen, die ganz auf unserer Seite sind, die sofort unterschreiben, die sagen: "Macht weiter, das ist längst überfällig." Aber es gibt auch oft eben diese vorsichtige Haltung, von der ich immer spreche, da will ich in nichts hineinkommen, ich will da nicht irgendwie involviert werden, das ist deren Problem und das soll es auch bleiben! So als würde man gefragt werden, ob man sich da raushalten möchte. Hätte mich jemand gefragt, ob ich mich aus Amokläufen raushalten will – was glauben Sie, was ich gesagt hätte? Natürlich klar – nur das geht eben nicht."
Von Friederike Schulz
Der Vereinskeller der Schützenbruderschaft Sankt Hubertus in Köln-Kalk ist gut besucht. An der Theke werden Cola und Mineralwasser ausgeschenkt. Um einen großen, ovalen Holztisch sitzen fünfzehn Schützen und besprechen die nächsten Vereinsaktivitäten. In der Luft hängen Rauchschwaden, die Aschenbecher auf dem Tisch sind voll. Der hintere Teil des Raums ist durch eine Glaswand abgetrennt. Dahinter liegt der Schießstand – mit sechs Bahnen, je zehn Meter lang. Monika Schäfer drückt ihre Zigarette aus, nimmt einen Schluck Kaffee, den Blick auf ihre Vereinskollegen gerichtet, die hinter der Scheibe ihre Luftgewehre laden.
"Man hat Spaß zusammen, nicht nur im Sinne, dass man feiert, sondern auch das Schießen macht Spaß. Ich selber mache hier nicht nur das Training, nehme auch an Kreismeisterschaften teil, an Bezirksmeisterschaften, habe es geschafft auf die Landesmeisterschaft, nehme an Rundenwettkämpfen teil. Es ist auch der Schießsport."
Seit Mitte der 90er Jahre hat der Verein seinen Sitz im früheren Kohlenkeller einer Grundschule. Die Schützen haben den Raum selbst hergerichtet, die Decken mit Holzvertäfelung abgehängt, Boden und Wände gestrichen, die Theke und den Schießstand gebaut, erzählt Monika Schäfer.
"Bis 1992 war unser Schießstand im Zechengarten. Der musste durch den U-Bahn-Bau geräumt werden. Danach waren wir in einer Wirtschaft untergebracht und haben immer neue Möglichkeiten gesucht, weil das nicht so ideal war. Bis wir dann von der Stadt den Kokskeller zur Verfügung gestellt bekommen haben."
Dass Schützenvereine in Kellern und auf Dachböden von Schulen in Nordrhein-Westfalen trainieren, ist keine Seltenheit. Das haben die Grünen im Düsseldorfer Landtag kürzlich herausgefunden, sagt deren bildungspolitische Sprecherin Sigrid Beer:
"Wir haben einen Hinweis bekommen aus einer Kommune. Dort ist es aufgefallen, dass Schießstand und Schule in unmittelbarer Nachbarschaft liegen. Wir haben dann eine Anfrage an die Landesregierung gestellt und waren über das Ergebnis in der Tat selbst überrascht. Wir wissen jetzt definitiv, dass es in Nordrhein-Westfalen 122 Schießstände an Schulen gibt und 29 Schießstände, die in unmittelbarer Nachbarschaft der Schulgebäude auf dem Schulgebäude untergebracht sind."
Damit geriet die Landesschulministerin Barbara Sommer von der CDU erheblich unter Druck. Kurz nach dem Amoklauf von Winnenden hatten die Grünen ein hochbrisantes Wahlkampfthema gefunden. Die Reaktion der Ministerin ließ nicht lange auf sich warten.
"Wenn es nach mir ginge, dann würde es keine Schießstände an Schulen geben. Ich denke, das vereinbart sich nicht miteinander."
Es folgten wütende Proteste des Schützenbundes, der rund 130.000 Mitglieder in Nordrhein-Westfalen hat. Auch im Vereinsheim St. Hubertus in Köln ist die Drohung aus Düsseldorf seither Thema Nummer 1 am Stammtisch.
"Ich kann dazu sagen: Da schwillt mir wirklich der Kamm. Ich komme aus einem Verein, der feiert in vier Jahren sein 550-jähriges Bestehen. Und dann kommt so eine Partei und wischt das mit einem Begriff weg? Das ist unsere abendländische Kultur. Ich als Schütze, der ich 41 Jahre lang bin, habe mir nie etwas zu Schulden kommen lassen. Und ich werde dann in eine Ecke gestellt als eigenartige Figur. Da schwillt mir als Bürger wirklich der Kamm."
Die Grünen halten dagegen: Es könne nicht angehen, dass in unmittelbarer Nähe von Klassenzimmern scharfe Waffen und Munition lagerten. Sigrid Beer erinnert an den Fall einer Schule in Gelsenkirchen. Dort wurde der Tresor des Schützenvereins aufgebrochen – anschließend hätten 24.000 Schuss Munition gefehlt.
"Es kann nicht sein, nachdem was wir an Amokläufen und Gewalttaten an Schulen erlebt haben, dass wir eine Situation haben: Man geht auf einen Schulhof, schaut auf der einen Seite in das Grundschulfenster und dann eröffnet sich auf der anderen Seite der Blick auf ein Fadenkreuz, wo der Zugang zum Schießstand ist. Das sind Dinge, die gehen so einfach nicht mehr. Wir müssen ganz deutlich machen: Die Schule muss ein waffen- und gewaltfreier Raum sein."
Mit festen Schritten geht Monika Schäfer ins Nebenzimmer des Vereinsheims. Hier, verschlossen hinter einer Stahltür, steht der Tresor. Ebenfalls verschlossen, der Waffenschrank. Für den gibt es genau zwei Schlüssel – einen trägt sie selbst am Bund, den anderen hat der Oberschützenmeister. Sonst hat niemand aus dem Verein Zugang zum Arsenal. Nach dem Training wird auch das Lokal immer abgeschlossen, so dass kein Fremder die Räume betreten kann.
"Unsere Tür ist selbstverständlich immer abgeschlossen, sonst könnte hier ja tagsüber einer rein. Es ist einmal oben gesichert durch den Eingangsbereich, und hier unten dann auch noch mal. Das Ganze ist auch noch alarmanlagengesichert."
Monika Schäfer setzt sich wieder zu ihren Schützenbrüdern an den Tisch, zündet sich noch eine Zigarette an. Das Argument der Politik, gewaltbereite Schüler könnten auf die Idee kommen, bei den Schützenvereinen auf dem Schulgelände Kleinkaliberwaffen zu entwenden, haben sie und ihre Mitstreiter in den Wochen nach dem Amoklauf von Winnenden oft diskutiert.
"Die Schützenvereine sind es ja gar nicht Schuld. Denn die Waffen wurden nie bei Schützenvereinen entwendet, sondern bei einem, der zwar den Schein hat, um sich ein K-K-Gewehr zu kaufen, der es dann aber zu Hause nicht ordnungsgemäß aufbewahrt hat, denn es ist jeder verpflichtet, der ein K-K-Gewehr zu Hause lagert, es in einem Waffenschrank zu lagern, dass kein anderer da rankommt. Ebenso die Munition."
Verständnis für die Aufregung in Düsseldorf hat niemand am Tisch. Schließlich wird bei St. Hubertus noch nicht einmal mit Kleinkaliber-K-K-Waffen hantiert, sondern nur mit Luftgewehren. Zudem gebe es auf ihrem Gelände keinerlei Berührungspunkte zu den Schülern.
"Unser Training beginnt montags und donnerstags ab 18 Uhr. Dann haben wir schon mal bestimmte Veranstaltungen, die halt samstags sind, aber dann auch erst am Samstagnachmittag oder halt sonntags. Somit stören wir den Schulbetrieb nicht, und die Schulkinder haben mit uns quasi keine Berührung, denn sie kommen auch nicht auf unser Gelände, da der Schuleingang auf der Kapitelstraße liegt, und wir unseren Eingang in der Josephkirchstraße haben. Unser Gelände ist auch mit einem Zaun gesichert. Somit können die eigentlich gar nicht rüber."
Argumente, die in der Politik nicht nur auf Unverständnis stoßen. So hat sich zum Beispiel der Städte- und Gemeindebund auf die Seite der Schützen geschlagen. Dessen Präsident Roland Schäfer schüttelt über die Aufregung im Landtag den Kopf.
"Sicherheit in Schulen, Sicherheit für die Schulkinder ist ein ganz wichtiges Thema. Ich sehe nur überhaupt keinen Zusammenhang zwischen der Aktivität in einigen Schulen mit Schießständen und der Sicherheit der Schüler. Von daher bitte ich doch darum, die Diskussion rationaler zu führen und nicht übers Ziel hinauszuschießen."
Roland Schäfer ist selbst Bürgermeister von Bergkamen im Ruhrgebiet. Auch dort gibt es an einigen Schulen Schießstände, die alle zwei Jahre von der Polizei auf ihre Sicherheit überprüft werden. Das Training finde außerhalb der Schulzeit statt, außerdem würden nur Luftgewehre verwendet. Mit seiner Einschätzung stehe er nicht alleine da – seine Kollegen in den Städten und Gemeinden wunderten sich ebenso über die plötzliche Diskussion um ein Verbot.
"Wir bedauern alle, dass unsere Schützenvereine und die Schießsportgruppen so ein bisschen in Verruf geraten sind, denn es ist natürlich ein anerkannter Sport, es ist eine olympische Disziplin. Wir haben hier im Ruhrgebiet gerade die Ruhr-Olympiade 2009 hinter uns. Auch dort ist mit Jugendlichen Schießsport eine der Disziplinen gewesen. Diese Jugendarbeit in den Vereinen wird auch offiziell gefördert vom Land. Wir wissen, da wird Disziplin mitgeschult, da wird Zurückhaltung geschult. Das sind alles Werte, die für die Gesellschaft wichtig sind."
Die Grünen im Landtag sehen das anders. Sie haben durchgesetzt, dass nach den Sommerferien eine Expertenkommission zusammentritt, die Lösungswege erarbeiten soll. Für Sigrid Beer ist klar: Die Schießstände müssen langfristig aus den Schulen verschwinden.
"Es gibt eine Expertenrunde im Schulministerium, wo die kommunalen Spitzenverbände vertreten sind, wo die Polizei vertreten ist. Auch die Gewerkschaft der Polizei hat sich sehr eindeutig geäußert. Sie hat gesagt: Wir können nicht auf der einen Seite über die Wirkung von Killerspielen reden, die Fragen virtueller Gewalt und der Vorstellung von Jugendlichen. Auf der anderen Seite dann das konkrete Umgehen mit Waffen auf dem Schulgelände zulassen."
Monika Schäfer hat ihr Luftgewehr gespannt und geladen, zielt und drückt ab. Genau ins Schwarze. Die Schützin grinst, lädt ein weiteres Mal. Sie sieht den Ergebnissen der Expertenrunde gelassen entgegen, weiß sie doch, dass die Landespolitiker ihr Anliegen ohne Zustimmung der Bürgermeister kaum durchsetzen können. Schließlich haben die zu bestimmen, wer städtische Gebäude nutzen darf und wer nicht. Und der Städte- und Gemeindebund hat bereits signalisiert: Die Schützen dürfen bleiben wo sie sind und weiter in Kellern und auf Dachböden trainieren.
Winnenden – nach der Verschärfung des Waffengesetzes
Von Uschi Götz
Aus einer amerikanischen Studie geht hervor: 95 Prozent der schlimmsten Amokläufe in westlichen Demokratien seit 1966 wurden mit legalen Waffen verübt. Amokläufer, das zeigen alle vergangenen Taten, können Waffen gezielt einsetzen. Der Anteil legaler Waffen in Deutschland ist hoch. Rund zehn Millionen Waffen sind registriert. Zu den Besitzern gehören Jäger ebenso wie Sportschützen. Vor kurzem haben sich die Eltern des Amokläufers von Winnenden bei den Hinterbliebenen der Tat schriftlich gemeldet. Die Eltern schreiben, sie wissen nicht, wie ihr Sohn zu dieser Tat fähig war. Nur eines wissen sie sicher, schreiben die Eltern des Amokläufers, die Pistole, die er benutzt hat, kam aus ihrem Haus.
Mütter und Väter, die ihr Kind beim Amoklauf in Winnenden verloren haben, kämpfen indes für eine weitere Verschärfung des Waffengesetzes. Noch vor den Sommerferien in Baden- Württemberg haben betroffene Mütter CDU-Innenminister Schäuble in Berlin besucht.
Flughafen Stuttgart. Sechs Mütter machen sich auf den Weg nach Berlin. Bis zum 11. März kannten sich einige der Frauen nur vom Sehen, seit dem 11. März verbindet sie das gleiche Schicksal: Ihre Töchter wurden beim Amoklauf von Winnenden und Wendlingen erschossen. Heute wollen sie in Berlin Innenminister Wolfgang Schäuble zu einem Gespräch treffen.
Barbara Nalepa: "Meine Tochter wurde erschossen, meine Tochter wurde ermordet in der Schule. Und ich möchte ihm so viel sagen. Es gibt verschiedene Fragen, es gibt auch politische Fragen, aber es gibt Fragen, die vom Herzen fließen."
Gemeinsam mit anderen betroffenen Eltern setzen sich die Mütter im Aktionsbündnis Winnenden für eine weitere Verschärfung des Waffenrechts ein. Die jüngst beschlossene Verschärfung reicht ihnen nicht aus. Heute wollen sie - ungeachtet dieser Forderung des Bündnisses – gerade als Frauen, als Mütter der getöteten Schülerinnen, vor den Innenminister treten.
"Ich denke, es kommt emotionaler rüber und es ist nicht so sachlich. (…) Alles wird beantwortet, wie es bei den Männern wahrscheinlich sein wird."
Gleichzeitig wollen die Frauen die wahnsinnige Tat von Winnenden und Wendlingen in den Schlagzeilen halten, betont Birgit Schweitzer, die ihre Tochter Selina verloren hat:
"Weil es einfach für die Menschen zu weit weg ist. Es wird noch im Umkreis von Stuttgart darüber geredet, aber, wenn man mal weiter weggeht, 30 – 40 Kilometer um Stuttgart herum, es ist weg."
Die Frauen sind nervös. Doris Kleisch, Mutter der getöteten Schülerin Steffi Kleisch, sorgt sich um ihren 9-jährigen Sohn, der sich zuhause in Winnenden wiederum um die Mutter sorgt. Die Welt ist seit dem 11. März für fast alle Betroffenen zu einem bedrohlichen Ort geworden. Auf wen kann man sich noch verlassen?
"Weil mein Sohn heute morgen gesagt hat, mit dem Flieger, das sei ihm jetzt gar nicht recht und ich soll ihn sofort anrufen, wenn ich oben angekommen bin. Also er hätte mich am gernsten gar nicht gehen lassen wollen. Es ist einfach so im Kopf drin, dass wieder irgendetwas sein könnte."
Ankunft in Berlin. Mit Blick auf die Spree sitzen die sechs Frauen in einem Berliner Cafe. Gleich werden sie ein paar Schritte weiter im Bundesinnenministerium von Minister Schäuble empfangen werden.
Über eine Stunde nimmt sich Schäuble Zeit und redet mit den Frauen, hinter verschlossenen Türen. Themen sind unter anderem das jüngst verschärfte Waffenrecht und der Schießsport mit großkalibrigen Waffen. Schäuble hört zu und lässt die Frauen alles sagen, was ihnen am Herzen liegt. Nach dem Treffen mit den betroffenen Müttern des Amoklaufs sagt CDU Innenminister Wolfgang Schäuble:
"Den Müttern reicht die Änderung, die wir im Waffenrecht vorgenommen haben, nicht aus. Das habe ich anders auch gar nicht erwartet, das wusste ich auch vorher. Und ich habe ihnen zunächst einmal erklärt, normalerweise braucht Gesetzgebung länger, wir wollten aber bewusst nicht sagen, angesichts der zu Ende gehenden Legislaturperiode, wir prüfen das gründlich und in der nächsten Legislaturperiode ziehen wir dann Konsequenzen, was für eine geordnete Gesetzgebung das Normale ist. Das haben sie auch gesagt: Ja, nein, das verstehen sie, da sind sie auch dankbar dafür, dass man gesagt hat, wir machen einen Schritt."
Die Mütter, so Schäuble, hätten sich dann vor allem auf die Frage konzentriert, ob man nicht den Schießsport mit großkalibrigen Waffen ganz untersagen könne.
"Ich habe ihnen erklärt, dass es eine ganz schwierige Geschichte ist, wenn der Staat, der Gesetzgeber, in den Sport in einem solchen Maße eingreift, denn wir haben natürlich international viele internationale Wettbewerbe, auch wenn es nicht olympische Schießdisziplin ist. Viele Länder und Schützenvereinigungen in den Ländern betreiben internationale Wettbewerbe, Weltmeisterschaften mit internationalen Waffen. Deswegen ist es so eine Sache, wo man auch an die Grenzen dessen, was der Gesetzgeber kann, stößt (…), aber die Debatte, vielleicht auch bei den Schützen selber, kann ja weiter gehen. Muss es sein oder könnte man nicht auch sagen, es ist auch im Interesse von Schützen selber? Das wird nicht schnell gehen, aber, die Mütter müssen auch damit leben, und das geht auch nicht schnell, dass ihre Kinder durch einen Amoklauf ums Leben gekommen sind."
Zurück im schwäbischen Winnenden. Die Frauen, die Eltern, die ein Kind verloren haben, kämpfen weiter. Im Aktionsbündnis Winnenden setzen sie sich nach wie vor für eine weitere Verschärfung des Waffenrechts ein. Sie fordern ein generelles Verbot großkalibriger Waffen für Privatpersonen sowie das Verbot für Faustfeuerwaffen in privaten Haushalten. Mit diesen Forderungen starteten sie vor wenigen Monaten eine Unterschriftenaktion, die noch bis zur Bundestagswahl laufen soll. Gisela Mayer, Sprecherin des Bündnisses, setzt auf eine neue Regierung, die alte habe beim Thema Waffenrecht versagt.
"Ich denke natürlich, dass die Waffenlobby hier sehr gezielt, sehr gut strukturiert, sehr gut organisiert gearbeitet hat und ganz einfach ihre Interessen vertreten hat und das die Politik hier definitiv eingeknickt ist. Denn, es ist ein ganz einfaches, die Dinge, die kurz nach dem Amoklauf gesagt wurden, zu vergleichen mit dem, was hinterher dabei herauskommt, das ist keine schwierige Aufgabe zu sagen: da ist etwas passiert in der Zwischenzeit, das ist vollkommen klar."
Auch wenn Gisela Mayer glaubt, die Waffenlobby habe sich bei der Verschärfung des Waffengesetzes durchgesetzt, so spricht sie dennoch von einem Teilerfolg. Es seien ein paar Dinge geschehen, die in die richtige Richtung gingen, aber:
"Schön, es waren längst überfällige Dinge. So etwas wie ein zentrales Waffenregister – Schande, dass es noch nicht bestanden hat. So etwas wie Heraufsetzung des Alters, um mit derart gefährlichen Waffen umzugehen – Schande, dass das nicht vorher schon längst geregelt war. Das sind jetzt nicht großartige Verdienste, das sind längst überfällige Regelungen."
Im September will sich das Aktionsbündnis gemeinsam mit Vertretern von Schützenvereinen zu einem Runden Tisch treffen. Das Gespräch soll im Beisein eines kirchlichen Vertreters stattfinden. Ziel des Treffens ist es, die Diskussion um den Gebrauch von Waffen weiterzuführen. Grundsätzlich setzt das Aktionsbündnis Winnenden auf eine politische Lösung.
"Wir setzen unsere Hoffnung ganz klar auf eine neue Regierung. Vor allem, eine neue Regierung steht nicht schon wieder unter dem Druck in ein paar Monaten gewählt zu werden; sie muss sich nicht überlegen, welches Wählerpotential in welcher Ecke ist. Sie hat ein wenig Ruhe, nachzudenken, Dinge in Angriff zu nehmen und zu überlegen, was man erreicht hat und was man tun muss. Insofern machen wir uns da schon Hoffnungen noch einmal eine wirklich sinnvolle Diskussion aufnehmen zu können."
Vorbild für das Aktionsbündnis Winnenden ist eine britische Bürgerinitiative. Die Mitglieder der Initiative hatten sich in der Folge von zwei Amokläufen erfolgreich für eine Verschärfung der Waffengesetze in Großbritannien eingesetzt. Mittlerweile zählt das Waffengesetz von Großbritannien zu den schärfsten der Welt.
Nach einem Amoklauf im schottischen Dunblane wurde in Großbritannien 1997 der Privatbesitz von Kurzwaffen ganz verboten. Zuvor hatte sich rund eine Million Menschen in England bei Unterschriftenaktionen für ein Verbot ausgesprochen. Doch zwischen Engländern und Deutschen gibt es viele Unterschiede, stellt Gisela Mayer nach einem Treffen mit Vertretern der englischen Initiative fest:
"Es ist das Problem in der Gesellschaft teilweise auch wirklich gegen Mauern anzurennen, Dinge fordern zu müssen. Es war für uns signifikant, was Herr North aus England oder Schottland uns sagte. Er sagte: "Ihr Deutschen seid eigenartig, zu uns kam die Regierung, die kam und hat uns gefragt, was sie machen kann, was sie machen soll. Ihr müsst selber gehen und müsst euch Gehör verschaffen." Er hatte dafür zunächst erst einmal kein Verständnis. Er sagte, das ist ganz komisch, das ist ganz anders als bei uns. Und dieses Sich-Gehör-Verschaffen-Müssen ist einfach Arbeit."
Jeden Tag Termine: Treffen mit Politikern, Interviews, Talkshowauftritte, Unterschriftensammeln. Sie haben alle ein Kind verloren. Sie könnten wegziehen von Winnenden oder sich völlig zurückziehen. Doch viele betroffene Eltern von Winnenden resignieren nicht, suchen bewusst den Weg in die Öffentlichkeit. Das seien sie ihren Kindern schuldig, sagen alle.
Viele Mütter und Väter, deren Kinder beim Amoklauf erschossen wurden, sammeln weiter Unterschriften, treten für eine weitere Verschärfung des Waffenrechts ein. Sie müssen den eigenen Schmerz aushalten und gleichzeitig gegen die Ignoranz vieler ihrer Mitmenschen ankämpfen. Noch einmal Gisela Mayer:
"Es ist leider Gottes häufig anzutreffen, eine Mentalität: "Oh Gott, ich will mich nicht positionieren, ich zeige mich nicht, ich möchte mich verstecken. Ich gebe keine Meinung kund, deswegen auch keine Unterschrift." Nicht nur einmal habe ich gehört: "Ich finde das ja ganz richtig, was ihr da so macht, na ja, aber unterschreiben, das möchte ich dann jetzt vielleicht doch nicht."
Es gibt dann Menschen, die ganz auf unserer Seite sind, die sofort unterschreiben, die sagen: "Macht weiter, das ist längst überfällig." Aber es gibt auch oft eben diese vorsichtige Haltung, von der ich immer spreche, da will ich in nichts hineinkommen, ich will da nicht irgendwie involviert werden, das ist deren Problem und das soll es auch bleiben! So als würde man gefragt werden, ob man sich da raushalten möchte. Hätte mich jemand gefragt, ob ich mich aus Amokläufen raushalten will – was glauben Sie, was ich gesagt hätte? Natürlich klar – nur das geht eben nicht."